Annette von Droste-Hülshoff
1797 - 1848
Gedichte
1838
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Des Arztes Vermächtnisentstanden 1834
So mild die Landschaft und so kühn,Aus Felsenritzen Ranken blühn;So wild das Wasser stürmt und rauscht,Und drüber Soldanella 1) lauscht! | |
5 | Nichts was ein wundes Herz so kühltAls Bergesluft die einsam spielt,Wenn Maienmorgens frische RosenMit Fichtendunkel flüsternd kosen.Wo über'm Wipfelmeer das Riff |
10 | Im Aether steht, ein flaggend Schiff,Um seinen Mast der Geier schweift:Tief im Gebüsch das Berghuhn läuft,Es stutzt – es kauert sich – es pfeiftUnd flattert auf; – ein Blättchen streift |
15 | Die Rolle in des Jünglings Hand.Der schaut, versunken, über Land,Wie Einer, so in Stromes RauschenWill längst verklungner Stimme lauschen.Er ruht am feuchten Uferrand. – |
20 | In seinem Auge Einklang liegtMit dem, was über ihm sich wiegt,Mit Windgestöhn' und linden Zweigen:Was ist ihm fremd, und was sein eigen?Gedankenvoll dem Boden ein |
25 | Gräbt Zeichen er mit spitzem Stein,Und löst gedankenvoll das BandAm Blatt, wo, regelloser Spur,Ach! eine Hand, zu theuer nur,Vertraut gestörter Seele Leiden, |
30 | Die Wahr und Falsch nicht konnte scheiden.Und will er – soll er – dringen einIn ein Geheimniß das nicht sein?Es sey! es sey! die Hand ist Staub,Und ein Vermächtniß ja kein Raub! |
35 | Dann – Wasser, Felsen, Alles schwand.
«Ich war noch jung; o Zeit. entfloh'ne Zeit!Wohl vierzig Jahre hin, mir ist's wie heut.Ein frisches Wasserreis war ich, im TraumeVon Blüthe, Frucht und tausendjähr'gem Baume. |
40 | Ein Flämmchen war ich, lustig angebrannt,Mein Sohn, nicht Schlacke wie du mich gekannt.Ach! damals hatte fremde Sünde nichtGelegt auf meinen Nacken ihr Gesicht.Klar war mein Hirn, die Seufzer durften ruhn: |
45 | So war's, so war's, und anders ist es nun.Der dunkle Mann – das Bild das mich umkreist –Ich sage nichts, mein Sohn, was du nicht weißt.Zu Nacht mein Auge fand das deine offen,Dein sorglich Ohr mein Aechzen hat getroffen, |
50 | Wenn Mißgeschick in Sünde mir zerfleußt,Zur Gegenwart wird die Erinnerung.Alt bin ich, krank, umdunkelt oft mein GeistDas kennst du nicht, du bist gesund und jung.
Am zwölften Mai, bei einsam tiefer Nacht, |
55 | Nach einem Tag, ich hatt' ihn froh verbrachtAuf Waldeshöh'n, die wimmelnd von GesindelZum Aether strecken ihrer Fichten Spindel,An Böhmens Gränze eine starre Wacht:Dort nahm, der Wissenschaft und Armuth Sohn, |
60 | Ein kleines Haus mich auf seit Wochen schon,Wo Kräuter suchend zwischen Fels und GründenDie Einsamkeit ich traulich konnte finden.Am zwölften Mai, wo das Geschick mich traf –Auf meinen Wimpern lag der Jugend Schlaf, |
65 | Doch ruhig nicht, mein Traum war wie im Fieber –Auf Felsen stand ich, Adler kreisten drüber;Mir näher, näher aus dem tiefen GrauDer Flügel Schlag ich hört' ihn ganz genau,Und hört' es immer, als der Traum zerrann. |
70 | Vernahm ich's wirklich? Und was war es dann?Den Athem haltend lausch' ich vorgebeugt,Und wahrlich – zweimal – dreimal – nah der WandPocht es vernehmlich an des Fensters Rand.Dann Schatten seh' ich vor der Scheibe schwanken, |
75 | Ein langer Arm, ein dunkler Finger steigt;Ich war noch jung, wie Pulver die Gedanken,Wenn aufgeregt, erkannten keine Schranken.Man weckt den Arzt um Mitternacht so leicht:Gewöhnlich fänd' ich's jetzt, dort wunderbar; |
80 | Doch Jugend schäumt entgegen der GefahrUnd ohne Sprudel ist kein Trank ihr klar.
So war's nur Neugier und verwegne Glut,Was durch die Adern trieb das üpp'ge Blut,Als ich verlassen jener Hütte Frieden |
85 | Um einen Wunden, wie man mich beschieden,In jener Nacht so schwarz und schauerlich,Daß nicht ein Glühwurm durch die Kräuter schlich;Des Grases Knistern nur, der schwache HauchDes eignen Athems brach die Stille auch. |
90 | V o r ging ein Mann, und Einer n a c h mir schritt.Ich sah nur Grau in Grau und tappte mit,Als wir dem Bergwald zogen stumm entgegen,Gleich Kohlenstämmen unter Aschenregen.Zuerst ein Weiher kam, und dann ein Steg, |
95 | Dann ging es aufwärts halb verwachsnen Weg;Im tiefern Grau verschwammen die Gestalten;Nur selten zeigten mir des Waldes SpaltenNoch meines Vormanns untersetzten Bau.An einer Klippe meine Führer halten, |
100 | Und ich mich wende zu verstohlner Schau.Nur dunkle Massen rings – wo mag ich seyn?Da über mir hört' ich die Eule schrei'nUnd dachte noch, ihr Nest liegt im Gestein.Doch dort und dort und dorten überall, |
105 | Entlang die Waldung, gellt's im WiederhallRingsum die Zweige knistern wie im Brand,Vor mir ein Mantel, drüben eine Hand,Dann über meine Schulter es sich stemmt,Und eine Binde hat den Blick gehemmt. |
110 | Der Boden schwindet; eh ich mich gefaßt,Ein Roß trägt schnaubend fürder seine Last.
Mir war doch schwül, als ich zum Zügel griff;Seekranken war mir's gleich auf leckem Schiff.Verwirrung hatte mich betäubt, zum Heil, |
115 | Sonst hätt' ich mich gefürchtet, als so steilPfadlosen Weg betrat des Thieres Fuß,Wo ich nur klammernd mich erhalten mußAn seine Mähne mein Gesicht gelegt,Daß mir des Thieres Schweiß vom Kinne rann. |
120 | Ich hörte wie, von seinem Huf geregt,Des Weges Steine langsam rollten, dannVon Klipp' zu Klippe sprangen, bis zuletztDer Schall im Nachhall schwand. Ich hörte jetztOb meinem Haupt die Wasser niederrauschen, |
125 | Daß zarter Regen mein Gesicht benetzt.Oft warnte eine Stimme mich in Hast:«Dich vorgebückt!» und über meinen NackenStrich sich ein breiter Ast mit trägem Knacken.Entferntem Knalle glaubt' ich oft zu lauschen, |
130 | Der Boden einmal klang wie Estrich fast;Was weiß ich, meine Phantasie war reg'; –Doch immer seltsam blieb und schlimm der Weg.So öde war mein Hirn, gedankenleer,Die Zügel ließ ich, oft dem Falle nah, |
135 | Dann wieder kehrte das Bewußtseyn schwer.Mit angeklemmten Gliedern saß ich daUnd log, von Sorge überschlau gemacht,Ein heitres Angesicht der finstern Nacht.Wie lange so, vermag ich nicht zu sagen. |
140 | Mir ist wie dem der aus dem Schlaf erwacht:Ihm scheint's vom Abend ein Moment zum Tagen,Doch blieb ihm das Gefühl entschwundner Zeit,Und öfters über's Ziel ihn führend weit,Daß er die Sonne sucht um Mitternacht. |
145 | Ja! sinn' ich was noch all sich zugetragenBevor es tagte, hat die Fahrt wohl kaumGefüllt auf's längste einer Stunde Raum.Dann stand das Thier, und Arme fühlt' ich wieder;Nun schwebt' ich in der Luft, nun ließ mich's nieder; |
150 | Und tiefer in die Brust der Athem glitt,Als Grund, als festen Grund mein Fuß beschritt.
Voll Schwindel war ich, halb bewußtlos noch,So griff ich nach der Binde; hastig dochMich faßte eine Hand, die war so stark, |
155 | Der leichte Druck mir rieselte in's Mark.Und weiter, weiter durch bethautes Kraut;Man wandte rechts und links und sucht' zu meiden,Was, weiß ich nicht; doch konnt' ich unterscheidenIm Gras verstreuten Schutt, hier ward gebaut. |
160 | Dann Stufen ging's hinunter, seltsam hallend,Und immer tiefer, eine lange Reih'.Ich stütze mich auf Mauern, morsch, zerfallend,Hier klang der Athemzug, ein halber Schrei;Zur Seite hör' ich's tröpfeln, wie vom Regen – |
165 | Ich räuspre – und es schmettert mir entgegen –Des Kleides Reibung flüstert am Gestein –Dies mußt' ein lang und tief Gewölbe seyn.Vor Allem seltsam war's, als, unterm GrundAuftauchend, Schritte rechts sich gaben kund. |
170 | Wie Schmiedehämmer pocht es um und neben;Die eingepreßte Luft, es trog mich nicht.Ich fühlte um Gesicht und Brust sie beben.Doch ferner, schwächer schon der Schall sich bricht.Nur immer weiter, wie die Wege drehn, |
175 | Und bald verschwimmt das Klirren, Rufen, GehnIn ein Geschwirr, dem Hall des Wassers gleich,Wenn's niederrauscht in einer Grotte Reich.
Oft sinn' ich wie mir alles noch so klar;Ich war betäubt, drum scheint mir's sonderbar. |
180 | Ja, Angst ist fein, und schier bewußtlos doch,Mechanisch sammeln ein die Sinne noch.Nun stand mein Führer: schwere Riegel klirrten,Schnell schwand das Tuch, und schneller vor's GesichtSchlug ich die Hand, mich blendete das Licht, |
185 | Man sprach zu mir, ich sah und hörte nicht;Von allen Seiten bunte Flügel flirrten:Es that der Binde Druck, denn da's zerging,Ein einsam Lämpchen nur im Winkel hing,Wo einer Scheibe vieldurchlöchert Ziel |
190 | Das Erste war was mir in's Auge fiel.Und, als ich noch dem Schwindel kaum entrann,Zu einer Wölbung zieht man mich hinan,Bis dicht vor meinen Füßen liegt ein Mann.Und Dieser ist's? vom groben Pelz bedeckt? |
195 | So ausgespannt wie sich die Leiche streckt?Und Diesem soll ich helfen? Wenn ich kann.Ich sah den halbentblößten Fuß, die Hand,Kalt, todtenfahl, erschlafft der Muskeln Band;Ich sah recht um der Lunge Sitz das Tuch, |
200 | Wodurch ein Streif sich naß und dunkel wand;Ich sah das schwarze Blut am Boden hier,Und weiß nicht wo ich die Gedanken trug.Gleich einer fremden Stimme sprach's aus mir:«Bei Gott! bei Gott! bei Gott! der hat genug.» |
205 | Ob man's vernommen hat? ich glaub' es kaum;Mich dünkt, gemurmelt hab' ich wie im Traum.
Ein Schimmer jetzt auf den Enthüllten fällt,Auf Züge, edel doch gefällig nicht.Dies Auge kalt und unbezwungen bricht |
210 | Da sich dem Tod' zum Kampf die Seele stellt.Vor Grimm dies Antlitz schien mir zu erbleichenUm einen Gegner dem es jetzt muß weichen.Kraftsammlung, tiefes Brüten, sollt' man glauben,Bewegung ihm und Sprache müsse rauben; |
215 | Und drüber, wahrlich, noch ein Hauch sich rührtVon dem was Herzen anlockt und verführt.Ich sah wohl wie es mit uns zweien stand,Mit mir und ihm, wir beid' an Grabes Rand,Da hab' ich auch gefühlt zu diesem Mal, |
220 | Wie Todesangst in vollem Laube thut.Man meint, am besten sey's so kurz und gut,Bevor uns Krankheit Zoll um Zoll verzehrt;Glaub mir, es ist 'ne wunderliche Wahl,So um sich, neben sich kein Fußbreit Raum, |
225 | Und über'm Haupt an Einem Haar das Schwert,Fürwahr die Zunge klebte mir am Gaum!Vielleicht dem Fischer mag ich mich vergleichen,Der sonder Nahrung im verschlag'nen BootDie Möve streifen sieht und an dem bleichen |
230 | Gewölk aufzucken ferner Blitze Roth,Gleich nah dem Abgrund und dem Hungertod.
Doch die Besinnung kehrte mir zum Heil,Auch etwas Muth und eben List genug;Ich konnte fragen in geschäft'ger Eil' |
235 | Nach jener Waffe so die Wunde schlug.Der Führer sprach – fürwahr, ich weiß nicht was.Mein Blick hing an des Kranken Muskelspiel:Die Lippe bebt, das Auge hat kein Ziel.Auf seinen Busen legt' ich meine Hand, |
240 | Und fühlte wie der Herzschlag kam und schwand,In Stößen bald, dann wieder träg und laß;Da grade ward das Eisen mir gereicht,Ein Messer aus dem Küchenschrank vielleicht,Mit einer Schling', es an die Wand zu hängen; |
245 | Das Ansehn einer Waffe hat's zumal,Die man ergreift in Angst und Todesqual.Ich fühlte wohl wie mein Gesicht erblich.Und als der Klinge blutgefärbte LängenAm Ermel auf und ab der Führer strich, |
250 | Und recht als ob ihn wilde Lust beschlich,Nun spielend zuckt und ausholt gegen mich:Es war mir doch als dringe ein der Stich.Verbergen wollt' ich meiner Kniee Schwanken,Und suchte nach des nächsten Schemels Halt, |
255 | Man sollte wähnen, sorglos, in Gedanken:Da traf ich eine Hand, so feucht und kalt;Doch jene nicht der kämpfenden Gestalt,Nein, neben mir, daß Arm an Arm sich drücken,Sitzt eine Frau, das Auge wie von Stein, |
260 | Auf Den gewendet, der dem öden Seyn,Es scheint, mit sich zugleich sie wird entrücken.Im Antlitz lag so tiefer SeelenschlafWie nie bei Kranken ich noch Irren traf;Die Stirn ein Gletscher klar im Alpenthal, |
265 | Durchkältend uns mit dem gefrornen Strahl;Dies Auge, seltsam regungslos und doch,Erloschen gleich, voll todten Lichtes noch.Nicht Wahnsinn war's, doch Schlimm'res was ich sah;Und mich bezwang's, daß ich vergaß was nah. |
270 | Zudem da dämmernd, dämmernd, halb gefühlt,Wie Wetterleuchten die Erinn'rung spielt.Dies Antlitz ist's – und doch ein Andres ganz,Ich hab's gesehn, es war im höchsten Glanz.Und wo? Und wo? Halt an! Wie fuhr ich auf! |
275 | Mein Führer zupfte an der Binde Knoten.Ward der gelös't und frei des Blutes Lauf'Gewiß nichts Gutes ward mir dann geboten!Was wär' ich jetzt? Ein Schattenbild deß dannGedenkt noch hier und dort ein alter Mann. |
280 | Und du mein Sohn? Was die Atome sind;Sonst andrer Mann, und andren Mannes Kind.Ach, alles Leben ist wie Schaum und Duft!Und doch hat jede Stunde ihre Pein.Die Enkel treten meiner Freunde Gruft; |
285 | Wo bist du, Eduard? ich bin allein –Ach Gott! mich quälen meine Träumerei'n.»
Hier folgt ein Blatt, bekritzelt und zerpflückt,Quer über'n Raum die wilden Schnörkel fahren,Mitunter Striche, durch's Papier gedrückt, |
290 | Gepreßter Finger Zucken offenbaren.Der Jüngling seufzt, und wendet rasch das Blatt.
Hier steht's: «Mir war nicht wohl, nun bin ich matt,Fürwahr, fürwahr, und auch des L.ebens satt.Doch weiter – da du's wissen mußt, mein Sohn – |
295 | Naphta bekam der Kranke, sagt' ich schon;Was soll man sonst in solcher Noth verschreiben?Noch einmal wollt' ich künstlich Feuer treibenDurch seine Adern, ob sich mir vielleichtIndeß der Himmel weiß welch' Ausweg zeigt: |
300 | So jung noch sollt' ich in der Schlinge bleiben?Ein junges Blut ist hoffnungsreich und leicht;Ich gab ihm Naphta; bis die Wirkung kömmtLaß ich verstohlen meine Blicke streifen;Die Dämm'rung ferner nicht das Auge hemmt, |
305 | Es möchte jeden Gegenstand ergreifen.Ich war in einem dunstigen Gemach,Langsame Tropfen glitten von den Wänden;Aufrecht gestellt träf' ich der Wölbung Dach;Ob dies die Werke sind von Menschenhänden? |
310 | Zu schlecht zum Keller, und zu gut zum Stollen:Was mögen diese langen Zapfen sollen?Ich meinte Stalacktiten; in der That,Die erste Höhle war's so ich betrat.Und ring's, wie zu gemeiner Maskerade, |
315 | Hing's überall in schmutziger Parade:Ein Bauernkittel und ein Mönchsgewand,Soldatenkleider, Roßkamms langer Rock,Beim Judenbart des Aelplers Hakenstock,Und gleich am Lager mir zur rechten Hand |
320 | Hier ein Gewehr von Damascirung falb,Ein andres dort, beschmutzt, zertrümmert halb.Auch nicht zu fern auf rohbehau'nen SteinDie Lampe warf den halbentschlafnen ScheinAus einer Schale wie mich dünkte reich |
325 | Mit Wappen oder Bildern ausgeziert.O, daß man mich an diesen Ort geführt,Von übler Vorbedeutung schien mir's gleich!Denn wie man die Umgebung so vergaß,Nachlässig war es über alles Maaß!
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330 | So irrend trifft mein Aug' auf jene Frau;Sie ist verwandelt, in den schönen BauKam Leben, aber erst wie DämmerlichtSich mählig, mählig durch die Nebel bricht.Sie sitzt nicht mehr, sie hat sich aufgerichtet, |
335 | Hält mit der Hand des Kranken Haupt gelichtet,Sie blickt wie ein vom Schlaf erwachtes Reh.Auf ihre Wange zog ein zarter Schein,Wie Morgenhimmel wogend über'n SchneeIhm seine lichte Spuren drückte ein. |
340 | Nun hebt den Arm sie, rückt die Locken, ja!Da plötzlich tritt mir die Erinn'rung nah,Wien, Carneval, der Maskenball sind da.Um diesen Nacken Perlenschnüre spielten,In diesen dunklen Locken lag ein Kranz, |
345 | Es war als ob auf sie die Fackeln zielten,Wenn sie vorüberglitt, ein Lichtstrom ganz.Noch seh ich wie der milde KerzenscheinIn Atlasfalten schlüpfte aus und ein,Wie eine Rose sich, gelös't vom Band, |
350 | Ob ihrer Augen Bronnen schien zu bücken.Sie war das schönste Grafenkind im Land:Dennoch ein Etwas lag in ihren Blicken,Als ob sie Alle dulde, achte Keinen,Der schöne Mund geformt schien zum Verneinen: |
355 | Nicht Härte hab' ich's und nicht Hohn genannt,Jedoch zu allernächst es beidem stand.Man sagte mir, dies wunderschöne Bild,- Vertraute Stimmen wurden drüber laut,Für Herzensschwächen ist die Menge mild – |
360 | Man nannt' es eine unglücksel'ge Braut.Der Mann, dem Elternwille sie versprach,Er legte selbst den Grundstein seiner Schmach,Als er mit ungestümer Grille Hang,Wie Schwache gerne keck und seltsam scheinen, |
365 | Dem Fremdling auf sich zum Genossen drang,Der sich am mindesten ihm mochte einen,Der zehnfach schöner, tausendfach so kühn,Mit Sitten die beleid'gen und verführen,Genau gemacht ein starkes Herz zu rühren, |
370 | Geheim, man wußt' es, ließ die Braut erglühn;Der folgt sein Blick, wie dem Kometen klarDie Seuche und das segenlose Jahr.Von beiden Männern dort ich keinen sah,Gefährlich war der Fremde, oder nah, |
375 | Von ihm man flüsterte; mit offnem HohneDen Grafen macht' zum albernen Patrone.Partheiisch man des Weibes Fehl vergaß,Nur Männer wurden laut dort wo ich saß.Mir schien sie stolz, weit über Ziel und Maaß, |
380 | Und minder trauernd auch als still entbrannt,Dem Himmel zürnend, Andern, ihm und sichDaß er's gewagt, daß er den Schlüssel fand,Zum mindesten so wirkte sie auf mich.Doch all mein Sinnen hielt sie so gebannt, |
385 | Um sie das Fest vor meinem Auge schwand;Und als sie zeitig ging, da ging auch ich.Drei Jahre waren hin seit dies geschah,Und jetzt an sie mich mahnte was ich sah.Wie Steingebilde über's Grab gestellt |
390 | An jenes mahnt was unter ihm zerfällt,Wenn Seele fordernd stehn die Formen da.- Es pickt der Fink am Auge regungslos,Und ruhig wächst auf ihrem Haupt das Moos –Nur wenig minder Todtes war mir nah. |
395 | Im dunklen Blick, so überreich gewesen,Doch Eins noch war aus jener Zeit zu lesen:Verhärtet Dulden – ob von Haß getrennt?Zu tief versenkt lag's in dem tiefen Blau.Ich sann, und daß ich's that in d e m Moment, |
400 | Bezeugt wie seltsam fesselnd diese Frau.
Des Kranken Muskeln todtenbleich erschlafftIndeß hat aufgespannt des Aethers Kraft;Nicht all so stier das Auge glänzte mehr,Den Arm sah ich ihn heben minder fahl, |
405 | Das Haupt verrücken auch nach eigner Wahl,Und Zeichen geben wie ihn dürste sehr.«Wird's besser?» sprach mein Führer, «kömmt er auf?»Ich nickt'. Er gähnte, dehnte sich, stand aufUnd stapfte fort; die Freude schien nur klein, |
410 | Und locker hier der Schlimmen Band zu seyn.Mir war's wie ein Gewitter das verzog,Als er so langsam um die Ecke bogUnd träge schob die langen Glieder vor.Ich hört' ihn rauschen durch Gerüll und Sand. |
415 | Dann seitwärts, ferner dann, dann ging ein Thor;Ich lauschte, lauschte, lauschte – Alles schwand.
Und Muth nun, Muth! der Augenblick ist mein:Ich muß ihn halten oder gehn verloren;Noch einmal flammt, dann lischt das Meteor! |
420 | Ich war allein, mit jener Frau allein.Sprach ich zu ihr? Sie blickte nicht empor,Ihr Auge will sich in den Estrich bohren,Kaum athmet sie, mir Alles deuten muß,Auf Schweigens tief verhärteten Entschluß. |
425 | Ob sie mich sieht? Sie scheint betäubt zu seyn,Und «Hört mich schöne Frau!» Sie regt sich – nein.Und wieder «Hört mich schöne Frau!» Sie schweigt.Ganz sacht erheb' ich mich – was rauscht, was steigtIm Winkel dort? Ein Fleck, ein Scharten, ha! |
430 | Nun rückt es vor – und nun, nun steht es da!
Ungern gedenk' ich deß, den du wohl weißt,Des Dunklen, der allnächtlich mich umkreis't,Auf meine Scheitel legt die heiße Hand,Ungern gedenk' ich deß, der vor mir stand. |
435 | Ihn zu beschreiben, unnütz wär's und kühn.Du willst mir's hehlen, Sohn! doch sahst du ihn,Als lang und bleich zu deinem Bett er trat;Er rührte dich, du zucktest wie gebrannt,Du zucktest, ja du zucktest in der That, |
440 | Und seufzen hört' ich dich in jener Nacht;Mich schlafend meintest du? Ich hab' gewacht!Ob nicht ein Sternbild seine Augen scheinen,Das über Klippen steht und dürren Hainen?Die Wimper schattet seiner Züge Bau, |
445 | Wie über's Leichenfeld sich senkt der Thau:Was er verbrach, Gott mög' ihm gnädig seyn!Und E i n e That, der mög' er ledig seyn!In dieser Brust wohl keimte gute Saat,Ob mir's verborgen blieb was sie zertrat. |
450 | Ich sprach zu ihm, nicht nur was ich beschloß,Geheimes selbst mir von den Lippen floß:Ein Pilger, der, in Räuberhand gefallen,Hört plötzlich nahe Wanderlieder schallen,Dünkt minder sich des Nahenden Genoß. |
455 | Seltsam gewiß, wie ich so ganz vergaßDaß er im blut'gen Rath mit jenen saß.Ich ward gehört, und ob kein Wort er sprach,Nur tiefer legte seiner Wimper Haag:Sein Schweigen selber meine Zweifel brach.
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460 | Was dann dem Kranken er geflüstert hat,Erwiedert dieser auch mit Zeichen matt:Nur wenig Laute kamen an mein Ohr;Einmal der Wunde zuckte doch empor.Die wilde Fassung, so sein Antlitz sprach, |
465 | Doch unwillkührlich sich in Schauder brach,Und noch zu bergen sah ich ihn bedacht,Was selbst den Wurm im Staub sich krümmen macht:Ich wußte daß der Tod ihm angesagt.Den Namen jener Frau dann hört' ich nennen, |
470 | Und einen Laut sich von der Kehle trennen,Gewaltsam zwar, so hohl und heiser doch,Wie ihn die Woge ächzt im Klippenloch.Mit raschem Flüstern ein der Andre fällt,Was Wildes seiner Stimme war gesellt; |
475 | «Sie folgt dir!» Ein dann eine Pause trat,Und dann, und dann – hält um den Arzt man Rath.Alsbald der Jüngre hatte sich gewandt,Daß beider Antlitz mir in Schatten stand.
Was meinst du was durch meine Adern bebte, |
480 | Als über'm Haupt des Richters Stäbchen schwebte?Nur Lispeln hört' ich, wie die Pappel rauscht,Doch Angst dem Lispeln selber Deutung gab;So feinen Ohres hab' ich nie gelauscht.Es stieg und sank, mit einem Mal brach's ab, |
485 | Und plötzlich eine Hand sich aufwärts ruckt,Die winkt und winkt und nach der Pforte zuckt.Dann fiel sie schlaff hinab – es war vorbei –Gott lösche ihm die Schuld! er gab mich frei!
Der Jüngling blickte auf den todten Mann, |
490 | Wie sehr er ihn geliebt, man sah's ihm an.Doch Etwas lag im Auge offenbar,Was dämpfen mochte allzu herbe Glut;Mich dünkt so blickt man auf verwandtes Blut,Deß Schmach uns bittrer als die eigne war, |
495 | Wenn's endlich ruht im Sarge, schandebaar.Nur ein Moment noch wo er stand und sann,Und einen Eid ließ er mich schwören dann,Des Räubers Fluch, daß, sinne ich Verrath,Geschick mich treiben soll' zu gleicher That, |
500 | Und diese Höhle sey mein letzter Rath;Ich soll' den Wald mich drin zu bergen suchen,Den Menschen nahn, damit sie mich verfluchen,Am schrecklichsten mir sey der Heimath Licht,Und tödtend meiner Mutter Angesicht. – |
505 | Matt war sein Ton, das Ende hört' ich nicht.
Und fort nun, fort! Was ward aus jener Frau?Sie ruhte jetzt, gleich Schlummernden genau,Das Haupt im Schooß, mehr ist mir nicht bewußt,Die Eil den Athem schnürte in der Brust; |
510 | Und fort nun, fort! Geblendet wie zuvor,Durch manche Krümmung ging's und manch ein Thor;Voran der Jüngling zog in Hast mich nach,Einmal nur Bretterwand uns schien zu scheiden,Von Gläserklang und ausgelaß'nen Freuden. |
515 | War etwas minder tobend das Gelag,Ich hätte wohl verstanden was man sprach.Hier war von einem Quell der Weg durchschnitten,Geräusch zu meiden wir behutsam schritten;Und nun hinauf, die Hand dort angeklemmt, |
520 | Den Kopf gebückt, und hier den Fuß gestemmt.Die Mauern bröckeln, rieseln uns entgegen;Wir rutschen lang', oft an den Grund uns legen,Mein letzter Griff in Kräuter war und Gras.Nun noch ein Schwung: ich stand in freier Luft. |
525 | Noch wenig Schritt', hier wehte Fliederduft:Auf meines Führers Ruck ich niedersaß,Zwei Worte sprach er, die ich nicht verstand.Dann plötzlich schwand aus meiner seine Hand,Mir war nicht wohl zu Muth, ich war allein!
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530 | Vor Einer Stunde hätt' ich nicht gedacht,Als jedes Auge schien 'ne grimme Wacht,Daß Einsamkeit mir peinlich könnte seyn.Ich saß am Grund wie ein verspätet Kind,Das rispeln hört den Wolf, die böse Fee |
535 | In jedem Strauch. Wenn reger strich der Wind,Ein Halm mich rührte, wenn in meiner Näh'Ein Vogel rückt' im Nest, die Brut zu decken:Zusammen fuhr ich in geheimen Schrecken.Doch Alles ruhig, nur die Fichten rauschen, |
540 | Und eine nahe Quelle murmelt drein.Die Zeit verrinnt, es wächst, es wächst die Pein.Was knistert dort? Ein Hirsch vielleicht, ein Reh,Das nächtlich Nahrung sucht, so mußt es seyn.Am Zweige hört' ich's nagen, schnauben, lauschen, |
545 | Dann sprang es fort; – gekauert saß ich da,Denn plötzlich waren Männertritte nah.Und vor mir im Gesträuch es knackt und bricht,Die Zweige schlagen feucht an mein Gesicht.«Ist's hier? Nein dort, es ist die Stelle nicht.» |
550 | Kaum hielt ich mich, daß nicht ein Schrei entfuhr,Ja mühsam ich des Athems Keuchen zwang.Sie stöbern, wie der Hund auf Wildes Spur,Um manchen Baum und das Gebüsch entlang;Dann endlich gehn sie, schleifen etwas nach, |
555 | Das dicht vor mir im Strauch verborgen lag.Dem Himmel Dank! mir ward die Seele wach;Es war gewiß, sie wußten nichts von mir.Was sie gesucht, nie hab' ich dran gedacht;Vielleicht ein Raub hier ins Versteck gebracht. |
560 | Ich dacht' und wünschte Eins, den Jüngling hierDer mich geleitet, und er war mir nah;Kaum sind die Andern fort, so steht er da.
«Zu Pferd'! zu Pferd'! es ist die höchste Zeit!»An mir gewiß nicht lag's, ich war bereit, |
565 | Saß auf; und über Stock und Stein wir trabenWie solche, die den Feind im Nacken haben;Nie macht' ich gleichen Ritt. So Nebel fliehn,Wenn Stürme über braune Haiden ziehn,So Schwalben, wenn die Wolke murrt und droht; |
570 | Am Sattel mich zu halten that wohl Noth,Da wahrlich schlimmer als zuvor der Weg,Wenn ich so nennen soll, wo weder Steg,Noch Haag uns Hemmung schien: dies Wege waren,Die heute wohl und nimmermehr befahren. |
575 | Bald rechts, bald links; bald offen schien das Land,Bald peitschten Zweige mir Gesicht und Hand.Den Führer nur verrieth des Hufes Ton;Zuweilen doch, wenn stutzt das Roß im Trab,Macht Sätze gleich dem Hirsch, und wenn's bergab |
580 | Sich kunstreich stemmend gleitet auf den Eisen,Ist ihm ein kurzer Warnungsruf entflohn.Der Lärm bringt alle Vögel aus den Gleisen:Das flattert, zirpt, mich Aeste blutig färben,Fürwahr! ich dachte auf dem Thier zu sterben! |
585 | Es war ein Hexenritt. Doch lange nicht,So stand das Roß: mein Führer sprach: «Steig ab,Der Mond ist auf, wir müssen Bahn uns brechen.»Die Binde fiel, ich sah ein sanftes Licht;Doch Jener trieb: «Voran! voran! voran!» |
590 | Und drängte in's Gebüsch so schwarz und dicht,Wo Dorn und Ginster uns die Fersen stechen.Doch endlich dämmert's, und nun kam heranZuerst ein Strahl, und dann durch WaldeslückeDer ganze Mond auf seiner Wolkenbrücke. |
595 | Dann standen wir am Hange, wo ein ThalTief unten breitet seinen grünen Saal.Der Jüngling sprach: «Halt dich am Waldessaum'Und spute dich, wir beide haben Eil.Leb' wohl! An deinen Schwur ich mahne kaum, |
600 | Du wirst verschwiegen seyn zu eignem Heil.»Und auf mein Haupt legt' er die Hände heißUnd blickte tief mir in die Augen ein;Noch einmal sah ich in des Mondes ScheinSein Angesicht, die Züge blaß und rein, |
605 | Ich sah noch zucken seine Wimper leis';Dann schnell gewendet, eh' ich mich verwahrt,Behend umfaßt er, wirbelt mich im Kreis.Fort war er, hin. Vollendet war die Fahrt!
Ich streckte mich auf grünen Teppich nieder |
610 | Zum Tod erschöpft, es schütterten die Glieder,Und kann nicht sagen, wie so wohl mir war.Der wüste Ritt, entschwundene Gefahr,Ließ doppelt noch den Augenblick empfinden,Nachdenken konnte keine Stelle finden, |
615 | Da sich in Taumel herbe Spannung brach.Halbschlummernd sah ich in den grünen Haag:Die Nacht war jetzt so milde, lichtbewegtAls sie begonnen schwarz und schauerlich.Ein jedes Kräutchen Thaugeflitter trägt, |
620 | Es schläft der Klee, die Blumen bücken sich,Im Traume lächelnd scheint der Mond zu beben,Wenn linde Nebelstreifen drüber schweben.So ruhig wohl am dritten SchöpfungstagIn ihrem ersten Schlaf die Erde lag, |
625 | Wo Leben nur in Kräutern noch und Gras.Ganz heimisch war die Scholle wo ich saß;Denn tausend Schritt von dieser Stelle nochBarg meine Klause jenes Klippenjoch:Dies Wasser rauscht' an ihren Bretterwänden, |
630 | Ihr Gärtchen lag an jenes Waldes Enden,Dies ist der Baum, wo ich im Schatten lag,Und dies die Höhe, wo ich Kräuter brach.Ob wohl die Quelle drunten wacht im Thal?Ein Glitzern nur verräth das klare Naß. |
635 | So sinnend wär' entschlummert ich zumal,Wenn nicht der Thau sich durch den Mantel stahl.Die Kälte weckte mich, es war im Mai,Es war wohl schön, doch frisch die Nacht dabei.Nicht fern mehr schien der Tag: so stand ich auf |
640 | Und dämmerte gemach den Wald hinauf,Durchaus nicht, wie du denken magst, erschüttert,Nein, gleich dem Kranken, wenn nach Fiebers WuthIhm schlafend durch die Adern schleicht das Blut,Nur vor Ermattung jede Muskel zittert. |
645 | So träumte und so schlief ich halb voran,Folgt' einem Pfad, einem andern dann,Sah endlich auf und stand in Waldes Bann.
Ob schon so weit ich mich bereits verirrt,So stumpf mein Sinn in diesem Augenblick? |
650 | Genug, ich ging und ging, und immer wirrtDer Pfad sich tiefer in den Hain zurück.Wie lang' ich so getappt die Kreuz und Quer,Durch Dornen mich und durch Gestrippe schlug,Bald Pfaden folgte, bald dem Ungefähr, |
655 | Und jeder Schritt mir üble Früchte trug:Nicht meld' ich's lang, der Weg war schlimm genug,Von oben dunkel und am Grunde wüst.Manch' Vogel strich vom Lager mit Geschwirr,Unsichtbar aus der Luft die Eule grüßt, |
660 | Doch ließ mich träg' und dämmrig das Gewirr,Ich ging ja ungefährdet, ob auch irr.Mich dünkt in dieser Stunde litt mein Hirn,Brand und Gekrimmel fühlt' ich in der Stirn.Gesumme hört' ich wie von fernen Glocken, |
665 | Und mir am Auge schossen Feuerflocken;Einmal gefallen, blieb ich liegen gar,Ließ mich geduldig von den Ranken tragenUnd mein Gesicht Gezweig' und Blätter schlagenUnd nahm von allem dem nur wenig wahr. |
670 | Die Ranken lös'ten sich, ich rutschte nach,Geblieben wär' ich sonst bis an den Tag.Als ich zuletzt der Wildniß doch entkam,Nichts mehr um mich den Sinn in Anspruch nahm;Daß frei die Luft, daß moosbedeckt der Grund, |
675 | Daß süß die Ruh', dies war allein mir kund.So lag ich nieder unter Kraut und Steinen,Und ließ den Mond mir in den Nacken scheinen;Noch zuckten Funken, Sterne roth und grün,Und dann – und dann – das Auge langsam bricht. |
680 | Die Glocken läuten – bimmeln – weiter ziehn –Wie hoch es an der Zeit, ich weiß es nicht.
In Tönen kehrte das Bewußtseyn mir;So lieblich aus der Luft die Wirbel dringen,Gewiß ich hörte eine Lerche singen, |
685 | Und dachte noch, sie muß den Morgen bringen:Ob Traum, ob Wirklichkeit, das fragt sich hier.War's Traum, dann trag' ich manches graue HaarUmsonst und manche tiefe Furche gar.Allein ich wußte wie das Haupt mir schwer, |
690 | Auch daß ich mich gewendet, rückwärts lag,Auch daß mir dürres Laub den Nacken stach. –Nein, nein! Nicht schlief ich, doch so fest gekettetWar jede Muskel, wie im Tod gebettet;Der kleinste Ruck versagt, so lag ich fort |
695 | Und horchte immer dem Gewirbel dort.Mit einem Male hör' ich's seitwärts knistern,Mir immer näher tappen, klirren, flüstern;Ich konnte zählen, ihrer waren drei:Sie strichen mir so dicht am Haar vorbei, |
700 | Daß jedes Mantel meine Schläfe rührt.Dann still, wie Wild das nach dem Winde spürt,Und dann, aus Weibes Brust ein schwacher Schrei:«Ich mag nicht leben; doch von eurer Hand!Nein, nicht von eurer Hand!» Man flüstert, steht, |
705 | Und dann, ein Laut der mir die Seele bannt;Du ahnest wohl, mein Sohn, wen ich erkannt.«Bet', Theodora, sammle dich und bet'!» –«Ich kann nicht beten!» – «Deine Hand ist rein,Versuch' es nur; Gott mag dir gnädig seyn!» |
710 | Angstvoll Gemurmel glaubt' ich jetzt zu hörenUnd Seufzer die das Blut im Herzen stören;Nie wünsch' ich meinem Feinde solche Pein,Als mir aus diesen Tönen schien zu klagen.«Ich kann nicht sterben, schmachvoll und allein: |
715 | O bringt mich fort, nur fort, wohin es sey!»Und hastig flüsternd fallen ein die Drei.Was man gedroht, gefleht, ich nicht vernahm,Doch ruhig ward's und eine Pause kam.Gott gebe, daß sie sich zu ihm gewandt, |
720 | In dessen Huld ihr einzig Hoffen stand.Mit einmal hört' ich's an die Klippen schlagen,Und einen Schrei noch aus der Tiefe ragen; –Vorüber war's, so todtenstill umher,Der Nadel Fall mir nicht entgangen wär'. |
725 | Wo blieben jene Drei? Ich kann's nicht sagen,Sie waren fort; kein Läubchen rauschte mehr!Nun kommt in holprigem Galopp ein Hund:Er will vorüber, nein, er stellt sich, knurrt;Da kriecht er in's Gebüsch, legt an den Mund |
730 | Mir seine Schnauze, schnuppert mir am Gurt;Doch auf ein fernes Pfeifen trabt er fort,Läßt mich in kaltem Schweiß gebadet dortNoch immer an der Erde wie gebannt.Du magst ermessen was ich wohl empfand, |
735 | Da all mein Trost in Traumes Hoffnung stand.Denn wenn ich träumte, war ich mir's bewußt,Und daß ich träume, dacht' ich halb mit Lust,Versuchte auch zu regen meine Hand;Vergebens anfangs: doch ein Finger ruckt, |
740 | Und plötzlich bin ich in die Höh' gezuckt.Da saß ich aufrecht, aber wüst und schwer.Der Wald war stumm, die Fichten starrten her,Die Dämm'rung um mich wogte wie ein Meer,Und Alles schien dem Traume zu gehören.
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745 | Da saß ich, schweißbedeckt, vor Kälte zitternd,Ein scharfer Ost an Strauch und Halmen knitterndVerkündete des Tages Wiederkehr.Noch kämpfte Dämm'rung, doch das MorgenrothAus halbgeschloßner Wolkenpforte droht' |
750 | Und spülte kleine Feuerwellchen her.Es streckt sich, dehnt sich, gleitet in den Raum,Die rothe Welle schlägt der Berge Saum,Allmählig zündet's, geht in Flammen auf:Der Tag, der Tag beginnt den frischen Lauf! |
755 | Zum hohlen Stamme Nachtgevögel kehren,Hoch oben läßt der Geier Ruf sich hörenUnd tausend Kehlen stimmen jubelnd ein.So maienhold kein andrer Tag mag seynWie dieser, und so mild in Waldes Haag |
760 | Noch nie ein Thal am Morgenstrahle lag;Wie war das neugeschenkte Leben reizend!Ich schlürfte Licht und Luft, nach Allem geizend.Und als ich sah die Heerde drunten grasen,Am Quellenrande sich die Weiden neigen, |
765 | Ein einfach Lied den Hirten hörte blasen,Und durfte wenig Schritt nur abwärts steigen:Da schien mir Alles, alles dies mein eigen.Doch weiß ich auch, daß Schauer mich beschlich,Da allgemach der Morgenstern erblich, |
770 | Als scheide Etwas das mir theuer war;Nie hab' ich später diesen Stern gesehn,Daß jene Nacht nicht muß vorüber gehn.
Der Rausch verschwand, und mählig ward mir klar,Vom Traume sey doch wohl die Hälfte wahr |
775 | Ja, deutlich wird mir's wie ich nachgedacht;Den Ruf, das Höhlennest, den Ritt bei NachtMuß ich mit Schauder doch dem Leben lassen.Das Letzte nur, gewiß, das blieb ein Traum!Wo war die Kluft, der sich der Schrei entrang? |
780 | Wo Kampfes Spuren hier am linden Hang,Da abwärts alle Hälmchen aufrecht standen,Da frisch wie je sich Zweig' und Ranke wanden?Deß ward ich froh. Ach Gott! ich ward es kaum,So fiel mein Blick in einer Kuppe Raum, |
785 | Gespalten grade einen Leib zu fassen.Nicht sieben Schritt von mir die Klippe stand;Zuvor erschien sie ungetheilte Wand,Doch eben traf ein Strahl den scharfen Rand.So unversehens fällt kein Schlag im Spiel, |
790 | Als mir's wie Hammerschlag zum Herzen fiel.Die Angst, die Angst mir schnürte alle Sinnen,Hinan zu treten konnt' ich kaum gewinnen.Und – höre Sohn! – das Ufer hing hinein.Wie wenn man rutscht und nach die Scholle bricht, |
795 | Vielleicht doch, möglich, konnt' es Zufall seyn:Der Rand war schroff, und bröcklig das Gestein.Und – höre mich! – ob Röthel in der Schicht?Roth war die Wand, unmöglich wär' es nicht.Und hör'! – Am Grunde sah ich Etwas ragen, |
800 | Das weiß und zuckend an der Scholle hing.Mir schien's ein Tuch vom Wellenschlag getragen,Der Himmel wolle, daß ich falsch gesehn!Vielleicht in Spalt sich eine Taube fing:Doch damals meint' ich in's Gericht zu gehn. |
805 | Es war ein bitter, o ein hart Geschick,Was mich betraf in Jugendmuth und GlückUnd lange, lange mußt ich heimlich tragen.Doch Zeit ist kräftig und die Heimath lind.Um meine Scheitel wehte mancher Wind. |
810 | Ich nahm ein Weib, ich sah mein eignes Kind.Nicht wahr, mein Sohn? Du weißt noch, als du klein,Daß ich gelacht und öfters fröhlich war.Ich sah mich frisch an deinen Augen klar:Ja, Kinder müssen unsre Engel seyn! |
815 | Wenn ich mit dir getändelt, ward mir's helle,Ich fühlte nicht am Kopf die heiße Stelle.Das Alter kam, das Alter stellt sich ein; –Nun vor den Augen schwebt es mir zumal,Nun vor dem Ohre hallt es ohne Zahl: |
820 | «O bete! ringe! hilf ihm aus der Qual!»Ach Gott! du weißt nicht, wie voll Brand mein Hirn,Wenn mir der Dunkle nächtlich rührt die Stirn,Genau wie scheidend er gestreckt die Hände:Auch jetzt! – ich fühle wie das Blut sich dämmt. |
825 | Geduld, Geduld! Da kömmt er – kömmt er – kömmt!»
Das Blatt ist leer; hier hat die Schrift ein Ende.
So mild die Landschaft und so kühn!Aus Felsenritzen Ranken blühn,Der wilde Dorn die Rose hegt. |
830 | In sich versenkt des Arztes SohnSchwand in des Waldes Spalten schon,An seine Stirn die Hand gelegt.Und wieder einsam tos't der Fall,Und einsam klagt die Nachtigall. |
835 | Mich dünkt es flüst're durch den Raum:O Leben, Leben! bist du nur ein Traum?
―――――――― 1) Soldanella alpina, Alpendrottelblume. |