Emma Herwegh
1817 - 1904
Zur Geschichte der deutschendemokratischen Legion aus Paris
1849
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[Niederlage gegen dieWürttenbergischen Truppenbei Dossenbach.]
Grade oberhalb Dossenbach liegt ein schöner Laubwald, den wir passiren mussten. Wir stiegen den Pfad hinan, aber je mehr wir uns dem Gehölz näherten, desto stiller wurde die Mannschaft. Es lag wie ein Gewitter auf Allen, und ich erinnere mich, daß ein junger Mann, kurz vor dem Gefecht, an meinen Wagen trat und mir halblaut zuflüsterte: Frau Herwegh, ich glaube wir können heut der deutschen Republik ein Requiem singen?“ Den Eingang des Waldes bildet ein großer, freier Platz, auf diesem hatten sich die verschiedenen Corps zum Frühstück gelagert, und etwa 40 Schritt davon in einem schmalen Seitenweg ließ ich meinen Wagen halten. – Plötzlich wird auf uns're Vorposten geschossen, ohne irgend einen Versuch zu parlamentiren, wie dies bisher den andern Freicorps gegenüber nie versäumt worden war, und worauf Herwegh in diesem Falle sicher eingegangen wäre, weil ihm bei der schlechten, mangelhaften Bewaffnung, *) und gänzlichen Erschöpfung der Mannschaft Alles daran gelegen sein musste, ein isolirtes Gefecht zu vermeiden. Im selben Moment springt auch schon ein Bote athemlos zu Herwegh, der in der Nähe meines Wagens stand, um ihm zu melden, daß der Offizier uns'res ersten Vorpostens, Muschacke, bereits tödlich verwundet ist. Bei dieser Nachricht erhebt sich die ganze Legion wie ein Mann. Wer denkt an Hunger, wer an Schlaf! wie rasend schlägt unser Tambour (ein Franzose) den Wirbel, und mit dem einstimmigen Schrei: Aux armes! aux armes! stürzen Alle zum Wald hinaus, dem Feind entgegen, der am Abhang des Hügels hinter Steinhausen verschanzt lag. (Es war die erste Compagnie des 6ten Würtembergischen Regiments, welche unter der Führung des Capitain Lipp, diesen heimtückischen Ausfall gemacht hatte, – dieselbe, welche vor Kurzem Hecker ein Lebehoch gebracht – und der eine halbe Compagnie Infanterie, eine große Anzahl Uhlanen und Artillerie zur Verstärkung auf dem Fuße folgte.)Von irgend einem militairischen Commando war in diesem Augenblick, dem einzigen, während des ganzen Zuges, wo es unentbehrlich gewesen wäre, keine Rede. Der General hatte den Kopf verloren, und sah aus der Ferne gelassen mit an, daß die Unsern sich dem Feind in die Arme warfen, statt ihn in den Wald zu locken, wo das Ganze auf ein Tirailleurgefecht hinausgelaufen wäre, in dem wir durch die bessere Stelxlung begünstigt, alle Vorteile gehabt hätten. Auf diese Weise hingegen entspann sich kein geregelter Kampf, sondern ein großes Duell.Die Sensenmänner, angeführt von Reinhardt Schimmelpenning, einem wackeren jungen Offizier, gingen zuerst in's Feuer und schlugen sich mit beispiellosem Mut. Beim Anblick der Sensen, wichen die würtembergischen Söldlinge entsetzt zurück. Schimmelpenning verfolgt sie mit seinem Bataillon fast bis in's Thal – eine Kugel trifft ihm den Leib – dennoch rafft er sich auf, streckt zwei Soldaten nieder, haut dem Capitain Lipp vier Finger der rechten Hand durch und stürzt, nachdem er sich wie ein Löwe verteidigt, von mehreren Bajonettstichen getroffen entseelt zu Boden.Mit dem Verlust des Führers steigert sich der Mut jedes Einzelnen aus seiner Mannschaft bis zur Verzweiflung. Sie wollen den geliebten Todten würdig rächen und stürzen immer weiter den Hügel hinab, dem Feind nach. Schon fliehen die Soldaten. Da heißt's: Sensenmänner zurück, 1tes und 2tes Schützenbataillon voran. Kaum hört Herwegh diesen Befehl, als er ohne einen Augenblick zu verlieren, alles was nur an Pulver und Kugeln vorhanden, vom Bagagewagen abpacken und den Kämpfenden zutragen läßt.Bornstedt seinerseits, stellt sich, als er beide Bataillons ohne Chefs sieht, selbst an ihre Spitze und führt sie in's Feuer. Der Kampf wird von Sekunde zu Sekunde erbitterter, der Tambour schlägt immer wilder die Trommel, die Republikaner zielen meisterhaft, aber was hilfts – bald ist die letzte Patrone verschossen. Einige Schützen, welche nicht wissen, daß ihnen Herwegh bereits aus freiem Antrieb sämmtlichen Vorrat zugesandt hat, verlassen die Reihen, um sich selbst ihre Munition zu holen. Dies Entfernen, nehmen die Uebrigen für ein Signal zum allgemeinen Aufbruch und folgen nach, so löst sich das Gefecht eben so grundlos als es überhaupt angefangen, indem, sich beide Theile zurückziehen. Die Unsern mit Verlust von 8, die Württemberger (nach der vertrauten Mitteilung des badischen Untersuchungsrichters an einem unserer Gefangenen), mit dem von 40 Todten..Ob und wie viel aus der Legion später auf der Flucht von Feindeskugeln getroffen sind, – weiß ich nicht; habe aber bis heute noch keinen einzigen Todesfall constatiren hören.Jetzt, nachdem Alles vorüber, springt Delaporte mit einem Theil seines Bataillons auf Herwegh zu, beschwört ihn, sich schleunigst zu retten, da die Württemberger schon von allen Seiten nach ihm spähen, und einen Preis von 4000 fl. auf seinen Kopf gesetzt haben. Zu gleicher Zeit eilen auch noch Andere herbei, uns ihre Bedeckung anzubieten. Nur mit größter Mühe gelingt es Herwegh, sie zurückzuhalten. Er weiß, daß Jeder, der sich uns anschließt, der Gefahr doppelt ausgesetzt ist, und lehnt deshalb dankend, aber entschieden jedes Geleit ab.Denkt an Euch, liebe Freunde, und lasst uns allein. Glückt unsere Rettung, so findet Ihr mich in Rheinfelden wieder. Mit diesen Worten drückt er ihnen die Hand, und sagt ihnen Lebewohl.Dieser Ausdruck wahrer, ungeheuchelter Sympathie für Herwegh, hatte mich in diesem Moment wirklicher Gefahr um so freudiger überrascht, um so tiefer ergriffen, weil er eben ein ganz spontaner war, frei wie derjenige, dem er galt. Herwegh hatte bei Allem, was er gethan, nie einen persönlichen Zweck, nie etwas Anderes, als das eine, große Ziel: die Freiheit Aller vor Augen gehabt, und diesem sich zu nähern, sorglos seinen Weg verfolgt, unbekümmert um das Lob oder den Tadel, der ihn treffen könnte. Er hatte um die Gunst der demokratischen Legion eben so wenig, als um irgend eine and're gebuhlt und durfte die Liebe, die man ihm zollte, als ein freies Geschenk hinnehmen, das dem Geber ebenso zur Ehre gereicht, als dem, der es empfing.Nach beendigtem Kampf fing die Jagd an, – Herwegh war das Hochwild, auf das man den Preis gesetzt, und wir ahnten damals weder die Gefahr, in der wir uns wenige Minuten nach der Flucht befanden, noch die Nähe des Freundes, dem allein wir unsre Rettung zu danken hatten. Dieser treue Beschützer war Delaporte, besorgt um Herwegh, hatte er uns keinen Augenblick aus den Augen verloren, und war uns, ohne daß wir es ahnten, mit 35 Mann Bedeckung aus seinem Bataillon in einiger Entfernung gefolgt.Während wir uns Thalwärts durch Büsche und Gestrüpp mühsam den Weg bahnen, hört er plötzlich, daß ein würtembergischer Offizier zweien Soldaten zuruft: Holt mir doch die beiden fein gekleideten Herrn herauf,“ aber im selben Moment ist auch schon Delaporte mit den Seinen an uns'rer Seite. Um's Himmels Willen, eilen Sie sich, und gehn Sie immer grad' aus über das Gebirg, so weit sie nur kommen können, aber schnell! – das war das Einzige was er uns sagte.Als der schwäbische Feldherr mit seinen Soldaten anrückte, bekam er mit Delaporte und den Seinen so viel zu schaffen, daß ihm der Hauptfang darüber entging, und wir die nöthige Zeit gewannen, uns zu retten. – So liefen wir während mehrerer Stunden bergauf, bergab, fortwährend verfolgt, bis wir endlich das kleine Dorf K[arsau] erreichten, das 3/4 Stunden von Rheinfelden gelegen. – Viele der Unsern hatten dieselbe Richtung eingeschlagen wie wir, und kamen mit uns zugleich in K. an. Auf diejenigen, welche man nicht mit der Hand erreichen konnte, hatte man fortwährend abgefeuert, es war eben die vollständige Hetzjagd. Wir klopfen an die erste Bauernhütte, und flehen um ein Asyl, sei es auch noch so schlecht. Wenn Ihr ein Schälchen Café wollt, war die Antwort, das können wir Euch geben, denn Ihr seid gewiß durstig, aber beherbergen können wir Euch nicht, Ihr müßt halt ins Saatfeld gehen.Schöner Trost! Während wir wol eine halbe Stunde mitten im Korn versteckt liegen, sprengt ein Escadron Uhlanen nach dem andern, immer dicht am Acker vorbei, um Herwegh ausfindig zu machen. Wenn wir ihn finden, soll's ihm schlecht gehen, an dem andern Lumpenpack ist uns nichts gelegen“, so fluchten diese rohen Schwaben vor sich hin. Nach einer Weile wird es still. Ich hebe den Kopf aus dem Korn, um die nächste Umgebung zu recognosciren, und um zu sehen, ob wir ohne Gefahr weiter wandern können, – aber vor uns lag Nichts als eine weite, heiße Ebne, so recht behaglich, und von allen Seiten von der Sonne beschienen, und eh' wir die passirt und das ferne Gebirg erreicht hatten, konnten wir tausendmal in die Hände uns'rer Feinde fallen. Wagen wir's dennoch, rief ich endlich Herwegh, sicher sind wir ja hier eben so wenig als irgendwo, und so weit ich sehn kann, ist nirgend ein Soldat.
―――――――― *) Man bedenke, daß von 650 Mann, denn die Uebrigen waren in Zell, oder auf dem Nachtmarsch zurückgeblieben, nur 250 Büchsen hatten, von denen jedoch nur die Hälfte zu gebrauchen war, die Andern hingegen nur knallten. Daß jeder Mann höchstens 4 Patronen besaß, von denen noch ein großer Theil durch den Regen untauglich geworden, die Soldaten hingegen sämmtlich Spezialgewehre und 50 bis 60 Patronen hatten. Daß 150 der Unsrigen als einzige Waffe Sensen oder Picken, und die Uebrigen gar nur Säbel oder Pistolen besaßen. |