Annette von Droste-Hülshoff
1797 - 1848
Das geistliche Jahr
in Liedern auf alle Sonn- und Festtage
|
|
______________________________________________________________________________
|
|
Am Charsamstage.
Tiefes, ödes Schweigen,Die ganze Erd' wie todt!Die Lerchen ohne Lieder steigen,Die Sonne ohne Morgenroth. | |
5 | Auf die Welt sich legtDer Himmel matt und schwer,Starr und unbewegt,Wie ein gefrornes Meer.O Herr, erhalt' uns!
|
10 | Meereswogen brechen,Sie toben sonder Schall;Nur die Menschenkinder sprechen,Doch schaurig schweigt der Widerhall.Wie versteinet steht |
15 | Der Aether um uns her;Dringt wohl kein GebethDurch ihn zum Himmel mehr.O Herr, erhalt' uns!
Sünden sind geschehen, |
20 | Für jedes Wort zu groß,Daß die Erde müßt vergehen,Trüg sie nicht Jesu Leib im Schooß.Noch im Tod' voll HuldErhält sein Leib die Welt, |
25 | Daß in ihrer SchuldSie nicht zu Staub zerfällt.O Herr, verschon' uns!
Jesus liegt im Grabe,Im Grabe liegt mein Gott! |
30 | Was ich von Gcdanken habe,Ist doch dagegen nur ein Spott.Kennt in EwigkeitKein Jesus mehr die Welt?Keiner der verzeiht, |
35 | Und Keiner der erhält?O Herr, errett' uns!
Ach, auf jene Frommen,Die seines Heils geharrt,Ist die Glorie gekommen |
40 | Mit seiner süßen Gegenwart.Harrten seiner Huld:Vergangenheit die Zeit,Gegenwart Geduld,Zukunft die Ewigkeit. |
45 | O Herr, erlös' uns!
Lange, lange ZeitenIn Glauben und Vertraun,Durch die unbekannten WeitenNach unbekanntem Heil' sie schaun. |
50 | Dachten sich so viel,Viel Seligkeit und Pracht.Ach, es war wie Spiel,Von Kindern ausgedacht.O Herr, befrey uns!
|
55 | Herr, ich kann nicht sprechenVor deinem Angesicht!Laß die ganze Schöpfung brechen,Diesen Tag erträgt sie nicht.Ach, was naht so schwer, |
60 | Ist es die ewge Nacht,Ist's ein Sonnenmeer,In tausend Strahlenpracht?O Herr, erhalt' uns! |