BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Romanzen

vom Rosenkranz

 

_______________________________________________________________________

 

 

 

Romanze XVIII

Biondetta ersticht sich

 

«Apo, Apo, laß mich ein!»

Rufet aus des Turmes Grunde

Samael, der Herr der Stunde,

Zwölfmal aus kristallnem Munde.

 

Auf und nieder in dem Turme

Steigt Apone ohne Ruhe;

Weil der König ihn besuchet,

Muß sein Haus geordnet sein;

 

Seine Kammer macht er rein.

Bibeln, Kreuze, heilger Plunder,

Aller Sprachen Vaterunser,

Lagen da seit seiner Jugend.

 

Zu den Stufen all hinunter

Stürzet er die heilgen Kunden,

Daß es in dem Turme summet,

Wie zum Brunnen plumpt der Stein.

 

Alles muß er tun allein,

Und er tut es unter Fluchen,

Daß der untertänge Pudel,

Der abwesend ist zur Stunde,

 

Daß der Hund im Doktorhute

Seine Kranken jetzt besuchet!

Doch die Not erhält ihn munter

Und des Geistes lautes Schrein.

 

Seine Kammer schmückt er fein.

Frauenwurz wohl vier Gebunde,

Totenblume, Hundeszunge

Legt er zierlich in die Runde.

 

Männlein klein von Alraunwurzel,

Ausgerupft im Galgengrunde

Von dem schwer verfluchten Hunde,

Setzt als Wächter er dabei.

 

Und ein Basiliskenei,

Kinderfinger, einzutunken,

All dem König zum Genusse,

Muß bei diesem Mahle prunken.

 

Seinen Dolch befleckt mit Blute

Stößt er in die mitte Stube;

An dem Hefte der Karfunkel

Soll des Mahles Fackel sein.

 

«Apo, Apo, laß mich ein!»

Rufet aus des Turmes Grunde

Samael, der Herr der Stunde,

Zwölfmal aus metallnem Munde.

 

Apo blickt noch zu dem Buche,

Das ihm Moles aufgefunden:

«Wo verberg ich es jetzunder

Vor dem scharfen, hellen Geist?»

 

Von dem Pulte er es reißt,

Und an einen Stab gebunden,

Steckt er es hinaus zum Turme

Durch der Kuppel offne Luke,

 

Daß die Blätter, in dem Sturme

Hin und her geweht, die Wunder

Ihres Inhalts lauf ausrufen,

In dem klaren Sternenschein.

 

Das könnt ihm verderblich sein;

Doch sie drehen sich so munter,

Eines geht im andern unter,

Und so ists, als wenn es ruhte.

 

Und der Geist, emporgerufen,

Schwebet leuchtend auf den Stufen,

Und des Turmes Wände funkeln,

Wo sein Silberfittig streift.

 

Schimmernd durch die Kammer schweift

Dann der Geist und spricht: «Gelungen

Ists dir, Apo, aufzuputzen

Deine Stube zum Besuche!»

 

An dem golden Weberstuhle

Sitzet Apo, und die Spule

Treibt er hin durch hell und dunkel,

Webt des Geistes Flügel ein.

 

«Samael, ich webe fein.»

Spricht er, «nun erst ists gelungen,

Da ich, Schelm, dich fest gebunden,

Nun entflieht mir nicht die Stunde!» –

 

Listig hast du mich bezwungen,»

Spricht der Geist und nimmt die Spule,

«Web ich alles dir zum Wunsche,

Läßt du mich dann wieder frei?» –

 

«Webe bis zum Hahnenschrei!

Ist dir dann das Werk gelungen,

Ist Biondetten mir errungen,

Dann sei Freiheit dir bedungen!» –

 

«Apo, zähme deine Zunge,»

Spricht der Geist, «du mußt verstummen!

Auf die Spule sieh, und tue,

Was dir mein Gewebe zeigt!»

 

Apo blicket scharf und schweigt.

Vor ihm fliegt auf dunklem Grunde

Flammend hin und her die Spule,

Seine Sinne gehen unter.

 

Dunkler bald, bald wieder bunter

Woget er in Traumes Wunder,

Bild und Weber ist verschwunden,

Und er glaubet sich allein.

 

Sieh! Da springt mit blutgem Schein

Feuerschrift aus dunklem Grunde,

Und die Lettern laufen munter

Wie die Funken an dem Zunder.

 

Und Apone liest verwundert:

«Fest ist dieser Jungfrau Tugend!

An die Sünde angebunden

Sie wird uns verderblich sein.

 

Du bist blutig, sie ist rein!

Nur in Blutschuld geht sie unter,

Wenn ein Mann aus ihrem Blute,

Den sie liebt, im Arm ihr ruhte!»

 

Also las er, und ins Dunkel

Ist die Schrift dann eingesunken.

Schnell greift Apo nun zum Kruge,

Voll von giftgem Zauberwein.

 

Gießt ein Philtrum noch hinein,

Reißt den Dolch dann aus dem Grunde,

Der im Zauberrunde funklet,

In das Gift ihn tief eintunkend.

 

Und erinnernd sich des Spruches,

Den er las am Weberstuhle,

Spricht er: «Was auch webt die Spule,

Dennoch lock ich sie herein!

 

Hat den Jüngling sie allein

An der Türe ruhnd gefunden,

Den ich eile zu verwunden,

Trägt sie ihn gewiß zur Stube!

 

So mag er im Arm ihr ruhen,

Und verbindend seine Wunde,

Bleiben von dem giftgen Blute

Ihre Hände nimmer rein,

 

Und sie wird bezaubert mein!

Sicher vor dem kranken Buhler

Bleibt mir ihres Leibes Blume,

Die ich selber will entwurzeln.

 

Las ich doch in meinem Buche,

Daß ich ihres Vaters Bruder;

Da sie stammt aus meinem Blute,

Sei die Lust der Blutschuld mein!»

 

Und er folgt dem Feuerschein,

Der noch auf den hundert Stufen

Von des Geistes Flügeln funkelt,

Schleichet murrend aus dem Turme.

 

Er umgeht das Bild des Brunnens;

Venus dominiert zur Stunde,

Und Maria tut kein Wunder

Freitag nachts im Mondenschein.

 

An Biondettens Tür allein,

In den Mantel eingewunden,

Sieht er seinen Nebenbuhler

Und versetzt ihm Todeswunden.

 

Als Meliore hingesunken

Und sein Blut das Gift getrunken,

Eilt Apone zu dem Turme.

Tat ers, war es Zauberei?

 

Daß er jetzt ein Mörder sei,

Hat er schwerer nicht empfunden,

Als den Weg zum Turm hinunter

Und hinan die hundert Stufen.

 

In der Kammer sitzt er dunkel;

An dem Dolche den Karfunkel

Traf ein Tropfen von dem Blute,

Und es starb der Edelstein.

 

«Mag sie nun zu Hause sein?

Ihre Türe hat geklungen!»

Und er blicket von dem Turme

Seufzend nach Biondettens Stube.

 

Auf Bologna ist die Ruhe,

Mondeskühle hingesunken,

Einsam, nächtlich von dem Turme

Nur der Totenvogel schreit.

 

Da springt aus der stillen Zeit

Ihre Stimme klangumwunden,

Kerzenhell ist ihre Stube;

Apo sieht das Liebeswunder.

 

Auf ihr Lager hingesunken

Liegt Meliore, heiß umschlungen

Von Biondetten. Apo fluchet.

«Wehe, wehe!» schreit der Geist,

 

«Des Gewebes Faden reißt!»

Schreit der Geist am Weberstuhle

Und lebendig schießt die Spule,

Ohne Meister, ungebunden.

 

«Mußt du Tölpel auch da fluchen,

Da die Arbeit schier gelungen!

Rückwärts fliegt die freie Spule,

Meine Flügel werden frei!» –

 

«Webe bis zum Hahnenschrei,»

Spricht nun Apo, «wie bedungen!»

Und er hat sich losgerungen

Und gen Morgen hingeschwungen.

 

Und hineilend durch die Luke,

Riß er gierig in dem Fluge

Aus dem sturmdurchwehten Buche

Wohl der goldnen Blätter drei.

 

Dann mit einem Jubelschrei

Macht er um den Turm die Runde,

Stürzet jauchzend mit dem Funde

Nieder dann in nächtge Dunkel.

 

«Soll der Mord mir nun nicht fruchten?

Bleibt Biondette unerrungen?»

Klagt der Meister, und im Turme

Schlägt die Viertelglocke drei.

 

«Apo zählet eins bis drei:

«Wohl, die dreimal fünf Minuten

Sind mir andre noch gebunden,

Ist der Weber gleich verschwunden.»

 

Nun nimmt aus des Turmes Kuppel

Er die giftig grüne Kugel,

Öffnet sie. Ach! nackend ruhet

Drin ein wächsern Jungfräulein.

 

Goldner Haare süßer Schein

Fließt ihm von den zarten Schultern,

Türkis sind die Äuglein funkelnd,

Ein Rubin lacht auf dem Munde.

 

Recht für Engel ein Puppe!

Zwei Rubinen trägt der Busen,

Überm Herzen ihm figuret

Ist ein goldnes Röselein.

 

Einen roten Faden fein

Schlingt ihm Apo um den runden

Hals und stellt das kleine Wunder

In den Kreis zum Zauberplunder.

 

Und er betet still mit Murren

In des Zirkels mächtger Runde,

Zieht mit bösen Bannes Zuge

Fremde Gäste in den Kreis.

 

In das zauberische Gleis

Zieht daher, mit fremdem Schmucke,

Stolz auf des Kameles Buckel,

Sarabot, mit seinem Zuge.

 

Ihm folgt eine Blume, duftend,

Eine Taube, zärtlich murrend,

Dann wie Sterne rein und funkelnd,

Nackt ein freundlich Geisterweib.

 

Klar, kristallen scheint ihr Leib;

Aus der Locken tiefem Dunkel

Blicken ihre Augen funkelnd,

Kalt und lachend und betrunken.

 

Wie der Zug um Apo rundet,

Spricht zu ihm der König murrend:

«Trocken ist mir meine Zunge,

Wer ists, der den Becher reicht?»

 

Und von dem Kamel steigt

Zürnend er, und mit dem Fuße

Stampft er, daß der Turm im Grunde

Schwanket wie ein Schiff im Sturme.

 

Und gekrümmt gleich einem Wurme

Beugt sich in des Zirkels Runde

Apo, dunkle Worte summend,

Bis das Schwanken ging vorbei.

 

Und mit einem lauten Schrei

Klagt das Geisterweib: «Mich dürstet!»

Fragt die Taube nach dem Trunke,

Sprach: «Mich dürstet!» auch die Blume.

 

Und Apone sprach ermutet:

«Besser wär es, wenn ihr ruhtet,

Von der Eile so durchglutet

Kann der Trunk euch schädlich sein.

 

Saget erst, nach welchem Wein

Also heftig euch gelustet,

Daß ihr also schreien mußtet?»

Und sie schrieen all: «Nach Blute!» –

 

«Warum hast du, böser Bube,»

Spricht der König, «mich gerufen,

Da in wenigen Minuten

Schon mein kurzes Reich vorbei?»

 

Durch das Basilikenei

Bringet Apo sie zur Ruhe,

Und die Taube, schnabelzuckend,

Pickt die Schale schnell hinunter.

 

Sarabot das Weiße schlucket,

Und das Gelbe zum Genusse

Reicht er, nebst dem Hahnenpunkte,

Hin dem klaren Geisterweib.

 

Und daß nicht vergessen bleib

Auch die Zauberblume duftend,

Stürzet sie die Schalenkuppe

Über sie gleich einem Hute.

 

Apo spricht: «Es fehlt am Trunke;

Ach! ein Fäßlein süßen Blutes

Hatt ich halb heraufgewunden,

Als der Strick mir tückisch reißt.

 

Mir hat Samael, der Geist,

Nicht gehalten, was bedungen,

Hat sich los von mir gerungen

Und gen Morgen hingeschwungen!»

 

«Und wo ruht der Most jetzunder?»

Fragt der König. «Herr, er ruhet

Unter jenem kühlen Brunnen,

Wo die Sabbatgöttin weilt.

 

Wollt ihr trinken, o so eilt,

Weil er jetzo gärend sprudelt,

Da der Venusstern noch funkelt

Bis zur mitternächtgen Stunde.

 

Da ich wußte, was euch munde,

Hängt ich würzend zu dem Spunde

Von Muskaten ein Lunte,

Schwefelglühend, erst hinein!» –

 

«Wohl, ich sorge für den Wein!»

Spricht der König. «Munter, munter

Sei der Strick hinabgewunden

Aus der Venus Lockendunkel!»

 

Doch es will das Weib nicht ruhen,

Weil der König heftig rupfet;

Apo gibt ihr drum die Puppe,

Daß sie spielend sich zerstreu.

 

Und sie treibet Kinderei;

Aus dem Kelch der Zauberblume

Machet sie dem Kindlein Schuhe,

Küßt sie, drückt sie an den Busen.

 

Doch es glänzt ihr zum Verdrusse

Auf dem Herz der kleinen Puppe,

Und sie riß es gern herunter,

Jenes goldne Röselein.

 

Und sie drückt das Herz ihm ein

Mit des Fingers hartem Drucke.

So beschäftigt ohne Zucken,

Dient dem Geiste sie zur Kunkel.

 

Und aus ihren Locken munter

Dreht den Faden er, hinunter

Trägt die Taube ihn die Stufen

Zu Biondettens Kämmerlein.

 

Dem Kamele an ein Bein

Wird der Faden angebunden,

Und dies macht so lang die Runde,

Bis der Faden aufgewunden.

 

«Ist das Fäßlein ausgetrunken,

Geb ich dir zum Eigentume

Des Getränkes schönen Brunnen!»

Spricht der König und erbleicht.

 

Denn schon durch die Kammer streicht

Bang die Taube, und es zucket

Schon der Hammer in dem Turme,

Drohend mit der zwölften Stunde.

 

Doch es schaukelt mit der Puppe,

Daß gewieget sie entschlummre,

Singt ein Lied, sie einzulullen,

Jetzt das klare Geisterweib:

 

«Hast du gleich kein Herz im Leib,

Hast du doch zwei ganze Schuhe.

Schlummre, schlummre, ruhe, ruhe,

Träume von der bunten Kuhe!

 

All die Bienlein, die gesummet

Zu den wunderlichen Blumen,

Belladonna, Frauenschuhe,

Um zu bilden deinen Leib,

 

Ziehen jetzt zum Zeitvertreib

In die lustge Rockenstube,

Wo die schlanken Wasserjungfern

Drüben bei dem grünen Sumpfe

 

An des Storches rotem Strumpfe

Stricken, und sie singen Wunder,

Hundert kunterbunte Wunder,

Von dem Meister Langebein.

 

Wie er holt die Kindlein klein

Aus dem milchgefüllten Brunnen,

Wie dem Mond die karge Mutter

An dem Rock stets tät zu kurze

 

Und ihm aus dem blauen Schurze

Nimmer ganz die Mütze rundet;

Von des Eichhorns lustgem Sturze

In den kalten Born hinein,

 

Da sein Schatz im Mondenschein

Wollte lugen in den Brunnen,

Ob sie sehe ihres Buhlen

Abbild in der Wassergrube,

 

Und um mit hineinzugucken,

Tät er bücken sich und ducken,

Fiel und mußte Wasser schlucken.

Ei, wie lief das Jungfräulein!

 

Schlaf, mein Püppchen, schlafe ein!

Herdesglut ist eingesunken,

Und das Heimchen grillt im Dunkel

Nun das Märchen von dem Funken,

 

Der der Köchin, die betrunken

Schlief, eh sie ihr Lied gesungen,

In den wüllnen Rock gesprungen

Und verbrennet ihr den Leib,

 

Daß sie ward gleich einem Weib;

Und wie aus dem falschen Kruge

Für den Schwulst sie Salbe suchte,

Auf den Besen stieg und fluchte,

 

Wider Will den Ritt versuchte

Zu der klugen Frauen Runde,

Wo die Hausfrau sie gefunden,

Tanzend um den Bock den Reihn.

 

Als sie christlich wollte schrein,

Fiel sie durch den Schlot herunter;

Morgens saß sie ganz berußet

In der heißen Aschengruben;

 

Und die Schornsteinfegerbuben

Singen ihr: «Aus unsrer Schule

Schwatzte heut mit dir dein Buhle,

Doch sein Besen fegt nicht rein!»

 

«Mutter, es soll Wahrheit sein!»

Sprach sogleich ein schwarzer Junge,

Der mit einem kühnen Sprunge

Aus der Schürze kam gesprungen!

 

Schlummre, süßes Püppchen, schlummre,

Bist du dumm, es gibt noch Dummre,

Bist du stumm, es gibt noch Stummre,

Schlummre, schlummre, Püppchen, ein!

 

Bald miau! Die Katzen schrein,

Machen Diebs- und Liebesrunde,

Brünstig, günstig ist die Stunde,

Zu dem Mondmann heulen Hunde.

 

Sieh! Dort auf dem Wiesengrunde

Tanzen jetzt die Elfen munter

Unterm Knabenkraut hinunter,

Das die Blätter niederstreut.

 

Kind, sie spielen Lotto heut,

Schreiben auf die Blättchen Nummern,

Und du darfst nur kühnlich schlummern,

Denn dir kommt dein Glück im Schlummer.

 

Du gewinnst die beste Nummer,

Eine Braut wirst du im Schlummer,

Und dich wecket ohne Kummer

Hochzeit, Hochzeit, hohe Zeit!

 

Mondschein deckt dein Bettlein breit,

Tu dich zu dem Bräutgam ducken,

Wenn die Wichtlein Jubel rufend

Auf den Stufen ihre Krucken

 

Brechen, durch die Ritzen gucken

Und zum Schlüsselloch einschlupfen:

Wenn sie an der Decke zupfen,

Strecke nur heraus kein Bein!

 

Ei, die Nacht ist wunderfein!

Vor der Kröt auf hohem Stuhle

Singen Frosch und Unk im Pfuhle,

Eine heilge Judenschule.

 

Und der Irrwisch hüpft betrunken,

Wo der Musikant versunken;

Brünstig glühn Johannisfunken,

Wo jüngst fiel ein Jungfräulein,

 

Als ihr Buhl ihr stellt ein Bein

Und ihr Kränzlein ohn Vermuten

Fiel in eines Schatzes Gluten,

Der im Acker eingetruhet

 

Blank zu ihren Füßen ruhet.

Heim trug sie den Schatz zur Stunde,

Schwerer war noch viele Pfunde

Ihr lebendger Edelstein.

 

Schlaf, mein Püppchen, schlafe ein!»

Also hat das Weib gesungen

Mit verwirrter, süßer Zunge,

Und der Zauber ist gelungen. –

 

Denn Biondette, schlummertrunken,

Folgt des Zauberfadens Zuge,

Geht zur Linde, und am Brunnen

Liegt vor ihr ein Knabe fein.

 

«Jungfrau, ach, erbarm dich sein!»

Spricht sie, legt den kleinen Buben

Auf des Altars höchste Stufe,

Wo sie einst auch ward gefunden.

 

«Bleibe unten, bleibe unten,

Bete erst ein Vaterunser!»

Hört sie jetzt den Knaben rufen,

Doch sie soll verloren sein.

 

Und sie zieht zum Turm hinein,

Steigt hinan die dunklen Stufen;

Immer schwächer hört sie rufen:

«Bleibe unten, bleibe unten!»

 

Bis die Stimme ganz verschwunden;

Und Biondette, traumumwunden,

Steiget jetzt die letzte Stufe,

Gehet zu dem Mahl hinein.

 

Rosablankens Nadel fein,

Um die sie das Haar gewunden,

Zieht sie aus dem Lockenbunde,

Die ihr golden niederfluten.

 

Nächtlich bloß den keuschen Busen,

Tritt sie an die Zauberspuren,

Und von ihrem Herzen funkelt

Hell das goldne Röselein.

 

«Muß ich denn verloren sein?

O Maria, Gottes Mutter,

Der ich einstens ward gefunden,

In die Windeln eingewunden,

 

Denke meiner frommen Stunden,

Lasse sterbend mich gefunden!»

Lallt sie, peinlich traumumwunden,

Zu der reinen Seele Heil.

 

«Sei gegrüßt, du Todespfeil,

Sei gegrüßt mit reinem Munde,

Der nie freche Lust getrunken,

Keuscher Tod in keuscher Wunde!

 

Flieh, du letzte sündge Stunde!

Märtyrkrone sei errungen!»

Dann ruft sie mit kühner Zunge:

«O Maria, erbarm dich mein!»

 

Und die goldne Nadel fein

Stößt sie in den reinen Busen

Durch die goldne Rosenblume,

Sinket nieder, heilig blutend.

 

Und es schlägt die zwölfte Stunde.

«Weh, zu spät ists zu dem Trunke!»

Schreit der König, und geht unter.