Annette von Droste-Hülshoff
1797 - 1848
Gedichte
1844
Scherz und Ernst
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Dichters Naturgefühlentstanden 1841/42
Es war an einem jener Tage,Wo Lenz und Winter sind im Streit,Wo naß das Veilchen klebt am Haage,Kurz, um die erste Maienzeit; | |
5 | Ich suchte keuchend mir den WegDurch sumpfge Wiesen, dürre Raine,Wo matt die Kröte hockt' am Steine,Die Eidechs schlüpfte über'n Steg.
Durch hundert kleine Wassertruhen, |
10 | Die wie verkühlter Spüligt stehn,Zu stelzen mit den Gummischuhen,Bei Gott, heißt das Spazierengehn?Natur, wer auf dem HaberrohrIn Jamben, Stanzen, süßen Phrasen |
15 | So manches Loblied dir geblasen,Dem stell dich auch manierlich vor!
Da ließ zurück den Schleier wehenDie eitle vielbesungne Frau,Als fürchte sie des Dichters Schmähen; |
20 | Im Sonnenlichte stand die Au,Und bei dem ersten linden StralStieg eine Lerche aus den Schollen,Und ließ ihr Tirilirum rollenRecht wacker durch den Aethersaal.
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25 | Die Quellchen, glitzernd wie Kristallen, –Die Zweige, glänzend emaillirt –Das kann dem Kenner schon gefallen,Ich nickte lächelnd: «Es passirt!»Und stapfte fort in eine Schluft, |
30 | Es war ein still und sonnig Fleckchen,Wo tausend AnemonenglöckchenUmgaukelten des Veilchens Duft.
Das üpp'ge Moos – der Lerchen Lieder –Der Blumen Flor – des Krautes Keim – |
35 | Auf meinen Mantel saß ich niederUnd sann auf einen Frühlingsreim.Da – alle Musen, welch ein Ton! –Da kam den Rain entlang gesungenSo eine Art von dummen Jungen, |
40 | Der Friedrich, meines Schreibers Sohn.
Den Epheukranz im flächsnen Haare,In seiner Hand den Veilchenstrauß,So trug er seine achtzehn JahreRomantisch in den Lenz hinaus. |
45 | Nun schlüpft er durch des Hagens Loch,Nun hing er an den DornenzweckenWie Abrams Widder in den Hecken,Und in den Dornen pfiff er noch.
Bald hatt' er beugend, gleitend, springend, |
50 | Den Blumenanger abgegrast,Und rief nun, seine Mähnen schwingend:«Viktoria, Trompeten blast!»Dann flüstert er mit süßem Hall:«O, wären es die schwed'schen Hörner!» |
55 | Und dann begann ein Lied von Körner;Fürwahr, du bist 'ne Nachtigall!
Ich sah ihn, wie er an dem WalleIm feuchten Moose niedersaß,Und nun die Veilchen, Glöckchen alle |
60 | Mit sel'gem Blick zu Sträußen las,Auf seiner Stirn den Sonnenstral;Mich faßt' ein heimlich Unbehagen,Warum? ich weiß es nicht zu sagen,Der fade Bursch war mir fatal.
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65 | Noch war ich von dem blinden HessenAuf meinem Mantel nicht gesehn,Und so begann ich zu ermessen,Wie übel ihm von Gott geschehn;O Himmel, welch' ein traurig Loos, |
70 | Das Schicksal eines dummen Jungen,Der zum Copisten sich geschwungenUnd auf den Schreiber steuert los!
Der in den kargen FeierstundenRomane von der Zofe borgt, |
75 | Beklagt des Löwenritters WundenUnd seufzend um den Posa sorgt,Der seine Zelle, kalt und klein,Schmückt mit Aladdins Zaubergabe,Und an dem Quell, wie Schillers Knabe, |
80 | Violen schlingt in Kränzelein!
In dessen wirbelndem GehirneDas Leben spukt gleich einer Fey,Der – hastig fuhr ich an die Stirne:«Wie, eine Mücke schon im Mai?» |
85 | Und trabte zu der Schlucht hinaus,Hohl hustend, mit beklemmter Lunge,Und drinnen blieb der dumme Junge,Und pfiff zu seinem Veilchenstrauß! |