BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emma Herwegh

1817 - 1904

 

Zur Geschichte der deutschen

demokratischen Legion aus Paris

 

1849

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

[Flucht von

Emma und Georg Herwegh

in die Schweiz.]

 

Eben, als wir das Feld verließen, sprang ein Bauer auf uns zu. Im ersten Augenblick glaubten wir uns verraten, aber er kam uns freundlich näher, und bot uns ein Obdach in seinem Hause an. Wir folgten ihm so schnell, als nur irgend möglich, aber mich trugen meine Füße kaum, und als wir seine Wohnung erreicht, sanken mir fast die Kniee zusammen. Sein Weib und seine Tochter empfingen uns schon auf der Schwelle, und Jedes sann nach, wie uns am besten zu helfen wäre. Folgt mir auf den Boden, sagte endlich der Bauer, – dessen Namen ich verschweige, um ihn als Dank für diesen unvergeßlichen Dienst, nicht der Gefahr preis zu geben – und wechselt schnell Eure Kleider, und wenn das geschehen, schicke ich Euch Beide in's Feld arbeiten, bis der Abend kommt und bessern Rat schafft. Der Mann holte für Herwegh, die Frau für mich alte Bauerkleider, und so wollten wir grade die unsern abstreifen, als wir aus der Ferne Pferdegetrappel hörten. Das sind die Würtemberger, schrie unser Wirt, wenn die Euch hier finden, sind wir Alle verloren. Bleibt indess ruhig hier, ich will hinuntersteigen, und wenn Ihr mich mit vielem Lärme die Treppe herauf kommen, und an der Bodenthür schließen hört, so nehmt es als Zeichen, daß sie mir folgen, und sucht Euch schnell hinter die Fässer, oder sonst wo zu verbergen.

Die Uhlanen sprangen heran, umzingelten das Haus und riefen dem Bauer, der sie auf der Schwelle der Wohnung empfing, zu: "Wenn Ihr den Herwegh und sein verfluchtes Weib, daß ihm in Manneskleidern folgt, bei Euch versteckt, und wir finden sie, so werden sie auf der Stelle massakrirt, und Euch zünden wir das Haus über dem Kopfe an."

Eine herrliche Aussicht für uns, die wir jedes Wort hörten. Geräuschlos und schnell suchen wir uns hinter einigen Fässern, die in einem finstern Winkel aufgethürmt lagen, zu verschanzen, da zerbricht Herwegh im kritischen Moment, wo nur die lautloseste Stille uns Sicherheit bieten konnte, mit fürchterlichem Lärmen den Boden eines kleinen Fasses das vorgeschoben lag, und er übersehn hatte, und wir geraten Beide trotz der verzweifelten Lage, in solches Lachen, daß ich noch heut nicht begreife, wie uns das nicht den Hals gekostet. (Ich empfehle diese Scene den fliegenden Blättern!) Jetzt fing das Examen an, aber unser Bauer läugnet standhaft, und protestirt so energisch gegen den Verdacht, als werde er sich dazu hergeben Rebellen zu retten, daß die Soldaten gläubig weiter reiten, und ihm nur noch zurufen: Wir kommen bald zurück, werden uns dann einquartiren, und Haussuchung bei Euch halten. Durch diesen Aufschub gewannen wir die nötige Zeit zu uns'rer Rettung. Herwegh ließ sich, um ganz unkenntlich zu werden, den Bart scheeren, und zog alte Bauernkleider an, ich fuhr ebenfalls in ein Paar abgetrag'ne, zerrissene Lumpen hinein, und so erreichten wir – Jeder eine Mistgabel auf der Schulter glücklich das Feld.

Drei volle Stunden arbeiteten wir dort, – Herwegh am einen, ich am andern Ende des Ackers. – Während dessen nahm das Schießen im fernen Wald kein Ende. Es galt den Fliehenden, die statt sich in großer Anzahl, und bewaffnet zu retten, in kleinen Rotten, zu zweien, dreien flüchteten, sich stundenlang unter dem Laub versteckt hielten, dann wieder plötzlich von den Soldaten aufgescheucht, weiter gehetzt wurden. – Uns war's, als solle uns das Herz zerspringen, und doch war uns're Lage nicht besser, nicht sich'rer als die der Andern. Bei jedem Büchsenschuß fuhren wir auf, und sahen uns schweigend an. Sprechen durften wir nicht miteinander, um bei den Bauersleuten der benachbarten Aecker nicht Verdacht zu erregen, oder die Augen der Cavallerie auf uns zu zieh'n, die während des ganzen Nachmittags immer durch die Felder, und dicht an uns vorbei sprengte, um wie der würtembergische General B...... später einem uns'rer gefangnen Freunde sagte: "die verfluchte Bestie, den Herwegh aufzufinden." Die Freude sollte ihnen aber nicht werden. Nach Sonnenuntergang als die Bauern heimzogen, und es still um uns her wurde, trug uns unser guter Wirt Wein und Brod auf's Feld, hieß uns die Hauptstraße nach Rheinfelden zu langsam ihm folgen, die er mit einem leeren Wagen mit zwei Ochsen bespannt schnell voranfuhr.

Kaum hatten wir die Schwelle seines Hauses verlassen, als die verheißene Einquartirung wirklich angerückt war. Mit Entsetzen erzählte uns der Bauer, wie die Würtemberger nicht den kleinsten Winkel undurchsucht gelassen, und selbst jedes Faß mit ihren Bajonetten durchstochen hätten. Was wär' aus Euch geworden, und aus uns, fügte er hinzu, wenn Sie Euch dort gefunden? Darauf verließ er uns, und eine halbe Stunde später kam er uns mit seinem Wagen, und in Begleitung eines andern Mannes (den ich ebenfalls nicht nennen will) entgegen, der uns an dem Würtembergischen Posten auf der Rheinfelderbrücke vorbei führen sollte. Hätte man uns dort angehalten, so würde er uns für seine Taglöhner ausgegeben haben. Aber die Schwaben merkten Nichts, obschon wir ihnen mit unsern Heugabeln dicht an der Nase vorbeizogen, und so erreichten wir glücklich das Schweizergebiet, auf dem eine große Zahl der unsern schon viele Stunden vor uns ein sich'res Asyl gefunden. hatten.

Mehrere waren bei Hüningen, andere auf Schiffen herübergekom­men, wobei sich die würtembergischen Soldaten noch nichtswürdig genug benommen hatten. Als das letzte Boot nämlich mit etwa zwölf Flüchtigen das freie Ufer glücklich erreicht hatten, und die Mannschaft schon ausgestiegen war, entdeckten die Soldaten die ihnen entgangene Beute. Und was thaten sie? Nach ächter Heldenart drückten sie, noch eh' eine Sekunde verstrich, ihre scharfgeladenen Büchsen auf die unbewaffnete Schaar ab, und ruhten nicht eher, bis wenigstens Einer getroffen zu Boden sank. Glücklicherweise hatte die Kugel ihm nur den Schenkel gestreift, so daß er nach einigen Wochen wieder geheilt war. Wie steigerte sich ihre Wut als sie wenige Tage später unsern Aufenthalt ausgekundschaftet hatten, erfahren mussten, daß ihnen der kostbarste Fang (denn 4000 Fl. sind für einen schwäbischen Soldaten eine Welt) so unwiderbringlich entgangen war. Um kein Mittel unversucht zu lassen, schickten sie einen der Offiziere nach Rheinfelden ab, um durch Bestechung zu erlangen, was ihrem Verstand nicht geglückt war, – aber unser Wirt war ein guter Schweizer, der sich trotz der 2000 Fl. die man ihm bot, wenn er sich dazu verstehen wolle, Herwegh und seine Frau bei Nacht hinüberschaffen zu helfen – zu keinem Schurkenstreich gebrauchen ließ. Mit Entrüstung wies er das Anerbieten des Offiziers zurück, und dem Herrn selbst die Thür, der ihm im Fortgehen noch zurief: Hätten wir Herwegh gefangen, so wäre er ohne Verhör füsilirt worden, und die Frau zeitlebens an Ketten gekommen!!!

Ich will mich hier aller weitern Betrachtungen enthalten, aber wissen möchte ich wol, wer besagtem Offizier diese außerordentliche Vollmacht erteilt! Uebrigens wiederholten sich dergleichen Vorschläge, Herwegh gegen irgend eine bald größere, bald kleinere Summe auszuliefern, während der letzten Tage unseres Aufenthalts so häufig, daß unser Wirt selbst ängstlich und in der Meinung, vielleicht nicht genügend Sicherheit bieten zu können, Herwegh riet, diesen Ort zu verlassen, an den uns ohnehin Nichts mehr fesselte.

 

Für die Flüchtlinge war nach Kräften gesorgt, – an ein gemeinsames Wirken im Moment war nicht zu denken, und so kehrten wir nach Frankreich zurück. –

Möchte dies Exil kein langes sein!