BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Annette von Droste-Hülshoff

1797 - 1848

 

Gedichte

 

1844

 

Balladen

 

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Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Cöln

entstanden 1841

 

I

 

Der Anger dampft, es kocht die Ruhr,

Im scharfen Ost die Halme pfeifen,

Da trabt es sachte durch die Flur,

Da taucht es auf wie Nebelstreifen,

5

Da nieder rauscht es in den Fluß,

Und stemmend gen der Wellen Guß

Es fliegt der Bug, die Hufe greifen.

 

Ein Schnauben noch, ein Satz, und frei

Das Roß schwingt seine nassen Flanken,

10

Und wieder ein, und wieder zwei,

Bis fünf und zwanzig stehn wie Schranken:

Voran, voran durch Haid und Wald,

Und wo sich wüst das Dickicht ballt,

Da brechen knisternd sie die Ranken.

 

15

Am Eichenstamm, im Ueberwind,

Um einen Ast den Arm geschlungen,

Der Isenburger steht und sinnt

Und naget an Erinnerungen.

Ob er vernimmt, was durch's Gezweig

20

Ihm Rinkerad, der Ritter bleich,

Raunt leise wie mit Vögelzungen?

 

«Graf,» flüstert es, «Graf haltet dicht,

Mich dünkt, als woll' es euch bethören;

Bei Christi Blute, laßt uns nicht

25

Heim wie gepeitschte Hunde kehren

Wer hat gefesselt eure Hand,

Den freien Stegreif euch verrannt?» –

Der Isenburg scheint nicht zu hören.

 

«Graf,» flüstert es, «wer war der Mann,

30

Dem zu dem Kreuz die Rose *) paßte?

Wer machte euren Schwäher dann

In seinem eignen Land zum Gaste?

Und, Graf, wer höhnte euer Recht,

Wer stempelt euch zum Pfaffenknecht?» –

35

Der Isenburg biegt an dem Aste.

 

«Und wer, wer hat euch zuerkannt,

Im härnen Sünderhemd zu stehen,

Die Schandekerz' in eurer Hand,

Und alte Vetteln anzuflehen

40

Um Kyrie und Litaney!?» –

Da krachend bricht der Ast entzwei

Und wirbelt in des Sturmes Wehen.

 

Spricht Isenburg: «Mein guter Fant,

Und meinst du denn ich sey begraben?

45

O laß mich nur in meiner Hand –

Doch ruhig, still, ich höre traben!»

Sie stehen lauschend, vorgebeugt;

Durch das Gezweig der Helmbusch steigt

Und flattert drüber gleich dem Raben.

 

II

 

50

Wie dämmerschaurig ist der Wald

An neblichten Novembertagen,

Wie wunderlich die Wildniß hallt

Von Astgestöhn und Windesklagen!

«Horch, Knabe, war das Waffenklang?» –

55

«Nein, gnäd'ger Herr! ein Vogel sang,

Von Sturmesflügeln hergetragen.» –

 

Fort trabt der mächtige Prälat,

Der kühne Erzbischof von Cöllen,

Er, den der Kaiser sich zum Rath

60

Und Reichsverweser mochte stellen,

Die ehrne Hand der Clerisey, –

Zwei Edelknaben, Reis'ger zwei,

Und noch drei Aebte als Gesellen.

 

Gelassen trabt er fort, im Traum

65

Von eines Wunderdomes Schöne,

Auf seines Rosses Hals den Zaum,

Er streicht ihm sanft die dichte Mähne,

Die Windesodem senkt und schwellt; –

Es schaudert, wenn ein Tropfen fällt

70

Von Ast und Laub, des Nebels Thräne.

 

Schon schwindelnd steigt das Kirchenschiff,

Schon bilden sich die krausen Zacken –

Da, horch, ein Pfiff und hui, ein Griff,

Ein Helmbusch hier, ein Arm im Nacken!

75

Wie Schwarzwildrudel bricht's heran,

Die Aebte fliehn wie Spreu, und dann

Mit Reisigen sich Reis'ge packen.

 

Ha, schnöder Straus! zwei gegen zehn!

Doch hat der Fürst sich losgerungen,

80

Er peitscht sein Thier und mit Gestöhn

Hat's über'n Hohlweg sich geschwungen;

Die Gerte pfeift – «Weh, Rinkerad!» –

Vom Rosse gleitet der Prälat

Und ist ins Dickicht dann gedrungen.

 

85

«Hussah, hussah, erschlagt den Hund,

Den stolzen Hund!» und eine Meute

Fährt's in den Wald, es schließt ein Rund,

Dann vor – und rückwärts und zur Seite;

Die Zweige krachen – ha es naht –

90

Am Buchenstamm steht der Prälat

Wie ein gestellter Eber heute.

 

Er blickt verzweifelnd auf sein Schwert,

Er löst die kurze breite Klinge,

Dann prüfend unter'n Mantel fährt

95

Die Linke nach dem Panzerringe;

Und nun wohlan, er ist bereit,

Ja männlich focht der Priester heut,

Sein Streich war eine Flammenschwinge.

 

Das schwirrt und klingelt durch den Wald,

100

Die Blätter stäuben von den Eichen,

Und über Arm und Schädel bald

Blutrothe Rinnen tröpfeln, schleichen;

Entwaffnet der Prälat noch ringt,

Der starke Mann, da zischend dringt

105

Ein falscher Dolch ihm in die Weichen.

 

Ruft Isenburg: «es ist genug,

Es ist zuviel!» und greift die Zügel;

Noch sah er wie ein Knecht ihn schlug,

Und riß den Wicht am Haar vom Bügel.

110

«Es ist zuviel, hinweg, geschwind!»

Fort sind sie, und ein Wirbelwind

Fegt ihnen nach wie Eulenflügel. – –

 

Des Sturmes Odem ist verrauscht,

Die Tropfen glänzen an dem Laube,

115

Und über Blutes Lachen lauscht

Aus hohem Loch des Spechtes Haube;

Was knistert nieder von der Höh'

Und schleppt sich wie ein krankes Reh?

Ach armer Knabe, wunde Taube!

 

120

«Mein gnädiger, mein lieber Herr,

So mußten dich die Mörder packen?

Mein frommer, o mein Heiliger!»

Das Tüchlein zerrt er sich vom Nacken,

Er drückt es auf die Wunde dort,

125

Und hier und drüben, immerfort,

Ach, Wund' an Wund' und blut'ge Zacken!

 

«Ho, hollah ho!» – dann beugt er sich

Und späht, ob noch der Odem rege;

War's nicht als wenn ein Seufzer schlich,

130

Als wenn ein Finger sich bewege? –

«Ho, hollah ho!» – «Halloh, hoho!»

Schallt's wieder um, deß war er froh:

«Sind unsre Reuter allewege!»

 

III

 

Zu Cöln am Rheine kniet ein Weib

135

Am Rabensteine unter'm Rade,

Und über'm Rade liegt ein Leib,

An dem sich weiden Kräh' und Made;

Zerbrochen ist sein Wappenschild,

Mit Trümmern seine Burg gefüllt,

140

Die Seele steht bei Gottes Gnade.

 

Den Leib des Fürsten hüllt der Rauch

Von Ampeln und von Weihrauchschwehlen –

Um seinen qualmt der Moderhauch

Und Hagel peitscht der Rippen Höhlen;

145

Im Dome steigt ein Trauerchor,

Und ein Tedeum stieg empor

Bei seiner Qual aus tausend Kehlen.

 

Und wenn das Rad der Bürger sieht,

Dann läßt er rasch sein Rößlein traben,

150

Doch eine bleiche Frau die kniet,

Und scheucht mit ihrem Tuch die Raben:

Um sie mied er die Schlinge nicht,

Er war ihr Held, er war ihr Licht –

Und ach! der Vater ihrer Knaben!

 

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*) Zu (dem Kreuz) Cöln die Rose (das Wappen von) Berg, dessen Besitz Engelbert dem Bruder von Isenburgs Gemalin vorenthielt.