BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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gefertigt an der Thüre hing. Seitwärts stand ein Tischchen mit Gebetbüchern, Crucifix, ein Lehnsessel und Spindel, rechts in der Ecke lagen Blasinstrumente und Musikalien. „Dies sind meine Töchter“ sagte sie, „die eine wird Hochzeit machen, und vergangene Woche heirathete unser Sohn.“ Nun kam auch der Vater, ein gutherziger Schwabe, in dessen Worten etwas sehr Sinniges lag. In der Werkstatt hämmerten unterdessen still die beiden Söhne, große, blonde Jünglinge. Jede Kleinigkeit dieses gemüthlichen und idyllischen Haushaltes ist mir gegenwärtig, ja so behaglich fühlte ich mich, daß ich eins der Gebetbücher begierig öffnete und dazubleiben sehnlich wünschte.

Das Gewitter endete mit einem sanften Regen, und bald trug uns der Wagen weiter. – Außerhalb dem Städt­chen Winnenden liegt das Schloß Winnenthal, umgeben von schönen Gärten, und dahin führten mich die Meini­gen. Bei dem Anblick der vergitterten Fenster kam mir der Ge­danke: nun! hier werd' ich begraben. Ich umklammerte meine  Schwester,  ich  flehte  mit  Blicken. – Herr  Hofrath Z[eller], der Arzt und Vater der Anstalt, erschien; ver­wundert betrachte ich ihn – ich finde im diesen geistvollen Zügen Aehnlichkeit mit einer Person, die ich früher gekannt. Auch Herr Hofrath, wie er mir später sagte, ward durch meine Erscheinung an eine Verwandte erinnert, der ich ähnlich sehen soll. Ich folgte ihm in das Zimmer, weldes er mir anwies. Auf die an mich gerichteten Fragen blieb ich stumm. Bald erfolgte der Abschied der Meinigen. Mein  Herz  brach,  und  doch  durfte  ich  mit  keinem Laut   mich  äußern.   Ich   trat   an's  Fenster.  Eben  kamen

 

 

meine  Geschwister  durch  den  Garten  über  den Hof. Die verweinten  Augen  meiner  Schwester  suchen  mein Fenster,  noch  winkt  sie  mit  dem  Sacktuch  –  ich  rüttle an  das  Gitter  und  sinke  halb  bewußtlos  zurück.  Eine Wärterin    bot  freundlich  ernst  mir  einige  Erfrischungen an.  Die  Nacht  war  schrecklich.  Von  einem  Tag  zum andern  hoffte  ich:  die  Thüre  werde  sich  öffnen,  ich  die Meinigen  erblicken  –  aber  vergebens!  Hörte  ich  von Ferne  das    Rasseln  eines  Wagens,  so  sprang  ich  auf. Einmal,  von    namenloser  Angst  ergriffen,  glaubte  ich ihre  Stimmen  im  Hofe  zu  hören, hinab! drängte es mich. Schnell war ich auf dem Gesimse des Fensters gesprungen, und da ich mit  Gewalt  an's  Gitter drückte,  so  wäre  es  mir vielleicht gelungen, die vermeintliche Freiheit und den Tod zu gewinnen, wenn nicht die Wachsamkeit zweier Wärterinnen mich gerettet hätte. – Herr Hofrath, Fräulein M..., die damalige Oberwärterin, besuchten mich täglich, aber ich blieb verschlossen und höhnte sie in meinem Herzen, daß sie mit mir, einer Gestorbenen, von menschlichen Dingen und Beziehungen redeten. Arzneien nahm ich mit höchstem Widerwillen, weil ich sie für Gift hielt, und die sorgsamste Pflege mir eine Vermehrung meiner Marter war.

Der Ordnung des Hauses, welche Beschäftigung heischt, wollte ich mich eben so wenig fügen. Nach einiger Zeit verreiste Herr Hofrath. Die ärztlichen Besuche wurden durch seinen Freund und Assistenten, Herrn B... fortgesetzt.

Mehrere   Kranke   und   ich  saßen  einmal  im  Garten;

 

 


 

Hofrat Dr. Alfred Zeller, der Direktor der Heilanstalt Winnenthal. Daneben eine Gesamtansicht der Anstalt um 1840