Adolf von Düring
1880
|
Die Canterbury-Erzählungen
Fragment IV
|
______________________________________________________________________________
|
|
Prolog des Klerk.Vers 1 - 1411
Gelehrter Herr von Oxford! – meiner Treu'!“– Sprach unser Wirth – Ihr seid so still und scheu,Wie an der Hochzeitstafel eine Braut!Von Euch hört' ich tagsüber keinen Laut.Mir scheint, daß Ihr tief in Gedanken seid;Doch jedes Ding – sagt Salamo – zur Zeit!Um Gottes Willen! macht ein froh Gesicht,Denn zum Studiren ist die Zeit hier nicht!Erzählet etwas, das uns fröhlich stimmt. | |
10 | Sofern man Theil an einem Spiele nimmt,Muß man sich auch an seine Regeln binden.Doch predigt nicht von Weinen über Sünden,Wie's in den Fasten Bettelmönche treiben.Nein! macht es so, daß wir hübsch munter bleiben!Erzählt ein Abenteuer lust'ger Art.Die Bilder, Floskeln und Figuren spartEuch für den hohen Styl auf, der sich paßt,Wenn Schreiben man an Könige verfaßt.Hier aber, bitt' ich Euch, so schlicht zu reden, |
20 | Daß es verständlich ist und klar für Jeden.“Und der Gelehrte freundlich Antwort gab:Ich stehe“ – sprach er – unter Eurem Stab;Ihr seid's, mein Wirth, der über uns regiert,Und mit Gehorsam wird von mir vollführtDrum Alles, was vernünftig ist und billig.Was mir in Padua mitgetheilt ward, will ichEuch wiederholen, wie erzählt mir's hatEin würd'ger Mann, erprobt in Rath und That.Jetzt ist er todt und ruht in seinem Schrein; |
30 | Gott möge gnädig seiner Seele sein!Franzisk Petrark hieß der gekrönte Dichter,Deß süßer Redefluß der Dichtkunst LichterDurch alle Gau'n Italiens entflammte,Wie dies für Kunst, Gesetz und die gesammtePhilosophie Lignanus hat gethan.Doch an uns Alle tritt der Tod heran;Ein Augenblick genügt, uns zu verderben;Und Beide starben, wie wir Alle sterben.Um fortzusetzen nun, wie ich begann, |
40 | Was mir erzählt hat dieser würd'ge Mann,So wißt, daß er mit einem VorberichteIm hohen Styl eröffnet die Geschichte.Darin beschreibt er Gegend und NaturVon Piemont, Saluzzo und der FlurDes westlichen Lombardiens, dessen GrenzenDer Appeninen hohe Gipfel kränzen;Und näher insbesondre hebt er dannVom Berge Vesulus zu reden an,Woselbst der Po aus kleinem Quell entspringt, |
50 | Dann wachsend, ostwärts durch Aemilia dringtUnd durch Ferrara hinströmt bis Venedig.Doch lang ist die Beschreibung, darum red' ichDavon nicht mehr. Zur Sache – wie mir scheint –Gehört sie nicht, und war wohl nur gemeint,Um besser einzuleiten die Geschichte.Doch horcht auf das, was ich nunmehr berichte!“ |