Adelbert von Chamisso
1781 - 1838
Gedichte in zeitlicher Folge
1833
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Die rothe Hanne,oder das Weib des Wilddiebes.(Béranger)
[Als 2. Lied im Zyklus «Vier Lieder von Béranger», 1833]
Den Säugling an der Brust, den zweitenDer Knaben auf dem Rücken, führtSie an der Hand den Erstgebornen,Der fast entkleidet, barfuß friert.Den Vater haben sie gefangen,Er kühlt im Kerker seinen Muth;Sei Gott du mit der rothen Hanne!Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.
Ich sah sie oft in bessern Tagen,Schulmeisters liebes Töchterlein;Sie spann und sang und las und nähte,Ein herzig Kind, und schmuck und fein;Beim Sonntagstanz im Kreis der Linden,Wie war sie froh und wohlgemuth!Sei Gott du mit der rothen Hanne!Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.
Ein junger, hübscher, reicher PächterVersprach ihr einst ein beßres Glück;Ihr rothes Haar, das ward verspottet,Der reiche Freier trat zurück;Es kamen andre, giengen wieder;Sie hatte ja kein Heirathsgut.Sei Gott du mit der rothen Hanne!Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.
Ein Taugenichts war schnell entschlossen:Ich nehme dich, blond oder roth;Drei Büchsen hab ich, weiß die Schliche,Der Förster macht mir keine Noth;Den Schwarzrock will ich auch bezahlen,Des Sprüchlein uns zusammenthut;Sei Gott du mit der rothen Hanne!Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.
Sie sprach nicht nein, mit sanfter LockungGebot Natur in ihrer Brust,Und drei Mal ward allein im WaldeSie Mutter unter bittrer Lust;Die Kinder treiben und gedeihen,Ein blühend frisch gesundes Bluth;Sei Gott du mit der rothen Hanne!Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.
Des treuen Weibes nächt'gen JammerErhellet noch ein milder Schein;Sie lächelt: ihre Kleinen werdenSchwarzlockig wie der Vater sein;Sie lächelt, ach! aus ihrem LächelnSchöpft der Gefangne frischen Muth;Sei Gott du mit der rothen Hanne!Der Wilddieb sitzt in sichrer Hut.
Der Bettler(Béranger)
[Als 3. Lied im Zyklus «Vier Lieder von Béranger», 1833]
Ich will in dieser Rinne sterben,Bin alt und siech genug dazu;Sie mögen mich «betrunken» schelten,Mir recht! sie lassen mich in Ruh.Die werfen mir noch ein'ge Groschen,Die wenden ab ihr Angesicht;Ja, eilt nur, eilt zu euren Festen,Zum Sterben brauch ich euch doch nicht.
Vor Alter muß ich also sterben,Man stirbt vor Hunger nicht zumal;Ich hofft in meinen alten TagenZuletzt noch auf ein Hospital;So viel des Elends giebt's im Volke,Man kommt euch nirgends mehr hinein;Die Straße war ja meine Wiege,Sie mag mein Sterbebett auch sein.
Lehrt mich ein Handwerk, gebt mir Arbeit,Mein Brod verdienen will ich ja; –Geh betteln! hieß es, Arbeit? Arbeit?Die ist für alle Welt nicht da.Arbeite! schrien mich an, die schmausten,Und warfen mir die Knochen zu;Ich will den Reichen doch nicht fluchen,Ich fand in ihren Scheunen Ruh.
Ich hätte freilich stehlen können,Mir schien zu betteln minder hart;Ich habe höchstens mir am WegeEin paar Kartoffeln ausgescharrt;Und immer aller Orten steckteDie Polizei mich dennoch ein,Mir raubend meine einz'ge Habe –Du Gottes Sonne bist ja mein!
Was kümmern mich Gesetz und Ordnung,Gewerb und bürgerliches Band?Was euer König, eure Kammern?Sagt, hab ich denn ein Vaterland?Und dennoch, als in euern MauernDer Fremde, Herr zu sein, gemeint,Der Fremde, der mich reichlich speiste,Ich Narr, wie hab ich da geweint!
Ihr hättet mich erdrücken sollen,Wie ich das Licht der Welt erblickt;Ihr hättet mich erziehen sollen,Wie sich's für einen Menschen schickt;Ich wäre nicht der Wurm geworden,Den ihr euch abzuwehren sucht;Ich hätt euch brüderlich geholfen,Und euch im Tode nicht geflucht.
Prophezeihung des Nostradamusauf das Jahr MM.(Béranger)
[Als 4. Lied im Zyklus «Vier Lieder von Béranger», 1833]
Schreibt Nostradamus, der die Zeit beschwören,Und aus den Sternen konnte prophezeihn:Im Jahr zweitausend wird von JubelchörenDas glückliche Paris durchtönet sein;Man wird nur einer Stimme Mißlaut hören,Die wird am Fuß des Louvre kläglich schrein:Ihr glücklichen Franzosen, wollt des armen,Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!
Aus Rom gekommen wird ein siecher Greise,Ein armer Lazarus, den Ruf erheben,Und einem weiten dichtgedrängten KreiseVon Straßenjungen sich zum Schauspiel geben;Drauf giebt ihm streng ein Senator Verweise:«Hört, Freund! hier darf von Betteln keiner leben.» –«Ihr werdet doch, mein gnäd'ger Herr, des armen,Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!»
«Bist wirklich du von jener Sippe?» – «Ja!Der ich zu Rom zur Pabstzeit noch die KroneIn meines Ahnherrn Händen schimmern sah;Er mußte sie verkaufen; die Spione,Die Skribler und die Helfer heischten daDen vollen Goldeswerth zu ihrem Lohne;Ein Stab ist nun mein Zepter. Wollt des armen,Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!
Mein Vater starb bejahrt im Schuldenthurme;Er hatte mir ein Handwerk untersagt,Ich bettle. Hart erweist ihr euch dem Wurme,Ihr Glückeskinder, sei es Gott geklagt!Ich komme her verschlagen von dem Sturme,Ihr habt so oft die Meinen weggejagt,O wollt doch, da ihr glücklich seid, des armen,Des letzten Königs Frankreichs euch erbarmen!»
Wird der Senator bei der Hand ihn fassenUnd sprechen; «Komm mit mir nach meinem Gute;Wir hören auf die Könige zu hassen,Die letzten küssen höflich unsre Rute;Darfst dem Senat dein Schicksal überlassen;Der ich aus altem Königsmörder-BlutheEntsprossen bin, ich will indeß des armen,Des letzten Königs Frankreichs mich erbarmen.»
Und Nostradamus schreibt: dem Fürsten spendenWird der Senat zwei tausend Franken jährlich;Der Alte wird zum Guten noch sich wenden,Als Mair' von Saint Cloud wird er schlicht und ehrlich,Ein wackrer Bürger, seine Laufbahn enden;Die Chronik macht's der Nachwelt dann erklärlich,Wie Frankreich sich im Glücke seines armenUnd letzten Königs mochte mild erbarmen.
Das Urtheil des Schemjáka.(Russisches Volksmärchen)
«Hilf, Bruder, lieber Bruder mein,Hilf, Reicher du, dem Armen;Wirst gegen mich doch menschlich sein,Wirst meiner dich erbarmen;Leih mir den Gaul auf einen Tag,Daß ich zu Holze fahren mag;Gar grausam ist der Winter!»
«Dich lehrt das Roß, das du verlangst,Die Zunge zu bewegen;Wann erst du an zu betteln fangst,Wird's nicht so bald sich legen.So nimm es hin und schier dich fort,Und sieh dich vor, denn, auf mein Wort,Heut ist's zum letzten Male.»
«Hilf, Bruder, lieber Bruder mein,Hilf, Reicher du, dem Armen;Wirst gegen mich doch menschlich sein,Wirst meiner dich erbarmen;Du gibst das Kummet noch daran,Daß ich zu Holze fahren kann,Du leihst mir noch das Kummet.»
«Wirst mich in einem AthemzugUm Haus und Hof noch bitten;Du hast das Roß, das ist genug,Hier, Punktum! abgeschnitten.Was zauderst du? so schier dich fort,Du kriegst es nicht, nein! auf mein Wort,Ich leihe dir kein Kummet.»
Und gab er nicht das Kummet her,Wird nur der Gaul es büßen,Wird mit dem Schwanze weit und schwerDen Schlitten ziehen müssen.Noch diese Scheiter obenauf, –Nun ist's gepackt; lauf, Schimmel, lauf!Heut gilt's zum letzten Male.
Und wie er kam in seinem Stolz,Nichts ahndend von Gefahren,Mit einem tücht'gen Fuder HolzDen Hof hinan gefahren;Erlitt er Schiffbruch schon am Ziel, –Es stolperte der Gaul und fiel,Und riß sich, ach! den Schwanz aus.
«Hier, Bruder, lieber Bruder, schau!Hier hast den Gaul du wieder;Nimm's, Bruderherz, nicht zu genau,Er hat gesunde Glieder,Er ist noch gut, er ist noch ganz,Es fehlt ihm nichts, als nur der Schwanz,Der Schwanz – ist ausgerissen.» –
«Und hast du mir mein gutes PferdVerstümmelt und geschändet,Und zahlst du mir nicht gleich den Werth,So weiß ich, wie das endet:Schemjáka spricht, der Richter, schonMit dir aus einem andern Ton;Du folgst mir vor den Richter.»
Dem Armen, der die Sach ermißt,Behaget schlecht das Wandern;Weil's aber doch nicht anders ist,So folgt er still dem andern.Sie kamen, wo zur rechten HandAm Weg die weiße Schenke stand,Zeit war es einzukehren.
Gleich ward der grüne BrannteweinDem Reichen aufgetragen,Mit trank der Wirth, das muß so sein,Dem Armen knurrt der Magen;Er steiget auf die Ofenbank,Verschlafen will er Speis und Trank,Er hat's nicht zu bezahlen.
Der Hunger ist ein scharfer Gast,Der Schlaf hat seine Launen;Er findet oben keine Rast,Er hört sie unten raunen;Er dreht sich hin, er dreht sich her,Und stürzt am Ende plump und schwerHerunter auf die Wiege.
«Mein Kind! mein Kind! es ist erstickt;Der hat den Mord begangen,Du hast's erwürgt, du hast's erdrückt,Du wirst vom Galgen hangen;Schemjáka spricht, der Richter, schonMit dir aus einem andern Ton;Du folgst mir vor den Richter.»
Zum Richter wallten nun die drei,Sich um ihr Recht zu balgen;Dem Armen ward nicht wohl dabei,Er träumte Rad und Galgen;Drum auf der Brücke, die nun kam,Er plötzlich einen Anlauf nahm,Er sprang, dem Tod entgegen.
Just unterhalb der Brücke fuhrEin Greis in seinem Schlitten;Im Fall erdrückt' er diesen nur,Und hatte nichts gelitten. –«Ein Mord! ein Mord! du hast's vollbracht,Hast mir den Vater umgebracht;Du folgst mir vor den Richter.»
Zum Richter wallten nun die vier,Der Arme gar mit Grimme:Was hilft mein Sterben – wollen mir?Das Schlimmste jagt das Schlimme.Zwei Todte zu dem Pferdeschweif!Und bin zum Galgen ich schon reif,So will ich Rache haben.
Den Stein da will ich in mein TuchGewickelt bei mir tragen,Und lautet wider mich sein Spruch,Ich schwör ihn zu erschlagen;Nicht hab ich Geld, nicht hab ich Gut,Und soll ich geben Bluth um Bluth,Will Bluth um Bluth ich nehmen.
Auf hohem Richterstuhle sitztSchemjáka da, der Weise;Die Kläger treten ein erhitztUnd stellen sich zum Kreise,Der Arme zorn'gen Herzens stelltSich hinter sie, und fertig hältEr schon den Stein zum Wurfe.
Der reiche Bruder war nicht faul,Die Klage zu erheben:«Der Schwanz, der Schwanz fehlt meinem Gaul,Den soll er wiedergeben.»Dicht hinter ihm der Arme stand,Hielt hoch den Stein in seiner HandUnd drohte schon dem Richter.
Gerechtigkeit war immer blind;Schemjáka sah's von ferne,Er meinte, hundert Rubel sindEs wohl, die nehm ich gerne.«Und Rechtens folgt daraus der Schluß,Daß er den Gaul behalten muß,Bis wieder ihm der Schwanz wächst.»
Der Schenkwirth trat zum andern vor,Die Klage zu erheben:«Das Kind, das Kind, das ich verlor,Er soll's mir wiedergeben.»Dicht hinter ihm der Arme stand,Hielt hoch den Stein in seiner HandUnd drohte noch dem Richter.
Gerechtigkeit war immer blind;Schemjáka sah's von ferne:Aha! noch hundert Rubel sindZu haben, herzlich gerne!«So nehm er denn zu sich dein Weib,Und zeuge dir aus ihrem LeibEin Kind, das dich entschädigt.»
Zuletzt begann des Greises SohnUm Mord ihn anzuklagen:«Gib diesem Mörder seinen Lohn,Mein Vater liegt erschlagen.»Dicht hinter ihm der Arme stand,Hielt hoch den Stein in seiner HandUnd drohte baß dem Richter.
Gerechtigkeit war immer blind;Schemjáka sah's vom weiten:Ei, Gottessegen! wieder sindHier hundert zu erbeuten. –«So sollt ihr zu der Brücke gehn,Er unten und du oben stehn;Dann springst du und erschlägst ihn.»
Und früh erschien am andern TagDer Arme vor dem Reichen:«Gib her den Gaul, Schemjáka magIch Salomon vergleichen.Gewiß ich bring ihn dir zurück,Sobald ihm nur zu gutem GlückHinwiederum der Schwanz wächst.» –
«Ich hab's bedacht, es war nicht klug,Um einen Roßschweif zanken;Der Gaul ist so mir gut genug,Ich will für Beßres danken.Laß Freund' uns sein; ich schenke dirDie Ziege mit dem Zicklein hier,Und noch zehn Rubel Silber.»
Dem Schenkwirth macht' er den Besuch:«Ich will dein Weib mir holen,Du weißt Schemjákas Richterspruch,Und was er mir befohlen;Ich will zur Sühne meiner SchuldDie Straf erleiden in Geduld,Und gleich zum Werke schreiten.» –
«Bemüh dich nicht, es thut nicht Noth;Viel Kinder, viele Sorgen;Und ist mein armes Kindlein todt,Ich will kein fremdes borgen;Als Friedenspfand nimm diese Kuh,Das Kalb, die Stute noch dazu,Und hundert Rubel Silber.»
Er kam zu dem verwaisten Sohn:«Ich bin bereit zum Tode,Du kennst Schemjákas Urtheil schon,Ich steh dir zu Gebote;Was zauderst du? der Weg ist lang,Der kleine Sprung, der mir gelang,Er wird dir schon gelingen.» –
«Der weite Gang unnöthig ist,Gefällt mir auch mit nichten;Ich bin versöhnlich als ein Christ,Wir wollen's gütlich schlichten;Und weil die Sache dich verdroß,So schenk ich dir ein gutes Roß,Dazu dreihundert Rubel.»
Und wie sein Vieh er überschautUnd läßt die Münze klingen,Tritt ein Schemjákas Diener traut,Ein seltsam Wort zu bringen:«Gib her, was du gezeiget hast,Der weißen Rollen Silberlast,Gib her dreihundert Rubel.» –
«Dreihundert Rubel! sagst du? nein,Wer hat die zu verschenken?Gezeiget hab ich ihm den Stein,Den nimm zum Angedenken.Mißfiel sein Spruch mir, sag's ihm nur,Geschworen hatt ich einen Schwur,Mit dem ihn zu erschlagen.»
«Den Stein, o Herr, den schickt er nur,Und läßt dabei dir sagen:Mißfiel dein Spruch ihm, galt sein Schwur,Mit dem dich zu erschlagen.»Da hat gehustet, sich geschneuztSchemjáka, und zuletzt bekreuzt:Gottlob! das lief noch gut ab.
Abba Glosk Leczeka.
Es schallen gut im Liede der Purpur und das Schwert,Doch hüllt sich oft in Lumpen, der auch ist preisenswerth;Ich führ euch einen Juden und Bettler heute vor,Den Abba Glosk Leczeka, verschließt ihm nicht das Ohr.
Er harrte vor der Thüre von Moses MendelssohnGelassen und geduldig vor Sonnenaufgang schon;Wie hoch in Himmelsräumen zu steigen sie begann,Trat erst aus seiner Wohnung der weitberühmte Mann.
Ihn grüßt der fremde Bettler in polnisch jüd'scher Tracht,Sein Gruß den Schriftgelehrten dem andern kenntlich macht,Er aber geht vorüber: «An Zeit es mir gebricht!» –Der Fremde weicht zurücke, doch von der Schwelle nicht.
Und Mittag ward's und Abend, und als zur Nacht es gieng,Die Stadt in ihren Straßen die Schatten schon empfieng,Kam heim zu seinem Herde der weitberühmte Mann,Da grüßt' ihn noch der Bettler, wie morgens er gethan.
Er sucht in seiner Börse nach einem Silberstück,Ihm hält der fremde Bettler die milde Hand zurück:«Das nicht von dir begehr ich, nur dein lebend'ges Wort,Mich führt der Durst nach Wahrheit allein an diesen Ort.» –
«Du scheinst der kleinen Gabe bedürftig mir zu sein.» –«Du hältst mich für unwürdig der größern!» – «Tritt herein!Suchst redlich du die Wahrheit, die vielen so verhaßt,So sei dem Gleichgesinnten ein liebgehegter Gast.»
Beim wogenden Gespräche, beim häuslich trauten Mahl,Beim Becher edlen Weines, dem flüss'gen Sonnenstrahl,Erblüht dem fremden Bettler die Rede wunderbar,Ein Gläub'ger und ein Denker, wie nie noch einer war.
Er hat des Wortes Fessel gesprengt mit Geistes-Kraft,Er hängt am Guten, Wahren so recht mit Leidenschaft,Er sprühet Lichtgedanken so machtvoll vor sich hin,So eignen Reiz verleiht ihm sein heitrer froher Sinn.
Und ob des seltnen Mannes verwundert und erfreut,Der seine Neigung fesselt und Ehrfurcht ihm gebeut,Fragt Mendelssohn ihn traulich: «Wie haben Schul und WeltSo seltsam dich erzogen und deinen Geist erhellt?»
Drauf er: «Du lenkst vom Lichte die Blicke niederwärts,Zu forschen nach dem Menschen und schauen ihm ins Herz;Ich zeige mich dem Freunde, und meinen Weg und Ziel,Und melde, wie die Binde mir von den Augen fiel.
Mein Forschen und mein Trachten, das bin ich selbst und ganz;Minuten so wie diese sind meines Lebens Glanz;Ich trage sechzig Jahre noch frisch und wohlgemuth,Noch schmilzt den Schnee des Alters des Herzens innre Gluth.
Zu Glosk in unsern Schulen bekam ich Unterricht;Der Talmud und der Talmud! sie wußten andres nicht;Verhangen und verfinstert das göttliche Gebot,Das leis aus tiefstem Herzen sich doch mir mahnend bot.
Wie hab ich oft mit Schmerzen die stumme MitternachtAuf ihren todten Büchern verstört herangewacht;Wie hätt ich fromm und willig den Lehrern nur geglaubt,Und wiegte doch verneinend mein sorgenschweres Haupt.
Und nun ich sollte lehren, so wie ich selbst belehrt,Da hat sich mir die Rede gar wundersam verkehrt;Da schalt aus mir die Stimme auf Satzungen und Trug,Dem Blitze zu vergleichen, der aus den Wolken schlug.
Sie haben sich entsetzet, sie haben mich fortanBedrohet und gefährdet und in den Bann gethan;Ich hatte mich gefunden, ich war, der ich nun bin,Ich folgte meiner Sendung mit leichtem, freud'gem Sinn.
So wallt ich, in der Heimath ein Fremder, nun hinfortVerstoßen, fluchbeladen, unstät von Ort zu Ort,Und forschte, sprach und lehrte, und trachtete doch nur,Das arme Volk zu leiten auf eine beßre Spur.
Und dreizehn Bücher hatt ich verfaßt mit allem Fleiß,Die Bücher, sie enthielten das Beste, was ich weiß;Zu Wilna, oh! da waren fast grausam allzusehrDie Aeltesten des Volkes, wie nirgends anders mehr.
Sie haben meine Bücher zerrissen insgesammt,Und haben zu den Flammen sie ungehört verdammt;Sie schichteten den Holzstoß beim alten ApfelbaumVor ihrer Synagoge im innern Hofesraum.
Da standen in dem Rauche die Alten blöd und blind,Den schlug auf sie hernieder ein mächt'ger Wirbelwind,Gereinigt schwang die Flamme sich zu dem höhern Licht;Den Geist, das Licht, die Sonne vernichten sie doch nicht.
Ich selbst ich sollte sterben, kaum heimlich war der Rath;Doch fand sich ein Rabbiner, der um mein Leben bat,Ich wurde bloß gegeißelt, und als man frei mich gab,So griff ich heitern Sinnes zu meinem Wanderstab.
Der freud'ge, rüst'ge Waller zieht über Berg und Thal,Ihm scheinet, ihn erwärmet der lieben Sonne Strahl,Der Schoß der grünen Erde empfängt mit rechter LustSein müdes Haupt am Abend, er ruht an Mutterbrust.
Wer je von seinen Brüdern den Hunger selber litt,Theilt ihm vom letzten Brode gern einen Brocken mit,Er zieht durch Land und Städte und rühmt sich reich und frei,Und weiß von keiner Armuth und keiner Sklaverei.
Vor Sprach- und Stammverwandten entquillt an jedem OrtAus übervollem Herzen ihm das lebend'ge Wort,Zu lehren und zu bessern, zu sichten sonder ScheuDen Glauben von dem Wahne, den Weizen von der Spreu.
Ist Felsen auch der Boden, die Saat verstreue nur!Es träufelt auf den Felsen, wie auf die grüne Flur,Des Ew'gen milder Regen. Beharrlichkeit! Geduld!Du zahlest deinem Schöpfer so deines Lebens Schuld.
Und herwärts zog mich mächtig und ahndungsvoll mein Herz,Von deines Namens Klange gelockt, du reines Erz;Du bist, den ich gesuchet, du, der vom Wahne fernZerbricht die hohle Schale und sucht nach ihrem Kern.
Das will auch ich, so reiche mir deine liebe Hand,Wir schaffen hier und knüpfen ein gottgefällig Band;Das Licht, das ist das Gute; die Finsterniß, die Nacht,Das ist das Reich der Sünde und ist des Bösen Macht.
Dir strömet von den Lippen ein ruhig klarer Born,Es leiht gewalt'ge Worte mir oft ein heil'ger Zorn;So laß vor unserm Volke zerreißen uns vereintDes Aberglaubens Schleier, bis hell der Tag ihm scheint.
Nicht träge denn, nicht lässig; die Hand ans Werk gelegt!Versammle du die Jünger, es tagt, die Stunde schlägt!Wir hammern an den Felsen, bis hell der Stein erklingt,Und an das Licht der Sprudel lebend'gen Wassers springt.»
Darauf mit Rührung lächelnd der Wirth zu seinem Gast:«Genügt dir nicht, du Guter, was du erduldet hast?Soll wiederum sich schichten ein Scheiterhaufen? kannDie Geißel nicht dich lehren? du lehrbegier'ger Mann!
Du forschest nach der Wahrheit; erkenne doch die Welt,Die fester als am Glauben am Aberglauben hält;Was je gelebt im Geiste, gehört der Ewigkeit,Nur ruft es erst ins Leben die allgewalt'ge Zeit.
Bleib hie und lerne schweigen, wo sprechen nicht am Ort;Du magst im Stillen forschen, erwägen Geist und Wort,Und magst das Korn der Furche der Zeiten anvertraun;Vielleicht wird einst dein Enkel die goldnen Saaten schaun.»
Drauf er: «Du schweigst, du Kluger, und schweigen soll mein Mund!So sprich, wer soll denn reden und thun die Wahrheit kund?Du helles Licht des Geistes sollst leuchten freundlich mir;Die Hand darauf! – wir scheiden! mein Pfad, der trennt sich hier.»
Er gieng; dem Flammengeiste, dem Flammenherzen galtFür Feigheit jede Vorsicht, und freundlich zürnend schaltIhn Mendelssohn vergebens; er gieng und lehrt' und sprach,Bis über ihn aufs neue das Ungewitter brach.
Die Aeltesten des Volkes entrüstet, luden ihnVor ihre Schranken: «Rede, was machst du in Berlin?» –«Ich forsch in dem Gesetze, darüber sprech ich auchMit andern Schriftgelehrten nach hergebrachtem Brauch.» –
«Du stehst in keinem Dienste? hast kein Gewerbe?» – «Nein!Ich kann und will nicht handeln, und mag nicht dienstbar sein.» –«Und wir, nach hies'ger Ordnung, verbieten diese StadtDem ärgerlichen Neurer, der hier gelästert hat.»
Darauf erhob sich Abba und sprach: «Hartherzigkeit,Du bist zur Ordnung worden, du herrschest hier zur Zeit!Und kennt ihr den Propheten Jeremia denn nicht,Der so aus meinem Munde zu euch, ihr Starren, spricht:
Die Missethat der Tochter von Sion, unerhört!Verdunkelt Sodoms Sünde, die doch mein Grimm zerstört.Die Schrift und die Propheten, die les ich Tag und Nacht,Und hab auch andre Worte zu eigen mir gemacht!
Du sollst dich nicht entsetzen, und sollst, du Menschenkind,Vor ihnen dich nicht fürchten, die mir abtrünnig sind;Du wohnst bei scharfen Dornen und Skorpionen dort,Doch sollst du dich nicht fürchten, verkündest du mein Wort.»
Sie holten ihn am Abend wohl mit der Polizei,Ihn auf die Post zu bringen, er rief den Freund herbei,Der schafft' ihm einen Dienstschein, geschirmet war er soVor seinen Widersachern, sie waren des nicht froh.
Und eine Rechnung reichten zur Zahlung sie ihm dar,Wo Postgeld nebst der Bütteln Gebühr verzeichnet war;Er aber sprach und lachte: «Geduldet euch, ihr Herrn,Hier paßt wohl ein Geschichtchen, und ich erzähl es gern:
Den Unsern wird zu Lemberg ein kummervolles Los,Die jungen Herrn, die Schüler sind ganz erbarmungslos,Den armen Unterdrückten mißhandeln sie und schmähn,Und werfen ihn mit Steinen, wo immer sie ihn sehn.
Als einer, den sie schlugen, nah am Verscheiden war,Vermaß sich die Gemeinde, bedrängt von der Gefahr,Den Jesuiten Obern zu klagen ihre Noth;Die haben unparteiisch erlassen ein Verbot:
Es dürfen nicht die Schüler aus eitlem ZeitvertreibDie Juden so mißhandeln, daß sie an ihrem LeibBeschädigt werden möchten; es wird auch untersagt,Bluthrünstig sie zu schlagen, wie eben wird geklagt.
Ein arglos Schimpfen, Werfen, ein Stoß und solcherlei,Das müssen sie erdulden und steht den Schülern frei,Weil mancher unter diesen ist guter Eltern Kind,Und Juden doch am Ende nur eben Juden sind.
Ein Jud in diesen Tagen, der her die Straße kam,Bemerkte, daß ein Schüler ihn recht zum Ziele nahm,Er bückte sich bei Zeiten, und wich dem Stein noch aus,Der klirrend flog ins Fenster dem nächsten Bürgerhaus.
Die Scheibe war zerbrochen; der Bürger säumte nicht,Und zog, Ersatz zu fodern, den Juden vor Gericht:Denn hättest du gestanden dem Wurf, wie sich's gebührt,So wurde von dem Steine mein Fenster nicht berührt.
Ihr habt den Stein geworfen, ich habe mich gebückt,So hat der Wurf die Scheibe des Nachbars nur zerstückt;Ich soll die Scheibe zahlen, das Recht, das eure, spricht's,Doch hat das Recht verloren, denn, seht! ich habe nichts.»
Als jene sich entfernet, verblieben noch die zweiIm traulichen Gespräche, sie dachten laut und frei;Begegnen sich die Geister verwandt im Lichtrevier,Das ist des Lebens Freude, das ist des Lebens Zier.
Und Abba zu dem Freunde: «Bin friedlich ja gesinnt,Du siehst, daß aller Orten sich Hader um mich spinnt;Frei muß ich denken, sprechen und atmen Gottes Luft,Und wer die drei mir raubet, der legt mich in die Gruft.
Von hinnen will ich ziehen, den Wanderstab zur HandEin Land der Freiheit suchen, nach Holland, Engelland;Der Druck hat hier den Juden Bedrückung auch gelehrt,Wohl wird er Duldung üben, wo Duldung er erfährt.»
Und Mendelssohn dagegen und schüttelte das Haupt:«Du liebewerther Schwärmer, der noch an Duldung glaubt,Zeuch hin, dich bloß zu geben auch dort der Eulenbrut!Dein zugewognes Glückstheil, das ist dein froher Muth.» –
«Mein zugewognes Glückstheil, das ist die Liebe meinZu meinem Volk; mein Glaube, zu bessern müss' es sein;Mein Hoffen, mitzuwirken dazu mit Gut und Bluth;Du nennst die drei zusammen, das ist mein froher Muth.»
Und frohen Muthes nahm er den Wanderstab zur Hand,Und zog wohl in die Fremde, nach Holland, Engelland;Den bluth'gen Welterobrer verfolgt die Sage nur,Vom Menschenfreund und Bettler verlieret sich die Spur.
Zurück nach manchen Jahren gleich frohen Muthes kamEr nach Berlin gewandert; sein rechter Arm war lahm;Und blind sein andres Auge, vernarbt sein Angesicht,Sein Herz allein, das alte, verändert war es nicht.
So trat er freundlich lächelnd vor Moses Mendelssohn:«Wie dort es mir ergangen, du Kluger, siehst es schon;Sie haben mich geschmähet, mißhandelt und verbannt,War ihnen Macht gegeben, sie hätten mich verbrannt.»
Und wieder frohen Muthes, da ihn Berlin verstieß,Zog er nach seiner Heimath, die Haß ihm nur verhieß,Da wallt' er rüst'gen Schrittes, ein Fremder, fort und fort,Verstoßen, fluchbeladen, unstät von Ort zu Ort.
Einst sucht' er wohl vergebens seit manchem Tag vielleicht,Wer ihm von seinem Brode das dürft'ge Stück gereicht;Der Schoß der Mutter Erde empfieng zur letzten RuhSein graues Haupt, ihm fielen die müden Augen zu.
Märzveilchen.(Nach dem Dänischen von Andersen)
[Als 1. Lied im Zyklus «Nach dem Dänischen von Andersen», 1833]
Der Himmel wölbt sich rein und blau;Der Reif stellt Blumen aus zur Schau.
Am Fenster prangt ein flimmernder Flor,Ein Jüngling steht ihn betrachtend davor.
Und hinter den Blumen blühet noch garEin blaues, ein lächelndes Augenpaar.
Märzveilchen, wie jener noch keine gesehn!Der Reif wird angehaucht zergehn.
Eisblumen fangen zu schmelzen an –Und Gott sei gnädig dem jungen Mann!
Muttertraum.(Nach dem Dänischen von Andersen)
[Als 2. Lied im Zyklus «Nach dem Dänischen von Andersen», 1833]
Die Mutter betet herzig und schautEntzückt auf den schlummernden Kleinen;Er ruht in der Wiege so sanft, so traut,Ein Engel muß er ihr scheinen.
Sie küßt ihn und herzt ihn; sie hält sich kaum,Vergessen der irdischen Schmerzen;Es schweift in der Zukunft ihr Hoffnungstraum;So träumen Mütter im Herzen.
Der Rab indeß mit der Sippschaft seinKreischt draußen am Fenster die Weise:Dein Engel, dein Engel wird unser sein!Der Räuber dient uns zur Speise!
Die alte Waschfrau.
Du siehst geschäftig bei dem LinnenDie Alte dort in weißem Haar,Die rüstigste der WäscherinnenIm sechsundsiebenzigsten Jahr.So hat sie stets mit sauerm SchweißIhr Brod in Ehr und Zucht gegessen,Und ausgefüllt mit treuem FleißDen Kreis, den Gott ihr zugemessen.
Sie hat in ihren jungen TagenGeliebt, gehofft und sich vermählt;Sie hat des Weibes Los getragen,Die Sorgen haben nicht gefehlt;Sie hat den kranken Mann gepflegt;Sie hat drei Kinder ihm geboren;Sie hat ihn in das Grab gelegt,Und Glaub und Hoffnung nicht verloren.
Da galt's die Kinder zu ernähren;Sie griff es an mit heiterm Muth,Sie zog sie auf in Zucht und Ehren,Der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut.Zu suchen ihren UnterhaltEntließ sie segnend ihre Lieben,So stand sie nun allein und alt,Ihr war ihr heitrer Muth geblieben.
Sie hat gespart und hat gesonnenUnd Flachs gekauft und nachts gewacht,Den Flachs zu feinem Garn gesponnen,Das Garn dem Weber hingebracht;Der hat's gewebt zu Leinewand;Die Schere brauchte sie, die Nadel,Und nähte sich mit eigner HandIhr Sterbehemde sonder Tadel.
Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sie schätzt es,Verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz;Es ist ihr Erstes und ihr Letztes,Ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz.Sie legt es an, des Herren WortAm Sonntag früh sich einzuprägen,Dann legt sie's wohlgefällig fort,Bis sie darin zur Ruh sie legen.
Und ich, an meinem Abend, wollte,Ich hätte, diesem Weibe gleich,Erfüllt, was ich erfüllen sollteIn meinen Grenzen und Bereich;Ich wollt, ich hätte so gewußtAm Kelch des Lebens mich zu laben,Und könnt am Ende gleiche LustAn meinem Sterbehemde haben.
Böser Markt.
Einer kam vom KönigsmahleIn den Park sich zu bewegen,Aus dem Busch mit einem MaleTrat ein andrer ihm entgegen;Zwischen Rock und KamisoleGriff der schnell, und die PistoleSetzt er jenem auf die Brust.
«Leise, leise! muß ich bitten;Was wir hier für Handel treiben,Mag vom unberufnen DrittenFüglich unbelauschet bleiben.Wollt Ihr Uhren nebst GehenkenWohl verkaufen? nicht verschenken;Nehmt drei Batzen Ihr dafür?» –
Mit Vergnügen!» – «Nimmer richtigIst die Dorfuhr noch gegangen;Thut der Küster auch so wichtig,Weiß er's doch nicht anzufangen;Jeder weiß in unsern Tagen,Was die Glocke hat geschlagen;Gottlob! nun erfahr ich's auch.
Sagt mir ferner: könnt Ihr missen,Was da blinkt an Euren Fingern?Meine Hausfrau, sollt Ihr wissen,Ist gar arg nach solchen Dingern;Solche Ringe, solche Sterne,Wie Ihr da habt, kauf ich gerne;Nehmt drei Batzen Ihr dafür?» –
«Mit Vergnügen!» – «Habt Ihr künftigMehr zu handeln, laßt mich holen;Edel seid Ihr und vernünftig,Und ich lob Euch unverhohlen.Gleich mich dankbar Euch zu zeigen,Laß ich jede Rücksicht schweigen,Und verkauf Euch, was Ihr wollt.
Seht den Ring da, den ich habe;Nur von Messing, schlecht, unscheinsam,Aber, meiner Liebsten Gabe;Ach sie starb, und ließ mich einsam!Nicht um einen Goldesheufen...!Aber Ihr, wollt Ihr ihn kaufen,Gebt mir zehn Dukaten nur.» –
«Mit Vergnügen!» – «Ei! was seh ich?!Schöner Beutel goldgeschwollen,Du gefällst mir, das gesteh ich;Die Pistole für den vollen!Sie ist von dem besten Meister,Kuchenreuter, glaub ich, heißt er,Nehmt sie für den Beutel hin!» –
«Mit Vergnügen! Nun Geselle,Ist die Reih an mich gekommen!Her den Beutel auf der Stelle!Her, was du mir abgenommen!Gib mir das Geraubte wieder,Gleich! ich schieße sonst dich nieder,Wie man einen Hund erschießt!»
«Schießt nur, schießt nur! wahrlich, SchadenWärt Ihr fähig anzurichten,Wäre nur das Ding geladen.Ihr gefallt mir so mit nichten.Unfein dürft ich wohl Euch schelten;Abgeschloßne Händel gelten,Merkt es Euch und, gute Nacht!»
Ihn verlachend unumwunden,Langgebeint, mit leichten Sätzen,War er in dem Busch verschwundenMit den eingetauschten Schätzen.Jener mit dem KuchenreuterIn der Hand, sah nicht gescheuterAus, als augenblicks zuvor.
Ein Kölner Meisterzu Ende des XIV. Jahrhunderts.(Nach Ghiberti)
Du hast, Ghiberti, scharf und streng und richtigBeurtheilt meine Kunst und mich gelobt,Das Lob aus deinem Munde klang gewichtig.Ich habe dir, den ich als Freund erprobt,Von meines Meisters Kunst zu Köln am RheineDen höchsten, seltensten Genuß gelobt.Blick her! du glühest, wie vom jungen Weine,Worauf dein Auge fällt, ein Meisterstück!Du jauchzest, und du siehest, daß ich weine.Entschwundne Tage ruft mir dieß zurück,Und auch den Tag, wo ich ihn trug zu Grabe,Der lehrend mich und liebend war mein Glück.Auf diesem Bruchstück hier, der heitre Knabe,Der von der Stirne sich die Locken streicht,Der bin ich, wie ich erst gedient ihm habe.Er hat mir treu die Führerhand gereicht,Ich wurde stark in seinem milden Strahle,Nun hat der Winter mir das Haar gebleicht.Die griech'schen Meister sind dir Ideale,Sei selbst du zwischen ihm und ihnen Richter,Auf welche Seite neiget sich die Schale?Sieh, wie er hochgelehrt und doch mit schlichterNatürlichkeit das Nackte hier gestaltet,Und hier die hohe Schönheit der Gesichter.Die Kunst bewundre, die er hier entfaltet,Die Zierlichkeit der Arbeit, die Vollendung, –Und dieser Riß – da hat wohl Gott gewaltet.Das Werk bestimmte seines Schicksals Wendung,Es sollt ihn zu des Ruhmes Gipfel tragen,Und ward das Werkzeug einer höhern Sendung.Ich muß vom frommen Meister mehr dir sagen;Wie lieblich er in seiner Kunst erscheint,War selbst er liebenswerth in seinen Tagen.Anjou, der mit der Kunst es gut gemeint,Hat ihn geehret vor den Meistern allen,Die huldreich er an seinem Hof vereint.Für Anjou hat der Meister den MetallenDas Siegel seines Geistes eingedrückt,Und Kirchen ihm verziert, Altar und Hallen;Auch seinen Schenktisch hat er ihm geschmückt,Geschmiedet ihm Pokale, Krüge, Schilde,Die jedes Kunsterfahrnen Blick entzückt.Da wollte denn der Fürst in seiner Milde,Daß noch aus lauterm Golde, sonder Gleichen,Sein Meisterwerk er, eine Tafel, bilde;Versehen sollt er die mit seinem Zeichen,Auf daß die Nachwelt seinen Ruhm erfahreUnd staunend ihm den Lorbeer möge reichen.Hier liegt der Riß dir vor, den ich bewahre,Am Werke selbst hat meines Meisters HandGehammert und gefeilt drei volle Jahre.Und wie er fertig war, wie er's gesandtDem guten Fürsten, welcher es bestellt,Da hatte sich das Glück von dem gewandt.Die Feindschaft weißt du, die sich eingestellt,Verderblich zwischen ihm und Lanzelote,Und aufgereget eine halbe Welt.Da kam zum Meister ein betrübter Bote:Einschmelzen hatt' er jene Tafel lassen,Weil ihm kein Gold, kein schnödes, zu Gebote.Da sahn den guten Meister wir erblassen,Erschrocken schweigen eine lange ZeitUnd krampfhaft nach dem wunden Herzen fassen.Dann, niederkniend in Unterwürfigkeit,Sprach er und hob die Arme himmelwärts:«Auch das war eitel! eitel Eitelkeit!Am ird'schen Abglanz hing mein thöricht Herz,An dem vergänglichen des ew'gen Lichtes,Nun faßt um Eitles mich ein eitler Schmerz!O Herr! was falsch und eitel war, vernicht esIn meinem Busen; dienen dir und büßen,Das will ich bis zum Tage des Gerichtes.»So stand er auf und sah uns an mit süßenWehmüth'gen Blicken, schritt sodann hinaus,Rückschauend nur, noch einmal uns zu grüßen.Und in die Berge, in der Wildniß GrausTrug weltverlassend ihn sein Fuß, zu bauenEinsiedlerisch Kapell und niedres Haus.Da mocht er Unvergänglichem vertrauenUnd suchen, klaren Auges, reines Licht,Vermeidend in das Nebelthal zu schauen.Wie fromm er war, ein Frömmler war er nicht;Oft suchten wir ihn auf, er sah uns gerne,Und gab uns lächelnd Rath und Unterricht.Er liebte noch die Künste, wie die Sterne,Und seine lieben Schüler und Genossen;Er hielt sein Herz nur von dem Schlechten ferne.Einst fanden wir wie schlummernd hingegossenAm Kreuz ihn, wo zu beten er gepflegt;Sein altermüdes Auge war geschlossen.Wir weinten, als wir ihn zur Ruh gelegt.
Don Juanito Marques Verdugo de los LeganesSpanischer Grande. 1)
Wie noch in seinem Stolz NapoleonDen König Joseph zu erhalten rangAuf Spaniens unerhört geraubtem Thron,Und durch die Lande unter hartem ZwangEin meuchlerischer Volkskrieg sich ergoß,Der unablässig schnell sein Heer verschlang;War einst ein Fest, ein Ball auf Mendas Schloß.Marques de los Leganes! heut ein Ball,Und Spaniens Feind, du Grande, dein Genoß?Bei rauschender Musik und Cymbeln-SchallBeengten Victor dieses Schlosses Mauern;Der Boden wankt in Spanien überall.Ihn ließ ein Blick von Clara tief erschauern,Und um sich schauend in der Gäste Reihen,Sah er Verrath aus aller Augen lauern.Den Saal verlassend schrie er auf im Freien:«O Clara, Clara! soll auch uns das HerzVerbluthen in dem Kampfe der Parteien?»Von der Terrasse Rand sah niederwärtsEr düstern Muthes in das tiefe Thal;Gedanken waren fern, er war nur Schmerz.Die Felsenwand, die Gärten allzumal,Die Stadt, das Meer darüber ausgespanntErschimmerten im klaren Mondesstrahl.Da weckt' ihn eine Stimme: «Kommandant,Ich suche dich; befiehl, die Zeit ist teuer,Bevor uns die Empörung übermannt.Es ist im Rabenneste nicht geheuer,Sie feiern trotzig die Johannisnacht,Und wider Ordnung brennen ihre Feuer.Sieh dort, was sie so übermüthig macht.»Er wies hinaus aufs hohe Meer und schwieg:Her segelten die Schiffe, Englands Macht.Und zischend von des Schlosses Zinnen stiegEin Feuerball, der rief mit argem Munde:«Auf, Spanier, auf! es gilt Vertilgungskrieg!»Ein Gegenruf erscholl aus Thalesgrunde,Und plötzlich stiegen wirbelnd Rauch und FlammenVon allen Bergesgipfeln in der Runde.Es fiel ein Schuß: «Gott möge sie verdammen!»Schrie taumelnd auf und sterbend der Soldat;Das Blei saß in der Brust, er sank zusammen.Die Stadt ist jetzt ein Schauplatz grauser That;Victor, der Pflicht gehorchend, die ihn band,Will hin im Flug, es bleibt der einz'ge Rath.Da hält ihn sanften Druckes Claras Hand:«Entfleuch! die beiden Brüder folgen mir;Dort hält ein Roß am Fuß der Felsenwand.»Sie stößt ihn fort, er hört sie rufen: «Hier!Hier, Juanito, Philipp, hier! ihm nach!»Die Stieg hinab entfleucht der Offizier.Die Kugeln sausten, während sie noch sprach,Und trieben seine Flucht ihn zu beflügeln,Ihm folgten auf den Fersen Tod und Schmach.Er endlich sitzt zu Pferd fest in den Bügeln,Dem Hauptquartier zujagend sonder RastMit bluth'gen Sporen und verhängten Zügeln.So kommt er vor den General mit Hast:«Ich bringe dir mein Haupt, mein Haupt allein,Sonst keines, das du mir vertrauet hast.» –«Mag minder Schuld vielleicht als Unglück sein;Dem Kaiser bleibt das Urtheil vorbehalten,Der kann erschießen lassen und verzeihn.Nun ist's an mir, die Rache zu verwalten.»Man sah, wie erst der andre Morgen graute,Vor Menda die Kolonnen sich entfalten.Die jüngst aufs Meer so übermüthig schaute,Die Stadt war eigner Ohnmacht überlassen,Und nicht erfolgt die Landung, der sie traute.Die tags zuvor so aufgeregten MassenDer stolzen Bürger, starr vor Schrecken, ließenDen Rächer einziehn durch die stillen Gassen;Und Bluth begann sogleich um Bluth zu fließen;Es boten selbst die Schuldigen sich dar,Zweihundert ließ sofort er niederschießen.In jenem Tanzsaal auf dem Schlosse warSein Hauptquartier, umringt von seinem StabeBefahl von dort er Bluth'ges seiner Schar.Was schwer Leganes auch verschuldet habe,Er selbst ein Greis, sein Weib, die Kinder alle,Zwei Männer, zwo Jungfrauen und ein Knabe,Ein Jammerbild des Stolzes nach dem Falle;Geknebelt sind sie mit unwürd'gen Stricken,Gefesselt an die Säulen dort der Halle;Mit ihnen acht Bediente; die erstickenIn tiefster Brust der eignen Klage Laut,Wie voller Ehrfurcht sie auf jene blicken.Und bluth'gen Werkes Vorbereitung schautMan auf der Schloßterrasse mancherlei,Da wird aus Balken ein Gerüst erbaut;Und der's vollstrecken wird, der steht dabei,Er scheint sich selber schaudernd zu verachten,Daß aufgespart er so Verruchtem sei.In stummer Haltung stehn umher die Wachten,Und hundert Bürger werden hergetrieben,Verurtheilt solches Schauspiel zu betrachten.Hülfthätig ist ein Franke nur geblieben,Der bleich und zitternd zu den Opfern schleicht,Verachtung erntend für sein treues Lieben.Ruft Clara nicht: Victor, du hast's erreicht!Doch nein, sie spricht mit ihm, sie flüstern leise,Indem sie bald erröthet, bald erbleicht.Mit Ingrimm schaut auf sie der stolze Greise,Es trübt und senkt sich ihrer Augen Licht,Sie winkt dem Freund auf würdevolle Weise.Der tritt nun vor den General und spricht:«Ich bin, der deine Gnade hier begehrt.» –«Du Gnade?» – «Ja! die letzte traur'ge Pflicht:Laß richten die Leganes mit dem Schwert,Nicht aber mit dem Strange.» – «Zugestanden.» –«Der Beistand eines Priesters...?» – «Wird gewährt.» –«Befreien lasse sie von ihren Banden;Sein Wort, mein Wort wird Sicherheit dir geben.» –«Bist Bürge du, so bin ich einverstanden.» –Noch wagt ein Gnadenruf sich zu erheben:«Sein ganzes Gut, zu sühnen, was geschah!Schenk einem seiner Söhne nur das Leben!» –«Des Königs ist das Gut; was will er daNoch feilschen? Alle sterben, alle. Nein!» –«Und auch das Kind, der zarte Knabe?» – «Ja!Wir sind in Spanien. Wein her! sag ich, Wein!Ihr Herrn, dem Kaiser! laßt die Becher klingen!» –«Und soll das harte Wort dein letztes sein?» –«Das ist's, und... nein! Mag Gnade sich erringenUnd Leib und Gut erwirken, der es wagtDen Bluthdienst an den andern zu vollbringen.Das ist mein letztes Wort.» So wie er's sagt,Da sträubet manchem sich das Haar empor,Der doch für tapfer gilt und unverzagt.Man schweigt, er winkt gebietend, und VictorVerläßt den Saal; er tritt, und möchte weinen,Zu den Gefangnen in der Halle vor.Man schaut auf ihn, und mancher dürfte meinen,Daß nicht unmenschlichen Befehl er brächte;Entfesselt wird Leganes und die Seinen.Er selber löset zitternd das Geflechte,Das Claras zarte Hände hält gebunden;Man übergiebt dem Henker dort die Knechte.«Du Armer, sage nun mir unumwunden»,So fragt die hohe, herrliche Gestalt,«Hat deine Stimme kein Gehör gefunden?»Und er, sich neigend, kaum vernehmlich lalltIhr Worte zu, die schauerlich empörenSein tiefstes Herz, es überläuft ihn kalt.Sie aber scheint ihm ruhig zuzuhören.Zum Vater sie: «Laß deinen Sohn und ErbenDir Unterwerfung und Gehorsam schwören.Gebiete du; ihn trifft es zu erwerben,Was du begehrt, durch Thaten... schauderhaft!Wir haben's gut, wir haben nur zu sterben.O Juanito! du verjüngter SchaftDer Lilien, die Leganes Schild beschatten,Steig auf in unsrer Väter Heldenkraft!»Rings um den hochergrauten Vater hattenSich ahndungsvoll gedrängt des Hauses Glieder,Gestützt die Mutter an die Brust des Gatten;Ihr Aug erhellte sich, sie hoffte wieder;Da sprach die Maid das Gräßliche zu Ende;Sie sank entsetzt, erschöpft, ohnmächtig nieder.Der Vater rief: «O Juanito, wendeDie Schmach von uns, die ärger als der Tod!»Er schüttelte das Haupt und rang die Hände.«Bist du mein Bluth, erfülle mein Gebot!Du bist des Hauses Stamm.» Er aber schrie:«Wer färbt in Vatersbluth die Hände roth?»Und Clara warf vor ihm sich auf die Knie:«O Bruder, wenn du mich zu lieben meinst,Berühre jener Schreckliche mich nie!Du bist ja, der zu mir gesprochen einst:Bevor du angehören sollst dem Franken,Vor dem du nicht zurückzubeben scheinst,Vertilget den unwürdigen GedankenMein eigner Dolch in deiner falschen Brust;Nun laß den Tod mich deiner Liebe danken.»Und Philipp sprach: «Du armer Bruder mußt,Du mußt des Hauses Schild empor noch tragen;Daß sonst er untergeht, ist dir bewußt.»Die jüngre Tochter und die Mutter lagenSich weinend in den Armen; zürnend schaltDer Knabe seiner Schwester weibisch Klagen.Die Stimm erhob der Alte mit Gewalt:«War der von span'schem Adel, der alleinDas eigne Leid erwog, da's Thaten galt?Du warst mein Sohn nicht, darfst es nimmer sein,Und dich verleugn ich in der Sterbestunde.»Die Mutter stöhnte: «Still! er willigt ein.»Ein Priester zeigte sich im Hintergrunde;Sie führten ihn zu Juanito gleich,Und Clara gab ihm schnell von allem Kunde.Wie sonst dem Sünder zu dem Todesstreich,Sprach Muth ihm ein zu leben jener Bote:Er sagte: «Ja!» und wurde leichenbleich.Die Frist verstrich, die Trommel rief und drohteVon der Terrasse her; sie traten vorAuf ihren Ruf dem Tode zu Gebote.Sie hielten Schritt und blickten fest empor,Nicht Stolz und Haltung hatten sie verlassen;Da war nur einer, der die Kraft verlor,Der sollte leben! Den nur mußte fassenDer Beichtiger und führen. Dort bereitDer Block, das Schwert, ein Anblick zum Erblassen.Da stand auch einer, nicht vom Blocke weit,Den zu vollstrecken hier die bluth'ge ThatDas schauerliche Machtgebot befreit.Und zu dem bluthgewohnten Manne tratNun Juanito, leise flüsternd, leiseSprach der ihm zu, und gab ihm seinen Rath.Und sieh, die Kinder knieten schon im Kreise,Zunächst der Mutter stand der Kapellan,Und stolze Blicke warf umher der Greise.Zum Bruder Mariquita nun begann:«Ich bin nicht stark, mein Bruder, wie ich sollte;Erbarme dich und fange mit mir an.»Es pfiff das Schwert, getrennt vom Rumpfe rollteIhr lock'ges Haupt, der Mutterbrust entquollEin Schrei, den sie umsonst ersticken wollte.Kam Raphael, der fragte liebevoll,Wie er das Haar sich aus dem Nacken strich:«Bin ich so recht, du Guter, wie ich soll?»Da fiel der Streich, und Clara stellte sich;Wie er ins Antlitz sah der bleichen, schönen:«Du weinest!» sprach er. Sie: «Ich denk an dich.»Er schwang das Schwert, da hörte man ertönen:«Halt! Gnade! Gnade!» – Wird der Ruf auch wahr?Wird er den Muth der Sterbenden verhöhnen? –Hervor trat Victor aus der Franken ScharUnd stellte bleich sich, bebend und verstörtDem Auge des geliebten Mädchens dar:«Du, deren Herz, ich weiß es, mir gehört,Sei mein, mein Weib! das eine Wort, o sag es;Die Macht, die dich verfolgt, hat aufgehört!Das Leben nur, o süße Maid! ertrag es,An meinem Arm, an meiner treuen Brust,Zu weinen ob den Greueln dieses Tages.Vertraue mir und trage den Verlust;Dir biet ich zum Beschützer mich und Leiter,Ich träume selbst von keiner süßen Lust.»Sie sah ihn hellen Blickes an und heiter,Und wandte sich, nicht schwankend ob der Wahl,Dem Blocke zu, und: «Juanito, weiter!»Da fiel ihr Haupt und sprang ein rother Strahl,Das Herzensbluth, dem mocht er nicht entweichen;Den Wankenden verbarg der Freunde Zahl.Und Philipp nahm, nach weggeräumten Leichen,Den Platz der Schwester ein, und starb zuletzt,An Stärke nur den andern zu vergleichen.Vor trat Leganes selbst der Vater jetzt,Um sich betrachtend seiner Kinder Bluth,Und Juanito sprang zurück entsetzt.Doch er: «Ermanne dich und fasse Muth!Hört's, Spanier, hört's! und sagt's dem Vaterlande!Er ist der Sohn, auf dem mein Segen ruht.Marques de los Leganes, span'scher Grande,Triff sicher nur! du bist des Tadels bar;Dem Feinde deines Landes bleibt die Schande.»Wohl traf er gut; ein Röcheln sonderbarHat aus der athemlosen Brust bezeugt,Daß seine letzte Kraft geschwunden war.Wie nun die Mutter vortrat, tief gebeugt,Doch würdevoll, er sie ins Auge faßte,Da schrie er laut: «Sie hat mich ja gesäugt!»Der Schrei erweckte Nachhall, es erblaßteIm weiten Kreise jegliches Gesicht,Das Mahl verstummte, wo der Franke praßte.Sie sprach ihm zu, er aber hörte nicht;Da schritt sie zu der Brustwehr und vollstreckteHinab sich stürzend selbst das Bluthgericht.Er lag in Ohnmacht.Dort, der Blasse weckteWohl deine Neugier; deine Augen sahn es,Wie Gramesnacht die hagern Züge deckte.Die Furchen sind die Spuren nicht des ZahnesDer allgewalt'gen Zeit, das siehst du schon;Verdugo, heißt der Mann, de los Leganes.Bewundert und bedauert und geflohn,So schleicht und wird er schleichen allerwegen,Bis ihm geboren wird der erste Sohn;Dann wird er zu den übrigen sich legen.
1) Das spanische Wort Verdugo bedeutet: «Henker.»
Der alte Sänger.
Sang der sonderbare GreiseAuf den Märkten, Straßen, GassenGellend, zürnend seine Weise:«Bin, der in die Wüste schreit.Langsam, langsam und gelassen!Nichts unzeitig! nichts gewaltsam!Unablässig, unaufhaltsam,Allgewaltig naht die Zeit.
Thorenwerk, ihr wilden Knaben,An dem Baum der Zeit zu rütteln,Seine Last ihm abzustreifen,Wann er erst mit Blüthen prangt!Laßt ihn seine Früchte reifenUnd den Wind die Aeste schütteln,Selber bringt er euch die Gaben,Die ihr ungestüm verlangt.»
Und die aufgeregte MengeZischt und schmäht den alten Sänger:«Lohnt ihm seine Schmachgesänge!Tragt ihm seine Lieder nach!Dulden wir den Knecht noch länger?Werfet, werfet ihn mit Steinen!Ausgestoßen von den ReinenTreff ihn aller Orten Schmach!»
Sang der sonderbare GreiseIn den königlichen HallenGellend, zürnend seine Weise:«Bin, der in die Wüste schreit.Vorwärts! vorwärts! nimmer lässig!Nimmer zaghaft! kühn vor allen!Unaufhaltsam, unablässig,Allgewaltig drängt die Zeit.
Mit dem Strom und vor dem Winde!Mache dir, dich stark zu zeigen,Strom- und Windeskraft zu eigen!Wider beide, gähnt dein Grab.Steure kühn in grader Richtung!Klippen dort? die Furt nur finde!Umzulenken heischt Vernichtung;Treibst als Wrak du doch hinab.»
Einen sah man da erschrockenBald erröthen, bald erblassen;«Wer hat ihn herein gelassen,Dessen Stimme zu uns drang?Wahnsinn spricht aus diesem Alten;Soll er uns das Volk verlocken?Sorgt den Thoren festzuhalten,Laßt verstummen den Gesang.»
Sang der sonderbare GreiseImmer noch im finstern ThurmeRuhig, heiter seine Weise:«Bin, der in die Wüste schreit.Schreien mußt ich es dem Sturme;Der Propheten Lohn erhalt ich!Unablässig, allgewaltig,Unaufhaltsam naht die Zeit.»
Der Geist der Mutter.
Die Muse führt euch in das Schloß des Grafen;Sie hat den alten Wappenschild am ThorVerhangen, und es soll sein Name schlafen.Seht dort ihn selbst, der bleich und hager vorDem Pergamente zähneknirschend lacht,Und zitternd, wie es rauschet, fährt empor.Schaut nicht hinab in seines Busens Nacht,Fragt nicht nach seinem Unmuth, seinem Groll,Und nicht, was vor ihm selbst ihn schaudern macht.Blickt ab von ihm; seht schweigsam, ahndungsvollDie Dienerschaft den einz'gen Sohn erwarten,Dem jetzt der Mutter Erbe werden soll.Er ward in Schul und Welt und Krieg vom hartenGeschick verstoßen, seit die Augen schloß,Die liebend pflegte seiner Kindheit Garten.Nun kehrt er heim in seines Vaters Schloß;Er wieget sich in zaubervollen Träumen,Und spornt vor Ungeduld sein feurig Roß.Und dort beginnt inmitten grünen RäumenDas Dorf mit rothen Dächern zu erscheinen;Die Kirche dort, und unter jenen Bäumen...!Er hat den Baum gepflanzt, der jetzt mit seinenWeitausgespannten Aesten schirmt das GrabDer Mutter, wo er beten muß und weinen:«Vernimm du mich, die mir das Leben gab,Du, deren Bild ich stets in mir getragen;Nicht wende jetzt die Augen von mir ab.Der fremdgewordnen Heimath werd ich klagen,Daß meine Träume noch nur Träume sind;Du sollst um mich die Geisterarme schlagen.» –Und nun zu Roß! zum Schloß hinan geschwind!Der Bach, – die Felsenwand, – die alten Föhren,Ihr dunkles Haupt bewegt der Abendwind;Sie scheinen seines Herzens Gruß zu hörenUnd zu erwidern; Fremde sind alleinDie Menschen, die die Täuschung ihm zerstören.Und hier, um diesen Felsen muß es sein, –Es wendet sich der Weg, und vor ihm prangenDes Schlosses Zinnen roth im Abendschein;Da rollen Thränen über seine Wangen;Er stürmt den Hof hinan, und Diener kommenNeugierig fremd herbei ihn zu empfangen.Nach seinem Vater fragt er, sucht ihn frommenUnd liebedurst'gen Blickes: hat er, ach!Von seines Sohnes Heimkehr nichts vernommen?Dem Jäger folgt er durch die Halle nach,Der trägt Gepäck und Mantel und Pistolen,Und führt ihn ein ins innere Gemach.Da tritt vor ihn ein Mann mit stieren, hohlen,Entsternten Augen, dessen düstre FaltenDie Schatten seines Innern wiederholen.Der spricht: «Die Kunde hab ich schon erhalten;Ihr kommt der Mutter Erbe zu begehren,Ich kann Euch nicht das Eure vorenthalten.»Da kann er sich des Schauderns nicht erwehren,Es sinken schlaff die ausgestreckten Arme,Und stumm und starr verschluckt er seine Zähren.An dieses Herz doch schlagen muß der Arme,Nicht dringt hinein die Stimme der Natur,Da schweigt er überwältigt von dem Harme.Er stammelt: «Schlaf!» da winkt der Alte nur,Er folgt dem Jäger bei der Kerze SchimmerZum andern Flügel über Gang und Flur.Da öffnet sich vor ihm, er sieht es immer,Er hat es mit dem Herzen schon erkannt,Das von der Mutter sonst bewohnte Zimmer.Da steht nun der Verwaiste wie gebannt,Betrachtet sinnend die gemalten Wände,Von bittrer Lust und Schmerzen übermannt.Sie lag auf diesem Lager, als die HändeSie segnend legte auf sein lockig Haupt;Dann sank sie hin, ihr Leben war zu Ende.Hier ward er seines Teuersten beraubt,Hier hat der Ernst des Lebens ihn erfaßtUnd seiner Kindheit üpp'ges Reis entlaubt.Und jetzt! – So steht er eine lange Rast,Von Garnen der Erinnerung umstellt,Das Herz zermalmt von namenloser Last.Und endlich nieder auf das Lager fälltEr weinend, schluchzend, schmerzenüberwunden,Den Schlaf nicht suchend, der sich ferne hält.Der Schloßuhr ehrne Zunge zählt die Stunden,Es schließt die Nacht sich zu, das Licht verglimmt,In grauser Stille bluthen seine Wunden.Da mahnt ihn ein Geräusch, das er vernimmt,Daß drüben bei dem Vater er gelassenDie Waffen, die zu seinem Schutz bestimmt.Und ringsher spähend sieht er einen blassenUnsichern Schimmer durch das Zimmer wehen;Es reizt ihn, den ins Auge scharf zu fassen.Er höret draußen leisen Schrittes gehen;Er siehet jenen Schimmer sich gestalten,Und siehet seine Mutter vor ihm stehen.Sie winkt ihm, regungslos sich zu verhalten,Sie hebt die Augen schmerzenreich empor,Sie scheinet über ihn die Wacht zu halten.Es rauscht, die Thür geht auf, – sie tritt davor, –Ein lauter, angsterpreßter Schrei erschallt,Die Stimme seines Vaters traf sein Ohr;Da wirft man Schweres klirrend hin, es halltDer Gang von flücht'gen Schritten, es verklingt, –Zerflossen ist in Nebel die Gestalt.Er aber dort auf seinem Lager ringtMit dem Entsetzen, bis mit hellem ScheineDer junge Tag in seine Augen dringt.Er schaut umher; die Thür ist auf, und seinePistolen liegen auf der Schwelle dort;Er fragt sich nicht, was er darüber meine.Er schleicht hinaus sich leise, spricht kein Wort,Er sattelt, steigt zu Roß und drückt die Sporen;Erst ihrem Grabe zu, dann weiter fort. –Es hat sich jede Spur von ihm verloren.
Auf den Tod von Otto von Pirch.
Wen birgt da unten tief die schwarze TruheDie von dem Fall der Erde dumpf erschallt?Sagt, welchen Müden legt ihr da zur Ruhe? –Von Pirch. – Ihr lügt! gar lebensfreudig wallt,Ich sah ihn gestern noch im Tagesscheine,Die kräft'ge, jugendstrahlende Gestalt –Da liegt er bleich und kalt im engen Schreine. –Er sollt es sein?? – Er ist's, den wir begraben. –Der Edle, Tapfre, Weise, Fromme, Reine!Er, welchen schmückten alle höhern Gaben,Den wir ein Muster aller TüchtigkeitGeehrt vor allen und geliebet haben.Er, den in dieser dünkelhaften ZeitDer Reiz der Demuth zierte wunderbar,Dem Bessern stets zu huldigen bereit.Der wie ein Held, der wie ein Kind auch war,Der.... O mein Pirch! du bist dahin gegangen,Ich aber schüttle noch mein greises Haar.Dein klares Aug und deine frischen Wangen,Dein Bild wird, der Vergänglichkeit entrafft,Stets jugendhell vor meiner Seele prangen.Das Alter aber zehrt an meiner Kraft,Der Lenz erweckt in mir den alten nicht,Da prüf ich mich, da fühl ich mich erschlafft.Es zieht ein Nebelflor vor mein Gesicht,Von meinem Ohr entfernen sich die Töne;Ich merke, wie der Bau zusammenbricht.Dich nahm der Tod in deiner vollen Schöne,Du fühltest nicht dich sterben Stück für Stück,Wie andre morsch gewordne Menschensöhne.Dir war das Leben Hoffnung nur und Glück,Enttäuschung hat es nimmer dir vergällt;Wir aber rufen schmerzlich dich zurück.Denn alt geworden ist um uns die Welt,Es gleicht, was noch besteht, dem letzten TraumZur Stunde, wo der Osten sich erhellt.Es tragen sich die morschen Pfeiler kaum,Der Boden wankt, der Glauben ist verloren,Tiar'- und Kronengold ist eitel Schaum.Dem Alten ist der Untergang geschworen,Verwesung greift um sich, die Stoffe gären,Im Schmerze wird die neue Zeit geboren;Sie wird nach Männern so wie du, begehren.
Zur Einleitungdes deutschen Musenalmanachs 1833.
Was mir im Busen schwoll, mir unbewußt,Ich konnt es nicht verhindern, ward Gesang;Zum Liede ward mir jede süße Lust,Zum Liede jeder Schmerz, mit dem ich rang;Das Lied erhob aus zornerkrankter BrustSich sturmbeflügelt in der Zeiten Drang;Ich hörte nur die eigne Stimme rauschenUnd sorgte nicht, man könne mich belauschen.
Doch ihr, die ich bewundert wie die SterneDes Himmels über mir, so hoch und klar,Die nur entblößten Hauptes aus der FerneZu grüßen, mir ein Traum des Dünkels war,Ihr meine hohen Meister, lauschtet gerneDem schlichten Laut, aufblickend nahm ich wahr,So wie des Liedes Wogen ausgebrandet,Daß lächelnd ihr im Kreise mich umstandet.
Und eurem hohen Chor war's mir beschieden,Erröthend faß ich's nicht, mich anzureihn;Wohl herrlich ist es, von den Homeriden –Ein Größrer sprach's – der letzte noch zu sein;Ihr schmücktet mit der Binde mich hienieden,Ich werde nicht das Priesterthum entweihn;Der Ernst, die Liebe wohnen mir im Busen,Und also schreit ich zum Altar der Musen.
Ihr habet auf die Stufen dieser HalleAls Wächter mich und Herold hingestellt;Zum Feste des Gesanges lad ich alle,Die einer Sprache Mutterlaut gesellt;Herein, herein! das deutsche Lied erschalleVolltönig, kräftig in die ernste Welt;Herein! du Meister mit der Lorbeer-Krone;Du Jünger, der noch ringt nach gleichem Lohne.
Herein! du Jünger; zaudre nicht zu neigenDein lock'ges Haupt vor deinen Meistern hier;Dir ziemt vor ihnen Ehrfurcht wohl zu zeigen,Du ringst hinan zu ihrem Lichtrevier;Und wehte nicht aus ihres Lorbeers ZweigenDes Gottes Schöpferathem erst zu dir?Bin so wie du, obschon in grauen Haaren,Ein Jünger nur; vertraue meinen Jahren.
Herein! du Dichterfürst in deinem Ruhme,Und laß die Mächte deiner Lieder walten;Beschirme diese du im Heiligtume,Dir ziemt die Jugend ehrenvoll zu halten;Wer weiß, ob nicht die erst erschloßne BlumeZur schönern Frucht sich werde noch entfalten?Du hast, wie sie, im niedern Wald verborgenGerungen und gestrebt an deinem Morgen.
Wer will, sei mit im Uns; die Kunst ist frei,Es singe, wem ein Gott Gesang gegeben;Die Sonne weckt die Blumen auf im Mai,Und reift im Herbst das flüß'ge Gold der Reben;Ob später Herbst, ob Frühling in uns sei,Es steigt der Saft, es reget sich das Leben,Und so wir rauschend in die Saiten greifen,Die Blumen wachen auf, die Früchte reifen.
Doch seht am Himmel welch ein trüber FlorGewitterdrohend in des Tages Schwüle!Die Welt ist ernst geworden, sie verlorIn Sturmesdrang die Lust am Saitenspiele;Wer, Freunde, lauschte jetzt noch unserm Chor?Wer ist, der in der Dichtung sich gefiele?Laßt friedsam uns und fromm im LiedergartenDes uns vertrauten heil'gen Funkens warten.
Der rechte Barbier.
Und soll ich nach PhilisterartMir Kinn und Wange putzen,So will ich meinen langen BartDen letzten Tag noch nutzen;Ja! ärgerlich, wie ich nun bin,Vor meinem Groll, vor meinem Kinn,Soll mancher noch erzittern.
«Holla! Herr Wirth, mein Pferd! macht fort!Ihm wird der Hafer frommen.Habt ihr Barbierer hier im Ort?Laßt gleich den rechten kommen.Waldaus, waldein, verfluchtes Land!Ich ritt die Kreuz und Quer und fandDoch nirgends noch den rechten.
Tritt her, Bartputzer, aufgeschaut!Du sollst den Bart mir kratzen;Doch kitzlich sehr ist meine Haut,Ich biete hundert Batzen;Nur, machst du nicht die Sache gut,Und fließt ein einz'ges Tröpflein Bluth, –Fährt dir mein Dolch ins Herze.»
Das spitze, kalte Eisen sahMan auf dem Tische blitzen,Und dem verwünschten Ding gar nahAuf seinem Schemmel sitzenDen grimm'gen schwarzbehaarten MannIm schwarzen, kurzen Wams, woranNoch schwärzre Troddeln hingen.
Dem Meister wird's zu grausig fast,Er will die Messer wetzen,Er sieht den Dolch, er sieht den Gast,Es packt ihn das Entsetzen;Er zittert wie das Espenlaub,Er macht sich plötzlich aus dem StaubUnd sendet den Gesellen.
«Ein Hundert Batzen mein Gebot,Falls du die Kunst besitzest;Doch, merk es dir, dich stech ich todt,So du die Haut mir ritzest.»Und der Gesell: «Den Teufel auch!Das ist des Landes nicht der Brauch.»Er läuft und schickt den Jungen.
«Bist du der rechte, kleiner Molch?Frisch auf! fang an zu schaben;Hier ist das Geld, hier ist der Dolch,Das beides ist zu haben;Und schneidest, ritzest du mich bloß,So geb ich dir den Gnadenstoß;Du wärest nicht der erste.»
Der Junge denkt der Batzen, druckstNicht lang und ruft verwegen;«Nur still gesessen! nicht gemuckst!Gott geb Euch seinen Segen!»Er seift ihn ein ganz unverdutzt,Er wetzt, er stutzt, er kratzt, er putzt:«Gottlob! nun seid Ihr fertig.»
«Nimm, kleiner Knirps, dein Geld nur hin;Du bist ein wahrer Teufel!Kein andrer mochte den Gewinn,Du hegtest keinen Zweifel,Es kam das Zittern dich nicht an,Und wenn ein Tröpflein Bluthes rann,So stach ich doch dich nieder.»
«Ei! guter Herr, so stand es nicht,Ich hielt Euch an der Kehle,Verzucktet Ihr nur das GesichtUnd gieng der Schnitt mir fehle,So ließ ich Euch dazu nicht Zeit,Entschlossen war ich und bereitDie Kehl Euch abzuschneiden.» –
«So so! ein ganz verwünschter Spaß!»Dem Herrn ward's unbehäglich,Er wurd auf einmal leichenblaßUnd zitterte nachträglich:«So so! das hatt ich nicht bedacht,Doch hat es Gott noch gut gemacht;Ich will's mir aber merken.»
Nachhall.
Wie jetzt der Baum im kalten NebelwindMit nackten Zacken, also traur ich selbst;Es reget sich kein Lied in meiner BrustUnd müßig auf der Harfe ruht die Hand.Hat solches mir der Herbst nur angethan,Und wird ein Frühling wieder mich erwecken? –Vielleicht, – ich weiß es nicht. – Ist aber ganzVersiegt in mir die Quelle des Gesanges –Geduld, mein Herz! du wirst es überwinden,Dich hat das Leben schon den Tod gelehrt.
Du mein vertrauter Freund, mein Saitenspiel,Magst hier indeß am stillen Herde hangen;Ich will die Efeuranke um dich winden,Dich scheidend schmücken mit dem Wintergrün.Hast du mich doch geschmückt mit meinen BlüthenIn Lust und Leid, verherrlicht meine Freuden,Den Schrei des Schmerzes lindernd aufgelöstIn Wohllaut, und die Lohe meines ZornesVerklärt ergossen in des Aethers Strom.
Und meine Lieder lockten feuchte PerlenIn sitt'ger Frauen Augen, ja, sie wecktenIn manchem deutschen Busen Widerhall;Die Jugend nennt und liebt den alten Sänger,Des Namen guten Klanges nicht verschalltBevor das werdende Geschlecht erlischt;Ich weiß es, und ich sprech es ruhig aus,Nicht stolz, nicht eitel, nein, von Dank erfüllt.
Ich danke dir, mein heimisch deutsches Land,Du hast, in dieser ernsten stürm'schen Zeit,Mir unverhofft geliehen Ohr und Herz,Und hast, mitfühlend, mir die eignen Freuden,Die Lust der Lieder in bewegter BrustReich, überschwenglich reich gelohnt. Hab Dank!Ich sang ja nur, so wie der Vogel singt.
Ihr jüngern Sangbegabten, sammelt euchUm mich; ich rechne mit dem Leben ab,So scheint es; laßt mich einmal noch zu euchAus vollem Herzen reden; hört mich an:Des Sehers und des Sängers Gaben sindVon Gott und heilig; ehrt den Gott in euch;Frönt nicht mit Heiligem dem Weltlichen;Buhlt mit der Lyra nicht um schnöden LorbeerUm nicht um schnödres Gold. Vermeßt euch nichtMit unsrer Zeit und unserm VaterlandeZu hadern, weil nach eurem Dünkel nichtEuch Preis und Ehre zugemessen ward;Verklagt die Mitwelt bei der Nachwelt nicht;In Berges Klüften schläft der WiderhallUnd schläft in aller Herzen, wem ein GottDie Macht verliehen hat, der ruft ihn wach.Und das ist Sängerslohn. Begehrt ihr mehr,Begehrt den Lohn vielleicht ihr der Propheten?
Frei schallt aus freier Brust das deutsche Lied,Von keinem Ludwig wird es ausgesät;Frei wie der Vogel sei der deutsche Sänger,Und mög er vogelfrei auch sein, ihn schütztDer Gott, der ihn zum Liebling sich erwählt,Ihm lohnt der Ton, der aus der Kehle dringt,Er borget nichts von ird'scher Majestät.Es singe, wem Gesang gegeben ward,Im deutschen Dichterwald, doch nie entwürdigtZum schnöden Handwerk werde der Gesang.Ernähret euch von ehrlichem Erwerb;Eßt euer Brod, das ist der Menschen Los,In eures Angesichtes Schweiß; dem TageGehöret seine Plage: spaltet Holz,Karrt Steine, wenn die Noth es von euch heischt;Wenn aber schlägt die Abendfeierstunde,Und in des Himmels Räumen sich entzündetDas Licht der Sterne, dann, Geweihte, schütteltVon euch die Sorgen, frei erhebt das HauptUnd frei belebt die heil'ge Nacht mit Tönen;Ruft in den Schlafenden die Träume wach,Die Träume jener Welt, die in euch lebt; –Das Reich der Dichtung ist das Reich der Wahrheit,Schließt auf das Heiligthum, es werde Licht!
Die Retraite.
Am Sonntag Abend auf dem Werder warenZum lust'gen Walzer in dem FischerkrugDie sechs Trompeter da von den Husaren.Herüber von dem andern Ufer trugSie noch das Eis, nun gab es Spiel und Tanz;Es waren zum Orchester fünf genug.Der sechste hielt sich abgesondert, Franz,Er kos'te wohl mit seiner Braut verstohlen,Der Margarethe, der gehört er ganz.«Wir haben unsre Sache Gott befohlen,Und hat der Frühling erst den Fluß befreit,So komm ich nur, hinüber dich zu holen.»«O Franz! und diese lange, bange Zeit!Wie soll ich, dich zu sehen, mich entwöhnen,Du bist mein Leben, meine Seligkeit!» –«Du hörst mich, hörest die Trompete dröhnen,Sie wird dir meiner Liebe Botschaft bringenBei der Retrait' in Nachhalls-Zittertönen.Wenn diese letzten Töne zu dir dringen,Ich bin's, gedenke mein, dann weht von drübenDir meine Seele zu auf ihren Schwingen.Mag doch der Eisgang kurze Feindschaft üben,Der Frühling unsrer Liebe wird erwachen,Und keine Trennung fürder uns betrüben.» –«Hört auf! wer mag noch lärmen hier und lachen!»Ein Fischer sprang herein und schrie das Wort;«Hört ihr denn draußen nicht des Eises Krachen!?Ihr Herrn, die ihr hinüber müßt, macht fort;Stromauf! da hält sich's länger, bis es bricht,Dem Lichte zu am andern Ufer dort!» –«O Franz, bleib hier!» – «Mein Lieb, ich darf es nicht,Nicht Urlaub hab ich.» – «Meines Vaters Haus...» –«Ich bin Soldat und kenne meine Pflicht.» –«O lieber Franz, in solchem nächt'gen Graus...!» –«Wir scheiden ja, mein Lieb, zum letzten Male;Laß ab! sei stark! die andern sind voraus.»Stromauf, schräg über, nach dem Lichtsignale,Sie schritten schnell und schweigsam durch die Nacht,Erhellt von keines Sternes bleichem Strahle;In Nebeln, von dem Winde hergefacht,Schien ihnen oft das Lichtlein zu verschweben;Sie schritten zu, als gieng es in die Schlacht.Sie fühlten unter sich das Eis erbeben,Und hörten's grausig donnernd sich zerspalten,Und sahn es aufgerissen sich erheben;Und wie des Abgrunds Stimmen rings erschallten,Beflügelten den Lauf sie landhinan,Erst jenseits auf dem festen Grund zu halten.Und wie sie dort erreicht den Rettungsplan,Da zählten sie und zählten – «Gott und Vater!Wir sind nur fünf! es fehlt der sechste Mann!Der fehlt, ist Franz; sie hielt ihn auf; was that er?Doch seht den Schatten dort! das muß er sein,Im windgefegten Schneegewölke naht er.Franz! Franz! gib Antwort! – keine Antwort! nein,Er ist es nicht. Das Schneegewölk zerfallen,Stumm, ebenmäßig, hüllt die Nacht uns ein.»Und von dem Strome her, wo wirbelnd wallenDie Schollen und einander sich zerschmettern,Hört laut man wohlbekannten Ton erschallen;Der ehernen Trompete muthig Schmettern,Retrait'! ihm selbst Posaune des Gerichtes,Es ruft dem Tode, nicht den ird'schen Rettern.Und stromabgleitend fern und ferner bricht es,Und leis und leiser, aus der Nacht hervor,Ein Hauch der Ahnung überird'schen Lichtes.Dem Krug vorbei! da lauschet wohl ein Ohr!Und lang gezogen, leise zitternd schwingenDes Nachhalls letzte Töne sich empor. –«Wenn diese letzten Töne zu dir dringen,Ich bin's, gedenke mein, dann weht von drübenDir meine Seele zu auf ihren Schwingen.Mag doch der Eisgang kurze Feindschaft üben,Der Frühling unsrer Liebe wird erwachen,Und keine Trennung fürder uns betrüben.»Und unterwärts erschallt mit Donners-KrachenDas Eis, das Scholle sich auf Scholle ballt,Und dröhnend öffnet sich des Todes Rachen.Es schweigt, die letzten Töne sind verhallt.
Ein Gerichtstag auf Huahine.Im Herbst 1822.
Ellis, «Polynesian researches» II. p. 457. Pomare II., König von Tahiti, erhielt, der erste unter den Insulanern dieser Gruppe, die Taufe zu Papaoa auf Tahiti am 14. Juli 1819. Am 13. Mai desselben Jahres waren daselbst die ersten geschriebenen Gesetze in feierlicher Volksversammlung angenommen und ausgerufen worden. Erst im Mai 1822 erhielt die Insel Huahine auf gleiche Weise ihr erstes Gesetzbuch. Oro war auf diesen Inseln der Gott des Kriegs, dem menschliche Opfer geschlachtet wurden.
Pomares hohe Wittib ist erschienenAuf Huahin', ein königlicher Gast,Und Volk und Fürsten eifern ihr zu dienen;Sie strömen her aus allen Tälern fast,Tahitis Herrin huldigend, und bringenZu ihren Füßen der Geschenke Last.Es bilden ihren Hofstaat und umringenSie ihrer Mannen viele, was ersannDie Königin, willfährig zu vollbringen.Von diesen einer kam, der Zimmermann:«Zum Bau des Schiffes fehlt ein starker Baum;Erhabne Herrin, weise den uns an.»Drauf sie: «Dort seht, in jenes Hages Raum,Den Brothfruchtbaum die volle Krone wiegen,Den fällt, den bessern findet ihr doch kaum.»Die Axt ward angelegt und mußte siegen,Der Stamm ward fortgeschafft, der Eigner fandAm Abend, als er kam, die Aeste liegen.Er war ein armer Mann von niederm Stand,Ein rechtlicher, er nannte sich Tahute;Die Missionare haben ihn gekannt.Er forscht umher und fragt mit trübem Muthe:«Ihr lieben Nachbarn, sagt mir, was ihr wißt;Wer hat gefrevelt hier am fremden Gute?»Wie er es hört, die Ungebühr ermißt,Die ihm von der Gewaltigen geschehen,Dem Manne, der aus niederm Stand nur ist;Beschließt er vor den Richter gleich zu gehen:«Es kamen auf, seit Christi Wort erscholl,Gesetze, soll die Willkür fortbestehen?»Ori, der Richter, hört ihn kummervoll,Und sendet alsobald den Boten hin,Der vor Gericht die Fürstin laden soll. –«Ori, der Richter, spricht durch mich: Ich bin,Der morgen wird am Quell das Buch entfalten;Dich lad ich dort in Ehrfurcht, Königin.»Und wie des Morgens erste Stimmen hallten,Die Dämmrung mit der Finsterniß noch rang,Und das Gebürg begann sich zu gestalten;Im kühlen Seewind noch die Palme schwangIhr luft'ges Haupt, und nun aus dunkler FlutDer Siegesschild der Sonne flammend sprang;Da saß Ori, zu des Gesetzes Hut,Am Quell des Hügels mit dem Buche schon,Worauf des Unterdrückten Hoffnung ruht;Schon drängte sich zu einer weiten KronUm ihn das Volk, es saß zu seiner RechtenBereits die Fürstin auf erhabnem Thron;Und eine Schar von Höflingen und KnechtenUmlagerte die Herrin; noch verlorSich in dem Haufen, dem es galt zu rechten.Der Richter rief, und hielt das Buch empor:«Hier gilt das Recht; wer klagen darf, der klage!»Da trat Tahute aus dem Volk hervor:«Es stand ein Brodfruchtbaum in meinem Hage,Der sieben Mond im Jahr mich nebst den MeinenErnährt' und Schirm uns gab am heißen Tage.Ich hatte selbst mein Haus mir unter seinenWeitausgespannten Aesten auferbaut,Und durfte wohlgemuth mich glücklich meinen.Blick hin! von diesem Abhang überschautDein Blick dort unten das bewohnte Thal;Siehst du die Stütze noch, der ich vertraut?Dort ragt mein nacktes Dach im Sonnenstrahl,Dabei ein leerer Raum, – die weite Wunde,Die Lücke, – sieh! das ist des Frevels Mal.Denn gestern kam ich heim zur Abendstunde, –Verwaiset und verwüstet war der Ort,Ich forschte händeringend nach der Kunde;Zerhauen lagen rings die Aeste dort,Der Wurzelstock verweinte seinen Saft,Allein der Stamm, der mächt'ge Stamm war fort.Sie sagen aus: dieß Unheil hat geschafftTahitis Königin, ihr Wille war es,Durch ihrer Mannen übermüth'ge Kraft.Ich weiß nicht, ob sie Falsches oder WahresBerichten; laß sie reden, wann ich schweige;Von ihnen und der Königin erfahr es.Ich aber frage nun, indem ich zeige,Bekräftigend, ich sei befugt zu fragen,Hier meines abgehaunen Baumes Zweige:Was gilt nun das Gesetz, von dem sie sagen,Es sei erdacht zu unserm Schutz und Frommen,Die üpp'ge Macht der Willkür zu zerschlagen?Uns ist das Licht der heitern Lust verglommen, –Ihr saget ja, daß ihr an Christum glaubt! –Und soll die Zeit des Bluthes wiederkommen?Nehm auch mein Leben, wer mein Gut mir raubt;Und mög ich liegen auf Oros Altar,Wie bluthig einst schon meines Vaters Haupt!Als seine Tempel standen, ja, da warDie volle freud'ge Kraft noch unbezwungen,Die wogend Krieg und süße Lust gebar.Ward in der Männerschlacht der Speer geschwungen,Galt doch das Leben nur dem Dienst der Lust,Und nur das Lied der Freude ward gesungen.Nun schlägt der Sünder an die hohle Brust,Gesang und Waffenschall sind gleich verhallt;Der stille Sabbat jammert dem Verlust.Ich selber bin nun worden schwach und alt,Und wieder zweifelnd frag ich das Gericht:Gilt euer Recht? gilt wieder die Gewalt?»Er schwieg. Darauf Ori: «Der Kläger spricht,Du habest, Herrin, seinen Baum gefällt;Ist solches wahr?» und sie: «Ich leugn es nicht.» –«Dir sei die eine Frage noch gestellt:Hast du gewußt, daß wir Gesetze haben,Und nicht der Eigenmacht gehört die Welt?Geschriebene Gesetze, die uns gaben,Nachdem wir selbst darüber uns vereint,Die, so nächst Gott sind über uns erhaben –»«Ich wußt es – ja! doch hab ich auch gemeint,Den gottbestellten Herrschern sei verbliebenDie Macht, die selbst ihr zu verkennen scheint.» –«Hier ist das Buch; wo steht darin geschrieben,Den Herrschern vorbehalten sei die Macht,Zu halten und zu brechen nach Belieben?»Sie schwieg, den stolzen Blick verhüllt in Nacht.Den ihre Diener hatten holen müssen,Ein Beutel Piaster ward vor sie gebracht;Sie winkte herrisch, zu des Klägers FüßenDie königliche Spende zu verstreuen,Und dachte so für ihren Fehl zu büßen.«Nicht also!» hub der Richter an von neuen;«Erst sprich: War recht die That, die du begangen,Und scheinest jetzt, o Herrin, zu bereuen?»Sie sagte: «Nein! – ich habe mich vergangen.»Ihr Antlitz überflog ein rother Schein,Und Thränen stürzten über ihre Wangen.Der Richter sprach: «Der Kläger darf alleinDen Preis bestimmen dem Gesetze nach.Tritt vor und fodre du, so soll es sein.»Tahute trat zum andern vor und sprach:«Ich habe, was ich nur gewollt, erreicht;Gebüßet hat ihr Mund, was sie verbrach.Behalte, Herrin, deine Piaster; leichtUnd mütterlich ernähret mich die Erde,Den nicht der Zorn ob Unbill mehr beschleicht.»Darauf Ori: «Ihr hört, daß der BeschwerdeEntsagt hat, der die Klage hier erhoben,Und fürder Rechtens nichts begehret werde.Ihr mögt in Frieden gehn und Christum loben.»
Verbrennung dertürkischen Flottezu Tschesme.
Stellt willig euch nicht taub und blind, es rächt sich.Der mächt'ge Sultan mußt es selbst erfahrenEin tausend sieben hundert acht und sechzig.Es machten ihm in dem und nächsten JahrenViel Ungemach die unbeschnittnen Hunde,Die gar im Krieg ihm überlegen waren.Und seinem Divan gab geheime KundeEin andrer Hund, Gesandter einer Macht,Die eben mit den Russen nicht im Bunde:Es sei ihm sichern Ortes hinterbracht,Mit welchen Plänen sich die Zarin brüste,Zur That gediehen, eh man sich's gedacht;Wie in den Ostsee-Häfen sie sich rüste,Und eine Flotte, bald zur Fahrt bereit,Bedrohe fernher Griechenlandes Küste.Darauf die Herrn: er mög in künft'ger ZeitSich hüten, mit so unverschämter LügeDas Ohr zu kränken Seiner Herrlichkeit.Der hohe Sultan wisse zur Genüge:Von dorther sei ins Mittelländ'sche MeerKein Wasserweg, der eine Flotte trüge.Drauf er entrüstet ob der neuen Mär:«Seht scharf die beigelegten Charten an,Es ist nicht, wie ihr sagt, ihr irret sehr.Die Nordsee, der Kanal, der OzeanEröffnen um Europa weit im KreiseZu Herkulssäulen eine feuchte Bahn.»Drauf sie: «Du nennst uns fabelhafter WeiseDen Herkules, den giebt es nicht; vor allenIst aber unser Herrscher groß und weise.Drum hüte dich beschwerlich ihm zu fallen,Du bist gewarnt, er läßt, ungläub'ger Christ,Sich solche Neuerungen nicht gefallen.»Es blieb bei dem Bescheid. Ihr aber wißt,Was doch sich bald zu Tschesme zugetragen,Wo jener Stolz zu Rauch geworden ist.Ihr wißt es ja, und wollt uns dennoch sagen:Die Nacht ist gut, worin wir euch umschlungen,Es darf und wird euch keine Sonne tagen;Wir halten nichts von euren Neuerungen. |