BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Eduard Mörike

1804 - 1875

 

Das Stuttgarter Hutzelmännchen

 

1853

 

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[80]

Laßt aber sehn, was seither der Gesell in Ulm für Glückssprünge mag gemacht haben.

Zween Monat – eher drunter als drüber – kann er daselbst gewesen seyn, da war er mürb und gar bereits vor Liebe zu der Meisterin; und wenn er wohl bisweilen meinte, ein wenig mehr Gespräch und Fröhlichkeit stünd' ihr gut an, so dachte er doch immer gern eines alten wahrhaften Worts: Stille Schaf seynd Mille- und Wolle-reich, wird ihnen gewartet. Alle Samstag Nacht, wenn er auf seine Kammer ging, sprach er bei sich: jetzt morgen tragst du ihr die Heirath an! – und wenn er eben drauf und dran war, ließ er's wieder, aus Blödigkeit und Sorge, sie möchte ihn zuletzt doch stolz ablaufen lassen.

Nun hatten sie einsmals ein Schweinlein gemetzelt, das zweite seitdem man den Lichtbraten hatte – es war schon im Hornung und schien ein vorzeitiger Frühling zu werden – da befand sich der Seppe am Morgen allein mit ihr in der Küche, das Fleischwerk in den Rauch zu hängen. Inmittelst als er sich die Leiter unter dem Schlot zurechtstellte, die Würste sich in Ringen um die Arme hing, erzählte er ihr von Regensburg und Regensburger Würsten, was er vom Hörensagen wußte; und wie er so mit seiner Tracht [81] aufstieg in das Kamin, sie aber unten stand bei'm Herd, sprach sie: Nach Regensburg geht Ihr doch noch; es liegt Euch allfort in Gedanken.

Der Seppe, weil sie ihm nicht in's Gesicht sehn konnte – denn oberhalb stak er im Finstern – nahm sich ein Herz und sagte: wenn es auf mich ankäm', ich wollte leben und sterben bei Euch.

Ihr sollt auch unvertrieben seyn! gab sie zur Antwort.

Ja, sagte er und stockte: es mag halt Einer doch auch nicht sein Lebenlang ledig verbleiben.

Sie sagte nichts darauf. Da fing er wieder an: Nach einem rechten Weib kann ein armer Teufel heutigs Tags weit suchen.

Darauf sie ihm entgegnete: man sucht erst einmal in der Nähe.

Dem Seppe schossen bei dem Wort die Flammen in die Backen, als wollten sie oben zum Schornstein ausschlagen!

Die Stangen hingen alle voll, er hätte können gehn; allein der Angstschweiß brach ihm aus, er wußte nicht, wie er am hellen Tagslicht vor die Frau hintreten, noch was er weiter sagen solle. Drum nestelt' er und ruckt' und zappelte noch eifrig eine Weile an [82] den Würsten hin und wieder. Auf einmal aber sprach er: Meisterin, ich hab' schon je und je gedacht, wir wären für einander. Ich hätte eine Lieb' zu Ihr und groß Zutrauen.

Davon läßt sich schon reden! sagte sie. – Nun stieg er flugs herab, und stand vor ihr mit einem schwarzen Rußfleck um die Nase, darüber sie ein wenig lächelte, einen Zipfel ihrer weißen Schürze nahm und ihn abwischte. Das that ihm ganz im Herzen wohl, er faßte ihre Hand und hatte ihren Mund geküßt, eh' sie sich deß' versah. Sie aber gab ihm ein Gleiches zurück. – So seyd Ihr nicht mehr meine Meisterin, Ihr seyd jetzt meine Braut! – Sie bejaht' es, und waren sie Beide vergnügt, schwatzten und kos'ten noch lang miteinander.

Bevor er wieder in die Werkstatt ging, sagte sie noch: wir wollen Niemand etwas merken lassen, bis Ihr das Meisterrecht habt und wir bald fürsche machen können.

Selbigen Abend eilte es dem Seppe nicht wie sonst nach dem Essen zum Bier. Er freute sich schon seit dem Morgen auf diese gute Stunde. Sobald die Andern aus dem Haus, begab er sich auf seine Kammer, wusch und kämmte sich, legte ein sauberes Hemd und [83] sein Sonntagswamms an, zu Ehren dem Verspruch, und als er dann neben der Frau so recht in Ruh und Frieden saß, die Läden und die Hausthür zugeschlossen waren, ein frisches Licht im Leuchter angesteckt, so legt' er ihr zuvörderst die silberne Haube, seine Brautschenke, hin. Ja da empfing er freilich Lobs und Danks mit Haufen. Wo bringt's der Fantel her? mochte sie denken: da er es nicht gekauft, noch hoffentlich vom Markt gestohlen hat! – Sie hätte es gar gern gewußt, doch band er sich die Zunge fest und lachte nur so.

Sie holte Wein herauf vom Keller und er brachte den Schnitzlaib herunter. Der Leser bildet sich schon selber ein, sie werde heute schwerlich das erstemal davon gekostet haben: o nein, den Seppe kränkte nur, daß er ihr nicht füglich Tag für Tagt ein neues Stück zum Imbis bringen konnte, indem die Meisterin schon ohnedas sich wunderte, was doch der Bursch für einen guten Döte habe an dem Stuttgarter Hofzuckerbecken (wie er ihr weiß gemacht), dem's auf ein Laiblein alle acht Tag nicht ankomme. Denn ob es ihm schon nicht verboten war zu offenbaren, wie es damit bewandt, so scheute er sich doch. Jetzt fühlte sie ihm besser auf den Zahn, und sagte: gesteht's nur, Seppe, [84] gelt, Brod und Haube sind aus Einem Haus? – Das nicht, erwiedert' er, das Eine anbelangend, so will ich meine herzliebe Braut von Grund der Wahrheit berichten; denn mit dem Zuckerbeck, das war gespaßt. Habt Ihr in Ulm auch schon gehört vom Hutzelmann? – Kein Wort. – Vom Pechschwitzer, vom Tröster? – Nichts. – Gut denn. – Er nahm sein Glas, that ihr Bescheid, fing an, der Frau treuherzig zu eröffnen Alles, was ihm die Nacht vor seiner Reise widerfahren. Im Anfang schaute sie ihm so in das Gesicht dabei, als gält' es eben Scherz, doch weil er gar zu ernsthaft drein sah, dachte sie: er ist ein Wunder-Lecker und ein Träumer. Je mehr sie aber zweifelte, je mehr ereiferte er sich. Da will ich meiner Liebsten zum Exempel vom Doctor Veylland eine Geschichte erzählen, die ist gewiß und wahr, ich hab' sie von meinem Großvater. Ihr höret sie einmal zum Zeitvertreib, nachher mögt Ihr dran glauben oder nicht.

Der Veylland war ein guter Freund vom Graf Conrad von Wirtemberg, demselbigen, welcher den Grund zu meiner Vaterstadt gelegt, und trieb sein Wesen als ein stiller alter Herr in einem einzechten Gebäu, das stand daselbst im Thal unweit dem Platz, [85] wo dermalen das Schloß zu sehen ist. Des Doctors vornehmstes Vergnügen war ein großer Garten hinter seinem Haus, drin pflanzte er das schönste Obst im ganzen Gau; nur daß ihm alle Herbst die Bupsinger Bauern die Hälfte wegstahlen, trotz einer hohen Mauer, so rings um das Haus und den Garten her lief. Dieß ärgerte den Herrn, daß er oft krank darüber ward. Jetzt kommt einmal am lichten Tag, indem er eben bei verschlossener Thür in einem alten Buch studirt, der Hutzelmann zu ihm, der Pechschwitzer, der Tröster (welchen zuvor der Doctor noch nicht kannte) und bietet ihm ein Mittel wider diese Gauchen, mit dem Beding, daß er ihm alljährlich einen Scheffel gute Wadelbiren liefere zu Hutzeln. Der Doctor ging das unschwer ein. Da brachte Jener unter seinem Schurzfell einen Stiefelknecht hervor von ordentlichem Buchenholz, noch neu und als ein wundersamer Krebs geschnitzt, mit einem platten Rücken und kurzen starken Scheeren; am Bauch untenher war er schwarz angestrichen, darauf mit weißer Farbe ein Drudenfuß gemacht. Nehmt diesen meinen Knecht, sagte der Hutzelmann: und stellet ihn, wohin Ihr wollt im Haus, doch daß er freien Paß in Garten habe, etwa durch einen Kandel oder Katzenlauf. Im [86] Uebrigen laßt ihn nur machen und kümmert Euch gar nichts um ihn. Es kann geschehen, daß Ihr mitten in der Nacht hört einen Menschen schreien, winslen und girmsen, da springet zu, greifet den Dieb und stäupet ihn; dann sprechet zu dem Knecht die Wort':

 

Zanges, Banges, laß ihn gahn,

Wohl hast du dein Amt gethan.

 

Doch ehe Ihr den Bauern oder Nachtschach laufen laßt, sollt Ihr ihn heißen seine Stiefel oder Schuh abthun, dabei mein Knecht ihm trefflich helfen wird, und diese Pfandstück möget Ihr behalten, auch seiner Zeit nach Belieben verschenken. Dafern mein Krebs in seiner Pflicht saumselig würde oder sonst sich unnütz machte, schenkt ihm nur etlich gute Tritt keck auf die Aberschanz; ich hoff', es soll nicht nöthig seyn. Sonst ist er ganz ein frommes Thier, und zäh, man kann Holz auf ihm spalten; nur allein vor der Küchen sollt Ihr ihn hüten: er steigt gern überall herum und fällt einmal in einen Kessel mit heiß Wasser; das vertragt er nicht. Aber ich komme schon wieder und sehe selbst nach, lieber Herr. Gehabt Euch wohl.

Der Doctor Veylland stellte jetzt den Stiefelknecht vor seine Stubenthür. Da blieb er stehen bis zum [87] Abend unverregt, und sah so dumm wie ein ander Stück Holz. Im Zwielichten aber, wie man just an nichts dachte, ging es auf Einmal Holterpolter, Holterpolter die Stiege hinab und durch's Gußloch hinaus in den Garten. Da sahen Herr und Diener ihn vom Fenster aus durch's grüne Gras an der Mauer hin schleichen und kratteln, an allen vier Seiten herum und immer so fort, die ganze liebe lange Nacht.

Der alte Diener hatte seine Lagerstatt im untern Stock gegen den Garten; nun streckt er sich in Kleidern auf sein Lotterbett. Eine Stunde verstrich nach der andern, der Alte hörte nichts, als hin und wieder wie durch das Geäst ein reifes Obst herunter rauscht' und plumpste. Doch gegen Morgen, eben da er sich auf's andre Ohr hinlegte und seine Zudeck' besser an sich nahm, denn es war frisch, erscholl von fernen her ein Zetermordgeschrei, als wenn es einem Menschen an das Leben geht. Der Diener sprang hinaus und sah auf sechzig Schritt, wie des Hutzelmanns Knecht einen baumstarken Kerl am Fersen hatte und mit Gewalt gegen das Haus herzerrte, also daß beide Theile rückwärts gingen, Dieb und Büttel (wie ja der Krebse Art auch ohnedem so ist), und war ein Zerren, Würgen, Sperren, Drängen und Reißen, [88] dazu viel Keuchens und Schnaufens, Wimmerns und Bittens, daß es erbärmlich war zu hören und sehen.

Der arme Schächer, so ein Bupsinger Weinschröter war, trachtet' im Anfang wohl mitsammt dem Schergen durchzugehn, der aber hatte gut zwo Ochsenstärken und strafte ihn mit Kneipen jedesmal so hart, daß er sich bald gutwillig gab. Auf solche Weise kamen sie bis an das Haus, da hielt der Krebs gerade vor der Thür und stand der Doctor schon daselbst in seinem Schlafrock, lachend; sprach:

 

Zanges, Banges, laß ihn gahn,

Wohl hast du dein Amt gethan!

 

Dann ließ er den Bauern die Bundschuh austhun, und mochte der laufen.

Die andre Nacht gleich wurden ihrer Zween nach einander eingebracht, die dritte wieder Einer und alsofort bis auf die dreißig, lauter Bupsinger. Denn weil sich Jeder schämte, sagt's Keiner, die Andern zu warnen. Der gute Knecht verfehlte nicht leicht seinen Mann; ein einzigmal kam er mit einem leeren Stiefel angerutscht und hielt denselben bis zum Morgen unverruckt mit großer Kraft in seinen Zangen, bis ihn von ungefähr der Herr vom Haus erblickte. Das Schuhwerk aber nagelte der Diener alles nach der [89] Reih' im leeren Pferdstall an der Wand herum. – Es gibt noch ein liebliches Stücklein davon: wie nämlich einst der Graf mit seiner Frauen und zwei Söhnlein auf Besuch bei dem Veylland gewesen. Herr Conrad bauete bei dessen Garten eine Stuterei – daher nachmals die Stadt Stutgarten hieß – beschied seinen Werkmeister her auf den Platz und zeigte selbst wie Alles werden sollte. Es wollte aber gern der Doctor denen kleinen Junkherrn eine Kurzweil schaffen und bat den Hutzelmann derhalben, um daß er ein unschuldig Zinselwerk bereite; der versprach's. Als nun die Knaben nach der Mahlzeit in dem Garten spielten, da ward's lebendig in dem Stall, und kam bald aus der Thür hervor ein ganzer Zug von kleinen zierlichen Rößlein, lauter Rappen mit Sattel und Zeug, und das waren die Stiefel gewesen; sie gingen zwei und zwei und wurden von kleinen Roßbuben geführt, und das waren die Bundschuh. Die Junker hatten ihre Freude mit den ganzen Abend. Auf Einmal that es außen an dem Garten einen Pfiff, der ganze Troß saß wie der Blitz ein Jeder in seinem Sattel, die Rößlein aber waren zumal Heupferde geworden, grasgrün, einen Schuh lang, mit Flügeln, die setzten all' über die Mauer hinweg und kamen nicht mehr. [90] Doch nach der Hand fand man so Stiefel als Schuh wie zuvor an die Stallwand genagelt.

Vor Jahren habe ich zu Stuttgart auf dem Markt ein Spiel gesehn in einem Dockenkasten, so auch von Diesem handelte. Hätt' ich nur Alles noch so recht im Kopf! Da wird gesagt zum Vorbericht in wohlgesetzten Reimen, was ich Euch erst erzählt, und sonst noch was voraus zu wissen nöthig ist, von Bernd Jobsten, dem Hofnarrn. Der ward denselben Spätling fortgejagt vom Grafen, weil er nicht wollte seiner bösen Zunge Zaum und Zügel anlegen, absonderlich gegen die fremden Herrschaften und Gäste. Nun klagte er sein Mißgeschick dem Doctor, als welcher ihm schon einmal Gnade bei'm Herrn derhalben ausgewirkt, jetzt aber sich dessen nicht mehr unterstand; doch steuert' er ihm Etwas auf den Weg und hieß ihn auch die Schuh im Stall mitnehmen, wofern er etwa meinte, sich ein Geldlein mit zu machen. Ja, sagte der Narr: das kommt mir schon recht – vergelt' es Gott! – und holte sie gleich ab in einem großmächtigen Kräben, und trug sie auf dem Rücken weg, thalabwärts, wußte auch schon, was anfangen damit. [91]

Am Neckar unter'm Kahlenstein fand er des Grafen Schäfer auf der Weid' und stellte seine Bürde ein wenig bei ihm ab, erzählte ihm, wie er den Dienst verscherzt und was er da trage. Hiermit hebt denn die Handlung an, und spricht sofort der Narr:

 

Ich bin jetzt alt und gichtbrüchig,

Und meine Sünden beißen mich;

Drum will ich bau'n ein Klösterlein

Und selber gehn zuerst hinein,

In angenehmer Schauenlichkeit

Verdrönsgen dieses Restlein Zeit.

 

Spricht der Schäfer:

Klöster bauen kost't halt viel Geld.

 

Der Narr:

Just darauf ist mein Sinn gestellt.

Hiezu bedarf es ein Heilthum,

Daß alle Leut' gleich laufen drum.

Ein Armes bringt sein Scherflein her,

Der Reich' schenkt Aecker, Hof, Wald und mehr.

 

Der Schäfer:

Solch Heilthum kriegen ist nichts Kleins.

 

Der Narr:

Hat Mancher keins, er schnitzet eins.

Ich, Gott sey Dank, bin wohl versehn.

– Diese Schuh', mußt du verstehn, [92]

Der vielberühmt Doctor Veylland

Nächst an der Stadt Jerusalem fand,

Unter'm Schutt in einer eisen Truh,

Ein gar alt Pergament dazu

Mit Juden-G'schrift. Selbes bekennt:

Als Mose nun hätt' Israels Heer

Geführet durch das rothe Meer,

Und König Pharao, Reiter und Wagen,

Ersäufet in der Tiefe lagen,

Frohlockt das Volk auf diesen Strauß,

Zog weinend Schuh und Stiefel aus,

Am Stecken sie zu tragen heim,

In's Land, wo Milch und Honigseim,

In ihren Häusern sie aufzuhenken

Zu solches Wunders Angedenken.

Aus sechs hundert tausend ohngefahr

Erlas man diese dreißig Paar

Und brachte sie an sichern Ort,

Als einen künftigen Segenshort;

Daß wer das Leder küssen mag

Sei ledig seiner Lebetag'

Von Allerwelts-Art Wassersnoth,

Auch Wassersucht und sottem Tod.

 

Der Schäfer:

Hast du das G'schrift auch bei der Hand?

 

Der Narr:

Das, meint' ich, gäb' dir dein Verstand.

Es liegt im Kräben unterst drin; [93]

Und hätt' ich's nicht, gält's her wie hin.

Die Waar' blieb trocken auf Meeres Grund,

Und ist brodtrocken auf diese Stund!

Nun kenn' ich einen guten Pfaffen,

Der soll mir helfen mein Ding beschaffen,

Soll es anrühmen dem Provincial,

Der meld't's gen Rom dem General.

Da wird sehr bald Bescheid ergehn,

Man wöll der Sach nit widerstehn,

Sie soll'n nur forschen bei diesem Jobst,

Was er lieber wär', Prior oder Propst.

 

Als denn der Narr zum Pater in seine Zelle kommt und ihm den Antrag stellt, begehrt derselbe allererst das Pergament zu sehen. Ja, sagt der Schelm, vor'm Jahr noch hätt er's ihm wohl weisen können, allein, ganz schrumpflig, mürb und brüchig, wie er es überkommen, sey es ihm nach und nach zu Schanden gegangen. Dafür zieht er aus seinem Korb hervor ein alt schwer eisen Marschloß, vorgebend, es sey vor der Truchen gelegen. Der Mönch, wie leicht zu denken, hält ihm nichts drauf, verachtet ihm sein ganz Beginnen, verwarnet und bedrohet ihn gar. Der Narr, weil er vermeint, die Sach an ihr selbsten gefiel' ihm schon, sie möchte wahr seyn oder nicht, er scheue minder den Betrug als den Genossen, erboset [94] er sich sehr in anzüglichen Reden und spricht mit der Letzt:

Sag, Pfaff, thust du die Bibel les'n?

 

Der Pater:

War die ganz Wuch'n drüber g'sess'n.

 

Der Narr:

Ich dacht nur, weil sie in Latein.

 

Der Pater:

Wohl! daß nit jed's Vieh stört hinein.

 

Der Narr:

Wohlan, so weißt du baß dann ich,

Was dort geweissagt ist auf dich

Und die Frau Mutter der Christenheit,

Wie ihr es nämlich treibt die Zeit.

Zum Exempel Proverbia

Im dreiß'gisten, was steht allda?

Die Eigel hat zwo Töchter schnöd:

Bring her, Bring her, heißen alle beed'.

Die Ein' hat einen Ablaßkram,

Die Ander' heischet sonder Scham.

– Ei, das hofft' ich nur auch zu nutzen.

Pfaff, du thät'st mit, hätt's nit sein' Butzen!

 

So zieht er ab mit seinem Kräben, unter heftigem Schelten und Drohen des Mönchs. Noch aber läßt er sein Vorhaben nicht, ein Kloster zu erbauen, und [95] sollen ihm die Bundschuh und die Stiefel inallweg dazu helfen. Sobald er wieder auf der Straßen ist, spricht er:

 

Jetzt, wüßt' ich nur 's Pechfisels Haus!

Der macht' mir ein' Trupp Münchlein draus;

Die schicket' ich dann in die Welt,

Zum collectir'n ein Gottesgeld.

Vielleicht er macht sie mir gleich beritten

Auf Saumrößlein mit frommen Sitten:

Sie kämen doch viel 'ringer so 'rum,

Als wie per pedes apostolorum.

 

Nachdem er lang vergebens überall dem kleinen Schuster nachgefragt, so findet er denselben von ungefähr bei'm Bupsinger Brünnlein sitzen, an dem Berg, darin seine Wohnung und Werkstatt ist und wo er eben einen Becher Wassers schöpfte. Der Narr mit großer Scheinheiligkeit entdeckt ihm sein Anliegen, doch der Pechschwitzer antwortet ihm:

 

Ich dient' Euch gern, mein guter Freund,

Aber was geistlich Sachen seynd,

Laßt meine Kunst mit unverworr'n;

Es brächt' mir eitel Haß und Zorn.

Mein Rath ist darum: geht zur Stund,

Verkauft so gut ihr könnt, den Schund.

Bei die Bupsinger droben, hör' ich, wär'

Großer Mangel eine Weil schon her. [96]

So brauchet es kein lang Hausiren.

Doch müßt Ihr nicht Eu'r Geld verlieren,

Woll'n sie mit dem Beutel nit schier heraus,

Droht, es käm' ihnen der Werr in's Haus,

Der Presser; das werden sie schon verstehn.

 

Darauf der Narr:

Ich folg' Euch, Meister, und dank' Euch schön.

 

Jetzt kommt das Lustigste, das aber muß man sehen: wie nämlich Bernd Jobst in dem Dorf seinen Korb auf der Gasse ausschüttet, die Bauren aus den Häusern kommen und gleich ein groß Geriß anhebt, da Jeder mit Geschrei sein Eigenthum aussucht, und alle sich untereinander als Diebe verrathen. Sie weigern sich der Zahlung gar hartselig, bis sich der Jobst anstellt zu gehen und sich etwas verlauten läßt vom Werr, daß er ihn schicken wolle. Auf Dieses ist mit Eins ein Jeder willig und bereit, ja auch der gröbst Thorangel zahlt, was ihn ein neues Paar vom Krämermarkt nicht kostete.

Allmittelst hat der Schäfer bei Gelegenheit dem Grafen erzählt, was Wunderliches der Jobst vorhabe, der Doctor aber es bestätiget nach dem, was er vom Pechschwitzer vernommen, und ist das Ende von dem [97] Lied, daß Herr Conrad dem Narren für dießmal Vergebung ertheilt, weil ihm der Schwank gefallen.

So erzählte der Seppe. Die Meisterin hörte ihm nur so aus Höflichkeit zu und insgeheim mit Gähnen. Ja, ja, sprach sie am Ende: das sind mir einmal Sachen! – und nahm das Ränftlein in die Hand, das er von seinem Brod übrig gelassen. Nun, muß man wissen, hatte sie am Fenster einen schönen großen Vogel, der saß in seinem Ring frei da. Ihr erster Mann nahm ihn einmal an Zahlungsstatt von einem bösen Kunden an; es war ein weißer Sittich mit einem schwarzen Schnabel und auch dergleichen Füßen. Er sollte, hieß es, Alles sprechen, wenn er das rechte Futter bekäme, und ob er zwar die ganze Zeit nicht sprach, und sich der Schuster dessenthalb betrogen fand, so ward er doch der Frau Liebling.

Derselbe schaute jetzt der Meisterin, wie sie das Restlein Brod so hielt, mit einem krummen Kopf begierig auf die Finger. Da sagte sie zu ihrem Bräutigam: Soll es der Heinz nicht haben? – Der Seppe dachte freilich: damit geht manches Hundert schöner Laiblein ungesehn zu Schanden; doch gab er ihr zur Antwort: was mein ist, das ist Euer, und was Euch hin ist, soll auch mir hin seyn. – So schnellte sie den [98] Brocken ihrem Heinz hinauf; der schnappte ihn, zerbiß und schluckt' ihn nieder; kaum aber war's geschehn, so hub der Sittich an zu reden und brachte laut und deutlich diese Worte vor:

 

Gut, gut, gut – ist des Hutzelmanns sein Brod.

Wer Einen hat umbracht und Zween, schlägt auch den Dritten todt.

 

Die Meisterin saß bleich als wie die Wand auf ihrem Stuhl, der Gesell aber, wähnend, sie sey darob verwundert vielmehr denn entsetzt, lachte und rief: der ist kein Narr! er meint, wenn man es einmal recht verschmeckte, fräß' Einer leicht auf Einen Sitz drei Laib! – Darauf die Frau zwar gleichermaßen groß Ergötzen an dem Thier bezeugte; doch mochte es ihr wind und weh inwendig seyn, und als der Bräutigam, nachdem er lang genug von dem närrischen Vogel gered't und Scherz mit ihm getrieben, jetzo von andern, nöthigen Dingen zu handeln begann: wie sie es künftighin im Haus einrichten wollten, wen von den Gesellen behalten, wem kündigen und so mehr, war sie mit den Gedanken unstet immer nebenaus; das wollten sie bei guter Zeit ausmachen, sagte sie, that schläfrig, besah die Haube noch einmal und setzte sie auf vor dem Spiegel – Puh! friert's [99] mich in der Hauben! rief sie zumal und schüttelte sich ordentlich, das Silber kältet so. – Dann sagte sie: wenn schwarze Band dran wären, mein! es wär' recht eine Armesünderhaube für eine fürstliche Person! – und lachte über diese ihre Rede einen Schochen, daß den Gesellen ein Gräusel ankam. Gleich aber war sie wieder recht und gut, gespräch, liebkos'te dem Gespons und machte ihn vergnügt wie er nur je gewesen. Darnach so gaben sie einander küssend Gute Nacht und ging er aller guten Dinge voll auf seine Kammer.

Den andern Morgen, es war am Sonntag, sah er den schönen Sittich nicht mehr sitzen in dem Ring, und die Meisterin sagte mit unholder Miene: das Schnitzbrod hat ihm schlecht gethan, ich fand ihn unter'm Bank da todt und steif, und schafft' ihn mir gleich aus den Augen.

Das däuchte dem Gesellen doch fast fremde, auch sah er einen Blutfleck am Boden. Am meisten aber wunderte und kränkte ihn, daß ihm die Frau so schnorzig war.

Am Nachmittag, weil seine Braut nicht heim kam von der Kirche aus, spazierte er mit seinen Kameraden um den Wall nach einer neuen Schenke gegen Söflingen. Einer von ihnen schlug ein paarmal bei ihm [100] auf den Busch und stichelte auf seine Liebste; da denn ein Anderer, ein loser Hesse, den Scherz aufnahm und sagte: der Fang wär' recht für einen Schwaben, die haben gute Mägen, Schuhnägel zu verdauen.

Weil nun der Seppe nicht verstand wie das gemeint sey, blieb er mit seinem Nebenmann, einem ehrlichen Sindelfinger, ein wenig dahinten und frug ihn darum. Das ist dir eine neue Mähr? sprach der gar trocken: deine Meisterin, sagt man, hab' in Zeit von drei Jahr ihren zween Männern mit Gift vergeben. Vom letzten soll es sicher seyn, vom ersten glaubt's darum ganz Ulm. Den zweiten hat man erst verwichenes Frühjahr begraben. Die Richter hätten ihr das Urtheil gern zum Tod gesprochen, konnten aber nichts machen, denn auf dem Sterbbett sagte ihr Mann, er habe Schuhnägel gefressen. Dergleichen fanden sich nachher auch richtig in dem Leib, allein man glaubt, er habe sie in Schmerzen und Verzweiflungswuth, als er das Gift gemerkt, nur kurze Zeit vor seinem End geschluckt.

Dem Seppe verging das Gesicht. Er schritt und schwankte nur noch so wie auf Wollsäcken bis in die Schenke. Dort stahl er sich hinweg und ließ sein volles Glas dahinten. [101]

Abwegs in einem einsamen Pfad saß er auf einer Gartenstaffel nieder, seine Lebensgeister erst wieder zu sammeln. Alsdann dankte er Gott mit gefalteten Händen, daß er ihn noch so gnädig errettet, überlegte und kam bald zu dem Beschluß, gleich in der nächsten Nacht das Haus der schlimmen Wittwe, ja Ulm selbst insgeheim zu verlassen. Er blieb dort sitzen auf dem gleichen Fleck, bis die Sonne hinab und es dunkel war. Dann ging er in die Stadt, strich, wie ein armer Sünder und Meineider[121], lang in den Straßen hin und her, und suchte zuletzt, von Durst und Hunger angetrieben, eine abgelegene Trinkstube, wo viele Gäste zechten, ihn aber Niemand kannte. Dort barg er sich in einem dunklen Sorgen-Eck bei einem Fenster nach den Gärten und der Donau zu.

Er konnte, wie man spricht, von keinem Berg sein Unglück übersehen. Zu allem Herzleid hin, nicht gar sechs Batzen im Besitz – denn einen Rest Guthabens bei der Frau, wie hätte er ihn fordern mögen? – dazu sein gutes Hutzelbrod verheillos't, das ihm jetzt auf der Reise für Hungersterben hätte dienen können, und endlich Spott und Schande vor und hinter ihm! [102]

Er ging bei sich zu Rath, ob er in seine Heimath solle oder weiter ziehen. Das Eine kam ihn schier so sauer wie das Andre an. Was werden deine Freunde sagen, wenn du schon wieder kommst, als wie der Brogel-Wenz vom welschen Krieg? (derselbe nämlich grüßte die Weinsteig schon wieder am siebenten Tag) – so dachte er; allein die Welt, soweit es in der Fremde heißt, kam ihm jetzt giftig, gräulich vor, so öd und traurig wie das Ulmer Elend, das er dort unten in den Gärten liegen sah; aus einem Fenster dämmerte der kleine Schein vom Licht des Siechenwärters, dabei vielleicht ein armer Tropf, fern von dem lieben Vaterland, jetzt seinen Geist aufgab. Darum, es koste was es wolle, heim ging sein Weg, nur Stuttgart zu! Von keinem Menschen gedachte er Abschied zu nehmen, am wenigsten von Ihr, deren Gestalt und Mienen er mit Grauen immer vor sich sah. Deßhalb er auch nicht eher aus dem Wirthshaus ging, als bis er sicher war, ihr nicht mehr zu begegnen, und seine Mitgesellen ebenfalls schon schliefen. Es war schon Zwölfe und die Scharwach kam zum zweitenmal, den letzten Gästen abzubieten.

Wie er nun langsam durch die leeren Gassen nach seinem Viertel lenkte, vernahm er oben in dem Giebel [103] eines kleinen Hauses den Gesang von zwo Dirnen, deren Eine, eines Kürschners Tochter, Kunigund, er wohl kannte, ein braves und sehr schönes Mädchen, mit welchem er im Pflug manchen Schleifer herumgetanzt hatte. Wär' er nicht gleich im Anfang so tief in die Wittwe verschossen gewesen, die hätte ihm vor allen Ulmer Bürgerskindern wohl gefallen, und er ihr auch.

Die Dirnen plauderten, wie es ihm vorkam, finsterlings im Bett und sangen das Lied von dem traurigen Knaben, dem sein Schatz verstarb, das hatte zum Titel: Lieb in den Tod, und eine so herrliche Weise als sonst vielleicht kein anderes. Da sie es noch einmal von vorn anfingen, stand er still und horchte hinter einer Beuge Faßholz stille zu.

 

Ufam Kirchhof, am Chor,

Blüeht a Blo-Holder-Strauß,

Do fleugt a weiß Täuble,

Vor's taga thuet, aus.

 

Es streicht wohl a Gässale

Nieder und zwua,

Es fliegt mer in's Fenster,

Es kommt uf mi zua. [104]

 

Jetz kenn i mein' Schatz

Und sey linneweiß G'wand,

Und sey silberes Ringle

Von mir an der Hand.

 

Es nickt mer en Grueß,

Setzt se nieder am Bett,

Frei luegt mer's in's G'sicht,

Aber anrüehrt me's net.

 

Drei Wocha vor Ostra,

Wann's Nachthüehle schreit,

Do macha mer Hochzig,

Mei Schatz hot mer's g'sait.

 

Mer macha kein' Lebtag,

Mer halta kein' Tanz.

Wer goht mit zur Kircha?

Wer flicht mer da Kranz?

 

In währendem Zuhören dachte der Seppe: die wird sich auch wohl wundern wenn sie hört, ich sey bei Nacht und Nebel fort als wie ein Dieb! – und dachte ferner: wenn diese Gundel deine Liebste hätte werden sollen, und wär' dir heut gestorben, ob du jetzt übler dran wärest denn so, oder besser? – Er wußte in der Kürze sich selbst keinen Bescheid darauf, stöhnte nur tief aus der Brust und ging weiter. [105]

Bei'm Haus der Wittwe angekommen, drehte er den Schlüssel in der Thür so leis er konnte um, schlich auf den Zehen an ihrer Schlafkammer vorbei, kam in die seinige, von den Gesellen unberufen, und packte seine Sachen ein, nachdem er erst die guten Kleider aus- und andere angezogen, auch mit herzlicher Reue des Hutzelmanns Schuhe, die es so gut mit ihm gemeint, unter dem Stein hervorgenommen und sie nach langer Zeit das erstemal wieder an die Füße gethan.

Und also schied er auf Zeitlebens aus dem Haus, darin er sich vor wenig Stunden noch als wie in seinem Eigenthum vergnüglich umgeschaut hatte. Er kam an das Liebfrauen-Thor und schellte dem Wächter; der ließ ihn hinaus und war der einzige Mensch in ganz Ulm, welcher ihm Glück auf die Reise gewünscht.

Als er so in der Nacht, auf trockener Landstraße und bei gelinder Luft, nicht völlig eine halbe Stunde weit gewandert war, so regte sich sein Linker allbereits mit Jucken, Treten, Hopsen und sonst viel Ungebühr. So, rief der Seppe grimmig, moinst, dia Gugelfuahr gang wieder an? I will d'r beizeit d'rfür thua! – saß nieder, riß den linken ab und faßte auch den rechten, [106] – da fiel ihm ein, den könnt'st du anbehalten: mit Einem Fuß im Glück ist besser denn mit keinem! zog also einen Stiefel an zum andern Schuh, probiert' es eine Strecke, und wahrlich es that gut.

In seinem Innern aber, so arg es auch darin noch durcheinander ging, daß ihm das Heulen näher als das Pfeifen lag, so gab er sich doch selbst schon kühnlicheren Zuspruch mit Vernunft, nahm sein versehrtes Herz, drückt' es, gleich wie die Hausfrauen pflegen mit einem zertretenen Hühnlein zu thun, in sanften Händen wieder zurecht, und endlich ging sein Trost und letzter Schluß dahin, wie sein Vetter als sagte: es hat nur drei gute Weiber gegeben: die Eine ist im Bad ersoffen, die Ander' ist aus der Welt geloffen, die Dritte sucht man noch.

Unweit Gerhausen kam schon allgemach der Tag; bald sah er auch Blaubeuren liegen, und auf den Dächern rauchte hie und da schon ein Kamin.

Eine Ackerlänge vor dem Thor geschah ihm Etwas unverhofft.

Dort zog der Weg sich unter den Felsen linker Hand an einer Steile hin. Der Seppe dachte eben, wenn er jetzt in das Städtlein käme, ein warmes Frühstück thäte seinem Magen wohl, und rechnete, [107] wie weit er damit komme, denn sein Beutel mochte nicht viel leiden. Bei dem Bräumeister konnte er aber mit Ehren nicht wieder einsprechen; er meinte, die Leute möchten sagen: dem hat das Handwerksburschen-Einmaleins im Nonnenhof gefallen und mag ihm ganz eine kommode Rechnung seyn! Dieß denkend schritt er hitziger fürbaß – mit Eins aber kann er nicht weiter und ist er mit dem Schuh wie angenagelt an den Boden, zieht, reißt und schnellt, zockt noch einmal aus Leibeskräften, da fuhr er endlich aus dem Schuh – der aber flog zugleich den Rain hinunter, wohl eines Hauses Höhe, in einen Felsenspalt!

Gern oder ungern mußte ihm der Seppe nach. Als er nun mit Gefahr den Fleck erreicht, wo er ihn hatte fallen sehen, und in dem Steinriß mit der Hand herum suchte, auch alsbald ihn erwischte, indem so stieß er an ein fremdes Ding, das zog er mit an's Licht: – Hoho! davon kam dir die Witterung!? rief er und hielt das Bleiloth in der Hand, betrachtet' es mit Freuden, schlupft' in den Schuh und ist wie der Wind wieder oben. Nachdem er den Fund in den Ranzen gesteckt, der jetzo freilich das Zwiefache wog, ging er nicht wenig getröstet hinein in die Stadt.

Die Leute machten erst die Läden auf und trieben [108] das Vieh an die Tränke. Er kam an einem Bäckerhaus vorbei, da roch gerade so ein guter warmer Dunst heraus, daß es ihn recht bei der Nase hinein zog. Er ließ sich einen Schnaps und keinen kleinen Ranken Brod dazu geben; das hielt dann wieder Leib und Seele auf etliche Stunden zusammen.

Sofort auf seinem Weg probirte er das Loth auf alle Weise, wenn hin und wieder ein Metzger oder sonst ein Mensch bei ihm vorüberkam, und als er nur den Vortheil erst mit Rechts und Links weg hatte, vertrieb er sich die Zeit, sammt seinem Herzensbrast, auf das anmuthigste und beste.

Auf der Höhe der Feldstätter Markung fuhr hinter ihm daher mit einem leeren Wagen und zween starken Ochsen ein Böhringer Bauer. Der Seppe wollte gern ein Stück weit von ihm mit genommen seyn und sprach ihn gar bescheiden und ziemlich darum an; der aber war ein grober Knollfink, that, als hört' er ihn nicht. Ei, denkt mein Schuster: hörest du mich nicht, so hab' mich auch gesehn, und sollst mich dennoch führen! – verschwand wie ein Luftgeist im Rücken des Manns und setzte sich hinten auf's Brett. Da sprach der Bauer mit sich selbst und maulte: Hätt' i viel z'thaun, wenn i dia Kerle äll uflada wött – Hott [109] ane, Scheck! – dia Scheuraburzler do! äll Hunds-Odam lauft oar d'rher. Miar kommt koar über d' Schwell und uf da Waga, miar ett! – Das hörte der Gesell mit großem Ergötzen und hielt sich immer still, gleichwie der Andre auch still ward. Nach einer Weile holt der Böhringer just aus, auf schwäbische Manier die Nas' zu putzen, hielt aber jäh betroffen inn', denn hinter ihm sprach es, als wie aus einem hohlen Faß heraus, die Wort:

Zehn Ochsen und ein Bauer sind zwölf Stück Rindvieh.

Der Bauer, mit offenem Maul, schaut um, schaut über sich gen die Sperlachen, horcht, ruft Oha dem Gespann, steigt ab dem Wagen, guckt unterhalb zwischen die Räder, und da kein Mensch zu sehen war, und auf der Ebene weit und breit kein Baum oder Grube, noch sonst des Orts Gelegenheit darnach gewesen wäre, daß sich ein Mensch verbergen mochte: stand ihm das Haar gen Berg, saß eilends auf und trieb die Thiere streng in Einem Trott, was sie erlaufen mochten, bis vor seinen Ort, denn er vermeinte nicht anders, als der Teufel habe ihm Spitzfündiges aufgegeben, und wenn er den Verstand nicht dazu habe, so gehe es ihm an das Leben. [110]

Der Seppe stieg nicht bälder von dem Wagen als bis der Bauer in seiner Hofrait hielt, dann wandelte er durch's Dorf, unsichtbarlich, und hatte mit diesem Abenteuer, die schöne Kurzweil ungerechnet, wohl eine halbe Meil Weges Profit.

Er kam in's Thal hinunter und auf Urach, er wußte nicht wie.

Vor dem Gasthaus, demselben, wo er im Herweg übernachtet war, stiegen etliche reisende Herren von Adel sammt ihren Knechten gerade zu Roß; er hörte, sie ritten auf Stuttgart. Herrn Eberhards Tochter hatte Hochzeit, als gestern, gehabt mit Graf Rudolph von Hohenberg; auf eben diese Zeit beging ihr Herr Vater, der Graf, seine silberne Hochzeit. Es dauerten die Lustbarkeiten noch drei Tage lang am Hof und in der Stadt, Turnier und andre Spiele. Das hörte der Geselle gern; er dachte, da hat man deiner nicht viel Acht und mögen deine Freunde glauben, du kamst des Lebtags wegen heim. Ihm lüstete nicht sehr darnach, demungeachtet säumte er sich nicht auf seinem Weg, und als er sich um die drei Groschen und etliche Heller, so er aus allen Taschen elendiglich zusammenzwickte, noch einmal wacker satt gegessen und getrunken, so setzt' er seinen Stab gestärkt und muthig [111] weiter. Stets einem flinken Wässerlein, der Erms, nachgehend, befand er sich gar bald vor Metzingen.

Er dachte trutzig und getrost vor Jedermanns Augen den Ort zu passiren, wo er vor einem halben Jahr den Schabernack erlitten, und war auf Schimpf und Glimpf gefaßt, nur wollte er zuvor den zweiten Stiefel noch außen vor dem Ort anthun, damit er doch nicht mit Gewalt den Spott der Gaffer auf sich ziehe. Aber wie er sich dazu anschicken will, kommt ihm ein Anderes dazwischen, das ließ ihm keine Zeit.

Gleich vor dem Flecken, frei auf einem Gutstück, lag eines Schönfärbers Haus; an dessen Einer Seite hingen allerhand Stück Zeug, in Roth, Blau, Gelb und Grün gefärbt, auf Stangen und im Rahmen aufgezogen, davor ein grüner Grasplatz war. Dort nun, doch näher bei der Straße, sah der Seppe, nur einen Steinwurf weit von ihm, das nasenweise Färberlein stehn, das Gesicht nach dem Flecken gekehrt. Das Bürschlein hatte Gähnaffen feil, weil seine Meistersleute nicht daheim, oder paßte es auf eine hübsche Dirne, sah und hörte deshalb weiter nichts.

Wohl bei der Heck', du Laff! sagte der Seppe frohlockend vor sich, indem er risch seitab der Straße sprang: jetzt will ich dir den Plirum geigen! – warf [112] seinen Ranzen links herum, lief eilig zu und stand unsichtbar auf dem Wasen, ein Dutzend Schritte hinter dem Färber. Geschwind besann er sich, was er zuerst beginne, trat an das Lattenwerk, zog wie der Blitz einen trockenen Streif des rothen Zeugs herab und breitete denselben glatt auf's Gras; alsdann stellte er sich in leibhaftiger Gestalt, ohne Willkomm und Gruß, nicht in Gutem noch Bösem, ganz dichte vor den Färber hin. Der, seinen Feind erkennend, macht' ein Gesicht als wie der Esel, wenn er Teig gefressen hat; und plötzlich wollte er auf und davon. Der Schuster aber hatt' ihn schon gefaßt – kein Schraubstock zwängt ein Werkholz fester denn unser Geselle das Büblein hielt bei seinen zween Armstecken. Er hieß ihn stille schweigen, so wolle er ihm aus Barmherzigkeit an seinem Leib nichts thun; nahm ihn sodann gelinde, legt' ihn aufs eine Tuch-End überzwerch, drückt' ihm die Ellenbogen grad am Leib und wergelt' ihn mit Händen geschickt im Tuch hinab, wie man ein Mangholz wälzet, daß er schön glatt gewickelt war bis an das Kinn. Drauf band er ihm ein grünes Band, das er auch von der Latte gezogen, kreuzweis von unten bis hinauf und knüpft's ihm auf der Brust mit einer schönen Schlaufe. Nach allem Diesem aber [113] nahm und trug er ihn, nicht anders als ein Pfätschenkind dahin getragen wird, auf seinen Armen weg (in deren Einem er den Wanderstock am Riemen hangen hatte). Weil er jedoch bei diesem ganzen Vornehmen das Loth links trug und weil der Krackenzahn mehr nicht kann ungesehen machen als das zum Mann gehört, so war es wunderbarlich, ja grausig, fremd und lustig gleichermaßen anzusehn, wie auf der breiten Straße, mitten inne, ein gesunder Knab, wie Milch und Blut, mit schwarzem Kräuselhaar, in Wickelkindsgestalt frei in der Luft herschwebete und schrie.

Das Volk lief zu aus allen Gassen, ein Jedes lacht' und jammerte in Einem Athem, die Weiblein schrien Mirakel und: Hilf Gott! es ist des Färbers Knab, der Vite! Springt ihm denn Keiner bei von Euch Mannsnamen? – Doch Niemand traute sich hinzu.

Da fing der Seppe an, sangweis mit heller Stimme:

 

Scheeraschleifer, wetz, wetz, wetz,

Laß dei' Rädle schnurra!

Stuagart ist a grauße Stadt,

Lauft a Gänsbach dura.

 

Und als das Kind sich ungebärdig stellte, schwang er's und flaigert's hin und her und sang: [114]

 

Färbersbüable, schrei net so,

Mach mer keine Mändla!

D' Büasinger mit zwanzig Johr

Trait mer en de Wendla,

Heisasa! Hopsasa!

Wia de kleine Kendla.

 

Die Leute fanden ihrem Staunen, Schrecken, Dattern und Zagen nicht Worte noch Gebärden mehr. Eins schob und stieß und drängte nur das Andere dem Abenteuer immer nach oder voraus. Bei dem Gemeindhaus aber schwenkte sich der Seppe seitwärts nach dem Kirchplatz unversehens, daß Alles vor ihm schreiend auseinander fuhr.

Dort, mitten auf dem Platz, sah man den Vite sänftlich an die Erde niederkommen. Da lag denn ein seltsamer Täufling, zornheulend, sonder Hilfe, derweil der Schuster flüchtig durch die Menge wischte. Weit draußen vor dem Ort noch hörte er das Lärmen und Brausen der Leute.

Bei Tolfingen am Neckar spürte er anfangen in den Beinen, daß er verwichene Nacht in keinem Bett gewesen, jetzt fünfzehn Stunden Wegs in Einem Strich gemacht, daneben ihn der letzte Possen auch manchen Tropfen Schweiß gekostet haben mag. Der [115] Abend dämmerte schon stark und er hatte noch fünf gute Stunden heim. Bei frischen Kräften hätte er Stuttgart nicht füglich vor Mitternacht können erlaufen, so schachmatt aber, wie er war, und mit vier Pfennigen Zehrgeld im Sack, schien ihm nicht rathsam, es nur zu probiren. Wo aber bleiben über die Nacht und doch kein Scheurenburzler seyn? – Halt, dachte er, dient nicht in der Stadt Nürtingen, nur anderthalb Stund von da, der Kilian aus Münster als Mühlknapp? Das ist die beste Haut von der Welt, der läßt dich nicht auf der Gasse liegen und borgt dir leicht ein Weniges auf den Weg – Jetzt ist lang Tag! – Er that erst einen frischen Trunk in Tolfingen, wo das Wasser nichts kostet, dann kaufte er sich ein Brod für seinen letzten Kreuzer, verzehrt' es ungesäumt und lotterte, indem es finster ward, gemächlich die Straße am Neckar hinauf. Mit der Letzte erschleppt' er sich fast nicht mehr, doch endlich erschienen die Lichter der Stadt und hörte er das große Wuhr ob der Brücke schon rauschen, hart neben welcher jenseits die vielen Werke klapperten.

Der Müller aß eben zu Nacht mit seinen Leuten und Gesind, darunter nur kein Kilian zu sehen war. Man sagte dem Schuster, der sey vor einem Vierteljahr [116] gewandert. Da stand der arme Schlucker mit seinem gottigen Glücksschuh und seinem Stiefel! wußte nicht, was er jetzt machen sollte. Indeß hieß ihn die Müllerin ablegen und mitessen; und nach dem Tischgebet, dieweil der Mann leicht merken mochte, es sey ein ordentlicher Mensch und habe Kummer, bot er ihm an, über Nacht im Wartstüblein, wo die Mahlknechte rasten, auf eine der Pritschen zu liegen. Das ließ er sich nicht zweimal sagen und machte sich alsbald hinunter, ein Jung wies ihm den Weg zwischen sechs Gängen hindurch, die gellten ihm die Ohren im Vorbeigehn nicht schlecht aus. Zwei Stieglein hinunter und eins hinauf, kam er in ein gar wohnliches, vertäfertes Gemach, und streckte sich auf so ein schmales Lager hin. Wie grausam müd er aber war, ein Schlaf kam nicht in seine Augen; Fenster und Boden zitterten in einem fort, es schellte bald da, bald dort, die Knechte tappten aus und ein, und die ganze Nacht brannte das Licht.

Um Eins, da ihn der Oberknecht noch wachen sah, sprach der zu ihm: wenn er auf Nachtruh halte, hier sey er in die unrechte Herberg gerathen, das Schlafen in der Mühle woll' gelernt seyn wie das Psalmenbeten in der Hölle; er soll aufstehn, sie wollten sich [117] selbdritt die Zeit vertreiben mit Trischacken: langte die Karten vom Wandbrett herunter und stellte einen vollen Bierkrug auf den Tisch. Der Seppe wollte nicht, bekannte auch, daß er Gelds ohne sey; allein da hieß es: Schuster! dein Schnappsack hat ein leidlich Gewicht, und Stein' hast du keinswegs darin, wenn aber, so sey uns ein ehrlicher Schuldner. So gab er endlich nach und nahm sein Spiel vor sich. Wetter! wie paßten gleich die Kerl da auf! Was er nur zog und hinwarf, allemal die besten Stiche! Jetzt wurden seine Sinne hell und wach zumal, er dachte, hei da springt ein Wandergeld heraus! Das erste Spiel gewonnen, das zweite deßgleichen. Beim dritten und beim vierten zog er heimlich den Schuh aus unter dem Tisch, daß es nicht merklich würde, und verspielt's damit hintereinander, doch brachte er es vier- und sechsfach wieder ein, und pünktlich machte Einer jedesmal die Striche auf die Tafel, daß man's nachher zusammenrechnen könne. Es war ihm über einen Gulden gut geschrieben, und als den Andern endlich so die Lust verging, war es ihm eben recht und legte er sich noch ein Stündlein nieder. Da fiel der Schlaf auch bald auf ihn als wie ein Maltersack, doch ohne Letzung. Er war mit seinem Geist in Ulm und [118] träumte nur von Gräuel, Gift und peinlichem Gericht. Ein Mahljung, welcher durch das Stüblein lief, vernahm von ungefähr wie er im Schlaf die Worte redete: Für'n Galgen hilft kein Goller und für's Kopfweh kein Kranz! – ging hin und hinterbracht's den Knechten; die kamen Juxes halber und standen um den Schlafenden, sein bitterlich Gesicht bescherzend. Auch nestelten sie ihm den Ranzen auf, aus Fürwitz, was er Schatzwerths darin habe, zogen das schwere Blei heraus und lachten ob des Knaben Einfalt solchermaßen, daß ihnen gleich das Schiedfell hätte platzen mögen. Tropf! sprach der Eine, hast du sonst nichts gestohlen, darum springt dir der Strick nicht nach! – und packten's ihm wieder säuberlich ein.

Als nun der Seppe endlich am lichten Tag erwacht war, gürtete er sich gleich, nahm Hut und Stock und fand die beiden Spielgesellen in der Mühle am Geschäft. Er hätte gern sein Geld gehabt, wenn es auch nur die Hälfte oder ein Drittel seyn sollte. Sie aber lachend, mit Faxen und Zeichen, bedeuteten ihm, sie verstünden nicht über dem Lärm was er wolle und hätten unmöglich der Zeit. Nun sah er wohl, er sey betrogen, kehrte den seellosen Schelmen den Rücken und ging hinauf, dem Müller seinen schuldigen Dank [119] abzustatten. Dort in der Küche gab man ihm noch einen glatt geschmälzten Hirsenbrei; damit im Leibe wohl verwarmt, zog er zum Thor hinaus und über die Brücke, dann rechts Ober-Ensingen zu. Gern hätte er zuvor den Herbergvater in der Stadt um eine Wegspend' angegangen, er traute aber nicht, weil er in Ulm sich keinen Abschied in sein Büchlein hatte schreiben lassen.

Auf dem Berg, wo der Wolfschluger Wald anfangt, sah man damals auf einem freien Platz ein Paar uralte Lindenbäume, ein offen Bethäuslein dabei, sammt etlichen Ruhbänken. Allhie beschaute sich der Seppe noch einmal die ausgestreckte blaue Alb, den Breitenstein, den Teckberg mit der großen Burg der Herzoge, so einer Stadt beinah gleich kam, und Hohen-Neuffen, dessen Fenster er von Weitem hell her blinken sah. Er hielt dafür, in allen deutschen Landen möge wohl Herrlicheres nicht viel zu finden seyn, als dieß Gebirg, zur Sommerszeit, und diese weit gesegnete Gegend. Uns hat an dem Gesellen wohl gefallen, daß er bei aller Uebelfahrt und Kümmerniß noch solcher Augenweide pflegen mochte.

Von ungefähr, als er sich wandte, fand er auf einem von den Ruhebänken ein Verslein mit Kreide [120] geschrieben, das konnte er nicht sonder Müh entziffern, denn sichtlich stand es nicht seit jüngst, und Schnee und Regen waren darüber ergangen. Es hieß:

 

Ich habe Kreuz und Leiden,

Das schreib' ich mit der Kreiden,

Und wer kein Kreuz und Leiden hat,

Der wische meinen Reimen ab.

 

Der Seppe ruhte lang mit starren Blicken auf der Schrift, er dachte: Dem, welcher dieß geschrieben, war der Muth so weit herunter als wie dir, kann seyn noch weiter – tröst' ihn Gott! – Nachdenksam kehrte er sich zur Kapelle, legte Ranzen, Hut und Stock, wie sich gebührte, haußen ab und ging, seine Andacht zu halten, hinein; nach deren Verrichtung er sich bei den Namen und Sprüchen verweilte, so von allerhand Volk, von frommen Pilgrimen und müßigen Betern, an den Wänden umher mit Rothstein oder mit dem Messer angeschrieben waren. In einem Eck ganz hinten stund zu lesen dieser Reim:

 

Bitt, Wandrer, für mich,

So bittst du für dich.

Mit Schmerzen ich büße,

In Thränen ich fließe.

Das Erbe der Armen,

Das heißet Erbarmen. [121]

 

Recht wie ein Blitzstrahl zückten die Worte in ihn, und war ihm eben, als flehet' es ihn aus den Zeilen an mit gerungenen Händen um seine Fürbitte, als eine letzte Gutthat an der Frau, so ihrer vor allen den lebenden Menschen bedürfe. Seit jener Stunde, wo er sich im Stillen von ihr schied, war ihm noch kein Bedenken oder Sorge angekommen um das verderbte und verlorene Weib; nun aber fiel das treue Schwabenherz gleich williglich auf seine Knie, vergab an seinem Theil und wünschte redlich, Gott möge ihren bösen Sinn zur Buße kehren und ihr dereinstens gnädig seyn; für sich insonderheit bat er, Gott wolle seiner schonen und ihn kein blutig Ende an ihr erleben lassen. Hierauf erhob er sich, die Augen mit dem Ermel wischend, und setzte seine Reise fort.