BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Novalis

1772 - 1801

 

Philosophische, philologische

und naturwissenschaftliche Studien

Das Allgemeine Brouillon

 

Erste Gruppe: Nr. 1 - 444

September/Oktober 1798

(Auswahl)

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

I

Erste Gruppe (1 - 444)

 

 

3

DICHTK[UNST]. Beywörter der griechischen Dichter – durchaus mahlerisch bedeutend – z. B. In der Juno geben die Augen den Ton an und so fort. Theorie der idealischen Proportionen.

 

 

4

MED[IZIN]. Kranckheitsproportionen – Elementarproportionen – In Einen giebt der Magen, in den andern die Lunge und so fort, den Ton an.

 

 

6

<Attribute – Signaturen – Heraldik, Individualität.>

 

 

9

<Geschichte der Encyclopaedistik.>

 

 

10

<Romantisiren ähnlich dem Algebraisiren. – Brief an Fr[iedrich Schlegel] – romantisch] >

 

 

43

(MED[ICIN]). Rausch aus Stärke – Rausch aus [Schwäche]. Die narcotischen Gifte, der Wein etc. bewirken einen Rausch [aus] Schwäche. – Sie entziehn dem Denkorgan etwas. – Sie machen es unf[ähig] für seinen gewöhnlichen Reitz. / Leidenschaften, fixe Ideen sind vielleicht eher ein Rausch aus Stärke, – bewircken Localentzündungen. / Wollust berauscht auch, wie Wein. Im Rausch aus Schwäche hat man viel lebhaftere, durchdringendere Sensationen. Je besonnener, desto unsinnlicher.

 

 

56

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Der W[issenschafts]Lehrer behandelt blos W[issenschaft] im Ganzen – Hat blos mit W[issenschaften], als solchen zu thun. / Die W[issenschafts]L[ehre] ist eine wahrhafte, unabhängige, selbständige Encyclopaedik – W[issenschaft] d[er] W[issenschaften]. /
W[issenschafts]L[ehre] ist System des wissenschaftlichen Geistes – die Psychologie, wenn ich so sagen darf – der Wissenschaften im Ganzen.

 

 

67

PHYSIK. Das Schellingsche Wärmesystem verbunden mit dem Franklinism / der nichts anders ist, als Brownism / wird die Grundlage des künftigen UniversalNatursystems.

 

 

87

ROMANTIK. Absolutisirung – Universalisirung – Classification des individuellen Moments, der ind[ividuellen] Situation etc. ist das eigentliche Wesen des Romantisirens. vid. Meister. Mährchen.

 

 

146

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Eine W[issenschaft] gewinnt durch Fressen – durch Assimiliren andrer Wissenschaften etc. So d[ie]
Mathem[atik] z. B. durch den gefressenen Begriff des Unendlichen.

 

 

155

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Doppelte Universalität jeder wahrhaften W[issenschaft] – Eine entsteht, wenn ich alle andern W[issenschaften] zur Ausbildung der besondern benutze. – Die Andre, wenn ich sie zur Universalwissenschaft mache und sie selbst unter sich ordne – alle andre Wissenschaften, als ihre Modificationen betrachte. Den Ersten Versuch der leztern Art hat Fichte mit der Phil[osophie] unternommen. Er soll in allen W[issenschaften] unternommen werden.

 

 

176

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Universale Poëtik und vollst[ändiges] System der Poësie. Eine Wissenschaft ist vollendet, 1. wenn sie auf alles angewandt ist – 2. wenn alles auf sie angewandt ist – 3. Wenn sie, als abs[olute] Totalitaet, als Universum betrachtet – sich selbst als
abs[olutes] Individuum mit allen übrigen W[issenschaften] und
K[ünsten], als relat[iven] Individuen, untergeordnet wird.

 

 

186

PHYSI[KALISCHE] SINNLEHRE. Sprechen und Hören ist Befruchten und Empfangen. / PSYCH[OLOGIE]. Scham – Scheu vor Kundwerdung – / ARTISTIK. symbolisch religioese Mimick – Sittenmimik – Grüßen etc. Was bedeutet z. B. Enthüllung?

Synth[esis] von Mann und Weib. / PHYS[IK]. Grund der Gastfreundschaft der Alten – Abendmahl – gemeinschaftliches Essen und trinken ist eine Art Vereinigung – ein generationsact.

 

 

[190]

PSYCH[OLOGIE]. Traurigkeit ist Symptom – Stimmung der Sekretion – Freude Symptom des Genusses – der Nutrition. / Die Arterien betreiben den Nutritions- und die Venen den Sekretionsprocess./

 

 

194

PSYCH[OLOGIE]. Wie man aus den Symptomen den Sitz der Leidenschaft finden kann? Rationelle und medicinische Mimik. Zufällige – willkührliche und wesentliche Symptome. Classification der Leidenschaften – Theorie ihrer äußern Symptome.

Der Sitz der Seele ist bald hier, bald dort – bald an mehreren Orten zugleich – er ist veränderlich – und so auch der Sitz ihrer Hauptglieder – die man durch die Hauptleidenschaften kennen lernt.

 

 

195

PSYCH[OLOGIE]. Das Gedächtniß nimmt mit der Fähigkeit, die Gegenstände a priori zu finden, ab und zu.

 

 

198

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Die W[issenschaft] im Großen besteht, nach Hemsterhuis, aus dem Produkt der Gedächtnißwiss[enschaften], oder der gegebnen Kenntnisse. Die leztern sind das bloße Werck des Menschen. Die W[issenschaft] im Großen ist also überhaupt die TotalFunction der Daten und Facten – die n Potenz des Reihenbinoms der Daten und Facten.

Hier wird die combinator[ische] Analysis Bedürfniß.

 

 

199

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Die größesten Wahrheiten unsrer Tage verdanken wir dem Contact der lange getrennten Glieder der Totalwissenschaft. Hemsterhuis.

 

 

201

PHYS[IKALISCHE] SINNENLEHRE. Anschaun ist ein elastischer Genuß. / PHIL[OSOPHISCHE] PHYS[IK]. Das Bedürfniß eines Gegenstandes ist schon Resultat einer Berührung in distans – Anfang der Negation – der Heterogenëisierung.

Die Fuga Vacui ist nichts als eine Anziehung des Leeren und des Vollen. Alle Fuga Vacui ist relativ – nur bis zu einem gewissen Punct wircksam. Sie hat wie alle Anziehung, und Saturation einen Terminus ad quem.

 

 

204

ARTISTIK. (PSYCH[OLOGIE]). Die Hand wird beym Mahler Sitz eines Instinkts – so auch beym Musiker – der Fuß beym Tänzer. Das Gesicht beym Schauspieler – und so fort.

 

 

205

PSYCH[OLOGIE]. Schmerz und Angst bezeichnen die träumenden Glieder der Seele. Körperliche Lust und Unlust sind Traumprodukte. Die Seele ist nur zum Theil wach. Wo sie träumt, wie z. B. in den unwillkührlichen Organen – wohin in gewisser Hinsicht der ganze Körper gehört – da empfindet sie Lust und Unlust. Schmerz und Kitzel sind Sensationen der gebundnen Seele.

 

 

210

ZUKÜNFTIGE LITTER[ATUR]. Es wird eine schöne Zeit seyn, wo man nichts mehr lesen wird, als die schöne Composition – als die Litterairischen Kunstwerke. Alle andre Bücher sind Mittel und werden vergessen, wenn sie keine tauglichen Mittel mehr sind – und dies können die Bücher nicht lange bleiben.

 

 

213

LITTER[ATUR]. Gelehrsamkeit entspricht dem Gedächtniß. Fähigkeit oder Geschicklichkeit dem Geist. Beydes verbinden h[eißt] beydes, als ein Binomium ansehn und dieses potenziren.

(Romantische Gelehrsamkeit – und romantische Geschicklichkeit – Combinations – und Variationsfertigkeit.)

 

214

THÄTIGKEITSL[EHRE]. Chaotische Thätigk[eit] – polare
Th[ätigkeit] – synthetische Thätigkeit.

 

 

217

ENC[YCLOPAEDISTIK]. (Wie Epos, Lyra und Drama die (Elemente) der Poësie – so giebt es auch ähnliche (Elemente) der Scienz, oder Wissenschaft.)

 

 

[218]

<Meine Hauptbeschäftigungen sollen jezt 1. Die Encyclopaedistik. 2. ein Roman. 3. der Brief an Schlegel seyn. Im leztern werde ich ein Bruchstück aus 1. so romantisch, als möglich, vortragen. (Soll es eine Recherche (oder Essai), eine Sammlung Fragmente, ein Lichtenbergischer Commentar, ein Bericht, ein Gutachten, eine Geschichte, eine Abhandlung, eine Recension, eine Rede, ein Monolog oder Bruchstück eines Dialog etc. werden?)>

 

 

244

SCIENT[IA] ARTIS LITTER[ARIAE]. Die Schriftkunst (Tonkunst) schriftkünstlich behandelt liefert die Wissenschaft von der Schriftkunst (Scientiam artis litterariae). Die Kritik der Schriftkunst bereitet diese Wissenschaft vor.

Unser Alphabet ist eine TonSchriftkunst und noch obendrein von einem individuellen Instrumente, dem menschlichen Sprachwerckzeugsystem.

Allgemeines, reines Schriftsystem – und besondre abgeleitete Schriftsysteme. (vid. das Zahlensystem.) Noten.

 

 

245

MUSIK. Die Consonanten sind die Fingersetzungen und ihre Folge und Abwechselung gehört zur Aplicatur. DieVocale sind die tönenden Saiten oder Luftstäbe. Die Lunge ist der bewegte Bogen.

Die mehreren Sayten auf einem Instrument sind nur zur Bequemlichkeit – es sind Abbreviaturen. Es ist eigentlich nur Eine Sayte. Die Orgeln sind Nachahmungen der Sayteninstrumente. Über den karacterisirenden Ton der Sayte – der Grund dieser Individualitaet – Masse – länge – Dicke etc. Über die Mittönungen. Tonreihe jedes Saytenstrichs. Dauer des Strichs – Ansetzpunct des Bogens. Steg. Bau des Instruments. Harmonika. Euphon[ie]. Über den Glockenton. Theorie des Harmonikaspielens. Die tastirte Harmonika.

Warum die Wellen und Ströme des Wassers nicht tönen? Acusticitaet der Luft. Schwingungen einer mit El[ectricitaet] geladenen Glocke.

Über die allg[emeine] n Sprache der Musik. Der Geist wird frey, unbestimmt angeregt – das thut ihm so wohl – das dünkt ihm so bekannt, so vaterländisch – er ist auf diese kurzen Augenblicke in seiner indischen Heymath. Alles Liebe – und Gute, Zukunft und Vergangenheit regt sich in ihm – Hoffnung und Sehnsucht. Vers[uch] bestimmt durch die Musik zu sprechen. Unsre Sprache – sie war zu Anfang viel musicalischer und hat sich nur nach gerade so prosaisirt – so enttönt. Es ist jezt mehr Schallen geworden – Laut, wenn man dieses schöne Wort so erniedrigen will. Sie muß wieder Gesang werden. Die Consonanten verwandeln den Ton in Schall.

 

 

269

PSYCHO[LOGIE]. Das Lächerliche ist eine Mischung, die auf Null hinausläuft. (Detonation.) (Mischung des Gemeinen, Niedrigen und Erhabenen etc.)

 

 

270

<Instinkt ist Kunst ohne Absicht – Kunst, ohne zu wissen wie und was man macht. Der Instinkt läßt sich in Kunst verwandeln – durch Beobachtung der Kunsthandlung. Was man also macht, das läßt sich am Ende kunstmäßig zu machen, erlernen. Kunst, das Lächerliche und das Romantische hervorzubringen.>

PSYCH[OLOGIE]. Das Lächerliche ist nicht beißend. Lachen ist ein Krampf. Die Ursache des Lachens muß also von einer plötzlichen Entladung der gespannten Aufmercksamkeit – durch einen Contrast entstehn. Aehnlichkeit mit dem electrischen Funken. Der ächte Komicker muß ernsthaft und wichtig aussehn, wenn er eine Posse macht. (Ironie. Parodie. Travestie. – Die Verkleidung ist ein Haupt-Bestandteil des Lächerlichen. Wortspiele. Lächerliche Fragen und Antworten. Anekdoten. Scenen. Shakespeare. Die Italiaener. Aristophanes. Witz der gemeinen Leute. Carricaturen. Hogarth. Lichtenberg.)

Lachen – Kur der Hypochondrie. Aus vielen Lachen und Witzeln kann aber auch Hypochondrie entstehn. Lachen bekömmt sthenischen Constitutionen vorzüglich gut. Alles was die Aufmercksamkeit erregt und nicht befriedigt ist lächerlich. – Nur das Plötzliche Abspannen der Aufmercksamkeit ist aber die eigentlich lachenmachende Operation. Das Weinen ist eine sthenische Krisis – das Rührende ist das Gegentheil des Lächerlichen. Das Rührende fängt mit Abspannung an – und spannt plötzlich – das Rührende oder das Eindringende dringt schnell ein – eh man Zeit hat es zu fassen. Es ist eine Übersättigung – Weichwerden – zerfließen – schmelzen. Jenes ist ein Absonderungs, dies ein Einschluckungsprocess – Jenes ein Flüchtigwerden – daher die Kälte des Lächerlichen – Dies ein Gerinnen – ein Starrwerden – daher die Wärme. Das Weinen und Lachen mit ihren Modificationen gehören so zum Seelenleben, wie Essen und Secerniren zum körperlichen Leben. Das Weinen macht das arterielle – das Lachen das venöse System.

 

 

274

PSYCHO[LOGIE]. Durch Abstraction wird die Reitzbarkeit vermehrt. Zuviel Abstraction erzeugt Asthenie – zuviel Reflexion Sthenie. Ich muß viel reflectiren und nicht viel abstrahiren. Icb bin schon reitzbar genug. Ein scharfer Denker ist ein empfindlicher Meter – ein sehr subtiles Reagens.

 

 

[279]

GRAM[MATIK]. Übergang einer Sprache in die Andre – durch corrupte oder eigenthümliche Aussprache. Erhebung der gemeinen Sprache zur Büchersprache. Die gemeine Sprache wächst unaufhörlich – aus ihr wird die Büchersp[rache] gebildet. Übergang und Umbildung der Vocalen und der Sylben in einander. 1, 2, 3, 4, und mehrsylbige Wörter.

Allg[emeines] Sprachsystem – Sprachgeschichtssystem. Erfindung jeder Sprache a priori. Verschiedenheit der Aussprache.

 

 

288

PSYCH[OLOGIE]. Sympathie (erhöht) (verstärkt) das Leiden – Substantielles Leiden. Der Symp[athie] entspricht die Coaction – Mitleiden – Mitthätigkeit. Leiden und Th[ätigkeit] wird erst durch Mitleiden und Mitthätigkeit lebendig.

Eine Art der Mitfreude ist sympathetisch – Eine Art des Mitleids ist coactiv.

 

 

289

PSYCH[OLOGIE]. Geduld ist zweyerley – ruhige Ertragung des Mangels – ruhige Ertragung des Übermaaßes. Die ächte Geduld zeugt von großer Elasticitaet.

 

 

292

PSYCH[OLOGIE]. Das Sittliche Wesen – das Mor[al] Princip – ist wohl die Substanz der Seele? Der universale, encyclopaedisirte Willen ist d[as] Moral Princip. (Universal – unendlich gebildet, der höchsten Ordnung – oder der abs[oluten] Ordnung.) (vielleicht der omniversale Willen – der Panharmonische Willen.)

 

 

296

POËTIK. Der Effekt spielt dieselbe Rolle in der Poësie, wie die Glückseeligkeit in der Moral.

Effect und Glückseligkeit : Ideal und Sittengesetz

Seele                :          Geiste

PSYCH[OLOGIE]. Seele ist angewandter, unreiner, vermischter, practischer Geist. Geist ist theoretische Seele. Die Seele soll als Geist werden – oder quod idem est – der Geist, als Geist, Seele.

Harmonie.

 

 

304

TECHN[IK]. ManufakturFabrik.

 

 

313

PHYS[IK]. Da jedes Glied in der Natur eine Function derselben, und umgek[ehrt], ist so muß auch die Wissenschaft jedes einzelnen Gliedes eine Function der gesammten Nat[ur]W[issenschaft] und umg[ekehrt] seyn. WärmeLehre. Magnetologie – Electrologie etc.

 

 

324

PHILOL[OGIE]. Beyspiele sind eine Art von Citaten. Man muß jeden theoretischen Satz in einer theoretischen Erzählung (allg[emeines] Raisonnement) oder Beschr[eibung] – mit einem Beyspiele zu belegen wissen. Alle allg[emeinen] Raisonnements müssen durchgängige Beziehung auf wirkliche Facta haben.

abstractes allg[emeines] Raisonnement. (Allg[emeine] Geschichte.)

concretes oder verstecktes allg[emeines] Raisonnement.

Beydes zugleich.

Bes[onders] ist diese Ausdrückliche Belegung jedes allg[emeinen] Erzählungssatzes mit individuellen Beyspielen zum Vortrag und Unterricht nöthig.

 

 

325

PSYCH[OLOGIE]. reine Theorie der Ideen Entstehung – angewandte. Gesetze der IdeenassoziationIdeenpolitikContrat social.

 

 

333

ENC[YKLOPAEDISTIK]. GRAM[MATIK]. Ein gewöhnl[iches] Wörterbuch ist ein oryctognostisches Wörtersystem. Es läßt sich noch ein grammat[ikalisches] und ein chym[isches] oder philosophisches Wörtersystem [denken] – dieses könnte wieder dreyfach seyn – progressiv hist[orisch] phil[osophisch] – regressiv hist[orisch]
phil[osophisch] – absolut hist[orisch] phil[osophisch]. Einem Worte entspricht ein Satz. (Ein Satz ist die Potenz des Worts. Jedes Wort kann zum Satz, z[ur] Definition, erhoben werden.)

Es giebt auch verschiedne Satzsysteme. Sätze werden zu Wissenschaften erhoben – W[issenschaft] ist die Dignitaet des Satzes – und so läßt sich diese Erhöhung bis zur abs[oluten] Universal-
w[issenschaft] fortsetzen. Bis dahin kann es noch verschiedne Systeme geben – die jedes seinen be[sonderen] Zweck und seine eignen Gesetze hat. Das oryctognostische Verzeichniß ist also die primitive gelehrte Masse, die der Gelehrte überhaupt bearbeitet.

Jedem System dieser Art entspricht eine Grammatik – eine systematische Sammlung seiner Gebrauchsregeln.

Theile der Gramm[atik] .

1. Rechtschreibe- und Rechtaussprache Regeln. 2. Naturbeschreibung und dieser gemäße BehandlungsRegeln. Flexion. 3. Syntax. (Potenzierungsconstruktionsregeln.)

 

 

334

GRAM[MATIK]. Nicht jedes Wort ist ein vollkommnes Wort. Die Worte sind theils Vocalen – theils Consonanten – Geltende und mitgeltende Worte.

Anwendung auf Wissenschaftsconstructionen.

Substantielle (Vocal)sätze und W[issenschaften] – accidentelle (consonant[ische]) Sätze und W[issenschaften].

Substantiva, Verba etc.

 

 

340

ANTHROP[OLOGIE]. Mit Instinkt hat der Mensch angefangen – mit Instinkt soll der Mensch endigen. Instinkt ist das Genie im Paradiese – vor der Periode der Selbstabsonderung[,] Selbsterkenntniß. (Soll der Mensch sich Selbzweyen, und nicht allein das, sondern auch selbdreyen etc.)

 

 

[347]

PSYCH[OLOGIE]. Alles Neue wirckt als Äußres, Fremdes poëtisch–. Alles Alte wirckt als Innres, Eigenes ebenfalls romantisch – Beydes im Kontrast gegen das Gewöhnliche – oder gegen einander. Neuheit des Alten – Altheit des Neuen. Das Gemeine Leben ist prosaïschRede nicht Gesang. Die Menge des Gewöhnlichen verstärkt nur die Gewöhnlichkeit – daher der fatale Eindruck der Welt aus dem gemeinen (indifferenten) nützlichen, prosaïschen Gesichtspunct.

 

 

351

PSYCH[OLOGIE]. Wozu man ernstlich LustTrieb – hat, dazu hat man Genie. Das Genie offenbart sich in Lust und Trieb. (Unlust – Nichttrieb.)

 

 

352

THEORIE D[ES] GEMEINEN LEBENS. Gebildete Aussprache und Declamation des gewöhnlichen, gemeinen Lebens als Prosa. – Man muß sich mit Sprechen begnügen, wenn man nicht singen kann. musicalische Instrumente – poëtische Instrumente. (Platte Einfälle = (oberflächliche) Einfälle v[on] d[er] Oberfläche.)

 

 

[353]

PSYCH[OLOGIE]. Das B[ewußt]S[eyn] ist nichts, als Sensation des (Algebraïschen) VergleichungsSinns – VerhältnißSinns. Willkührliche Affectionen dieses Sinns. Ursprüngliche Verhältnisse – algebr[aische] Verhältniße. Theorie der lebendigen Verhältnisse. Naturverh[ältnisse]. Künstliche Verh[ältnisse]. Synth[etische] Verh[ältnisse]. – Mystische Proportionallehre. Das B[ewußt]S[eyn] ist die Subst[anz] der Sinne – mithin sind auch seine Sensationen Substanzen etc. Wo Ein Sinn ist, da ist auch kein B[ewußt]S[eyn].

 

 

362

PHYS[IK] UND GRAMM[ATIK]. Ein gedämpfter, sehr naher Ton dünkt uns weit zu seyn./ Lateralbewegungen der Luft beym Schall. Figurirte Schallbewegungen wie Buchstaben. (Sollten die Buchstaben ursprünglich acustische Figuren gewesen seyn. Buchst[aben] a priori?) Lateral und figurirte Bew[egungen] des Lichts und der Wärme. Farbenbilder sind Lichtfiguren. Der Lichtstrahl ist der streichende Fiedelbogen. Was vertritt wohl hier die Stelle des Sandes? Man (zwingt) eigentlich den Schall, sich selbst abzudrucken – zu chiffriren – auf eine Kupfertafel zu bringen. Weitere Anwendung dieser Idee. (Bestreuung einer Tafel mit Phosphorpulver – das die Farben des verschiednen Lichts annähme, oder das bey einer gelinden Erwärmung verschiedengestalteter und mannichfach berührter Körper in sonderbaren Figuren brennte – und leuchtete – Bereitung eines solchen Pulvers.)

Reflex[ion], Refraction und Inflexion des Schalls. /Der schmerzhafte Laut – Kritzeln auf den Teller etc. Schneidender Ton. / Über das Sprechen der Staare. / Natürliche, mimische, bildliche Sprache – Künstliche, zufällige, willkührliche Sprache.

(Der Begr[iff] d[er] Caussalitaet ist z. B. ein willkührliches Zeichen, (transscendentales Z[eichen]) eines gewissen Verhältnisses.) Transscendentale Logik. / Jedes Wort sollte eine acustische Formel seiner Construction, seiner Aussprache seyn – Die Aussprache selbst ist ein Höheres, mimisches Zeichen einer höhern Aussprache – Sinnconstruction des Worts. Alles dies hängt an den Gesetzen der Association. Die sog[enannten] willkührlichen Zeichen dürften am Ende nicht so willk[ührlich] seyn, als sie scheinen – sondern dennoch in einem gewissen Realnexus mit dem Bezeichneten stehn. <Instinktartige Sprache – Ausartung des Instinkts – conventionelle Sprache – diese soll wieder eine instinktartige, aber gebildete Sprache werden.>

 

 

365

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Jede wissenschaftliche Entdeckung ist eine allg[emeine] wissenschaftliche Entdeckung. Erklärt ist eine Sache nur durch ihre vollst[ändige] encyklopaedische, wissenschaftliche Betrachtung.

 

 

366

MUSIK. Höhere Töne sind sthenischer – tiefere Töne – asthenischer Natur. Redeton. Höhere Töne drücken erhöhtes Leben – tiefere Töne – vermindertes Leben – Mangel aus. Harte, und weiche Töne. Wollüstige Töne.

 

 

367

Die Dialecte und Pronunciationen werden durch Consonanten und Vocale im Großen gebildet.

Lippensprache – Gaume – Kehle – Zunge – Zähne – Nase etc. Manche Sprache wird aus dem e, u ,o etc. gesprochen. So hat jeder Mensch seinen Hauptvocal. vid. Schocher. Es ist damit, wie in der Musik – So hat jedes musical[ische] Stück seinen Grundton – auch sein Thema. Moll – und Dur.

 

 

368

PSYCH[OLOGIE]. Alle Leidenschaften endigen sich wie ein Trauerspiel. Alles Einseitige endigt sich mit Tod – so die Philos[ophie] der Empfindung – die Phil[osophie] der Fantasie – die Phil[osophie] des Gedankens. Alles Leben endigt sich mit Alter und Tod. Alle Poësie hat einen tragischen Zug. (Ächtem Scherz liegt Ernst zum Grunde. Tragische Wirckung der Farce, des Marionettenspiels – des buntesten Lebens – des Gemeinen, Trivialen.)

 

 

373

<Briefe sollen Erholungen seyn, und ich sollte sie auch, als solche, für mich bearbeiten. Abends Briefe – leicht, frey, romantisch, mannichfaltig – Vorarbeit zum Roman.>

 

 

376

PHYS[IK]. Sollte alle plastische Bildung, vom Krystall bis auf den Menschen, nicht acustisch, durch gehemmte Beweg[ung] zu erklären seyn?

Chemische Acustik.

 

 

[377]

<Man kann nur dann die Welt verstehn, i. e. vergleichen, wenn ich selbst eine ausgebildete Welt im Kopfe habe.>

 

 

378

PSYCH[OLOGIE]. Aller unbestimmte, allg[emeine] Subjective Trieb oder Reitz läßt sich nur durch eine unendl[iche] Reihe bestimmter Handlungen befriedigen – er strebt nach keinem Obj[ect] – er erhält sich nur selbst – es ist eine Sollicitatio perpetua. – Er ist die ewige Triebfeder unendlicher terminirter Veränderungen.

 

 

379

<Über unsern Umgang und unsre Verhältnisse mit Büchern. >

 

 

380

MUS[IK] UND RYTHMIK. Der Hexameter in Perioden – im Großen. Großer Rythmus. In wessen Kopfe dieser große Rythmus, dieser innre poëtische Mechanismus einheimisch geworden ist, der schreibt ohne sein absichtliches Mitwircken, bezaubernd schön und es erscheint, indem sich die höchsten Gedanken von sclbst diesen sonderbaren Schwingungen zugesellen und in die reichsten, mannichfaltigsten Ordnungen zusammentreten, der tiefe Sinn sowohl der alten orphischen Sage von den Wundern der Tonkunst, als der geheimnißvollen Lehre von der Musik, als Bildnerinn und Besänftigerinn des Weltalls. Wir thun Hier einen tiefen, belehrenden Blick in die acustische Natur der Seele, und finden eine neue Aehnlichkeit des Lichtes und der Gedanken – da beyde sich Schwingungen zugesellen.

 

 

[381]

PSYCH[OLOGIE]. Der Traum belehrt uns auf eine merckwürdige Weise von der Leichtigkeit unsrer Seele in jedes Obj[ect] einzudringen – sich in jedes sogleich zu verwandeln.

 

 

382

(K[UNST]L[EHRE]). (Malerey) Plastik also nichts anders als Figuristik der Musik.

Merckwürdiger Ausdruck: im höchsten Schwunge.

(Malerey) Plastik – obj[ective] Musik. Musik – subjective Musik oder Malerey. Man sollte alles (nöthigen) sich acustisch abzudrucken, zu Silhouettiren, zu chiffriren. Fixirte Bewegungen sind Linien. Der Zirkel entsteht durch Centralschwingung einer Fläche.

Die Poësie ist die Prosa unter den Künsten. Worte sind acustische Konfigurationen der Gedanken.

Jedes Instrument ist ein eigenthümlich im Großen consonirtes Tonsystem. Mollinstrumente – Durinstrumente – jedes hat seinen eignen Grundvocal. Die menschliche Stimme ist gleichsam das Princip und Ideal der Instrumentalmusik.

Klingt überhaupt eigentlich der Körper oder die Luft? Ist nicht das elastische Fluidum der Vocal, und der Körper der Consonant – die Luft die Sonne – und die Körper die Planeten – jenes die erste Stimme – diese die 2te.

Geometrie und Mechanik verhalten sich, wie Plastik und Musik. (chymische Bewegungen, chymische Hemmungen.)

Alle Methode ist Rythmus. Hat man den Rythmus der Welt weg – so hat man auch die Welt weg. Jeder Mensch hat seinen individuellen Rythmus.

Die Algeber ist die Poësie.

Rythmischer Sinn ist Genie.

Fichte hat nichts als den Rythmus der Philosophie entdeckt und verbalacustisch ausgedrükt.

Reitzbarkeit ist ächt rythmische Natur. Das individuelle Verhältniß der Reitzbarkeit und d[es] Reitzes ist der Rythmus der individuellen Gesundheit. Ist dieses Verhältniß fehlerhaft, so wird der fehlerhafte Rythmus gesundheitswidrige Figurationen, Catenationen etc. hervorbringen. musicalische Natur der Fieber. Localkranckheiten. Gicht. chymischer Rythmus. Die Lehre v[on] d[en] Associationen. (Reale – schaffende Musik.)

 

 

384

POËTIK. Wenn der Roman retardirender Natur ist, so ist er wahrhaft poëtisch, prosaisch, ein Consonant.

 

 

415

MUS[IK]. Die Musik hat viel Ähnlichkeit mit der Algéber.

 

 

416

ANGEW[ANDTE] GEISTL[EHRE]. Genie ist gleichsam Seele d[er] Seele – es ist ein Verhältniß zwischen Seele und Geist. Man kann das Substrat oder Schema des Genies sehr füglich Idol nennen – das Idol ist ein Analogon des Menschen.

 

 

419

<Schiller musizirt sehr viel philosophisch – Herder und Schlegel auch. Göthe im Meister auch mitunter. Jean Paul poëtisirt musicalische Fantasien. Tiecks Lieder sind auch durchaus musicalisch. >

 

 

421

THEORIE D[ES] GEMEINEN LEBENS. Das Fluchen ist eine Art von Selbstbeschwörung – Selbstermannung – Spornung.

 

 

423

<Die Aesthetik dürfte wohl ganz zur Psychol[ogie] gehören.>

 

 

424

<Üb[er] d[en] Ausdruck: sich selbst Besinnen.>

 

 

426

ENC[YKLOPAEDISTIK]. Die Politik – die Gesellschaftslehre – die Ehetheorie – gehören in die höhere M[enschen]L[ehre] , wo von zusammengesezten Menschen gehandelt wird.

 

 

[427]

<Ächt thätige Menschen sind diejenigen – die Schwierigkeiten reitzen.>

 

 

428

<Was für die Seele der Reitz ist, das ist für den Geist die Schönheit.>

 

 

430

<Höchst interressante Vergleichung zwischen Jean Paul und Göthe. mit in den Briefen an die Schlegeln. Die Antiken auch hier.>

 

 

432

<Soll der Schriftsteller gleichsam der Genius seiner Materialien, seiner Caraktere – Jedes Buch – Darstellung eines Genius seyn – eines zusammengesezten, Geistigen Wesens?>