Jacob Grimm
1785 - 1863
Von der Poesie im Recht
1815
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§. 4.[Verschiedener werth der deutschen gesetze.]Nachdem nun zwar kürzlich, wie die sprache sich für die ideen des rechts und der dichtung an und für sich derselben wörter oder namen bedient, gezeigt worden ist, schreite ich zur weiteren vergleichung der quellen beider fort. – hierzu scheint aber allermeist die deutsche gesetzgebung geeignet, welcher keine andere an gehalt und kern poetischer bestandtheile gleichstehen dürfte.Fragt es sich aber im allgemeinen nach diesem werth der einzelnen deutschen rechtssammlungen selbst gegeneinander, so versteht sich ohne weiteres, dasz die ältesten, als in lateinischer, fremder sprache, wiewol aus einheimischen regeln und satzungen abgefaszt, unendlich wichtiger sein müsten, wenn sie in der eigenen, mütterlichen rede auf uns gelangt wären. doch bleibt uns das älteste denkmal, das salische buch, durch seinen inhalt, von unschätzbarem werth. hiernächst folgen das ripuarische, alemannische, bairische, lombardische; nachsammlungen gerathen beständig trockener, wie auch, verglichen mit dem sächsischen spiegel, der schwäbische beweist. der alten Friesen gesetzbuch hat durchgehends seinem alten, besten stück nach, poetisches schrot und korn in sich und es bleibt recht auffallend, dasz die sonst damit so genau bis ins wörtliche stimmenden angelsächsischen gesetze daneben gänzlich nüchtern prosaisch erscheinen. ich bin der meinung eher, die poesie sei in ihnen absichtlich weggelassen, als ins friesische später eingetragen worden. die sichtliche bestätigung liefern die meisten und ältesten nordischen sammlungen, voll dichterischer wendungen und bräuche; auch der etwas spätere, treffliche Sachsenspiegel, der aus mündlichem volksrecht und gerichtsgebrauch schöpfte; der Schwabenspiegel sammt dem kaiserrecht haben einen sehr geringeren gehalt. unter der fülle von landrechten, statuten und städteordnungen, die wir besitzen, zeichnet sich eines vor dem andern aus, je nachdem es mehr treu dem alten herkommen blieb, oder schon auswärtigen statuten und fremdem recht nachzuahmen ausgieng. im ganzen gebührt der niedersächsischen, westfälischen und niederländischen rechtsgewohnheit ein groszer vorzug vor der oberdeutschen; dort haben sich unter dem volk die alten gebräuche und gerichtsverfassungen strenger und länger gehalten; aus solchen gegenden sind unvergleichbar die gelehrtesten germanisten hervorgegangen 1). nach und nach verkümmerte das umsichgreifen des römischen rechts und der sich daraus bildenden, obgleich auch manches gute herkommen stützenden praxis den gebrauch der alten gesetze und engte sie immer mehr ein. nur in einzelnen ständen, die fester zu einander hielten, und an aufrechthaltung ihres alten gemeinwesens ein zur hälfte in die poesie des lebens, als etwas bereits völlig vom recht abgelöstes, greifendes gefallen trugen, war dieses weniger der fall. ihnen übersahen die practischen gerichte mancherlei gewohnheit und sie konnten in fast ungestörtem genusz derselben fortverbleiben. so ist es zu erklären, dasz wir im jägerrecht und recht der handwerker einige denkmäler übrig haben, die voller alter poesie weben und sicher auf eine frühere zeit zurückgeführt werden mögen, wo man recht und brauch noch nicht so wie heute unterschied. auch in dem recht des adels und in peinlichen sachen haben sich zum theil um ähnlicher ursachen willen einige frischere und kräftigere stücke als in dem übrigen privatrecht erhalten können.
―――――――― 1) um bei dem letzten j. h. stehen zu bleiben und der Holländer zu geschweigen, wie wenig ober- und mitteldeutsche namen lassen sich einem Dreyer, Möser, Grupen, Ölrichs, Gildemeister, Bruns, Kindlinger etc. entgegensetzen? |