Annette von Droste-Hülshoff
1797 - 1848
Gedichte
1838
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Der Säntisentstanden 1835/36
Frühling
Die Rebe blüht, ihr linder HauchDurchzieht das thauige Revier,Und nah' und ferne wiegt die LuftVielfarb'ger Blumen bunte Zier.
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5 | Wie's um mich gaukelt, wie es summtVon Vogel, Bien' und Schmetterling,Wie seine seidnen Wimpel regtDer Zweig, so jüngst voll Reifen hing.
Noch sucht man gern den Sonnenschein |
10 | Und nimmt die trocknen Plätzchen ein;Denn Nachts schleicht an die Gränze dochDer landesflücht'ge Winter noch.
O du mein ernst gewalt'ger Greis,Mein Säntis mit der Locke weiß! |
15 | In Felsenblöcke eingemauert,Von Schneegestöber überschauert,In Eisespanzer eingeschnürt:Hu! wie dich schaudert, wie dich friert!
Sommer
Du gute Linde, schüttle dich! |
20 | Ein wenig Luft, ein schwacher West!Wo nicht, dann schließe dein GezweigSo recht, daß Blatt an Blatt sich preßt.
Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;Allein die bunte Fliegenbrut |
25 | Summt auf und nieder über'n RainUnd läßt sich rösten in der Glut.
Sogar der Bäume dunkles LaubErscheint verdickt und athmet Staub.Ich liege hier wie ausgedorrt |
30 | Und scheuche kaum die Mücken fort.
O Säntis, Säntis! läg' ich dochDort, – grad' an deinem Felsenjoch,Wo sich die kalten, weißen DeckenSo frisch und saftig drüben strecken, |
35 | Viel tausend blanker Tropfen Spiel;Glücksel'ger Säntis, dir ist kühl!
Herbst
Wenn ich an einem schönen TagDer Mittagsstunde habe Acht,Und lehne unter meinem Baum |
40 | So mitten in der Trauben Pracht:
Wenn die Zeitlose über's ThalDen amethystnen Teppich webt,Auf dem der letzte SchmetterlingSo schillernd wie der frühste bebt:
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45 | Dann denk' ich wenig drüber nach,Wie's nun verkümmert Tag für Tag,Und kann mit halbverschlossnem BlickVom Lenze träumen und von Glück.
Du mit dem frischgefall'nen Schnee, |
50 | Du thust mir in den Augen weh!Willst uns den Winter schon bereiten:Von Schlucht zu Schlucht sieht man ihn gleiten,Und bald, bald wälzt er sich herabVon dir, o Säntis! ödes Grab!
Winter
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55 | Aus Schneegestäub' und NebelqualmBricht endlich doch ein klarer Tag;Da fliegen alle Fenster auf,Ein Jeder späht, was er vermag.
Ob jene Blöcke Häuser sind? |
60 | Ein Weiher jener ebne Raum?Fürwahr, in dieser UniformDen Glockenthurm erkennt man kaum;
Und alles Leben liegt zerdrückt,Wie unterm Leichentuch erstickt. |
65 | Doch schau! an Horizontes RandBegegnet mir lebend'ges Land.
Du starrer Wächter, lass' ihn losDen Föhn aus deiner Kerker Schooß!Wo schwärzlich jene Riffe spalten, |
70 | Da muß er Quarantaine halten,Der Fremdling aus der Lombardei;O Säntis, gib den Thauwind frei! |