BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Emma Herwegh

1817 - 1904

 

Zur Geschichte der deutschen

demokratischen Legion aus Paris

 

1849

 

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[Nachwort.]

 

Hiermit schließe ich meinen Bericht.

Der Leser mag entschuldigen, wenn ich seine Aufmerksamkeit und Geduld so lange in Anspruch genommen habe. Ich durfte jedoch keine, selbst die scheinbar geringfügigste Einzelheit übergehen, ohne mich nicht zugleich von dem Ziel zu entfernen, das ich mir, wie ich dies be­reits im Vorwort ausgesprochen, gesteckt hatte: das größere Publikum über die wahren Intentionen der deutschen, demokratischen Legion zu unterrichten, und den Verläumdungen, zu deren Hauptzielscheibe sich deutsche Patrioten Herwegh ausersehen, durch die ungeschminkte Wahrheit, als die einzig würdige, einzig vernichtende Waffe entgegen­zusetzen.

Für seine Freunde, für Alle, die ihn nur Einmal recht erkannt, bedurfte es keiner Ehrenerklärung, keines schriftlichen Dokuments. Sein ganzes früheres Leben war ihnen der schlagendste Beweis, für die Niederträchtigkeit seiner Ankläger, obschon ich es nicht verhehle, daß es mir ihrer selbst wegen lieb gewesen wäre, wenn Einer oder der Andere sich berufen gefühlt hätte, laut auszusprechen, wovon er innerlich – ich weiß es – unerschütterlich überzeugt geblieben.

Für die sogenannten Freunde, – zu denen ich alle Diejenigen rechne, die, wenn auch leicht zu überreden, Herwegh dennoch lieber in der öffentlichen Meinung steigen als fallen sähen hätten, weil sie mehr schwach als schlecht, mehr beschränkt als boshaft waren, – hätte auch ein weniger detaillirter Bericht genügt, damit war meine Aufgabe aber noch keineswegs gelöst. –

Ich konnte mich erst dann zufrieden stellen, wenn es mir gelungen war, dieser würdigen Schaar liberaler und conservativer freiwilliger und bezahlter Schurken, die sich an jede reine, edle Natur wie Vampyre beharrlich festklammern bis sie ihr den letzten Lebenstropfen ausgesogen und ihr das Opfer lebendig und unversehrt entrissen haben.

Hiezu bedurft es nur einer einfachen, treuen Erzählung des Erlebten, und die bis in die kleinsten Details geben zu können, war Niemand befähigter als ich; die Herwegh vom Anfang bis zum Schluß der Expedition keinen Augenblick aus den Augen verloren und Zeuge jedes Wortes gewesen war, das er gesprochen hatte.

Sehr gut möglich, daß die Aussage dieses oder jenes Gefangenen in einzelnen Punkten von der meinigen abweichen wird. Nicht jeder Mensch kann wahr sein. Manchem versagt das Gedächtniß den Dienst, Andern wieder spielt die Eitelkeit einen Streich und diejenigen, die während ihres ganzen Lebens mit Allem Industrie getrieben, werden ihr bisheriges Handwerk auch jetzt nicht verläugnen können und sich nicht scheuen, selbst ihr Martyrerthum auf Kosten derer auszubeuten, die nur den glücklicheren Zufall ein besseres Loos verdanken.

An reudigen Schaafen hat es, davon bin ich nachträglich mehr als je überzeugt, auch in unserer Schaar nicht gefehlt, eben so wenig an solchen, die zu gleicher Zeit den doppelten Lohn eines Kämpfers für und gegen die Freiheit bezogen haben. Wie wäre sonst nämlich ohne den Verrat im eigenen Lager das plötzliche Verschwinden mehrerer Chefs wenige Stunden vor dem Gefecht zu erklären, wie der 10stündige Marsch für drei Stunden Wegs, und wie endlich die Annahme des Kampfes selbst, die bei einem ordentlichen, militairischen Commando so leicht hätte vermieden werden können?

Aber dieser Kampf bei Dossenbach, den ich, wie ich die Sachen heu­te kenne, für einen im Plan der Intrigue durch Verrat herbeigeführten ansehe, mußte sein, wenn nicht jede Handhabe zu irgend einer Verdächtigung Herweghs wegfallen sollte, jede Gelegenheit, ihn entweder physisch oder moralisch zu tödten. Wäre ihm die Flucht auf neutrales Gebiet geglückt, die, scheuen wir uns nicht, das Kind beim Namen zu nennen, nicht erst nach dem Gefecht bei Niederdossenbach, sondern bereits anderthalb Tage zuvor anfing, als der einzige ehrenvolle Ausweg, der uns nach der Nachricht von der Niederlage unserer Freunde vor Freiburg übrig blieb, was hätte man Herwegh dann vorwerfen können? Vielleicht daß er weder eitel, noch wahnsinnig genug gewesen, sich einzubilden, mit einer schlechtbewaffneten Schaar von 650 Mann, die Republik in Baden gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen zu können, nachdem alle andern Freicorps bereits geschlagen waren. Oder, daß er einen ehrenvollen Rückzug einem sinnlosen Kampf vorgezogen sonst Nichts. Und was wirft man ihm heute vor, nachdem er den vielfachen Verfolgungen nur durch ein Wunder entgangen ist – Feigheit! – und weshalb?

Erstens weil er aus reinem Ehrgefühl, und in der Hoffnung, durch seine Gegenwart wenigstens dasjenige, was der guten Sache entgegen­stand, abwenden zu können, Alles auf die Karte gesetzt hatte, den ungeschicktesten Führern geduldig nachzufolgen, die, ich sage es frei heraus, denn es ist meine feste Ueberzeugung, ihn während der ganzen Expedition nur als glänzendes Aushängeschild benutzen wollten.

Zweitens, weil er unbewaffnet war, und mit dem militairischen Commando nichts zu thun hatte, wenigstens das Recht für sich in An­spruch nehmen zu dürfen glaubte, das man jedem General zuerkennt, ohne deshalb seinen Mut in Frage zu stellen, nämlich: sich nicht persönlich herumbalgen zu müssen. Fäuste waren es ja nicht, an denen es uns fehlte! und endlich:

Drittens, weil ohne Herweghs Geistesgegenwart die Kämpfenden, mit denen er vom Anfang bis zum Schluß des Gefechtes einen regelmäßigen, ununterbrochenen Verkehr unterhielt (denn er hatte mit der ihm während des ganzen Zuges gegebenen Bedeckung, die Stellung wenige Schritte vom Kampfplatz unverrückt beibehalten) nicht einmal das wenige Schießpulver rechtzeitig bekommen hätten, das als unser einziger Reichthum auf meinem Wagen verpackt lag und an das keiner der Herren Chefs dachte.

Bei dieser Gelegenheit will ich es nicht versäumen, den Herren Mitarbeitern und Redakteuren der verschiedenen gelehrten und ungelehrten Blätter, wie der deutschen Hofrats-, der Baseler und Karlsruher Zeitung (diese letzte hat sich hartnäckig geweigert, jeden berichtigenden Artikel, welcher von Seiten der Gefangenen an sie gesandt wurde, aufzunehmen), meinen Dank auszusprechen, für die lobenswerte Bereitwilligkeit, mit welcher sie auf guten Glauben ohne den Schatten eines Beweises, – denn woher könnten sie ihn haben, da keiner existirt, – Allem ihre Spalten geöffnet, was Herweghs guten Ruf schänden und wenn es wahr gewesen, ihm mit vollem Recht jede Wirksamkeit in Deutschland hätte abschneiden müssen.

Zum Beweis, daß ich nicht wie jene Herren auf Kosten Anderer zu improvisiren und nur genau zu referiren verstehe, rufe ich dem unparteiischen Leser die allerliebste Geschichte vom «Spritzleder» *) zurück, welche die Runde durch alle wohlorganisirten Lügenbureaux deutscher Journalistik gemacht hat, und als patriotisches Phantasiestück (denn wer anders als ein kaum amnestirter Kopf, giebt sich mit derlei Erfindungen ab), den anonymen Autoren zur großen Ehre gereicht. Ob jene Herren Skribenten glauben, heut weniger verächtlich zu sein, – wo sie, weil der Liberalismus allein rentirt, ihr Schergenamt mit dem Wahlspruch: «Alles für das Volk, Alles durch das Volk» versehen, – als gestern, wo sie Herwegh «Mit Gott für König und Vaterland» wegen seines Radikalismus verfolgt haben, will ich nicht entscheiden und mich nur auf die Beschreibung des Wunderwägelchens beschränken.

Jene vielbesprochene Kutsche, die nach der einstimmigen Aussage aller Zeitungen jedenfalls ein verzaubertes Fuhrwerk gewesen sein muß, denn wie hätte sie sonst Herwegh, der viele Schritte davon entfernt stand, und seit Niederdossenbach keinen Augenblick darauf Platz genommen hatte, Schutz bieten können? Sie war für den unbefangenen Beschauer nichts als ein offener, unbedeckter Leiterwagen, dessen einzige Bekleidung in etlichen Bündeln Stroh bestand, und von dem aus ich mit einigen vom langen Marsch Verwundeten dem Gefecht zusah.

Qui s'excuse s'accuse, dies wohlbewährte Sprichwort hat auch gewiß diesmal Herwegh bestimmt den Verdächtigungen seiner Ehre dieselbe Waffe entgegenzustellen, deren er sich stets persönlichen Angriffen gegenüber bedient, und sich dabei sehr wohl befunden hat: das absolute Schweigen.

Wie kann es auch nur einem Mann von Kopf und Herz einfallen, tödtliche Pfeile mit der Feder abwenden zu wollen? und um zu einer andern Waffe zu greifen, die freilich am allerwenigsten erledigt aber doch energischer ist, dazu müßten die Feinde unverkappt und nicht wie hier, mit hermetisch geschlossenen Visiren auf dem Kampfplatz erscheinen.

Was man Hecker und Herwegh mit Recht vorwerfen kann, ist nicht «Meuchelmord,» nicht «Feigheit», sondern etwas weit Schlimme­res. – Man kann ihnen vorwerfen, daß sie weder getödtet wurden, noch gefangen sind, daß sie dieser zwiefachen Gefahr glücklich entkommen konnten. Dies konnten ihnen die privilegirten und patentirten Volks­vertreter zu Frankfurt freilich nicht verzeihn. Ihnen mußte Alles darauf ankommen, solche Männer nicht nur persönlich fern zu halten, sondern auch zugleich unmöglich zu machen. Ihnen blieb kein anderes Mittel übrig, als sie lebendig zu begraben.

Aber es giebt glücklicherweise noch ein anderes Deutschland, als das zu Frankfurt, ein anderes, als das, welches mit kaltem Blut das Todtenamt für Lebendige hält, das zum Henker oder Spießgesellen an allen nach Freiheit ringenden Völkern geworden ist, und seine besten Kinder im Exil oder in schmählichen Banden hält.

Es giebt ein junges, demokratisches Deutschland! Ein Deutschland, das mit der alten Welt und ihren Sünden abgeschlossen hat, das nicht eher die Waffen niederlegen wird, bis Polen, bis Böhmen, bis Italien, bis ganz Europa frei, der letzte Kerker geöffnet, die letzte Kette gesprengt ist.

Diesem Deutschland allein übergebe ich diese Schrift, denn dieses Deutschland allein ist eine Stätte für jede gute, freie Natur, dieses Deutschland allein ist im Stande, seine wahren Kinder von seinen Stiefkindern zu unterscheiden, und wird das schreiende Unrecht, was jenen geschieht, dereinst zu sühnen wissen.

So viel Kämpfe diesem Deutschland auch noch bevorstehen mögen, so viel seiner besten Kinder auch noch als Opfer des Despotismus fallen werden, ehe es Sieger bleibt, dieses Deutschland weiß, daß es später oder früher siegen muß, und kann stolz mit jenem edlen Republikaner, den man hier vor einigen Tagen zu den Galeeren verdammte, ausrufen:

 

À moi l'avenir! Vive la République démocratique et sociale!

 

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*) [Die Geschichte vom Spritzleder wurde in der damaligen Presse verbreitet. Danach soll sich Herwegh auf der Flucht in die Schweiz unter dem Spritzleder des Wagens verborgen haben, den seine Frau kutschierte.]