BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Hölderlin

1770 - 1843

 

Gedichte

in chronologischer Folge

 

1800

 

Textgrundlage:

Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 1, Gedichte vor 1800

Hrsg. von Friedrich Beißner, Stuttgart: Cotta, 1946

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

An eine Fürstin von Dessau

 

Aus stillem Hauße senden die Götter oft

Auf kurze Zeit zu Fremden die Lieblinge

Damit, erinnert, sich am edlen

Bilde der Sterblichen Herz erfreue.

 

So kommst du aus Luisiums Hainen auch

Aus heiliger Schwelle dort, wo geräuschlos rings

Die Lüfte sind und friedlich um dein

Dach die geselligen Bäume spielen,

 

Aus deines Tempels Freuden, o Priesterin!

Zu uns, wenn schon die Wolke das Haupt uns beugt

Und längst ein göttlich Ungewitter

Über dem Haupt uns wandelt.

 

O theuer warst du, Priesterin! da du dort

Im Stillen göttlich Feuer behütetest,

Doch theurer heute, da du Zeiten

Unter den Zeitlichen seegnend feierst.

 

Denn wo die Reinen wandeln, vernehmlicher

Ist da der Geist, und offen und heiter blühn

Des Lebens dämmernde Gestalten

Da, wo ein sicheres Licht erscheinet.

 

Und wie auf dunkler Wolke der schweigende

Der schöne Bogen blühet, ein Zeichen ist

Er künftger Zeit, ein Angedenken

Seeliger Tage, die einst gewesen,

 

So ist dein Leben, heilige Fremdlingin!

Wenn du Vergangnes über Italiens

Zerbrochnen Säulen, wenn du neues

Grünen aus stürmischer Zeit betrachtest.