Adelbert von Chamisso
1781 - 1838
Gedichte in zeitlicher Folge
1834
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Der einst zum Grabstein Blüchersbestimmte Granitblock am Zobten.
Was dieser mächt'ge Stein der künft'gen ZeitVon uns erzählen wird? ihr mögt ihn fragen;Er wird euch schroff und kalt die Antwort sagen:Ich bin der Denkstein der Vergessenheit.
Um Freiheit ward und UnabhängigkeitBegeistert manche Völkerschlacht geschlagen,Ein Held war Völkerfürst in diesen TagenUnd Vorwärtsführer in den heil'gen Streit.
Ich ward bestimmt als Grabstein dieses HeldenDer späten Nachwelt die Begeisterung,Die schnellverrauchende des Tags, zu melden.
Doch, als sie her mich zogen, war indessenDas Rad der Zeit gerollt in schnellem Schwung,Und er und ich, wir waren schon vergessen.
Chassané und die Waldenser.Geschichtlich. 1540.
Der heil'gen Kirche waren zwei PilasterVon Arl' und Aix die würdigen Prälaten,Ankämpfend wider Ketzerei und Laster.Das Unkraut auszugäten aus den SaatenDer Wahrheit und zu werfen in die Gluth,Bezweckten unablässig ihre Thaten.Waldenser wird genannt die Otterbrut.Auf jener Antrieb hat zu Recht erkanntDas Parlament, verfemet ist ihr Bluth.Es gilt für Recht: lebendig wird verbrannt,So Weib als Mann, so viele ihrer sind,Die zu dem falschen Glauben sich bekannt;Mit ihrer Asche spielen soll der Wind;Es fällt dem Schatze zu, was sonst ihr eigen,Nebst Hab und Gut auch das unmünd'ge Kind;Wo blühend ihre Städt und Dörfer steigen,Soll ebnen, Schutt und Asche, sich der Grund,Und da die Wildniß fluchbelastet schweigen.Solch Urtheil sprach der Richter strenger Mund;Vollziehen lassen soll's der Präsident,Den Schergen wird durch ihn ihr Bluthamt kund.Die Feder schon berührt das Pergament,Da fühlt er leise sich den Arm gehalten,Und einer thut's, den er von Jugend kennt.Alenius spricht: «Sei drum nicht ungehalten,Wirst, Chassané, noch immer Zeit genugZu deines Namens Unterschrift behalten.Dein Bluthwerk, mein ich, duldet den Verzug;Ich will aus deiner eigenen GeschichteDir ins Gedächtniß rufen einen Zug;Du bist mir Zeuge, daß ich's nicht erdichte:Einst kamen her die Bauern und verklagtenDie Mäuse vor dem geistlichen Gerichte;Die Mäuse, die das liebe Korn zernagten,Und, wie der Böse nur es stiften kann,Sie sonder Zahl auf Feld und Tenne plagten.Die Bauern trugen auf Vergeltung an,Die Mäuse, die so vieles doch verbrochen,Zu strafen mit der Kirche Fluch und Bann.Den Mäusen ward ein Anwald zugesprochen, –Wer war der Anwald, hätt ich dich zu fragen,Der Ketzer, denen ihr den Stab gebrochen? –Der Advokat der Mäuse, wollt ich sagen,That an den Thieren redlich seine Pflicht,Und wehrte klug den laut erhobnen Klagen:Die Mäuse sind von Gott, vom Bösen nicht;Da lasse nicht der Mensch den Muth erschlaffenUnd ziehe nicht den Schöpfer vor Gericht.Er kämpfte siegreich mit des Rechtes Waffen,Es wurde frevelnd nicht geflucht den Wesen,Die Gott in seiner Weisheit auch erschaffen.Du, Chassané, du bist es selbst gewesen,Den Gottes ewige GerechtigkeitZur Abwehr dieser Sünde hat erlesen.Die Mäuse hast vom Bannfluch du befreit;Als Mäuse zu verteid'gen es gegolten,Da kannte doch dein Herz Barmherzigkeit.Ich will nicht glauben, Richter unbescholten,Daß Menschen, die zum Scheiterhaufen wallen,Es Stein in deinem Busen finden sollten.Du unterschreibst nicht? läßt die Feder fallen!Hab Dank!» Sie drückten schweigend sich die Hand;Der Ketzer Sache sollte so verschallen.Doch die Prälaten! Nach vier Jahren standEs wieder anders, da erhellten fernDie Scheiterhaufen das erschreckte Land,Und jene sangen: «Lobet Gott den Herrn!»
Sage von Alexandern.Nach dem Talmud.
In alten Büchern stöbr ich gar zu gern,Die neuen munden selten meinem Schnabel,Ich bin schon alt, das Neue liegt mir fern.Und manche Sage steigt, und manche FabelVerjüngt hervor aus längst vergeßnem Staube,Von Ahasverus, von dem Bau zu Babel,Von Weibertreu, verklärt in Witwenhaube,Von Josua, und dann von Alexandern,Den ich vor allen unerschöpflich glaube;Der strahlt, ein heller Stern, vor allen andern;Wer gründlich weiß die Mitwelt zu verheeren,Muß unvergeßlich zu der Nachwelt wandern.Wer recht uns peitscht, den lernen wir verehren;Doch plaudert das Geheimniß mir nicht aus,Und sorgt nur eure Gläser schnell zu leeren.Ich geb euch alten Wein beim schmalen SchmausUnd tisch euch auf veraltete Geschichten,Ihr seid in eines alten Schwätzers Haus.Ich will von Alexandern euch berichten,Was ich im Talmud aufgezeichnet fand,Ich wage nicht ein Wort hinzuzudichten.Durch eine Wüste zog der Held, ins Land,Das drüben lag, Verwüstung zu verbreiten,Da fand er sich an eines Flusses Rand;Und er gebot zu rasten, von dem weitenFahrvollen Marsch erschöpft, und hieß sein MahlAm schönbegrünten Ufersaum bereiten.So still und friedlich blühend war das Thal,So klar der Strom, der Schatten von den BäumenSo duftig kühl im heißen Mittagsstrahl.Doch mochte nur der Ungestüme träumenGeraubte Kronen und vergoßnes Bluth,Verdrossen, hier die Stunden zu versäumen.Er stieg, des Durstes fieberhafte GluthZu löschen, zu dem Wasserspiegel nieder,Er schöpfte, trank die kühle, klare Flut;Und wie er die getrunken, fühlt' er wiederSo wunderbar verjüngt den Busen schwellen,So hohe Kraft durchströmen seine Glieder.Da wußt er nun, daß dieses Flusses WellenEntströmten einem segensreichen Lande,Und Fried und Glück umblühten seine Quellen.Dahin, dahin mit Schwert und Feuerbrande!Sie müssen dort auch unsern Muth erfahren,Und kosten unsern Stahl und unsre Bande!Da hieß er schnell sich rüsten seine Scharen,Und drang den Strom hinauf beharrlich vor,Das Land zu suchen, wo die Quellen waren.Und mancher Tapfre schon den Muth verlor, –Vor drang der kühne Held doch unverdrossen;So kam er vor des Paradieses Thor.Fest aber war das hohe Thor verschlossen,Davor ein Wächter, der gebot ihm HaltMit Blitzesschwert und Donnerkeilsgeschossen.«Zurück! zurück! was frommte dir Gewalt?Ein Mächtigerer hat mich hier bestellt,Des Herrn und heilig ist der Aufenthalt.»Und er darauf: «Ich bin der Herr der Welt,Bin Alexander.» Jener drauf: «Vergebens!Du hast dein Urtheil selber dir gefällt.Dem Sel'gen öffnet sich das Thor des Lebens,Der selber sich beherrscht, nicht Deinesgleichen,Dem stolzen Sohn des bluthig wirren Strebens.»Drauf Alexander: «Muß vor dir ich weichen,Nachdem ich diese Stufen schon betrat,Gib, daß ich sie betreten, mir ein Zeichen;Ein Mal; die Welt erfahre, was ich that,Erfahre, daß dem Thor des ParadiesesDer König Alexander sich genaht.»Darauf der Wächter: «Sei's gewährt! nimm dieses.Wie thöricht deiner Weisen Weisheit war,Dein blöder Wahn, dein Frevelmuth bewies es.Nimm, was es dir zuschreien möge, wahrUnd lern es, Unbesonnener, erwägen,Es hegt der Weisheit Lehren wunderbar.Nimm hin, und Weisheit leuchte deinen Wegen!»Er nahm's und gieng. Ihr aber, Freunde: trinkt!Verträumt mir nicht den lieben Gottessegen.Oh, lernt beherzt die Freude, die euch winkt,Mit rascher Lust, wie sich's gebührt, erfassen,Und leert den Becher, wann er perlend blinkt!Ich hätt es, glaubt's mir, weislich unterlassen,Wär jener ich gewesen, meine Tage,Die kurzgezählten, bluthig zu verprassen.Ich lieb und lobe mir, daß ich's euch sage,Die Ruh, den Schatten und ein liebend Weib,Die mich verschont mit leid'ger Liebesklage.Die Kinder sind mein liebster Zeitvertreib,Nur halt ich, die unbändig bengelhaftUnmäßig schreien, ferne mir vom Leib.Ich lieb und lobe mir die Wissenschaft,Und dann die heitre Kunst, der Musen Gabe,Und wackrer Freunde Kunstgenossenschaft.Ich liebe, hört ihr, was ich alles habe;Doch lieb ich auch, was ich entbehren muß,Den Wein, woran mein Menschenherz sich labe.Ich trinke meist nur Wasser aus dem Fluß,Und kann's mit bestem Willen doch nicht loben;Getrunken hab ich's mir zum Ueberdruß.Hat Menzel mir den Lorbeerkranz gewoben,Und hat auch Deutschland Einspruch nicht gethan,Ich wollt, ich hätte bessern Lohn erhoben.Den Lorbeer biet ich meiner Frauen an,Sie braucht ihn in der Wirthschaft nicht, und ehrlichGestanden, ist's damit ein leerer Wahn.Der Lorbeer und der Hochmuth sind gefährlich;Von Deutschland möcht ich lieber mir bedingenEin Fäßchen Wein, ich mein ein Fäßchen jährlich.Und welche Lieder wollt ich da nicht singen!Und... O Popoi! wo bin ich hin gerathen!Wer kann auf die verlorne Spur mich bringen?Ich sprach von Alexanders Heldenthaten.Berufen hatt er um sich seine Weisen,Das Gastgeschenk des Wächters zu berathen.Er ließ zornfunkelnd rings die Augen kreisen:«Gebührte mir, dem Helden, solcher Hohn!Was soll der morsche Knochen mir beweisen?!»Ein Weiser sprach: «Du sollst, o Philipps Sohn,Auch diesen morschen Knochen nicht verachten;Weißt du zu fragen, giebt er Antwort schon.»Und auf Geheiß des weisen Meisters brachtenSie eine Waage, deren eine SchaleMit Gold und aber Gold er hieß befrachten.Und in die andre legt' er bloß das kahle,Das kleine Knochenstück, und, wundersam!Die senkte schnell und mächtig sich zu Thale.Und Alexander, den es Wunder nahm,Ließ Gold noch zu dem Golde häufen, ohneDaß selb'ge Schale nur ins Schwanken kam.Da warf er Zepter noch hinein und Krone;Die überfüllte Schale schwankte nicht,Und ihn befiel Entsetzen auf dem Throne: –«Was stört hier unerhört das Gleichgewicht?Was kann die Kräfte der Natur erwecken?!»Der Meister drauf: «Das ist der Erde Pflicht.»Mit wen'ger Erde ließ er da verdeckenDas Knochenstück, das wurde leicht sofort,Und nieder sank das goldbeschwerte Becken.Der König staunend: «Sprich, was wurde dortIn Wundern und in Rätseln ausgesprochen?»Vortrat der Meister und ergriff das Wort:«Ein Schädel, gleich dem deinen, ward zerbrochen,Und Höhlung eines Auges, so wie deines,War einst in seinen Tagen dieser Knochen.Es ist des Menschen Auge nur ein Kleines,Das doch in ungemeßner Gier umfaßt,Was blinkt und gleißet in der Welt des Scheines.Es fodert Gold und aber Gold zur Mast,Und wird es ungesättiget verschlingen,Und Krön und Zepter zu des Goldes Last.Da kann's der dunklen Erde nur gelingen,Genug zu thun der Ungenügsamkeit;Der Gierblick wird aus ihr hervor nicht dringen.Gehalt und Werth des Lebens und der ZeitErwäge du, dem diese Lehren galten;Du siehst das Ziel der Unersättlichkeit.»Des Fürsten Stirne lag in düstern Falten,Bald schüttelt' er sein Haupt und sprang empor,Und rief, daß rings die Klüfte widerhallten:«Auf, auf! zum Aufbruch! tragt die Zeichen vor!Ja, flüchtig ist die Zeit und kurz das Leben;Schmach treffe den, der Trägheit sich erkor!»Und zu den Wolken sah man sich erhebenDen Sand der Wüste, und vom Hufschlag fühlteMan rings den aufgewühlten Grund erbeben.So zog der Held nach Indien hin, und wühlteGroßartig tief und tiefer sich in Bluth,Bis ihm den Uebermuth die Erde kühlte.Ich habe selbst vergessen, wo er ruht;Es kamen Würmer, sich an ihm zu letzen,Und andre thaten's am geraubten Gut.Ihr göttlich Recht sei's Frevel zu verletzen,Schrien überlaut, die angeklammert lagenAuf seines Purpurs abgerißnen Fetzen.Es gieng schon damals, wie in unsern Tagen;Ich habe zum Historiker mich nichtBedungen, laßt es euch von andern sagen.Wein her! frisch eingeschenkt! was Teufel fichtUns Alexander an! So laßt erschallenEin altes gutes Lied, ein Volksgedicht;Das Neue will nur selten mir gefallen.
Francesco Francias Tod.
Francesco Francia war zu seiner ZeitItaliens Stolz, gerühmt von allen ZungenAls Aurifex und Maler weit und breit.Zu ihm, dem Alten, ist der Ruf gedrungenVom jungen Römer, welcher sonder GleichenSich früh gar hohen Künstlerruhm errungen.Zwar konnt er noch zu sehen nicht erreichenEin Werk von ihm, doch haben sie geehretEinander und gewechselt Freundschaftszeichen.Ihm wird die Freude jetzt, die er begehret;Sieh! jener schreibt: «Mein Bitten werde mirVon meinem väterlichen Freund gewähret.Ich käme selbst, doch andres hält mich hier;Mein Bild für die San Giovanni Kapelle,Die heilige Cäcilie, send ich dir.Vertritt, mein lieber Meister, meine Stelle,Sieh helfend nach, ob Schaden es bekommen,Ein Riß, ein Fleck das zarte Werk entstelle;Und hast den Pinsel du zur Hand genommen,Verbeßre du zugleich auch liebevoll,Wo selber meine Kunst zu kurz gekommen.Dann stell es auf, das Bild, da wo es soll,Mit Liebe sorgend für das beste Licht,Und nimm entgegen meines Dankes Zoll!Dein Raffael.» – Der Meister schnell erbrichtDie Kiste, zieht das Bild hervor und rücktEs sich ins Licht und sieht, und glaubt es nicht.Er steht davor erschrocken und entzückt,Erfüllet ist, was seine Träume waren,Er fühlt sich selbst vernichtet und beglückt.«Heil mir! und Preis dir, Herr! der offenbarenDu solches noch gewollt in meinen Tagen;Nun laß in Frieden deinen Diener fahren.»Die Jünger hörten ihn die Worte sagen,Den letzten Laut aus seinem frommen Munde;Nicht Antwort gab er mehr auf ihre Fragen:Es war des alten Francias Sterbestunde.
Die Predigt des guten Britten.(Wahre Anekdote)
Als Anno dreiundachtzig sich zum KriegGerüstet Engeland und Niederland,Ward beiderseits gebetet um den Sieg.Ein ausgeschriebner Buß- und Bettag fandIn beiden Ländern statt, doch um acht TageFrüher in Holland, als in Engeland.Hier stand ein Prediger vom alten Schlage,Nach kräft'ger Predigt betend am Altar,Und führte vor dem Höchsten seine Klage:«Du wirst dich noch erinnern, Herr, es warAm letzten Sonntag, die Holländer brachten,Wie heute wir, dir Bußgebete dar.Wie Jakob einst den Bruder Esau, dachtenSie uns um deinen Segen zu betrügen,Wenn sie die ersten an dein Ohr sich machten.Glaub ihnen nicht! trau nicht den WinkelzügenDer falschen Otterbrut; ihr gutes RechtUnd frommes Thun sind eitel, eitel Lügen!Glaub uns und mir, ich bin dein treuer Knecht,Ich habe mit der Lüge nichts zu schaffen;Wir Engeländer sind ein fromm Geschlecht;Sei du mit uns und segne unsre Waffen!»
Die kleine Lise am Brunnen.(Frei nach dem Dänischen von Andersen)
In den Grund des Brunnens schautLischen gar gedankenvoll;Was hier dieser Brunnen soll,Hat die Mutter ihr vertraut.
«Meine Schwester sagte zwarDaß der Storch die Kinder bringt;Wie verständig es auch klingt,Ist es aber doch nicht wahr.
Nein, das macht sie mir nicht weis.Mutter, wie ich sie gefragt,Hat es anders mir gesagt,Mutter, die es besser weiß.
Aus dem Brunnen holt bei NachtSie die weise Frau allein,Die hat jüngst das BrüderleinAus dem Brunnen uns gebracht.
Vor fünf Jahren schlief ich auchHier im Brunnen, wundersam,Bis sie mich zu holen kamNach dem hergebrachten Brauch.
Könnt ich nur die Kleinen sehn!Ach, ich säh sie gar zu gern!Doch sie schlafen tief und fern,Keines läßt sich heut erspähn.
Wüßt ich, wie die Frau es macht,Holt ich eines mir geschwind.So ein himmlisch kleines Kind,Ei, das wär auch eine Pracht!
O was gäb ich nicht darum!Seit es durch den Sinn mir fährt,Bist mir gar nichts, gar nichts werth,Garst'ge Puppe, stumm und dumm!»
Stimme der Zeit.Zur Jubelfeier des KöniglichPreussischen Staats-MinistersGrafen von Lottum.Am 9. April 1834.
Wer den gestirnten Himmel flüchtig sähe,Der ließe sich den Wahn vielleicht nicht rauben,Daß unbeweglich starr dort alles stehe;Und wer die Zeitgeschichte, möchte glauben,Man habe sie zum Stocken schon gebracht,Und leichtlich ließe sie zurück sich schrauben.Wer aber während einer halben NachtDie Sterne sich erheben sah und neigen,Und solchem Schauspiel sinnend nachgedacht,Der wird die Wahrheit nimmer sich verschweigen,Und sprechen, wann der Tag im Osten graut:Dort muß der Schild der Sonne bald sich zeigen;Und wer ein halb Jahrhundert nur geschaut,Ist mit der Weltgeschichte stätem GangeUnd allgewalt'gem Fortschritt schon vertraut.Ein Stern der Vorzeit stand im Niedergange,Als Luther aufstieg, der, ein Held, befreitDie halbe Welt vom schnöden Geisteszwange.Was Großes er vollbracht, war an der Zeit;Nur mußte, wo das Licht nicht eingedrungen,Sich grimmiger erneun der alte Streit;Denn wirrer hatte sich der Knäul geschlungen,Derweil im Schwung das Rad der Zeit gerolltUnd unvernommen, was sie schrie, verklungen:Das Licht, das mild erhellen nur gesollt,Es ward zum Blitzstrahl, und in UngewitternWard grausig Schuld und aber Schuld gezollt.Wir sahen rings um uns den Boden zittern,Und sahn in Bluth und Aufruhr und EmpörungDer Throne morsch gewordnes Holz zersplittern.Im Finstern haust Verrath nur und Verschwörung;Vom sonnenhellen festen Ufer sahenWir unbefährdet zu der Weltzerstörung;Wir, die von Vaters Händen schon empfahenDie Güter, denen nach sie jagen, ohne,Vom Schein verlockt, den gleißenden zu nahen.Heil ihm, der weis und stark auf festem ThroneMit unsrer Liebe schirmend sich umgiebt,Aus Gold der Treue schmiedend seine Krone;Den wie ein Sohn ein jeder Preuße liebt,Vor dessen Fuß ausbrandend ohne SchadenDer Zeit empörter Wellenschlag zerstiebt.Heil dir, der, ihm zunächst im Glanz der Gnaden,Das edle, treue, waffenfreud'ge RoßHilft lenken an der Liebe Seidenfaden,Das Roß, vor dessen Hufschlag der Koloß,Der lastend auf Europa einst gelegen,Gleich einem eitlen Nebelbild zerfloß.Heil dir, du Biedermann; du theilst den Segen,Wo liebend du getheilt der Sorgen Last,Und unsre Herzen schlagen dir entgegen.Heil dir, der mitgewirkt du rühmlich hastEin halb Jahrhundert zu des Landes Heil,Und wirkst noch unablässig ohne Rast;Dir wird der Liebe Huldigung zu Theil.
Die Kreuzschau.
Der Pilger, der die Höhen überstiegen,Sah jenseits schon das ausgespannte ThalIn Abendgluth vor seinen Füßen liegen.Auf duft'ges Gras, im milden SonnenstrahlStreckt' er ermattet sich zur Ruhe nieder,Indem er seinem Schöpfer sich befahl.Ihm fielen zu die matten Augenlider,Doch seinen wachen Geist enthob ein TraumDer ird'schen Hülle seiner trägen Glieder.Der Schild der Sonne ward im HimmelsraumZu Gottes Angesicht, das FirmamentZu seinem Kleid, das Land zu dessen Saum.«Du wirst dem, dessen Herz dich Vater nennt,Nicht, Herr, im Zorn entziehen deinen Frieden,Wenn seine Schwächen er vor dir bekennt.Daß, wen ein Weib gebar, sein Kreuz hieniedenAuch duldend tragen muß, ich weiß es lange,Doch sind der Menschen Last und Leid verschieden.Mein Kreuz ist allzu schwer; sieh ich verlangeDie Last nur angemessen meiner Kraft;Ich unterliege, Herr, zu hartem Zwange.»Wie so er sprach zum Höchsten kinderhaft,Kam brausend her der Sturm und es geschah,Daß aufwärts er sich fühlte hingerafft.Und wie er Boden faßte, fand er daSich einsam in der Mitte räum'ger Hallen,Wo ringsum sonder Zahl er Kreuze sah.Uns eine Stimme hört' er dröhnend hallen:«Hier aufgespeichert ist das Leid; du hastZu wählen unter diesen Kreuzen allen.»Versuchend gieng er da, unschlüssig fast,Von einem Kreuz zum anderen umher,Sich auszuprüfen die bequemre Last.Dies Kreuz war ihm zu groß und das zu schwer,So schwer und groß war jenes andre nicht,Doch scharf von Kanten drückt' es desto mehr.Das dort, das warf wie Gold ein gleißend Licht,Das lockt' ihn, unversucht es nicht zu lassen,Dem goldnen Glanz entsprach auch das Gewicht.Er mochte dieses heben, jenes fassen,Zu keinem neigte noch sich seine Wahl,Es wollte keines, keines für ihn passen.Durchmustert hatt er schon die ganze Zahl –Verlorne Müh! Vergebens war's geschehen!Durchmustern mußt er sie zum andern Mal.Und nun gewahrt' er, früher übersehen,Ein Kreuz, das leidlicher ihm schien zu sein,Und bei dem einen blieb er endlich stehen.Ein schlichtes Marterholz, nicht leicht, alleinIhm paßlich und gerecht nach Kraft und Maß:«Herr», rief er, «so du willst, dieß Kreuz sei mein!»Und wie er's prüfend mit den Augen maß –Es war dasselbe, das er sonst getragen,Wogegen er zu murren sich vermaß.
Die letzten Sonette.
1
«Du sangest sonst von Frauen-Lieb und Leben,Mein trauter Freund, mir schöne Lieder vor;An deinen lieben Lippen hing mein Ohr,Ich fühlte mich in Lieb und Lust erbeben.
Du singst nicht mehr; – um deine Lyra webenDie Spinnen, dünkt mich, einen Trauerflor;Sprich, wirst du nie die Lust, die ich verlor,Du süßer Liedermund, mir wiedergeben?»
Ich trage selbst – still, still! mein gutes Kind –Geduldig und entbehre sonder Klage;Bin müde jetzt, verklungen ist mein Singen.
Ein Sänger war ich, wie die Vögel sind,Die kleinen, die nur zwitschern ihre Tage. –Der Schwan nur... – Reden wir von andern Dingen!
2
Ich fühle mehr und mehr die Kräfte schwinden;Das ist der Tod, der mir am Herzen nagt,Ich weiß es schon und, was ihr immer sagt,Ihr werdet mir die Augen nicht verbinden.
Ich werde müd und müder so mich winden,Bis endlich der verhängte Morgen tagt,Dann sinkt der Abend und, wer nach mir fragt,Der wird nur einen stillen Mann noch finden.
Daß so vom Tod ich sprechen mag und Sterben,Und doch sich meine Wangen nicht entfärben,Es dünkt euch muthig, übermuthig fast.
Der Tod! – der Tod? Das Wort erschreckt mich nicht,Doch hab ich im Gemüth ihn nicht erfaßt,Und noch ihm nicht geschaut ins Angesicht.
Die Klage der Nonne.(Deutsch nach dem Chinesischen)
Ich muß in diesen Mauern in AbgeschiedenheitVersäumen und vertrauern die schöne Jugendzeit.Sie haben ja zur Nonne mich eingemauert arg,Und haben mich lebendig gelegt in meinen Sarg.
Ich muß die Metten singen, mein Herz ist nicht dabei.Vergib mir, du mein Heiland, wie sündhaft ich auch sei,Vergib mir und vergib auch in deiner reichen HuldDen Blinden, den Bethörten, die an dem Unheil Schuld.
Hier senkt die hohe Wölbung sich schwer auf mich herabUnd drängen sich die Wände zu einem engen Grab;Mein Leib nur ist gefangen, es hält die dumpfe GruftMein Sinnen nicht, das schweifet hinaus nach freier Luft.
Mich zieht die Sehnsucht schmerzlich in die erhellte Welt,Wo Liebe sich mit Liebe zu froher Lust gesellt;Die Freundinnen mir waren, sie lieben, sind geliebt,Und nur für mich auf Erden es keine Liebe giebt.
Ich seh sie, ihre Männer, ihr häuslich stilles Glück,Umringt von muntern Kindern, – es ruft mich laut zurückIn Gottes Welt, ich weine und weine hoffnungslos;Ward doch auch mir verheißen des Weibs gemeinsam Los!
Ich hätte nicht den reichsten, den schönsten nicht begehrt,Nur einen, der mich liebe, der meiner Liebe werth;Ja keine Prunkgemächer, nur ein bescheidnes Haus,Er ruhte sich am Abend vom Tagwerk bei mir aus.
Ich könnt im ersten Jahre, in stolzer Mutterlust,Ein Kind, wohl einen Knaben, schon drücken an die Brust;Da würden manche Sorgen und Schmerzen mir zu Theil,Ist doch das Glück auf Erden um hohen Preis nur feil.
Ich wollt an seiner Wiege so treu ihm dienstbar sein,Ihn pflegte ja die Liebe, was sollt er nicht gedeihn?Du lächelst, streckst die Händchen, du meine süße Zier!O Vater! sieh den Jungen, fürwahr, er langt nach dir!
Ich müßte bald verschmerzen, was meine Freude war,Ich müßt ihn ja entwöhnen wohl schon im nächsten Jahr:Du blickst, mein armer Junge, verlangend nach mir hin,Du weinst, – ich möchte weinen, daß ich so grausam bin.
Er wächst, er kreucht, er richtet an Stühlen sich empor,Verläßt die Stütze, schreitet selbstständ'ge Schritte vor;Er fällt: du armer Junge! verliere nicht den Muth,Ein Hauch von deiner Mutter macht alles wieder gut.
Und wie die ersten Laute er schon vernehmlich lallt,Mama, Papa, ihr Klang mir im Herzen widerhallt!Und wie ihn reich und reicher die Sprache schon vergnügt,Und seltsam noch die Worte er aneinander fügt!
Er wird schon groß, wir schaffen ein Wiegenpferd ihm an,Er tummelt es und peitscht es, ein kühner Reitersmann. –Ei! kletterst du schon wieder? du ungezogner Wicht!Er lacht, er kommt, er küßt mich, und zürnen kann ich nicht.
Er muß in seinen Jahren bald in die Schule gehn,Muß lesen, schreiben lernen: das wirst du, Vater, sehn,So wild er ist, wir lösen – ja, er wird fleißig sein, –Noch manchen rothen Zettel von ihm mit Naschwerk ein.
Und wenn von rother Farbe nicht alle Zettel sind,Sollst Vater so nicht schelten, er ist ja noch ein Kind,Er wird noch unsre Freude und unser Ruhm zugleichEinst hochgelahrt gepriesen im ganzen röm'schen Reich.
Und Jahr' um Jahre fliehen in ungehemmtem Lauf,Er aber durch die Klassen arbeitet sich hinauf,Er wird zur hohen Schule entlassen, er erreichtGewiß ein gutes Zeugniß, das beste? – ja! – vielleicht.
Und wann er uns besuchet, – o Gott! ich seh ihn schonMit seinem schwarzen Schnurrbart, den echten Musensohn. –Die Ferien sind zu Ende, ade! muß wieder hin,Ich komme nun nicht früher, als bis ich fertig bin.
Ein Brief! ein Brief! lies, Vater; – Dein Sohn hat ausstudiert,Sie haben ihn zum Doktor mit hohem Lob kreiert,Mit nächster Post, so schreibt er, ja, morgen trifft er ein;Hol, Mutter, aus dem Keller die letzte Flasche Wein!
Das Posthorn hör ich schallen! – ach nein! zu meinem OhrDringt dumpf nur das Geläute, das ruft mich in das Chor;Sie haben ja zur Nonne mich eingemauert arg,Und haben mich lebendig gelegt in meinen Sarg.
Ich muß die Metten singen, mein Herz ist nicht dabei.Vergib mir, du mein Heiland, wie sündhaft ich auch sei,Vergib mir und vergib auch in deiner reichen HuldDen Blinden, den Bethörten, die an dem Unheil Schuld.
Sternschnuppe.
Wann einer ausgegangen ist,So ist er nicht zu Haus;Und wird der Winter hart, so friertDas Ungeziefer aus.
Ihr war der Knecht so eben recht,So lang allein er warb;Der Jäger kam, des FederhutDen Handel ihm verdarb.
Der Pächter nahm, so wie er kam,Ihr Herz gleich in Empfang;Kein Wunder daß dem Amtmann auchDer Meisterschuß gelang.
Und den Husaren – OffizierErblickte sie von fern:Fahr hin, fahr hin, Kartoffelkraut,Da geht mir auf mein Stern!
Dein Stern? was geht dein Stern mich anAbsonderlicher ArtMit goldbeschnürtem rothem WamsUnd Schnurr- und Backenbart?
Bald hat ein solcher sich geschneuzt,Es lischt das Lichtlein aus;Wann einer ausgegangen ist,So ist er nicht zu Haus.
Nun bricht der Winter an, es friert;Du blickst nach uns zurück;Ich und wir alle, teurer Schatz,Wir wünschen dir viel Glück.
Und bleibst du sitzen, teurer Schatz,So bist du nicht allein;Noch wird der alten Jungfern ZunftNicht ausgefroren sein.
An meinen alten FreundPeter Schlemihl.
Da fällt nun deine Schrift nach vielen JahrenMir wieder in die Hand, und – wundersam! –Der Zeit gedenk ich, wo wir Freunde waren,Als erst die Welt uns in die Schule nahm.Ich bin ein alter Mann in grauen Haaren,Ich überwinde schon die falsche Scham,Ich will mich deinen Freund wie ehmals nennenUnd mich als solchen vor der Welt bekennen.
Mein armer, armer Freund, es hat der SchlaueMir nicht, wie dir, so übel mitgespielt;Gestrebet hab ich und gehofft ins Blaue,Und gar am Ende wenig nur erzielt;Doch schwerlich wird berühmen sich der Graue,Daß er mich jemals fest am Schatten hielt;Den Schatten hab ich, der mir angeboren,Ich habe meinen Schatten nie verloren.
Mich traf, obgleich unschuldig wie das Kind,Der Hohn, den sie für deine Blöße hatten. –Ob wir einander denn so ähnlich sind?! –Sie schrien mir nach: Schlemihl, wo ist dein Schatten?Und zeigt ich den, so stellten sie sich blindUnd konnten gar zu lachen nicht ermatten.Was hilft es denn! man trägt es in Geduld,Und ist noch froh, fühlt man sich ohne Schuld.
Und was ist denn der Schatten? möcht ich fragen,Wie man so oft mich selber schon gefragt,So überschwenglich hoch es anzuschlagen,Wie sich die arge Welt es nicht versagt?Das giebt sich schon nach neunzehn Tausend Tagen,Die, Weisheit bringend, über uns getagt;Die wir dem Schatten Wesen sonst verliehen,Sehn Wesen jetzt als Schatten sich verziehen.
Wir geben uns die Hand darauf, Schlemihl,Wir schreiten zu, und lassen es beim Alten;Wir kümmern uns um alle Welt nicht viel,Es desto fester mit uns selbst zu halten;Wir gleiten so schon näher unserm Ziel,Ob jene lachten, ob die andern schalten,Nach allen Stürmen wollen wir im HafenDoch ungestört gesunden Schlafes schlafen.
Berlin, August 1834Adelbert von Chamisso
Der ausgewanderte Pole.
Noch hält auf uns der Zwingherr seine Hand,Wir werden in die Heimath heimgetrieben.Nicht wahr, man soll sein Vaterland doch lieben
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