BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Magdalena von Dobeneck

1808 - 1891

 

Briefe und Tagebuchblätter

aus Frankreich, Irland und Italien

 

1843

 

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sie selbst (wie doppelt fühlt sie der Fremde erst!) denn die Langeweile ist er oft leibhaftig. Er möchte ihr entfliehen, fort denn hinaus in die Welt; über Stock und Stein, fort über Wiesen und Berge! «Marmorbilder stehen und sehen ihn an» und dazu der blaue, italische Himmel– die Langeweile guckt mit hinein – Alles ist Langeweile. – Engländer waren es, die, als sie einst das Coliseum in Rom bei Fackelschein besuchten, schnell die Schilderung dieses Orts von Lord Byron ablasen, drauf das Buch zumachten und ihrer Wege gingen. Lord Byron hatte die Güte an ihrer Statt zu empfinden. – Ein Anderer, von Natur qualifizirt zum Jäger, jagt nach den besten Gasthäusern; ihm glänzt auch der blaue Himmel, aber er sieht lieber in die Theekanne, da ist sein Frühling und es wird ihm warm, wenn er berechnet, daß er seinen Thee, sein Couvert à table, seine Wohnung um so viel Schillinge billiger als in England erhält. Ueber Stock und Stein! fort über Wiesen und Berge! Andere wieder, nicht minder flink, fliegen zu Meer, zu Land, und nach langer Fahrt berechnet Einer dem Andern:  wo  die  Sonne  am  heißesten  geschienen,  da, wo  es  am  kühlsten  war.  Diese  nenn'  ich  Kalender­seelen,  und  ihre  Zahl  übertrifft  noch  die  Tage  im  Ka­lender.  Ihr  Urtheil  über  eine  Gegend  wird  mit  einem kurzen:  it  is  beautiful  (es  ist  schön!)  abgefertigt,  und das  über  ein  Menschenkind  mit:  he  is  very  like  an Englishman   (er   ist   einem  Engländer  ähnlich). Wehe aber dem   Fremden,  der  in  ihrer  Gegenwart  Fisch  nicht mit der   Gabel  allein  spießt,  oder  gar  Käs  und  Ka­stanien ohne Salz ißt!  Dieser  Sterbliche,  und  sei  er  Euro-

 

pas kühnster Dichter, zum Kanibalen wird er in den Au­gen des Engländers, das heißt: er sieht nicht aus, er handelt nicht as an Englishman! Noch zwei wichtige Dinge be­stimmen den Engländer zum Reisen, die sind: a beautiful departure, a beautiful arrival, (eine schöne Abfahrt! eine schöne Ankunft!) Doch dieß sind Hieroglyphen. Schnell zur Erklärung. A beautiful departure, nach den Schön­heitsregeln des Engländers, besteht darin, daß Mylady, erst geführt von ihrem Lord (der gewöhnlich unter dem Pan­toffel steht, wie man auf gut deutsch zu sagen pflegt) in ihren Wagen steigt, nachdem dieser im Hof, vor aller Welt, dem harrenden Diener das Trinkgeld in die Hand hat glei­ten lassen. Nun tritt wieder Mylord einige Schritte vor­wärts und schreitet in seinen Wagen, diesem folgt ein an­derer, welcher den Sprößling und den Erzieher enthält, beide umthürmt von Büchern. Wie oft wurden mir ähn­liche Scenen, wenn ich in Calais, in dem Hotel Desair, wo wir zwei Monate uns aufhielten, hinter den Jalousieen stand und ruhigen, unpartheiischen Blickes hinab sah. – Ist Mylord ein Gourmand, so folgt ihm der Küchenwagen nebst Chef und einer Armee Töpfe. Ist Mylord krank, so ist sein Arzt mit ihm; ist er fromm, so begleitet ihn sein Pfarrer. Denn das Gebet ist leider oft in England, so ge­wissenhaft es auch über die Lippen der Meisten Sonntags gleiten mag, nur gedankenloses Spiel. A beautiful arrival ist   nicht   minder   reich   an   Effekt.   Erst   werden   aus dem   vierspännigen   Wagen   die   Kinder   entladen, wenn  es  deren  gibt.  Das Kindchen hält eine schöne Pup­pe,  nach  der  letzten  Mode  gekleidet,  im Arm, die Dame

 

 

 


 

Englische Reisegesellschaft