BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1787

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

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Die Bücher der Zeiten

 

Herr! Herr!

Unterwunden hab' ich mich,

Zu singen dir

Bebenden Lobgesang.

 

Dort oben

In all der Himmel höchstem Himmel,

Hoch über dem Siriusstern,

Hoch über Uranus Scheitel,

 

Wo von Anbeginn

Wandelte der heilige Seraph

Mit feirender, erbebender Anbetung

Ums Heiligtum des Unnenbaren.

 

Da steht im Heiligtum ein Buch

Und im Buche geschrieben

All die Millionenreihen

Menschentage –

 

Da steht geschrieben –

Länderverwüstung und Völkerverheerung,

Und feindliches Kriegergemezel,

Und würgende Könige –

Mit Ross' und Wagen,

Und Reuter und Waffen,

Und Scepter um sich her;

Und giftge Tyrannen,

Mit grimmigem Stachel,

Tief in der Unschuld Herz.

Und schrökliche Fluthen

Verschlingend die Frommen,

Verschlingend die Sünder,

Zerreißend die Häuser

Der Frommen, der Sünder.

Und fressende Feuer –

Palläste und Thürme

Mit ehernen Thoren,

Gigantischen Mauern

Zernichtend im Augenblik.

Geöfnete Erden

Mit schwefelndem Rachen

Ins rauchende Dunkel

Den Vater, die Kinder,

Die Mutter, den Säugling,

In Wehegeröchel

Und Sterbegewinsel

Hinuntergurgelnd –.

 

Da steht geschrieben

Vatermord! Brudermord!

Säuglinge blaugewürgt!

Greulich! Greulich!

Um ein Linsengericht

Därmzerfressendes Gift

Dem guten, sicheren Freund gemischt –.

Hohlaugigte Krüppel

Ihrer Onansschande

Teuflische Opfer –.

Kannibalen

Von Menschenbraten gemästet-

Nagend an Menschengebein,

Aus Menschenschädel saufend

Rauchendes Menschenblut.

Wütendes Schmerzgeschrei

Der Geschlachteten über dem

Bauchzerschlizenden Messer.

Des Feindes Jauchzen

Über dem Wohlgeruch,

Welcher warm dampft

Aus dem Eingeweid –.

 

Da steht geschrieben-

Die Verzweiflung schwarz

Am Strik um Mitternacht

Noch im quälenden Lebenskampf

Die Seel – am höllenahnenden Augenblik.

 

Da steht geschrieben-

Der Vater verlassend

Weib und Kind im Hunger,

Zustürzend im Taumel

Dem lokenden süßlichen Lasterarm –.

Im Staub das Verdienst

Zurük von der Ehre

Ins Elend gestoßen

Vom Betrüger-

Im Lumpengewand

Einher der Wanderer

Bettelnahrung zu suchen

Dem zerstümmelten Gliederbau.

 

Da steht geschrieben

Des heitern, rosigen Mädchens

Grabenaher Fieberkampf;

Der Mutter Händeringen,

Des donnergerührten Jünglings

Wilde stume Betäubung.

(Eine Pause im Gefühl.)

 

Furchtbarer, Furchtbarer!

Das all, all im Buche geschrieben

Furchtbarer, Furchtbarer!

 

Ha die Greuel des Erdgeschlechts!

Richter! Richter!

Warum vertilgt mit dem Flammenschwerdt

All die Greuel von der Erde

Der Todesengel nicht?

 

Gerechter sieh die Gerichte

Treffen den Frommen den Sünder

Die Fluthen die Feuer

Die Erdegerichte all'.

 

Aber sieh ich schweige-

Das sei dir Lobgesang!

Du, der du lenkst

Mit weiser weiser Allmachtshand

Das bunte Zeitengewimmel.

(Wieder eine Pause)

 

Hallelujah, Hallelujah,

Der da denkt

Das bunte Zeitengewimmel

Ist Liebe!!!

Hörs Himmel und Erde!

Unbegreiflich Liebe!

 

Es steht im Heiligtum ein Buch

Und im Buche geschrieben

All die Millionenreihen

Menschentage –

 

Da steht geschrieben

Jesus Christus Creuzestod!

Des Sohnes Gottes Creuzestod!

Des Lamms auf dem Throne Creuzestod!

Seelig zu machen alle Welt,

Engelswonne zu geben

Seinen Glaubigen –.

Der Seraphim, Cherubim

Staunende Still

Weit in den Himmelsgefilden umher –

Des Harfenklangs Verstummen,

Kaum athmend der Strom ums Heiligtum.

Anbetung – Anbetung –

Über des Sohnes Werk

Welcher erlößt

Ein gefallen Greuelgeschlecht.

 

Da steht geschrieben –

Der gestorben ist,

Jesus Christus,

Abschüttelnd im Felsen den Tod!

Heraus in der Gotteskraft Allgewalt!

Und lebend – lebend –

Zu ruffen dereinst dem Staub;

Kommet wieder, Menschenkinder!

Jezt tönt die Posaun'

Ins unabsehliche Menschengewimmel

Zum Richtstuhl hinan! Zum Richtstuhl!

Zum Lohn, der aufstellt

Der Gerechtigkeit Gleichgewicht!

 

Jammerst du jezt noch, Frommer?

Unter der Menschheit Druk?

Und, Spötter, spottest du

In tanzenden Freuden

Noch des furchtbarn Richtstuhls?

 

Da steht geschrieben –

Menschliches Riesenwerk

Statlich einherzugehn

Auf Meerestiefen!

Oceanswanderer! Stürmebezwinger!

Schnell mit der Winde Frohn

Niegesehene Meere

Ferne von Menschen und Land

Mit stolzen brausenden Seegeln

Und schaurlichen Masten durchkreuzend.

Leviathanserleger

Lachend des Eisgebürgs

Weltenentdeker

Niegedacht von Anbeginn.

 

Da steht geschrieben –

Völkerseegen,

Brods die Fülle,

Lustgefilde

Überall –

Allweit Freude

Niederströmend

Von der guten

Fürstenhand.