BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1880

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

Fragment IV

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Prolog des Kaufmanns.

Vers 1218 - 1249

 

Weinen und Klagen, Gram und andre Sorgen

Hab' ich genug, am Abend wie am Morgen.“

1220

– So sprach der Kaufmann. – „Doch in gleichem Falle

Sind, wie mir scheint, wir Ehemänner alle;

Zum Wenigsten mit mir ist's so bestellt.

Ich habe wohl das schlimmste Weib der Welt,

Das selbst den Teufel, hätt' er sie gefreit,

Zu zähmen wüßte; – dafür bürgt mein Eid! –

Was soll ich ihre Bosheit Euch genau

Beschreiben? – Seht! ein Unhold ist die Frau!

Jawohl, der Unterschied ist lang und breit

Von meines Weibes großer Grausamkeit

1230

Und der Geduld Griseldis'. – Wär' ich ledig,

Man finge mich – sei mir der Herrgott gnädig! –

In dieser Schlinge nicht zum zweiten Mal.

Wir Ehemänner leben stets in Qual!

Versuch's, wer will; bald weiß er zur Genüge

– Beim heil'gen Thomas! – dies sei keine Lüge.

Denn für die Meisten gilt's; doch, Gott bewahre!

Ich sage nicht, daß Jeder es erfahre.

Ja, lieber Gastwirth, an zwei Monden fehlt

– Pardi! – nur wenig, seit ich mich vermählt,

1240

Doch dünkt mich, wer im Leben nie ein Weib

Gefreit hat, kann – durchbohrte man den Leib

Auch bis ans Herz ihm – von so vielem Wehe

Euch kaum erzählen, wie aus meiner Ehe

Ich von der Bosheit meines Weibes kann.“

„Nun,“ – sprach der Wirth – „Gott schütz' Dich Handelsmann!

Ich bitte herzlich, da Du aus dem Grund

Die Sache kennst, gieb etwas davon kund.“

„Zu reden“ – sprach er – „bin ich gern bereit;

Doch nicht von mir. Mich drückt zu schwer mein Leid!“