BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1880

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

Fragment VI

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Prolog des Ablaßkrämers.

Vers 335 - 468

 

Ihr Herr'n! Wenn meine Stimme mit Gewalt

Bei meiner Predigt durch die Kirche schallt,

Tönt sie, wie eine Glocke, rund und voll;

Denn memorirt hab' ich, was kommen soll.

Mein Thema ist und war und bleibt stets das:

340

Radix malorum est cupiditas!

Erst mach' ich kund, von wannen ich gekommen;

Dann werden meine Bullen durchgenommen,

Dann weis' ich auf das Königssiegel hin

An dem Patent, damit ich sicher bin,

Daß Priester nicht und Küster sich erfrechen,

Mich in dem heil'gen Werk zu unterbrechen.

Und hinterher beginn' ich zu erzählen.

Von Päpsten, Patriarchen, Kardinälen,

Bischöfen weiß ich Bullen aufzutischen,

350

Ein Wort Latein dem Vortrag einzumischen,

Daß ich die Predigt würze, sie belebe,

Und so die Andacht meiner Hörer hebe.

Dann werden meine Gläser mit den alten,

Zerbroch'nen Knochen ihnen vorgehalten,

Und für Reliquien sieht sie Jeder an.

Ein Schulterbein in Messing zeig' ich dann

Von einem heil'gen Judenschafe vor:

„Ihr, guten Leute!“ – sprech' ich – „spitzt das Ohr!

In einer Quelle wascht den Knochen hier;

360

Und wie geschwollen Kalb, Schaf, Kuh und Stier

Vom Biß und Stich der Würmer sind und Maden,

Laßt nur des Thieres Zunge darin baden,

So wird es heil für immer auf der Stelle. –

Kuriren kann ein Schluck aus dieser Quelle

Von Räude, Pocken und von aller Plage

Jedwedes Schaf! – Behaltet, was ich sage!“

Wenn wöchentlich, bevor der Hahn gekräht,

Der Herr des Thieres zu der Quelle geht,

Und schöpft daraus sich nüchtern einen Trunk,

370

Vermehren sich – nach Ueberlieferung

Des heil'gen Juden – bei ihm Vieh und Frucht!

Und, meine Herr'n! – es heilt auch Eifersucht!

Ist diese Wuth bei Jemand ausgebrochen,

Laß aus dem Wasser er sich Suppe kochen,

Sodann mißtraut er nimmer seiner Frau,

Und kennt' er auch die Schuld von ihr genau,

Ja, hielte sie's mit mehr als einem Pfaffen!

Hier, diesen Handschuh mögt ihr jetzt begaffen!

Steckt in denselben Jemand seine Hand,

380

Vervielfacht sich sein ganzer Fruchtbestand,

Ob Hafer er gesät hat oder Weizen.

Nur müßt ihr nicht mit Deut und Groschen geizen! –

Doch, Herrn und Frauen! seid gewarnt von mir,

Ist irgend einer in der Kirche hier,

Der auf sich lud so große Sündenlast,

Daß, sie zu beichten, ihn die Scham erfaßt,

Sind alte, oder junge Frau'n zugegen,

Die Männern Hörner aufzusetzen pflegen,

So darf und will ich keine Opfergaben

390

Von solchem Volk für die Reliquien haben.

Doch trage, wer von solchem Tadel frei,

In Gottes Namen zu dem Opfer bei;

Und von den Sünden absolvir ich ihn,

Wie mir die Bulle dazu Macht verlieh'n.

Der Kniff verschaffte hundert Mark im Jahr

Mir stets, seitdem ich Ablaßkrämer war. –

Ganz wie ein Theologe stell' ich mich

Auf meine Kanzel. – Setzt der Pöbel sich,

Beginnt die Predigt, wie ich schon berichtet,

400

Mit hundert Lügen, die ich zugedichtet.

Ich reck' und strecke meinen Hals und blicke

Hinab aufs Volk nach Ost und West und nicke,

Wie eine Taube auf dem Scheunendache.

Mit Hand und Zunge bin ich bei der Sache,

So daß sich Alle meines Eifers freu'n.

Ich pred'ge stets, vor Lastern sich zu scheu'n,

Wie Geiz und Habsucht; doch im Pfennigschenken

Nicht karg zu sein – und meiner zu gedenken.

Mein ganzes Streben ist zu profitiren,

410

Nicht etwa sie von Sünden zu kuriren.

Sind sie begraben, ist mir's einerlei,

Wie brombeerschwarz auch ihre Seele sei.

Denn, sicher, hinter mancher Predigt steckt

Gar schlimme Absicht. Oft wird nur bezweckt,

Dem Volke Schmeicheleien darzubringen,

Durch Heuchelei sich rasch emporzuschwingen,

Indessen Haß und Ruhmsucht Andre treibt,

Wenn ich es sonst nicht wagen darf, so bleibt

Mir noch der Weg, mit meiner Zunge Jeden

420

Scharf durchzuhecheln in den Kanzelreden

Und Jeden zu verläumden ungestraft,

Der mich beleidigt und die Brüderschaft.

Und führ' ich Keinen auch mit Namen an,

Den, wer gemeint ist, kennt doch Jedermann,

Da es aus meinen Winken leicht erhellt;

Und das fühlt Jeder, welcher uns mißfällt.

So spuck' ich Gift und Galle unterm Schein

Der Frömmigkeit, und gelte fleckenrein.

Denn kurz und gut, auf Treu' und Ehrlichkeit!

430

Mein Grund der Predigt ist Begehrlichkeit.

Mein Thema ist und war und bleibt stets das:

Radix malorum est cupiditas.

So schelt' ich auf das Laster, das zumeist

Ich selbst besitze, und das Habsucht heißt.

Von dieser Sünde, der ich mich ergab,

Zieh' ich hingegen andre Leute ab,

Und suche sie vom Geize zu bekehren.

Indessen dies ist nicht mein Hauptbegehren

Aus eigner Habsucht halt' ich meine Predigt;

440

Und damit sei die Sache nun erledigt.

Dann pfleg' ich ihnen mancherlei Geschichten

Aus alter Zeit als Beispiel zu berichten,

Da solche Sachen der gemeine Mann

Gern nacherzählt und leicht behalten kann.

Wie, glaubt ihr, wenn mir Gold- und Silbergeld

So leicht durch Pred'gen in die Hände fällt,

Ich sollte dennoch freiwillig und gern

In Armuth leben? – Nein, das liegt mir fern!

Ich pred'ge mich und bettle mich durchs Land

450

Und thue keine Arbeit mit der Hand,

Von Körbeflechten brauch' ich nicht zu leben,

Ich bettle fleißig – und mir wird gegeben.

Nicht die Apostel ahm' ich nach. – Auf Geld,

Korn, Käse, Wolle ist mein Sinn gestellt;

Und schenkt sie mir im Dorf der ärmste Knecht,

Die ärmste Wittwe – mir ist Alles recht;

Ob ihre Kinder auch verhungern müssen.

Nein! Rebensaft will trinken ich und küssen

Die schmuck'sten Dirnen in jedwedem Ort!

460

Horcht auf, ihr Herr'n! Ich werde nun sofort

Wie's Euch beliebt hat – zur Geschichte kommen.

Mein Schlückchen Doppelbier hab' ich genommen,

Und – wie zu Gott ich hoffe – wird Euch Allen,

Was ich erzähle, zweifellos gefallen.

Zwar bin ich selbst ein lasterhafter Mann,

Jedoch, gewohnt um Geld zu pred'gen, kann

Ich auch moralisch reden, wenn ich will;

Und jetzt beginn' ich – drum schweigt Alle still!