Annette von Droste-Hülshoff
1797 - 1848
Gedichte
1844
Balladen
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Der Graf von Thalentstanden 1841/42
I
Das war der Graf von Thal,So ritt an der Felsenwand;Das war sein ehlich Gemahl,Die hinter dem Steine stand.
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5 | Sie schaut' im SonnenstralHinunter den linden Hang,«Wo bleibt der Graf von Thal?Ich hört' ihn doch reiten entlang!»
«Ob das ein Hufschlag ist? |
10 | Vielleicht ein Hufschlag fern?Ich weiß doch wohl ohne List,Ich hab' gehört meinen Herrn!»
Sie bog zurück den Zweig.«Bin blind ich oder auch taub?» |
15 | Sie blinzelt' in das Gesträuch,Und horcht' auf das rauschende Laub.
Oed' war's, im Hohlweg leer,Einsam im rispelnden Wald;Doch über'm Weiher, am Wehr, |
20 | Da fand sie den Grafen bald.
In seinen Schatten sie trat.Er und seine Gesellen,Die flüstern und halten Rath,Viel lauter rieseln die Wellen.
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25 | Sie starrten über das Land,Genau sie spähten, genau,Sahn jedes Zweiglein am Strand,Doch nicht am Wehre die Frau.
Zur Erde blickte der Graf, |
30 | So sprach der Graf von Thal:«Seit dreizehn Jahren den SchlafRachlose Schmach mir stahl.»
«War das ein Seufzer lind?Gesellen, wer hat's gehört?» |
35 | Sprach Kurt: «Es ist nur der Wind,Der über das Schilfblatt fährt.» –
«So schwör' ich bei'm höchsten Gut,Und wär's mein ehlich Weib,Und wär's meines Bruders Blut, |
40 | Viel minder mein eigner Leib:»
«Nichts soll mir wenden den Sinn,Daß ich die Rache ihm spar';Der Freche soll werden inn',Zins tragen auch dreizehn Jahr'.»
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45 | «Bei Gott! das war ein Gestöhn!»Sie schossen die Blicke in Hast.Sprach Kurt: «Es ist der Föhn,Der macht seufzen den Tannenast.» –
«Und ist sein Aug' auch blind, |
50 | Und ist sein Haar auch grau,Und mein Weib seiner Schwester Kind –»Hier that einen Schrei die Frau.
Wie Wetterfahnen schnellDie Dreie wendeten sich. |
55 | «Zurück, zurück, mein Gesell!Dieses Weibes Richter bin ich.»
«Hast du gelauscht, Allgund?Du schweigst, du blickst zur Erd'?Das bringt dir bittre Stund'! |
60 | Allgund, was hast du gehört?» –
«Ich lausch' deines Rosses Klang,Ich späh' deiner Augen Schein,So kam ich hinab den Hang.Nun thue was Noth mag seyn.» –
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65 | «O Frau!» sprach Jakob Port,«Da habt Ihr schlimmes Spiel!Grad' sprach der Herr ein Wort,Das sich vermaß gar viel.»
Sprach Kurt: «Ich sag' es rund, |
70 | Viel lieber den Wolf im Stall,Als eines Weibes MundZum Hüter in solchem Fall.»
Da sah der Graf sie an,Zu Einem und zu Zwei'n; |
75 | Drauf sprach zur Fraue der Mann:«Wohl weiß ich, du bist mein.»
«Als du gefangen lagstUm mich ein ganzes Jahr,Und keine Sylbe sprachst: |
80 | Da ward deine Treu' mir klar.»
«So schwöre mir denn sogleich:Sey's wenig oder auch viel,Was du vernahmst am Teich,Dir sey's wie Rauch und Spiel.»
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85 | «Als seye nichts gescheh'n,So muß ich völlig meinen;Darf dich nicht weinen seh'n,Darfst mir nicht bleich erscheinen.»
«Denk' nach, denk' nach, Allgund! |
90 | Was zu verheißen Noth.Die Wahrheit spricht dein Mund,Ich weiß, und brächt' es Tod.»
Und konnte sie sich besinnen,Verheißen hätte sie's nie; |
95 | So war sie halb von Sinnen,Sie schwur, und wußte nicht wie.
II
Und als das MorgengrauIn die Kemnate sich stahl:Da hatte die werthe Frau |
100 | Geseufzt schon manches Mal;
Manch Mal gerungen die Hand,Ganz heimlich wie ein Dieb;Roth war ihrer Augen Rand,Todtblaß ihr Antlitz lieb.
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105 | Drei Tage kredenzt' sie den Wein,Und saß bei'm Mahle drei Tag',Drei Nächte in steter PeinIn der Waldkapelle sie lag.
Wenn er die Wacht besorgt, |
110 | Der Thorwart sieht sie gehn,Im Walde steht und horchtDer Wilddieb dem Gestöhn'.
Am vierten Abend sie saßAn ihres Herren Seit', |
115 | Sie dreht' die Spindel, er las,Dann sahn sie auf, alle beid'.
«Allgund, bleich ist dein Mund!»«Herr, 's macht der Lampe Schein.»«Deine Augen sind roth, Allgund!» |
120 | «'S drang Rauch vom Heerde hinein.
«Auch macht mir's schlimmen Muth,Daß heut vor fünfzehn JahrenIch sah meines Vaters Blut;Gott mag die Seele wahren!»
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125 | «Lang ruht die Mutter im Dom,Sind Wen'ge mir verwandt,Ein' Muhm' noch und ein Ohm:Sonst ist mir keins bekannt.»
Starr sah der Graf sie an: |
130 | «Es steht dem Weibe fest,Daß um den ehlichen MannSie Ohm und Vater läßt.»
«Ja, Herr! so muß es seyn.Ich gäb' um Euch die zweie, |
135 | Und mich noch obendrein,Wenn's seyn müßt', ohne Reue.»
«Doch daß nun dieser TagNicht gleich den andern sey,Les't, wenn ich bitten mag, |
140 | Ein Sprüchlein oder zwei.»
Und als die Fraue klarDarauf das heil'ge BuchBot ihrem Gatten dar,Es auf von selber schlug.
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145 | Mit Einem Blicke er maßDer nächsten Sprüche einen;«Mein ist die Rach'», er las;Das will ihm seltsam scheinen.
Doch wie so fest der Mann |
150 | Auf Frau und Bibel blickt,Die saß so still und spann,Dort war kein Blatt geknickt.
Um ihren schönen LeibDen Arm er düster schlang: |
155 | «So nimm die Laute, Weib,Sing' mir einen lust'gen Sang!» –
«O Herr! mag's euch behagen,Ich sing' ein Liedlein werth,Das erst vor wenig Tagen |
160 | Mich ein Minstrel gelehrt.»
«Der kam so matt und bleich,Wollt' nur ein wenig ruh'n,Und sprach, im oberen ReichSing' man nichts Anderes nun.»
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165 | Drauf, wie ein Schrei verhallt,Es durch die Kammer klingt,Als ihre Finger kaltSie an die Saiten bringt.
«Johann! Johann! was dachtest du |
170 | An jenem Tag,Als du erschlugst deine eigne Ruh'Mit Einem Schlag?Verderbtest auch mit dir zugleichDeine drei Gesellen; |
175 | O, sieh nun ihre Glieder bleichAm Monde schwellen!
Weh dir, was dachtest du JohannZu jener Stund'?Nun läuft von dir verlornem Mann |
180 | Durchs Reich die Kund'!Ob dich verbergen mag der Wald,Dich wird's ereilen;Horch nur, die Vögel singen's bald,Die Wölf' es heulen!
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185 | O weh! das hast du nicht gedacht,Johann! Johann!Als du die Rache wahr gemachtAm alten Mann.Und wehe! nimmer wird der Fluch |
190 | Mit dir begraben,Dir, der den Ohm und Herrn erschlug,Johann von Schwaben!»
Aufrecht die Fraue bleichVor ihrem Gatten stand, |
195 | Der nimmt die Laute gleich,Er schlägt sie an die Wand.Und als der Schall verklang,Da hört man noch zuletzt,Wie er die Hall' entlang |
200 | Den zorn'gen Fußtritt setzt.
III
Von heut am siebenten Tag'Das war eine schwere Stund',Als am Balkone lagAuf ihren Knien Allgund.
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205 | Laut waren des Herzens Schläge:«O Herr! erbarme dich mein,Und bracht' ich Böses zuwege,Mein sey die Buß' allein.»
Dann beugt sie tief hinab, |
210 | Sie horcht und horcht und lauscht:Vom Wehre tos't es herab,Vom Forste drunten es rauscht.
War das ein Fußtritt? nein!Der Hirsch setzt über die Kluft. |
215 | Sollt' ein Signal das seyn?Doch nein, der Auerhahn ruft.
«O mein Erlöser, mein Hort!Ich bin mit Sünde beschwert,Sey gnädig und nimm mich fort, |
220 | Eh' heim mein Gatte gekehrt.»
«Ach, wen der Böse umgarnt,Dem alle Kraft er bricht!Doch hab' ich ja nur gewarnt,Verrathen, verrathen ja nicht!»
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225 | «Weh! das sind Rossestritte.»Sie sah sie fliegen durch's ThalMit wildem grimmigen Ritte,Sie sah auch ihren Gemahl.
Sie sah ihn dräuen, genau, |
230 | Sie sah ihn ballen die Hand:Da sanken die Knie der Frau,Da rollte sie über den Rand.
Und als zum Schlimmen entschlossenDer Graf sprengt' in das Thor, |
235 | Kam Blut entgegen geflossen,Drang unter'm Gitter hervor.
Und als er die Hände sah faltenSein Weib in letzter Noth,Da konnt' er den Zorn nicht halten, |
240 | Bleich ward sein Gesicht so roth.
«Weib, das den Tod sich erkor!» –«'S war nicht mein Wille» sie sprach,Noch eben bracht' sie's hervor.«Weib, das seine Schwüre brach!»
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245 | Wie Abendlüfte verwehenNoch einmal haucht sie ihn an:«Es mußt' eine Sünde geschehen –Ich hab' sie für dich gethan!» |