BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jacob Grimm

1785 - 1863

 

Von der Poesie im Recht

 

1815

 

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§. 5.

[Beweis aus der poetischen form.]

Zunächst bricht nun dieses poetische element der gesetze in ihrer äuszersten form vor. nämlich der poesie ist es von grund aus natürlich und nothwendig, dasz sie sich mit dem einmal ausgesprochenen satz öfters nicht begnüge, sondern ihn nochmals wiederhole. so zu sagen, sie kann nicht auf einem fusze stehen, sondern bedarf dann, um in ihre ruhe und gemütlichkeit zu gelangen, einer zweiten stütze, eines anderen, dem ersten gleichen satzes. hierauf scheint mir das prinzip der alliteration und des reimes genau und wesentlich zu beruhen.

Erwägen wir die deutsche ganze sprache in allen ihren mannichfaltigen lagen, richtungen und äuszerungen; wir werden sie immer von selbst geneigt zur tautologie finden und sie wird uns dieses triebs wegen vorzüglich poetisch erscheinen, namentlich aber in ihren alten epischen liedern, rechtsformeln und urkunden.

Gleichwol versteht es sich, dasz auch in fremden sprachen dieselbe neigung, wenn schon nicht so offenbar, gespürt werden müste. die lateinischen redensarten stellen ihr jus fasque, juste pieque aus demselben gefühl zusammen, wonach wir in altdeutschen gesetzen und verbriefungen allerwärts beispiele, wie folgende aus mir gerade vorliegenden diplomen, eingeführt sehen: mögen und sollen, hindern und irren, span und irrung, willen und gefalle, von statt und von wegen, dermaszen und dergestalt, kund und zu wissen, bekennen und thun kund, wir thun und geben, wir haben geliehen und leihen, das sie leiden und gelitten habent, fest und edel, heischen und bieten, versammelt und verhauft, vertagen und verbieten, ernstlichen und festiglichen, hegen und jagen u. s. w. in den volksliedern noch viel häufiger  1), darum aber hat die poesie zwei glieder in ihrer förmlichen zeile, oder in ihrem satz.

Allein sie bleibt dabei nicht stehen, sondern thut noch einen weiteren schritt, d. h. die zweiheit zeigt sich auch oft, mit dem aus ihr gewachsenen dritten, als dreiheit, dann stehen die zwei ersten sätze im ersten glied und lassen den dritten das ganze zweite erfüllen. ich habe anderswo entwickelt, warum zwei vorstäbe der alliteration dem einen (dritten) nachstab gegenüberstehen, warum zwei stollen im meisterlied den einen abgesang auf sich folgen lassen. nichts anders ist der einfache grund unzähliger gerichtlicher formeln wie: wir setzen, ordnen und machen; wir haben fürgenomen, gesatzt und gemacht; wir verpfänden, versetzen und verschreiben; mit unterschrift aller zeugen hierzu erfordert, geheischen und gebeten; von uns und dem reich zu rechten lehen haben, halten und besitzen  2). und nicht blosz in lateinischen urkunden des mittelalters finden wir: voluimus, jussimus et mandavimus  3); ich kann auch altrömische formeln anführen, z. b. aus Livius I, 13. res dare, facere, solvere und censeo, consentio, conscisco.

Die vergleichung mit der epischen poesie kann uns hierüber noch weiter aufklären. wenigstens scheint mir ein anderer, in ihr fest eingewurzelter gebrauch, den einmal positiv ausgesprochenen satz nochmals, aber negativ, auszudrücken, genau zu der eben beigebrachten regel zu gehören. finden wir nun im Homer z. b. μίνυνθα οὔτι μάλα δήν (II.I, 416), ἐρέω οὐδ᾽ ἐπικεύσω (II. V, 816), im alten Titurel 28. ‚jung niht alt‘, Eneidt 1701. ‚enge und nit wit‘, Parcifal 1870. ‚diche und niht ze dünne‘ [Otfr. III. 5, 27 ‚gilih noh uuergin missilih‘, Parc. 1272. ‚der iunge niht der alte‘, 2489. ‚ein magt u. nit ein wip‘], und alles solches unzähligemal, also der epischen sprache wesentlich, so sind formeln wie: ‚von den füszen nit von den schuhen‘, ‚über sich, nit unter sich‘, ‚uf dem stamme und nit uf der straszen‘‘  4) in unsern alten gesetzen in der that poetisch.

Den obigen beispielen mangelt indessen sämmtlich das, was man die blüte der form nennen könnte, die alliteration selbst. nun aber vermöchte wol nichts besser die allgemeine natürlichkeit dieser und den beweis ihrer ehdem unter dem gesammten germanischen volksstamm durchgreifenden ausbreitung zu bestärken, als die häufigen alliterierenden tautologien in unserer alten rechtssprache. es liegt mir nämlich auszer zweifel, dasz unsere gesetze im frühsten alterthum wirklich, nicht anders wie sagen und geschichten, metrisch in lieder gebunden waren. ich will diese beispiele wiederum mit einigen lateinischen anheben, welche, was nicht übersehen werden darf, gerade sämmtlich aus alten gerichts- und augurenformeln genommen sind: quod felix faustumque sit; fidem et foedera serva; puro pioque duello; vis victoriaque (Liv. VIII, 8.): potest polletque (Liv. I, 9. II, 20. VIII, 6.); lance et licio furtum concipere: aqua et igni interdicere; ferro flammaque vastare; templa tesquaque; sane sarteque. über die beiden letzten sehe man Festus nach, die letzte gibt völlig unser ‚ganz und gar‘ denn sanus ist: gesund, heil, hel, ganz und sartus: genäht, ganz gemacht. ähnliche aus altdeutschen urkunden und gesetzen blosz nebenbei aufgesammelte würden ganze bogen anfüllen 5); hier mögen blosz einige stehen: helfend and haltend, dema and dela, widuon and weson. hebba and halda, wind and wetir, hus ieftha hof, horn anda hlud, fiand and friund, schott end schield, willa en wald, rendes ieftha raves, dolch and dath, diepe ende dimme, stok ieftha sten, an skrine and skate, stede and stalle, betenth en betimbrath, fennon anda fili, fri ende freesch. diese alle sind aus dem asegabuch, aber nur ein zwanzigstel von denen, die ich daraus angemerkt. folgende sind aus dem Sachsenspiegel zur probe: eigen und erbe, gut oder gelt, haut und har, lesset und leihet, schuld und schaden, bus und besserung, hauset noch hofet, halten oder haben, hals und hant, mage und mann u. s. w. es ist zu unserm behuf ein mehreres anzuführen überflüssig, da man diesen zug noch unserer heutigen sprache unverkennbar ansieht, oder man jede deutsche urkunde darüber befragen kann. besonders aber treffen wir auf ihn, wo gewisse bräuche und sprüche des rechts ausgedrückt werden, z. b. verzichten ‚mit hand und halm‘ 6) und was für die ansicht im ganzen beweisend ist, mehr wo sich die rede in die formel neigt, als da, wo sie sich gehen läszt.

Hier hören wir folglich überall die alte metrische weise noch nachklingen und diese töne haben fest in der sprache gewurzelt. freilich sind es blosze einzelheiten; sollten sich nicht auch ganze metrische reihen angeben lassen? ich erkenne solche deutlich an in stellen wie folgt:

asegabuch 115:

hversama ene frowe halet to howe ende to hus,

mit horn anda mit hlud,

mit doem anda mit drechte.

daselbst 181:

thet hi sa wel wesa nemi,

an bethe ni an bedde,

ni an widzia ni an weine

ni an wi ni an wetire

ni an huse (hove) ni an godis huse.

allein begreiflicher weise gibt sie das nordische recht viel leichter an hand. Stjernhook führt nachstehende alte Strafformel gegen diebe an (s. 366.)

‚dömma til hugz och til hängia,

til drap och til döda,

til torfz och til tiäru,

ugildan firi arwa,

efftermälandi firi kyrkia och konungi‘ 7)

das uplandische recht gibt die, freien männern unerträgliche, beschimpfungsformel :

‚tu är ey mans maki, och ey madir i brysti‘ 8)

welche eine untadelhafte langzeile mit drei reimbuchstaben bildet. gewaltsamen beischlaf zu bezeichnen heiszt es: ‚afla barn i bruti och bange.‘ die in der poesie so gewöhnliche alliteration von hund und habicht sehen wir in den rechtssprüchen: ‚beta man ihiäl med höker och hunde‘ oder: ‚giöra skada med höker och hunde.‘ das eddische: ‚ny ok nidiar‘ in folgendem 9): ‚bonde skal warda, sa är säl träl och ambat, them är köpir, bade ny och neder.‘ am unwiderleglichsten ist eine stelle des altnordischen jagdrechts 10):

‚then a hara är händir,

then a raff är resir,

then a warg är windir,

then a biörn är batir

then a elg är fällir

then a ottr är or a takir.‘

Was wir jetzo reim nennen, findet sich nicht nur in nordischen, sondern auch in altdeutschen gesetzen und sprüchen ungleich seltener; ein wichtiger umstand, der gerade alle gedanken an spätere einschiebung solcher poetischen stellen widerlegen kann. formeln wie: ‚kommt der wolf zur heide, der dieb zum eide, so haben sie gewonnen spiel‘ verrathen eher etwas neueres und begegnen nur wenig. es wäre gleichwol natürlich, wenn sich der nach und nach unter uns volksmäszig gewordene reim weit öfter zeigte und die zwischen ihm und der alliteration stehenden mittelreime werden für die untersuchung bedeutender. man vergleiche redensarten wie: schalten und walten, vereint und versteint u. dgl.

Überhaupt aber lautet die sprache in unsern alten gesetzen meistentheils gewichtig und stark; weniger abgebrochen kurz 11) als langsam, mit nachdruck schleifend, ohne matt schleppend zu werden. sie ist nie dünn und leer, in ihrer gemütlichen wiederholung liegt der sachen volle sicherheit und gewähr, ein langes edles gewand angemessen der würde des richteramts. gewissermaszen war ihr auch eine art von ausbildung widerfahren, die wir in dem zuletzt leichtsinnig verdammten altväterischen canzleistil, hauptsächlich aus urkunden des 14ten bis zum 17ten jahrh. deutlich anerkennen müssen. im funfzehnten zumeist ist er voll der trefflichsten formen, der treuherzigsten wörter und gar gefüger wendungen. 12)

 

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1) z. b. οὔτ᾽ εἴρομαι, οὔτε μεταλλῶ. (Ilias I, 553.) οὐδὲ ἰδέειν οὐδὲ νοῆσαι. (V, 475. 665.) ποιήσατο καὶ κάμε χερσίν.(V, 735.) ἡγήτορες ἠδὲ μέδοντες. (II, 79.) μένος καὶ θυμός. (V, 470. VI, 72) und im altdeutschen noch ungleich häufiger. 

2) Tristan 431. hochzeit geleit, benennet u. besprochen. Maria 1046. tag liep, werde und zart. 

3) so ist in der poesie vieles zu erklären z. b. die dreimalige wiederholung in folgender zeile eines spanischen volkslieds: primo mio primo mio primo mio naturale. (silva de romances viejos p. 188.) 

4) Stissers urkundenbuch zur forst- und jagdhistorie s. 7 und 55. 

5) eine zahlreiche und erklärende sammlung derselben wäre ein gewinn für unsere sprachforschung. 

6) Siebenkees beiträge I, 219.  

7) urtheilen zum beil (hieb) und zum hängen, zum schlag und zum tod, zum torf (vivi defossio) und zähr (pech, vivi combustio), unvergolten den erben, der kirche noch dem könige. 

8) du bist nicht mannes genosz und nicht mann in der brust.  

9) der bauer, der seinen knecht und seine magd verkauft, soll gewähr leisten dem der sie kauft über neulicht und vollmond. 

10) westgothländisches gesetzbuch, abschnitt 13. vgl. Ihre u. Verel v. resa. der hat den haas, der ihn fängt, den fuchs, der ihn herauslockt, den wolf, der ihn aufhängt, den bären, der ihn ........ (beta, oder bäta ist mir hier zweifelhaft) den elch, der ihn fällt (zu boden wirft), die otter, der sie aus dem flusz zieht. 

11) sie reden nicht wie Menelaus, sondern lieber wie Ulysses. das ist das homerische παραβλήδην ἀγορεύειν im gegensatz zu dem ἐπιτροχάδην. II. III, 213. IV, 6. 

12) ich verweise ohne anstand auf viele beispiele, die man aus dem volksbuch der Schildbürger nehmen kann, um sich die damalige schreibart vor gericht und in urtheilen anschaulich zu machen.