BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Eduard Mörike

1804 - 1875

 

Das Stuttgarter Hutzelmännchen

 

1853

 

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Nach dreien Stunden, um Bernhausen auf den Fildern, hub sein Magen an mit ihm zu hadern und zu brummen. Er hätte sich mit seinem Loth in manches reichen Bauern Haus und Küche leichtlich wie Rolands Knappe helfen können, welcher vermittelst seines Däumerlings dem Sultan sein Leibessen sammt der Schüssel frei vor dem Maul wegnahm. Ihm kam jedoch vor Traurigkeit dergleichen gar nicht in den Sinn: auch hatte er sein Lebenlang weder [122] gestohlen, noch gebettelt. Kein leiderer Weggenoß ist aber denn der Hunger. Er rauft, wenn er einmal recht anfangt, einem Wandersmann schockweis die Kraft aus dem Gebein, nimmt von dem Herzen Trost und Freudigkeit hinweg, schreit allen alten Jammer wach, recht wie bei Nacht ein Hund den andern aufweckt, daß ihrer sieben miteinander heulen. Das dauerte bei dem Gesellen bis endlich Degerloch da war und er nun um die Mittagszeit seine Vaterstadt im lichten Sonnenschein und Rauch vom Berg aus liegen sah. Da brannten ihm die salzigen Tropfen vor Freuden im Aug und waren seine Füße alsbald wie neugeboren.

Von Weitem hörte er Trompetenschall und sah es vor dem Thor und in den Straßen blinken und wimmeln. Die Ritter kamen in Harnisch und Wehr zurück vom großen Stechen; Roß und Mann bis an den Helmbusch voller Staub. Es wogte bunt von Grafen, Edelherrn und Knappen, von Bürgersleuten und vielem Landvolk.

Der Seppe drückte sich, wie er zur Stadt hinein kam, scheu nur an den Häusern hin: denn ob er gleich unsichtbar ging, um seiner schlechten Kleidung willen, auch weil er übel, schwach und schwindlig war vor [123] übergroßer Anstrengung, weshalb er nicht viel Grüßens oder Redens brauchen konnte, so war ihm doch bei jedem Schritt, wie wenn die Blicke aller Leute auf ihn zielten, und wurde roth und blaß, so oft als ein guter Bekannter oder ein Mädchen seiner alten Nachbarschaft bei ihm vorüber lachte. Er strebte einem engen Gäßlein zu im Bohnenviertel, wo eine alte Base von ihm wohnte. Am Eck schob er den Ranzen rechts herum, und schon von ihrem Fenster aus begrüßte ihn das gute Fraulein, seine Dot. Er sprang mit letzten Kräften die Stiege noch hinauf, aber unter der Thür knickt' er in den Knieen zusammen und schwanden ihm zumal die Sinne. Die Frau rief ihren Hausmann, holte Wein und was sonst helfen mochte. In Bälde hatten sie den armen Lungerer so weit zurecht gebracht, daß er auf seinen Füßen stehn, sich hinter den Tisch setzen, essen und trinken konnte.

Dabei erzählte ihm das Mütterlein, was sich alle die Zeit her begeben; vom großen Beilager im Schloß, wie auch, daß morgen noch ein Haupttag sey. Weil nämlich eben Faßnacht in der Nähe war und die erlauchte Braut nichts lieber sah als einen schönen Mummenschanz, so wurde von dem Rath der Stadt [124] beschlossen, daß ein solcher mit ausnehmender Pracht auf dem Markt gehalten werde. Der Graf dagegen wollte zu Mittag die Bürgerschaft in den Straßen bewirthen, welches der Jahreszeit halben wohl geschehen mochte, indem der Winter so gelind und kurz ausfiel, daß wahrlich im Stuttgarter Thal fast die Bäume ausschlugen. Auf diesen Tag nun, siehst du, sprach die Base, thut Jung und Alt sein Bestes, der Arme wie der Reiche; wer keinen Heiden oder Mohren machen kann, der findet einen bunten Lappen zum Zigeuner, und wem die Larve fehlt, der färbt sich im Gesicht. Da hat vorhin die Kiderlen, die Vrone, die du kennst, sich Feierwamms und Hosen von ihrem Vetter, meines Hausmanns Buben, abgeholt und er verbutzet sich mit seiner Ahne ihrem Hochzeitstaat. Seppe, wir müssen uns für dich bei Zeiten auch nach was umthun. Für jetzo, schätz' ich aber, hast du das Bett am nöthigsten. – Ach, wohl, Frau Dot! sprach er: und ich wollt' nur, die Nacht hätt' ihre acht und vierzig Stund! – Nu, meinte sie, vier hast du bis wir essen, da läßt sich schon ein schön Stück Schlafs vorweg herunter spinnen; – und führte ihn hinauf in eine kleine Kammer, in welcher allezeit ein gutes Gastbett aufgemacht war. [125]

Kaum hatte er sich ausgezogen, und sein zerschelltes, brechliches und ganz vermürbtes Knochenrüstwerk behutsam ausgestreckt, da schlief er auch schon wie ein Dachs, und so in Einem fort, bis Abends spät, wo ihm die Frau eine Suppe mit Fleisch hinauf brachte, und noch ein wenig mit ihm discurirte. Nun wünschte sie ihm Gute Nacht und ging mit ihrem Licht.

Sie war aber die Stiege noch nicht gar hinunter, so ruckt Etwas an seinem Stuhl, ein Lämplein macht die Kammer klar und eine Stimme sagte: Grüß dich Gott, Seppe! verschrick nit, der Pechschwitzer ist es, der Hutzelmann, der Tröster. So, so, auch wieder hiesig? Sorg' nit, ich plag' dich lang – du brauchst der Ruh' – nur auf ein Wort: sag' an, gelt, Bursch, hast's Klötzle?

Jo freile, han i's, Meister.

Laß sehn! wo steckt's? im Bündel? – hab' es schon! bei meinem Leisten! ja, da glotzt er 'raus, der Krackenzahn. Du erzigs Narrenglückskind du! Und hast fein nur mit Einem Hund gejagt! Du Malefizglücksspitzbub du! – Mit diesen und viel andern närrischen Ausrufungen bewies das Männlein seine Freude. Drauf sagte es mit Ernst: Mein Sohn, du hast dieß theuere Stück, wie du zwar schuldig warst, deinem [126] Patron getreulich überliefert, da du es nicht allein im Nonnenhof können vertrumpeln, um einen Pfifferling aus des Wasserweibs Hafen, sondern konntest vor Kaiser und Könige gehen damit, die hätten dir dies schlechte Blei gern sechsmal und mehr mit Gold aufgewogen – nun, Seppe, denk' an mich, das sollt du nicht bereuen. Hab' Gute Nacht. – Im Gehen frug er noch: Wie sicht's mit dem Laiblein?

Ja Meister, um sell bin i komma, sell ist –

G'fressen?

Jo, aber ett vo mir!

Ei daß dich! hat das auch müssen verhansleartlet seyn! Nu, wenns nur g'fressen ist; gibt wieder einmal ein anders vielleicht. B'hüt Gott! Morgen bei rechter Zeit siehst mich wieder.

 

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Die Sonne ging am andern Morgen glatt und schön herauf am Himmel und hatte die Nebel über der Stadt mit Macht in der Früh schon vertrieben: Man hörte die Gassen aus und ein vielfach Geläufe, Lachen und Gesprang; es war schon um die Achte, in einer halben Stunde ging der Aufzug an. Da hielt es die [127] Base nun hoch an der Zeit, daß sie ihr Pathlein wecke, denn, meinte sie, auf allen Fall muß er die Herrlichkeit mitmachen und soll so gut wie jeder andere Bürgersohn an der Gesellentafel speisen auf des Herrn Grafen Kosten. Mit Mühe hatte sie noch gestern Abend einen langen weißen Judenbart, sammt Mantel und Mütze für ihn bei einer Trödlerin miethweis erlangt. Sie nahm den Plunder auf den Arm, den guten Burschen gleich auf seiner Kammer damit zu erfreuen: da klopfte es und kam ein junger Gesell herein, wenig geringer als ein Edelknabe angezogen, mit einem krachneuen, rothbraunen Wammes von Sammet, schwarzen Pluderhosen, Kniebändern von Seide und gelben Strümpfen. Er hielt sein Baret vor's Gesicht gedeckt, und als er es wegnahm, stand da vor seiner lieben Dot der Schuster Seppe, mit Blicken, halb beschämt und halb von Freude strahlend. Die Frau schlug in die Hände, rief: Jemine! was soll das heißen? Bub, sag, wo hast du das geborgt? – Ihr sollt's schon heut noch hören, Bas': es ist eine weitläufe Sach', und ich muß gleich fort. – Nun, sey's woher es wolle; aus einem vornehmen Schrank muß es seyn. Nein, aber Seppe, wie gut dir's steht, Alles, bis auf den feinen Hemdkragen hinaus! Ich sag' dir, [128] es wär Sünd und Schad, wenn du eine Larve umbändest. Mein Jud, so viel ist ausgemacht, darf seinen Spieß jetzt nur wo anders hintragen. Da, schau einmal, was ich dir Schönes hatte! – Und hiermit lief sie in die Küche, dem Knaben eine gute Eiergerste zum Morgen-Atz zu bringen.

Derweil er seine Schüssel leerte, zog sich die Base im Alkoven festtägig an. Sie wollte des Getreibes gern auch Zeuge seyn, von einem obern Fenster aus bei einem Schneider auf dem Markt. Der Seppe aber eilte ihr voraus, Sanct Leonhards Kapelle und der Wette zu, stracks auf den Platz.

Von keiner Seele unterwegs ward er erkannt, noch auch gesehn. Warum? er wird doch nicht das Loth mitschleppen? Nein, aber seine linke Brusttasche barg eine zierliche Kapsel, darinne lag der ausgezogene Krackenzahn, gefaßt in Gold und überdieß in ein goldenes Büchslein geschraubt, sammt einer grünen Schnur daran. Der Hutzelmann ließ Alles über Nacht von einem Meister in der Stadt, mit welchem er gut Freund war, fertigen und übergab dem Seppe das Kleinod mit der Weisung, dasselbe seinem Landesherrn, dem Grafen, zu Ehren seines Jubeltags nachträglich zu behändigen, sobald er [129] merke, daß der Scherz zu Ende gehe und die Herrschaft am Aufstehen wäre.

Wie der Gesell nunmehr an Ort und Stelle kam, sah er den weiten Markt bereits an dreien Seiten dicht mit Volk besetzt und Kopf an Kopf in allen Fenstern. Er nahm seinen Stand beim Gasthof zum Adler, und zwar zuvörderst unsichtbar, außer den Schranken. Etliche Schritt weit von den Häusern nämlich liefen Planken hin, dahinter mußten sich die Schaulustigen halten, daß innerhalb der ganze Raum frei bleibe für die Faßnachtsspiele, so wie auch für die fremden Tänzer und Springer, welche ihr großes Seil ganz in der Mitte querüber vom Rathhaus aufgespannt hatten, dergestalt, daß es an beiden Seiten gleich schräg herunter lief und hüben und drüben noch ein breiter Weg für den Maskenzug blieb.

Am Rathhaus auf der großen Altane erhub sich ein Gezelt von safranfarbigem Sammet mit golddurchwirkten Quasten, den gräflichen Wappen und prächtigen Bannern geschmückt. Den Eingang schützten sechs Hellebardierer aus der Stadtbürgerschaft. Es hingen aus den Fenstern aller Häuser bunte Teppiche heraus, und an den Schranken standen, gleich weit von einander, grüne Tännlein aufgerichtet. [130] Von den sechs Straßen am Markt waren viere bewacht: darin sah man die Tische gedeckt für das Volk, Garküchen und Schankbuden, wo nachher Bier und Wein gezapft wurde und fünfzig Keller und Hof-Bartzefanten die Speisen empfingen.

Gegen dem Rathhaus über sodann, am andern Ende des Markts, war der Spielleute Stand. Dieselben machten jetzo einen großen Tusch: denn aus der Gasse hinter ihnen nahete der Hof; nämlich: Graf Eberhard, mit dem von Hohenberg, dem Vater, das jüngst vermählte Paar, wie auch des Grafen Sohn, Herr Ulrich, auf weißen, köstlich geschirrten Rossen; die Gemahlin des Grafen und andre hohe Frauen aber in Sänften getragen; zu deren beiden Seiten gingen Pagen und ritten Cavaliere hinterdrein.

Sobald die Herrschaften, vom Schultheiß gebührend empfangen und in das Rathhaus geleitet, auf der Altane Platz genommen, einige vornehme Gäste jedoch an den Fenstern, begann sogleich der Mummenschanz.

In guter Ordnung kamen aus der Gasse an dem Rathhaus-Eck, bei'm Brunnen mit dem steinernen Ritter, so Einzelne wie ganze Rotten, aufgezogen.

Zum Anfang wandelte daher: der Winter als ein alter Mann, den lichten Sommer führend bei der [131] Hand als eine hübsche Frau. Sie hatte einen Rosenkranz auf ihrem ungeflochtenen gelben Haar, ein Knäblein trug den Schlepp ihres Gewands, sammt einem großen Blumenstrauß, ein anderes trug ihm ein Kohlenbecken nach und einen dürren Dornbusch. Auf seinem Haupt und Pelz war Schnee vom Zuckerbecken; sie raubte ihm bisweilen einen Bissen mit zierlichem Finger davon, zur Letzung bei der Hitze, das er aus Geiz ihr gern gewehrt hätte.

Nun ritt der hörnene Siegfried ein mit einer großen Schaar, auch der schreckliche Hagen und Volker.

Dann gingen zwanzig Schellennarren zumal an einer Leine, die stellten sich sehr weise an, da Jeder blindlings mit der Hand rückwärts den Hintermann bei seiner Nase zupfen wollte, der Letzte griff gar mühlich immer in der Luft herum, wo Niemand mehr kam. Auf einem höllischen Wagen, gezogen von vier schwarzen Rossen, fuhr der Saufteufel, der Spielteufel und ihr Geschwisterkind, Frau Hoffahrt, mit zweien Korabellen, und hatten zum Fuhrmann den knöchernen Tod.

Jetzt segelte ein großes Schiff daher auf einem niederen Gestell; dieß war mit wasserblauem Zeug bedeckt und sah man daran keine Räder, noch Solche, [132] die es schoben. Auf dem Verdeck stund der Patron, ein Niederländer Kaufherr, welcher sich die fremde Stadt so im Vorüberziehn beschaute.

Dahinter kam ein Kropfiger und Knegler, mit jämmerlichen dünnen Beinen, und führte seinen wundersamen Kropf auf einem Schubkarren vor sich her mit Seufzen und häufigen Zähren, daß er der Waare keinen Käufer finde, und rief dem Schiffsherrn nach: sein Fahrzeug hänge schief und mangele Ballasts, er wolle ihm den Kropf um ein Billiges lassen. Gar ehrlich betheuerte Jener, desselben nicht benöthiget zu seyn; doch als ein mitleidiger Herr hielt er ein wenig an und gab dem armen Sotterer viel Trost und guten Rath: er möge seines Pfundes sich nicht äußern, vielmehr sein hüten und pflegen, es sollte ihm wohl wuchern, wenn er nach Schwaben führ' auf Cannstatt, zum ungeschaffenen Tag; es möge leicht für ihn den Preis dort langen. Da dankte ihm der arm Gansgalli tausendmal und fuhr gleich einen andern Weg; der Kaufmann aber schiffte weiter.

Mit andern Marktweibern, ausländischer Mundart und Tracht, kam auch ein frisches Bauermägdlein, rief: Besen, liebe Frauen! Besen feil! – Sogleich erschien auf dem Verdeck des Schiffs ein leichtfertiger [133] Jüngling in abgerissenen Kleidern, eine lange Feder auf dem Hut und eine Laute in der Hand. Sein Falkenauge suchte und fand die Verkäuferin flugs aus dem Haufen der Andern heraus, und zum Patron hinspringend sagte er mit Eifer: in dieser Stadt sey er zu Haus, er habe gerade geschlafen und hätte schier die Zeit verpaßt; er wolle da am Hafendamm aussteigen, wofern der Patron es erlauben und ein wenig anlegen möchte. Der gute Herr rief dem Matrosen, es ward ein Brett vom Schiff an's Land gelegt, der Jüngling küßte dem Kaufmann die Hände mit Dank, daß er ihn mitgenommen, sprang hinüber und auf das Bauernmägdlein zu. Nun führten sie ein Lied selbander auf, dazu er seine Saiten schlug. Während desselben hielt der ganze Zug, und Alles horchte still.

 

Grüß dich Gott, herzlieber Schatz,

Dich und deine Besen! –

Grüß dich Gott, du schlimmer Wicht,

Wo bist du gewesen? –

 

Schatz, wo ich gewesen bin,

Darf ich dir wohl sagen:

War in fremde Lande hin,

Hab' gar viel erfahren. [134]

 

Sah am Ende von der Welt,

Wie die Bretter paßten,

Noch die alten Monden hell

All' in einem Kasten:

 

Sahn wie schlechte Fischtuch aus,

Sonne kam gegangen,

Tupft' ich nur ein wenig drauf,

Brannt' mich wie mit Zangen.

 

Hätt' ich noch ein' Schritt gethan,

Hätt' ich nichts mehr funden.

Sage nun, mein Liebchen, an,

Wie du dich befunden. –

 

In der kalten Wintersnacht

Ließest du mich sitzen:

Ach mein' schwarzbraun' Aeugelein

Mußten Wasser schwitzen!

 

Darum reis' in Sommernacht

Nur zu all'r Welt Ende;

Wer sich gar zu lustig macht,

Nimmt ein schlechtes Ende.

 

Mit diesem Abschiedsgruß ließ sie ihn stehen. Er spielte, der Dirne gelassen nachschauend, seine Weise noch vollends hinaus, stieß sich den Hut aufs linke Ohr und lief hinweg. [135]

Es traten ferner ein fünf Wurstelmaukeler. Das waren von Alters her bei der Stuttgarter Faßnacht fünf Metzgerknechte, mit Kreuzerwürsten über und über behangen, daß man sonst nichts von ihnen sah. Sie hatten jeder über das Gesicht eine große Rindsblase gezogen, mit ausgeschnittenen Augen, das Haupt bekränzt mit einem Blunzen-Ring. Wenn es nachher zur Mahlzeit ging, dann durften die Kinder der Stadt, für die kein Platz war an den Tischen, kommen, und durfte sich jedes ein Würstlein abbinden, der Maukeler hielt still und bückte sich, wenn es nöthig war; dazu wurden Wecken in Menge vertheilt.

Noch gab es viel muthwillige und schöne Stampaneyen, deren ich ungern geschweige.

Nachdem der ganze Mummenschanz an den drei Seiten des Markts langsam herum gekommen, und links vom Rathhaus abgezogen war, dem Hirschen zu, bestiegen die Springer und Tänzer das Seil.

Der Seppe war die ganze Zeit an seinem Platz verharrt; auch hatte er sich lang nicht offenbar gemacht, doch endlich that er dieß, auf schlaue Art, indem er sich geheim zur Erde bückte und sichtbarlich aufstand, dadurch es etwa denen, so zunächst an ihm gestanden, schien, als schlupfet' er unter den Planken [136] hervor. Von wegen seiner edlen Kleidung wiesen ihn die Wärtel auch nicht weg, deren keiner ihn kannte; nur seine alten guten Freunde grüßten ihn von da und dort mit Winken der Verwunderung.

Der Seppe hatte bis daher Alles und Jedes, die ganze Mummerei, geruhig, obwohl mit unverwandtem Aug und Ohr, an ihm vorbeiziehen lassen. Wie aber jetzt die fremden Gaukler, lauter schöne Männer, Frauen und Kinder, in ihrer lüftigen Tracht ihre herrliche Kunst sehen ließen, und ihnen jegliche Verrichtung, als Tanzen, Schweben, sich Verwenden, Niederfallen, Knieen, so gar unschwer von Statten ging, als wär' es nur geblasen, kam ihn auf einmal große Unruh' an, ja ein unsägliches Verlangen, es ihnen gleich zu thun. Er merkte aber bald, daß solche Lust ihm von den Füßen kam, denn alle beede, jetzt zum erstenmal einträchtig, zogen und drängten ihn sanft mit Gewalt nach jenem Fleck hin, wo das Seil an einem starken Pflock am Boden festgemacht war, und schief hinauf lief bis an die vordere Gabel. Der Seppe dachte, dieses ist nur wieder so ein Handel wie mit der Dreherei, und fiel ihm auch gleich ein, daß Meister Hutzelmann, auf dessen Geheiß er heut die Glücksschuh' alle zween anlegen müssen, das Lachen [137] habe fast nicht bergen können. Er stieß die Zehen hart wider das Pflaster, strafte sich selbst mit innerlichem Schelten, ob solcher thörigten, ja gottlosen Versuchung und hielt sich unablässig vor im Geist Schmach, Spott, Gelächter dieser großen Menge Menschen, dazu Schwindel, jähen Sturz und Tod, so lang, bis ihm der Siedig auf der Haut ausging und er seine Augen hinweg wenden mußte.

Nun aber zum Beschluß der Gauklerkünste erschien in Bergmanns-Habit, mit einer halben Larve vor'm Gesicht, ein neuer Springer, ein kleiner, stumpiger Knorp; der nahte sich dem Haupt der Tänzer, bescheidentlich anfragend, ob ihm vergönnt sey, auch ein Pröblein abzulegen? Es ward ihm mit spöttischer Miene verwilligt, und alsbald beschritt er das Seil, ohne Stange. Er trug ein leinen Säcklein auf dem Rücken, das er an eines der gekreuzten Schraghölzer hing, dann prüfte er mit einem Fuß die Spannung, lief vor bis in die Mitte und hub jetzt an so wunderwürdige und gewaltige Dinge, daß Alles, was zuvor gesehen war, nur Stümperarbeit schien. Kopfunter hing er plötzlich, der kurze Zwagstock, an dem Seil herab und zangelte sich so daran vorwärts auf das behendeste, und wiederum zurück, schwang sich empor [138] und stand bolzgrad; fiel auf sein Hintertheil, da schnellte ihn das Seil hinauf mit solcher Macht, daß er dem Rathhaus-Giebel um ein Kleines gleich gekommen wär', und dennoch kam er wieder jedesmal schön auf denselben Fleck zu stehen und zu sitzen. Zuletzt schlug er ein Rad von einem End des Seils zum andern, das ging – man sah nicht mehr was Arm oder Bein an ihm sey! So oft auch schon seit dreien Stunden der Beifallsruf erschollen war, solch ein Gejubel und Getöbe, wie über den trefflichen Bergmann, war noch nicht erhört. Die Gaukler schauten ganz verblüfft darein, fragten und riethen unter einander, wer dieser Satan wäre? indeß die andern Leute alle meinten, dieß sey nur so ein Scherz und das Männlein gehöre zu ihnen. Hanswurst insonderheit stand als ein armer ungesalzener Tropf mit seinem Gugel da, sein Possenwerk war alles Läuresblosel neben solchem Meister, ob dieser schon das Maul nicht dabei brauchte.

Nachdem der Bergmann so geendigt und sich mit unterschiedlichen Scharrfüßen allerseits verneigt, sprang er hinab auf's Pflaster. Auf seinen Wink kam der Hanswurst mit Schalksehrfurcht zu ihm gesprungen, fing einen Thaler Trinkgeld auf in [139] seinem spitzigen Hut, und nahm zugleich, höflich das Ohr herunter zu dem Männlein neigend, einen Auftrag hin, welchen er gleichbald vollzog, indem er rund herum mit lauter Stimme rief: Wer will von Euch noch, liebe Leut', den hänfenen Richtweg versuchen? Es ist ein Jeder freundlich und sonder Schimpf und Arges eingeladen, weß' Standes und Geschlechts er sey, das Säcklein dort am Schragen für sich herabzuholen! Es sind drei Hutzellaib darin. Er möge aber, rath' ich ihm, in der Geschwindigkeit sein Testament noch machen – des Säckleins wegen mein' ich nur – denn der Geschickteste bricht oftermals den Hals am ersten; es ist mir selbst einmal passirt, in Bamberg auf dem Domplatz – ja lacht nur!

Jetzt aber, liebe Leser, möget ihr Euch selbst einbilden, was für Gemurmel, Staunen und Schrecken unter der Menge entstund, als der Seppe vortrat bei den Schranken und sich zu dem Wagstück anschickte! Mehr denn zehn Stimmen mahnten eifrig ab, ernsthafte Männer, mancher Kamerad, zumal einige Frauen setzten sich dawider: allein der Jüngling, dem der Muth und die Begier wie Feuer aus den Augen witterte, sah fast ergrimmt und achtete gar nicht darauf. Hanswurst sprang lustig herzu mit der [140] Kreide, rieb ihm die Sohlen tüchtig ein und wollt' ihm die Bleistange reichen, doch wies der Gesell sie mit Kopfschütteln weg. Bereits aber wurden die Dienste des Narren am andern Ende des Seils auch nöthig. Denn zum größten Verwundern der Zuschauer trat dort auch Eins aus den Reihen hervor: man wußte nicht, sey es ein Knabe oder eine Dirne. Es trug ein rosenrothes weißgeschlitztes Wamms von Seiden zu dergleichen lichtgrünen Beinkleidern, sammt Federhut, und hatte eine feine Larve vor.

Die Spielleute, Bläser und Pauker, die Gaffens wegen ihres Amtes gar vergessend saßen, griffen an und machten einen Marsch, nicht zu gemach und nicht zu flink, nur eben recht. Da traten die Beiden zugleich auf das Seil, das nicht zu steil anstieg, setzten die Füße, fest und zierlich, einen vor den andern, vorsichtig, doch nicht zaghaft, die freien Arme jetzt weit ausgereckt, jetzt schnelle wieder eingezogen, wie es eben dem Gleichgewicht diente.

Kein Laut, noch Odemzug ward unter den tausend und tausend Zuschauern gehört, ein Jedes fürchtete wie für sein eigen Leben, es war als wenn Jedermann wüßte, daß sich dieß Paar jetzo das erstemal auf solche Bahn verwage. [141]

Die junge Gräfin bedeckte vor Angst das Gesicht mit der Hand; den Grafen selber, ihren Vater, den eisenfesten Mann, litt es nicht mehr auf seinem Sitz, gar leise stand er auf. Auch die Musik ging stiller, wie auf Zehen, ihren Schritt, ja wer nur Acht darauf gegeben hätte, der Rathhausbrunnen mit seinen vier Rohren hörte allgemach zu rauschen und zu laufen auf, und der steinerne Ritter krümmte sich merklich. – – – Nur stet! nur still! drei Schritt noch und – Juchhe! scholl's himmelhoch: das erste Ziel war gewonnen! Sie faßten beiderseits zumal, Jedes an seinem Ort, die Stangen an, verschnauften, gelehnt an die Gabel.

Der unbekannte Knabe wollte sich die Stirne wischen mit der Hand, uneingedenk der Larve: da entfiel ihm dieselbe zusammt dem Hut und – ach! ein Graus für alle Gefreundte, Vettern und Basen, Gespielen, Bekannte, so Buben als Mädchen – die Vrone ist's! Die Vrone Kiderlen, einer Wittwe Tochter von hier! – so ging's von Mund zu Mund. Ist es denn eine Menschenmöglichkeit? rief eine Bürstenbindersfrau: das Vronele, meiner nächsten Nachbarin Kind? Je! Gott sey Dank, bärig vor einer halben Stund' ist ihre Mutter heim – es ward [142] ihr übel schon über den vorigen Künsten – und jetzt das eigne Kind – der Schlag hätt' sie gerührt, wenn sie das hätte sehen sollen! – Schon erhoben sich wiederum Stimmen im Kreis, und noch lauter als vorhin bei'm Seppe, mit Drohen, Bitten und Flehn an die Dirne, nicht weiter zu gehen. Sie aber, ganz verwirrt, flammroth vor Scham, nicht wissend selbst wie ihr geschehn, wie sie's vermocht, stand da wie am Pranger, die Augen schwammen ihr und ihre Kniee zitterten. Ein Mann lief fort, eine Leiter zu holen.

Derweil war aber schon der flinke Bergmann an der andern Seite zum Seppe auf das Seil gekommen und hatte ihm Etwas in's Ohr geraunt, worauf der ungesäumt den linken Schuh abzog und seiner Partnerin muthig die Worte zurief: komm, Vrone, es hat keine Noth! trau' auf mein Wort, faß' dir ein Herz und thu' mit deinem rechten Schuh, wie du mich eben sahst mit meinem linken thun, und wirf ihn mir keck zu!

Sie folgte dem Geheiß, mit Lächeln halb, und halb mit Weinen, warf – da flog der Schuh dem Burschen wie von selber an seinen ausgestreckten Fuß. Nun warf er ebenfalls, und ihr geschah dasselbe.

Jetzt, Vrone, mir entgegen! Es ist nur bis ich dich einmal bei'm kleinen Finger habe, und wenn du [143] mit der Patschhand einschlägst, dann soll es mir und dir etwas Gutes bedeuten! Frisch dran, ihr Spielleut, macht uns auf, und einen lustigen!

Das fehlte nicht. Die vier Füße begannen sich gleich nach dem Zeitmaß zu regen, nicht schrittweis wie zuvor und bedächtig, vielmehr im kunstgerechten Tanz, als hätten sie von kleinauf mit dem Seil verkehrt, und schien ihr ganzes Thun nur wie ein liebliches Gewebe, das sie mit der Musik zu Stand zu bringen hätten. Von nun an waren alle Blicke sorglos und wohlgefällig auf das hübsche Paar gerichtet und gingen immer von Einem zum Andern. Der Mann auf dem Brunnen hatte längst wieder den Athem gefunden, und das Wasser sprang aus den acht Rohren noch einmal so begierig als sonst. Auf jedem Mädchen-Antlitz, unten auf dem Platz und oben in den Fenstern, war aber recht der Wiederschein der Anmuth zu erblicken, die man vor Augen hatte. Kein Kriegsmann war so trutzig und kein Graubart von der Rathsherrnbank so ernsthaft und gestreng, daß ihm das Herz dabei nicht lachte, und die Handwerksgesellen der Stadt waren stolz, daß Einer von den Ihren vor all' den fremden Gästen so herrlichen Ruhm davontrage. [144]

Der Seppe sah im Tanz nicht mehr auf seinen schmalen Pfad, noch minder nach den Leuten hin, er schaute allein auf das Mädchen, welches in unverstellter Sittsamkeit nur je und je seine Augen aufhob.

Als Beide in der Mitte jetzt zusammen kamen, ergriff er sie bei ihren Händen, sie standen still und blickten sich einander freundlich ins Gesicht; auch sah man ihn ein Wörtlein heimlich mit ihr sprechen. Darnach auf Einmal sprang er hinter sie und schritten Beide, sich im Tanz den Rücken kehrend, auseinander. Bei der Kreuzstange machte er Halt, schwang seine Mütze und rief gar herzhaft: Es sollen die gnädigsten Herrschaften leben! – Da denn der ganze Markt zusammen Vivat rief, dreimal, und einem jeden Theil besonders. In während diesem Schreien und Tumult, unter dem Schall der Zinken, Pauken und Trompeten lief der Seppe zur Vrone hinüber, die bei der andern Gabel stand, umfing sie mit den Armen fest und küßte sie vor aller Welt! Das kam so unverhofft und sah so schön und ehrlich, daß Manchem vor Freude die Thränen los wurden, ja die liebliche Gräfin erfaßte in jäher Bewegung den Arm ihres Manns und drückt' ihn an sich. Nun wandte sich die Vrone, und unter dem Jauchzen der Leute, [145] dem Klatschen der Ritter und Damen, wie hurtig eilte sie mit gluthrothen Wangen das Seil hinab, der Seppe gleich hinter ihr drein, das leinene Säcklein mitnehmend.

Kaum daß sie wiederum auf festem Boden waren, kam schon ein Laufer auf sie zu und lud sie ein, auf die Altane zu kommen; das sie auch ohnedem zu thun vorhatten.

Sämmtliche hohe Herrschaften empfingen sie im Angesicht des Volks mit Glückwünschen und großen Lobsprüchen, dabei sie sich mit höflicher Bescheidung annoch alles weiteren Fragens enthielten, indem sie zwar nicht zweifelten, daß es mit dem Gesehenen seine besondere Bewandtniß haben müsse, doch aber solchem nachzuforschen nicht dem Ort und der Zeit gemäß hielten. Der Seppe nahm bald der Gelegenheit wahr, ein wenig rückwärts der Gesellschaft, den zwilchenen Sack aufzumachen, nahm die Laiblein heraus und legte sie, höfischer Sitte unkundig, nur frei auf die Brüstung vor die Frau Gräfin Mutter, als eine kleine Verehrung für sie, vergaß auch nicht dabei zu sagen, daß man an diesem Brod sein ganzes Leben haben könne. Sie bedankte sich freundlich der Gabe, obwohl sie, des Gesellen Wort für einen [146] Scherz hinnehmend, den besten Werth derselben erst nach der Hand erfuhr. Dann zog er sein Geschenk für den erlauchten Herrn heraus. Wie sehr erstaunte dieser nicht bei Eröffnung der Kapsel! und aber wie wie viel mehr noch, als er das goldene Büchslein aufschraubte! Denn er errieth urplötzlich, was für ein Zahn das sey, bemeisterte jedoch in Mienen und Gebärden Verwunderung und Freude. Er wollte den Gesellen gleichwohl seines Danks versichern, that eben den Mund dazu auf, als an der andern Seite drüben der schönen Irmengard ein Freudenruf entfuhr, daß Alles auf sie blickte. Die Vrone nämlich hatte ihr ein kleines Lädlein dargebracht, worin die verlorene Perlenschnur lag. (Der kluge Leser denkt schon selbst, wer früh am Morgen heimlich bei der Dirne war). Nicht aber könnte ich beschreiben das holde Frohlocken der Dame, mit welchem sie den Schmuck ihrem Gemahl und den Andern der Reihe nach wies. Er war unverletzt, ohne Makel geblieben und Jedermann betheuerte, so edle große Perlen noch niemals gesehen zu haben. Nunmehr verlangte man zu wissen, was Graf Eberhard bekam. Seht an, sprach er: ein Reliquienstück, mir werther als manch' köstliche Medey an einer Kleinodschnur: des [147] Königs Salomo Zahnstocher, so er im täglichen Gebrauch gehabt. Mein guter Freund, der hochwürdige Abt von Kloster Hirschau sendet ihn mir zum Geschenk. Er soll, wenn man bisweilen das Zahnfleisch etwas damit ritzet, den Weisheitszahn noch vor dem Schwabenalter treiben. Da wir für unsere Person, so Gott will, solcher Förderniß nicht mehr bedürfen, so denken wir dieß edle Werkzeug, auf ausdrückentlich Begehren, hie und da in unserer Freundschaft hinzuleihen, es auch gleich heut, da wir etliche Junker zu Gast haben werden, bei Tafel mit dem Nachtrunk herumgehen zu lassen. – So scherzte der betagte Held, und Alles war erfreut ihn so vergnügt zu sehen.

Jetzt wurde den Bürgern das Zeichen zum Essen gegeben. Für jede Gasse, wo gespeist ward, hatte man etliche Männer bestellt, welche dafür besorgt seyn mußten, daß die Geladenen in Ordnung ihre Sitze nahmen. So lang bis dieß geschehn war, pflogen die Herrn und Damen heiteren Gesprächs mit dem Gesellen und der Vrone. Ein Diener reichte Spanier-Wein in Stotzengläsern, Hohlippen und Krapfen herum, davon die Beiden auch ihr Theil genießen mußten. – Ihr seyd wohl Bräutigam und Braut? [148] frug die Frau Mutter. – Ja, Ihro Gnaden, sprach der Seppe: dafern des Mädchens Mutter nichts dawider hat, sind wir's, seit einer halben Stunde. – Was? rief der Graf: Ihr habt Euch auf dem Seil versprochen? Nun, bei den Heiligen zusammen, der Streich gefällt mir noch am allerbesten! So etwas mag doch nur im Schwabenland passiren. Glückzu, ihr braven Kinder! Auf einem Becher lieset man den Spruch: Lottospiel und Heirathstag Ohn' groß' Gefahr nie bleiben mag. Ihr nun, nach solcher Probe, seyd quitt mit der Gefahr Euer Lebenlang. – Dann sprach er zu seinem Gemahl und den Andern: jetzt laßt uns in die Gassen gehn, unsern wackeren Stuttgarter Bürgern gesegnete Mahlzeit zu wünschen, drauf wollen wir gleichfalls zu Tisch. Das Brautpaar wird dabei seyn, hört ihr? Kommt in das Schloß zu uns. Ihr habt Urlaub auf eine Stunde; das mag hinreichen, Euch den mütterlichen Segen zu erbitten, wo nicht, so will ich selbst Fürsprecher seyn.

 

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Begehrte nun der Leser noch Weiteres zu wissen, als da ist: wie sich das Brautpaar heimgefunden; ob [149] sie von Freunden und Neugierigen nicht unterwegs erdrückt, zerrissen und gefressen worden? was Mutter Kiderlen und was die Base sagte? wie es denn bei der gräflichen Tafel herging, auch was nachher der Graf mit dem Seppe besonders verhandelt und so mehr – so würde ich bekennen, daß meine Spule abgelaufen sey, bis auf das Wenige, das hier nachfolgt.

Am Markt, gegen dem Adler über, sieht man dermalen noch ein merkwürdiges altes Haus, vornher versehen mit drei Erkern, davon ein paar auf den Ecken gar heiter, wie Thürmlein, stehn, mit Knöpfen und Windfahnen; hüben und drüben, unterhalb der Eck-Vorsprünge, zwei Heiligenbilder aus Stein gehauen, je mit einem kleinen Baldachin von durchbrochener Arbeit gedeckt: Maria mit dem Kind, sammt dem jungen Johannes einerseits, und St. Christoph der Riese andererseits, wie er den Knaben Jesus auf seiner Schulter über das Wasser trägt, einen Baumstamm in der Faust zum Stab. Dieß Haus – in seinen Grundfesten, sammt dem Waarengewölb, vermuthlich noch dasselbige – gehörte von Vorältern her dem Grafen eigenthümlich, und ward von ihm auf jenen Tag unserem Schuster in Erkenntlichkeit [150] für seine kostbare Gabe und zum Beweis besonderer Gnade als freie Schenkung überlassen, nebst einem Theil des inbefindlichen Hausraths, welchem der Graf schalkhaftigerweise noch einen neuen Schleifstein mit Rad beifügte. Die Vrone bekam von den gnädigen Frauen einen künstlich geschnitzten Eichenschrank voll Linnenzeug zu ihrer Aussteuer.

Am Hochzeittag gaben sich Beide das Wort, ihre Glücksschuh zwar zum ewigen Gedächtniß dankbar aufzuheben, doch nie mehr an den Fuß zu bringen, indem sie Alles hätten, vornehmlich an einander selbst, was sie nur wünschen könnten, auch überdieß hofften, mit christlichem Fleiß ihr Zeitliches zu mehren.

Der Seppe, jetzt Meister Joseph geheißen, blieb seinem Gewerbe getreu, noch über acht und zwanzig Jahr; dann lebte er als ein wohlhabender Mann und achtbarer Rathsherr, mit Kindern gesegnet, seine Tage in Ruh mit der Vrone.

Unter seinen Hausfreunden war Einer, man hieß ihn den Datte, der kam an jedem dritten Samstag-Abend auf ein Glas Wein und einen guten Käs zu ihm, mit dem Beding, daß Niemand sonst dabei sey, als die liebwerthe Frau und die Kinder (diese hatte er gern und sie thaten und spielten als klein mit ihm, [151] wie wenn er ihresgleichen wäre). Da ward alsdann geschwatzt von Zunftgeschäften und von den alten Zeiten, ingleichem gern von Einem und dem Andern ein starker Schwank erzählt. Derselbe Hausfreund brachte den werthen Eheleuten an ihrem goldenen Jubeltag ein silbernes Handleuchterlein, vergoldet, in Figur eines gebückten Männleins, so einen schweren Stiefel auf dem Haupte trägt und einen Laib unter dem Arm. Rings aber um den Fuß des Leuchters waren eingegraben diese Reime:

 

Will jemand sehn mein frazzengsicht

ich halt ihm selbs darzu das licht.

mich kränket nur daß noch zur stund

mich geküßt kein frauenmund.

die mir allein gefallen hat

ein cron und schaufalt dieser stadt

hab ich vor funfzig jaren heunt

müeßen lassen meinem freund.

zum datte hant sie mich erkorn

zu schlichten zwilauf hadder zorn.

deß gieng ich müeßig all die jar

mag es auch bleiben immerdar.

 

 

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Und nun, mein Leser, liebe Leserin, leb' wohl! Däucht Dir etwa, Du habest jetzt genug auf eine [152] Weile an Märchen, wohl, ich verspreche, dergleichen sobald nicht wieder zu Markte zu bringen; gefiel Dir aber dieser Scherz, will ich es gleichwohl also halten. Es gelte, wie geschrieben steht zum Schluß des andern Buchs der Maccabäer: allezeit Wein oder Wasser trinken ist nicht lustig; sondern zuweilen Wein, zuweilen Wasser trinken, das ist lustig; also ist es auch lustig, so man Mancherlei lieset. Das sey das Ende.