Friedrich Hölderlin
1770 - 1843
Gedichtein chronologischer Folge
1785
Textgrundlage:Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte bis 1800Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946
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Das menschliche Leben
Menschen, Menschen! was ist euer Leben,Eure Welt, die tränenvolle Welt,Dieser Schauplaz, kann er Freuden geben,Wo sich Trauern nicht dazu gesellt?O! die Schatten, welche euch umschweben,Die sind euer Freudenleben.
Tränen, fließt! o fließet, Mitleidstränen,Taumel, Reue, Tugend, Spott der Welt,Wiederkehr zu ihr, ein neues Sehnen,Banges Seufzen, das die Leiden zählt,Sind der armen Sterblichen Begleiter,O, nur allzu wenig heiter!
Banger Schauer faßt die trübe Seele,Wenn sie jene Thorenfreuden sieht,Welt, Verführung, manches Guten Hölle,Flieht von mir, auf ewig immer flieht!Ja gewiß, schon manche gute Seele hat, betrogen,Euer tödtend Gifft gesogen.
Wann der Sünde dann ihr Urtheil tönet,Des Gewissens Schrekensreu sie lehrt,Wie die Lasterbahn ihr Ende krönet,Schmerz, der ihr Gebein versehrt!Dann sieht das verirrte Herz zurüke;Reue schluchzen seine Blike.
Und die Tugend bietet ihre FreudenGerne Mitleid lächelnd an,Doch die Welt - bald streut sie ihre LeidenAuch auf die zufrieden heitre Bahn:Weil sie dem, der Tugendfreuden kennet,Sein zufrieden Herz nicht gönnet.
Tausend mißgunstvolle LästerungenSucht sie dann, daß ihr die Tugend gleicht;Beißend spotten dann des Neides Zungen,Bis die arme Unschuld ihnen weicht;Kaum verflossen etlich Freudentage,Sieh, so sinkt der Tugend Waage.
Etlich' Kämpfe - Tugend und Gewissen -Nur noch schwach bewegen sie das Herz,Wieder umgefallen! - und es fließenNeue Tränen, neuer Schmerz!O du Sünde, Dolch der edlen Seelen,Muß denn jede dich erwählen?
Schwachheit, nur noch etlich' Augenblike,So entfliehst du, und dann göttlich schön,Wird der Geist verklärt, ein bess'res GlükeWird dann glänzender mein Auge sehn;Bald umgiebt dich, unvollkommne Hülle,Dunkle Nacht, des Grabes Stille. |