BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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Da bin ich wieder in Lausanne. Das sind immer noch dieselben bergigen, mühsamen Straßen; kein Steinchen ist verrückt und jedes Plätzchen ist mir ein alter Bekannter. Dort grüße ich den alten Thurm von Ouschy, die Savoyeralpen jenseits des Sees und dort in der Ferne die schöneren Berggruppen von Vevay. Hier ist richtig noch die Gartenanlage jener englischen Jungfrau, die trostlos ist, wenn ein Fremder, statt auf dem schmalen, steinigen Pfade am Ufer einher zu stolpern, zufälliger Weise es vorzieht, einen Schritt vorwärts, in die Seufzerallée der Jungfrau zu gerathen. Aber hinter jedem Rosenstrauch wähne ich, sie tauche auf wie damals, als sie mich und die Kinder verfolgte, und blaß, zitternd wie sie vor mir stand, mit aufgelösten Locken, in fliegendem weißen Gewande, glich sie vollkommen einer Rachegöttin, oder einer Fee, oder sonst einer Unholdin, die hämischer Weise den Rosenhain verschließt, um den Dorn ihres zänkischen Mundes fühlbar zu machen. Doch wie damals, trösteten wir uns auch heute. –

Weiter hin, am Ufer, ziehen sich die Anlagen eines großmüthigern  Besitzers  und  von  dieser  Höhe  herab, sieht  der  See  noch  einmal  so  hübsch  aus  und  unter den  kühlen  Schatten  des  Wäldchens  ruht  es  sich  hier so  gut.  Die  Einsamkeit  unterbricht  ein  Chor  schwär­mender  Vögel,  oder  ich  höre  eben  das  Rauschen  des Dampfschiffes  Leman,  dessen  Ruder  die  klare  Fluth durchgreifen,  und  eine  sanfte  Musik  tönt  vom  Schiff, denn  im  Freien  wird  jeder  Ton  idealisirt,  jede Dissonanz  verliert  sich  in  diesem  Meere  von Harmo­nieen,   welches   das   Wesen   der  Natur  ausmacht.  Nun

 

nähert sich Leman dem kleinen Hafen von Ouschy. Das Glöckchen klingelt und Kähne schwimmen von allen Seiten ihm zu, und bringen ihm neue Reisende.

 

 

 

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Die Reisewuth der Engländer.

Nichts für ungut!

 

Es ist doch Schade, daß die meisten Engländer eine gar so kleinliche Rolle spielen, während sie doch eine größere spielen könnten! Jenes Griechen kluge Worte, an Philipp von Macedonien gerichtet, haben hier trefflich ihren Platz. Ihre Reisewuth, ein bischen analysirt, gibt ein gutes Exempel. Warum aber reist denn der Engländer, wie ein Besessener? Ist es Kunstsinn, der ihm die Flügel schwellt? Ei bewahre! Das wäre ja poetisch. Das was bei uns Deutschen Poesie oder Philosophie ist, wird bei dem Engländer leicht Narrheit, Roman oder Empfindelei. In einem mercantilischen Kopf empfiehlt sich die Poesie bei Zeiten, wenn ein Funke sich davon regen sollte. Ist es etwa der Drang sich zu belehren? Pfui! ein beschämender Gedanke. Reist er aus Oekonomie? Halt! ich glaube fast. Denn um  den  Reichthum  ist  es  ein  wunderliches  Ding. Gold   im   Ueberfluß   ist,   so   lehrt  es  oft  Erfahrung, des Reichen  Hunger.  So  fast  ist  es  im  Großen  mit  einer reichen  Nazion.  Gold  in  Menge  giebt  es  in  England, aber    dafür    Langeweile    noch   schwerer   als   Gold, eine  wahre,   geistige  Hungersnoth.  Der  Engländer  fühlt

 

 


 

Lauanne um 1830, rechts Hafen und Turm von Ouchy

 

Das Dampfschiff Leman vor Lausanne