BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

 

 

 

sahen in dem schönsten Anblick nur Grauenhaftes; die beste Speise war dem Geschmack eckelhaft und alles ath­mete für mich einen Leidengeruch. Bald war das Gefühl unerträglich scharf, bald so völlig abgestumpft, daß ich in der Ide bestärkt ward: ich sey gestorben, kein Element könne mir schaden, keine Kugel mich tödten. In solchen Augenblicken versuchte ich denn auch, jedoch immer fruchtlos, mich aus dem Fenster zu stürzen. – Einst gab meine Mutter mir die Bibel hin, mit der Bitte, ihr wie sonst daraus vorzulesen, aber nur mit Widerwillen wandte id mich weg. Argwohn, Zweifel, Haß und Furcht besaßen mich gänzlich; sie banden meinen Willen, löschten im Gedächtnis alle früheren Wohlthaten Gottes aus, verfin­sterten mir den Verstand – mein Untergang schien unver­meidlich. Die unermüliche Pflege meiner Mutter und Ge­schwister, (meine Schwester L[isa] durchwachte die Näch­te mit mir,) rührte mich nicht. Die Speise, die sie mir reichten, war in meinen Augen Gift, ihre Freundlichkeit Hohn, ihre Wachsamkeit unerträgliche Fesseln. Ach! auch nicht einer Erquickung sollte ich genießen! – wie elend war ich! Dabei bildete ich mir fest ein: die Wiederkunft Christi sey geschehen; seine Gläubigen wären an den Ort der Ru­he gelangt, ich aber, als Abgefallne, müsse in diesem, meinem Leib der Sünde fort leiden, ohne sterben zu kön­nen. Da war es mir zuweilen, als vernähme ich deutlich friedliche Gesänge seliger Geister, und Sehnsucht, Hoff­nungslosigkeit zerfleischten mein Herz. – Verloren! Verlo­ren! rief es in mir. In den schlaflosen Nächten malte die Phantasie  mir  das  Gräßlichste  vor. Ich hörte Gefängnisse

 

 

auf- und zuschließen, Kettengeklirre und Angstgeschrei der Hölle. (Ich läugne nämlich gar nicht, daß ich früher durch die Lectüre des Wortes Gottes den Glauben an Gott und also auch an meinen Heiland, an seinen Geist bald empfangen hatte, ebenso mußte die heilige Schrift mich hinlänglich vom Daseyn ver Engel, der Teufel, des Himmels und der Hölle belehren). – Im Gehirn hatte ich das Gefühl glühender Nadelstiche, in der Herzgrube brannte mir's wie Feuer. Einmal, es war im Anfang der Krankheit, sah ich plötzlich mein Innerstes wie ein Buch aufgeschlagen, und meine Sünden mit glühenden Buch­staben geschrieben; die dadurch bewirkte schmerzhafte Empfindung machte mich laut aufschreien.

So weit die Schilderung meines Seelenzustandes.

Während der Reise nach Winnenthal verhielt ich mich jedoch ziemlich ruhig. Nur daß ich zur Abwechslung wieder eine Probe meiner nicht geringen Tollkühnheit ablegte, indem ich mich absichtlich den scheu gewordenen Pferden eines Wagens entgegen stellte. Dies waren die einzigen leidenschaftlichen Ausbrüche in meiner Krank­heit, denn nach dem Zeugnis der Meinigen hatte ich sonst nie im Geringsten den Anstand verletzt.

Vor Aalen überraschte uns ein Gewitter, heftige Blitze und Sturm nöthigten uns auszusteigen, und auf Augenblicke erschüttert, rief ich ängstlich: Umkehren! Ein ältliches Mütterchen, die so eben aus der Kirche kam, lud uns zu sich in ihre Wohnung ein. In dem Zimmer sah alles festlich aus.  Zwei  hübsche  Mädchen  waren  beschäftigt das   Mieder   eines   Brautkleides  zu  vollenden,  das  halb

 

 


 

Von Ansbach nach Winnenthal