Annette von Droste-Hülshoff
1797 - 1848
Gedichte
1844
Fels, Wald und See
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Fragment[Einleitung zum später verworfenendritten Gesang des «St. Bernhard»]entstanden 1834/35
Savoyen, Land beschnei'ter Höhn,Wer hat dein kräftig Bild geseh'n,Wer trat in deiner Wälder Nacht,Sah auf zu deiner Wipfel Pracht, | |
5 | Wer stand an deinem Wasserfall,Wer lauschte deiner Ströme Hall,Und nannte dich nicht schön?Du Land des Volks, dem Reiche weihenRuhmvoll den Namen des getreuen, |
10 | Bist herrlich, wenn der FrühlingssturmDie Berggewässer schäumend führt,Und deiner Fichte schlanker ThurmSich mit der jungen Nadel ziert;Bist reizend, wenn die Sommerglut |
15 | Erzittert um den Mandelbaum;Doch in des Herbstes goldner FlutDu ruhst gleich dunkeln Auges Traum.Dann treibt der Wind kein rasselnd LaubDurch brauner Haiden Wirbelstaub; |
20 | Wie halb bezwungne Seufzer wallen,Nur leis' die zarten Nadeln fallen,Als wagten sie zu flüstern kaum.
Der Tag bricht an; noch einsam stehtDas Sonnenrund am Firmament; |
25 | Am Strahl, der auf und nieder streicht,Gemach der Erdbeerbaum entbrennt;Noch will das Genzian nicht wagenDie dunkeln Wimpern aufzuschlagen;Noch schläft die Luft im Nebel dicht. |
30 | Welch' greller Schrei die Stille bricht?Der Auerhahn begrüßt das Licht;Er schaukelt, wiegt sich, macht sich breit,Er putzt sein stattlich Federkleid,Und langsam streckt ihr stumpf Gesicht |
35 | Marmotte aus hohlen Baumes Nacht:Das Leben, Leben ist erwacht;Die Geier pfeifen, Birkhahn ruft,Schneehühner flattern aus der Kluft;Die Fichten selbst, daß keiner säume, |
40 | Erzählen flüsternd sich die Träume.Und durch Remi geht überallEin dumpf Gemurr von Stall zu Stall. |