Clemens Brentano
1778 - 1842
Romanzenvom Rosenkranz
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Romanze VGuidos Bild
Welch Getümmel in der Ferne,Welche wilde, freche Stimmen?Ach, ich höre Degen wetzen,Höre böse Klingen klirren!
Näher, näher um die Ecke,Ganz von Fechtenden umringet,Weicht Meliore, mit dem DegenHebt er künstlich auf die Stiche.
«Freistatt!» ruft er dann befehlend,Springend nach Mariens Bilde,«Diese Zuflucht müßt ihr ehren!»Und sein mutger Ruf gelinget.
Denn ein Angesehner stelletSich an seiner Gegner Spitze.«Wackre Knaben, meine Herren,Lassen Sie uns hier besinnen,
Fromm und höflich unsre DegenSenken und fein salutieren,Höflich schöner Frauen wegen,Fromm vor dem Marienbilde!
Daß Meliore eingestehe,Daß uns Zucht und Sitte bindet,Wie für Wissenschaft gesehenEr die raschen Klingen blinken.
Darum will ich mit ihm reden,Unsern Streit nun auszumitteln!»Sprichts's und tritt dem Feind entgegen,Den die ganze Schar umzingelt.
Doch an den Altar gelehnet,Lauscht Meliore auf zur Linde,Er hat allen Streit vergessen,Denn er hört Biondettens Stimme.
Jener aber spricht: «Mein Bester,Keine Wahrheit ist zu findenHier in diesem bunten Leben,Darum laßt uns Frieden stiften!
Und da Liebe nur im SterbenKann gefunden» ... «Stille, stille!»Spricht Meliore, «ach, es wehetAuch kein Lüftchen in der Linde!» –
«Willst du's kurz?» fragt dann der Redner.Und Meliore spricht ergimmet:«Schweigt sie, magst du ewig reden,Schweige ewig, wenn sie singet!»
Jener spricht, zurück sich wendend:«Schweigen sollen wir, sie singet!»Aber in dem Kreis erhebenHeftig schreiend sich die Stimmen:
«Er soll gleich zurück jetzt nehmen,Was er Apo sprach zum Schimpfe;Laßt uns mit dem Degen wetzendÜberlärmen seine Dirne!»
Und ein frecherer GeselleSchreit hinauf: «Ha! schweig sie stille,Heilge Jungfrau, um die WetteWollen wir mit ihr eins singen!»
Aber wütend an der KehlePackt Meliore ihn und ringetAn den Boden hin den Frevler,Und es heben sich die Klingen.
Alle dringen ihm entgegen;Auf den Altar fliehend springetNun Meliore, sich das LebenIn der heilgen Freistatt fristend.
«Seinen Mantel werfe jederNieder, der zu fechten willens,Jedes Klinge will ich messen,Dem ich Ehre abgeschnitten;
Und da vor so vielen GegnernIch wohl keine Rettung finde,Darum laßt zu Gott mich betenNur noch wenge Augenblicke!»
Eine tiefe Stille ehretSeine Bitte, und er kniet;Und von zwölfen breiten elfeIhre Mäntel um die Linde.
Wie zwei aufgeschreckte ReheIn gehemmter Flucht erzitterndStehn die Jungfraun stumm am Fenster,Niederblickend durch die Linde.
Als Meliore sie ersehenRuft er aufwärts: «Wenn ich sinke,Liebesengel, Todesengel,Bete für mich, wenn ich sinke!»
Und nun springt er an die Erde,Seinen Rücken deckt die Linde,Zierlich grüßt er mit dem DegenJeden in dem weiten Ringe.
Doch zuerst tritt ins GefechtDen er niederwarf im Grimme,Und in tiefen Ängsten schwebendStehn die Jungfrauen und singen:
«Gott und Vater, soll er sterben,Lasse seinen Zorn sich stillen,Daß er möge Heil erwerbenUm Herrn Jesu Leiden willen!
Gott und Sohn! Schirm den Gerechten,Decke ihn mit deinem Schilde,Lasse ihn mit Ehren fechtenHier vor deiner Mutter Bilde!
Heilger Geist, das Herz erhelleIhm, dem frommen Schwertumklirrten,Daß der böse Feind nicht stelleSchlingen dem im Streit Verwirrten!
Und Maria, Mutter, helfe,Daß er seinen Judas finde,Denn hier stehen wieder zwölfe,Wie bei deinem heilgen Kinde!» –
«Gleiche Rechte, gleiche Rechte!»Ruft der Gegner, «Brüder singet!Hat er sich Musik bestellet,Laßt mir auch ein Lied erklingen!»
Und es bricht aus vollen KehlenEin Gesang mit wildem Grimme;An den stillen Mauern brechenWidergellend sich die Stimmen:
«Blanke Jungfern, blanke DegenMuß man küssen, muß man schwingen;Der Schwertfeger weiß zu fegen,Sind sie rostig, unsre Klingen!
Wenn der Metzger Messer wetzet,Muß sein Weib ein Lied ihm singen,Und das Kalb, vom Hund gehetzet,Hilft sie leichter ihm bezwingen.
Wetzt, ihr Brüder, wetzt die Degen,Weil die schöne Jungfer singet,Weil das Kalb sie uns entgegenSingend aus dem Stalle bringet.
Blanke Jungfern, blanke Degen,Muß man küssen, muß man schwingen;Der Schwertfeger weiß zu fegen,Sind sie rostig, unsre Klingen!»
Und schon mehret sich die Menge,Hergelockt aus allen Winkeln,Und es drohet aus der FerneSchon der schwere Tritt der Sbirren.
Von dem wilden Sang erwecket,Kam nun Apo auch zu Sinnen,Der in seiner Weisheit NetzenHing wie eine giftge Spinne.
Und kaum trat er auf die Schwelle,Nähert sich der heilgen Linde,Als ein Lebehoch entgegenIhm von allen Lippen dringet.
Aber vor ihm fliegt ein Degen,Senkrecht in die Erde dringend,Den Meliore seinem GegenerKräftig aus der Faust legierte.
Und Apone fragt verlegen:«Wer hat diesen Gruß geschicket?»Und Meliore spricht: «Vergebet,Es ist meines Gegners Klinge.
Nicht um Ehre, noch um LebenFecht ich hier, bloß um die Klinge:Diese euch zu Füßen legend,Wählt mein Glück euch selbst zum Richter.
Und ich reich euch meinen Degen,Weil ich kann mit beßrer SitteWeder rechten hier, noch fechten!»Spricht Apone – «Werdet stille!
Denn es ist ein schwerer Frevel,Jetzt Tumulte anzuspinnen,Da der ganze Staat sich trennetIn zwei feindliche Partien.
Wer jetzt offnen Lärm erreget,Gleicht der Krähe, welche pickendAuf dem hohen AlpenschneeAnstoß gibt zu den Lawinen,
Die sich wälzend mächtig schwellenUnd verderbend niederdringen,Mit des kalten Eises DeckeStädt und Dörfer überrinnend.
Übt ihr also meine Lehre,Die euch auf die stolze SpitzeHöhrer Anschauung gestelletDer Natur und der Geschichte?
O, ihr kramt noch im Elenden,Streitend um gemachte Lichter,Ihr, die ich so frei gelehretMit den Sternen umzuspringen!
Wollt ihr hier die GieremeiUnd die Lambertazzi spielen,Die blind gen einander fechtendTöricht hier ihr Blut vergießen?
Welcher Jammer könnt entstehen,Wenn, in euern Lärm sich mischend,Die argwöhnenden GeschlechterSich erblickten und erhitzten?
Und schon seh ich allerwegenMüßig Volk heran sich ziehen.Stecket ruhig ein die Degen,Tretet um mich bei der Linde.
Wer war unter euch zugegenUnd nicht in den Streit verwickelt?Er soll treulich das EntstehenDieses Kampfes mir berichten.»
Aufgefordert naht der Redner,Beißt rhetorisch sich die Lippe:«Meister, deine Weisheit ehrend,Preis ich selig mein Geschicke,
Daß mir ward ein großer Lehrer,Der mich lehrte Frieden stiften.Früher schon war mein Bestreben,Diesen Zwiespalt zu vermitteln.
Doch mir war der Wind entgegen,Der hier weht durch diese Linde,Und die reizende Sirene,Die in diesen Meeren singet.
Er verachtete mein Reden,Und mit frecher Hand beschimpfteJenen er, der von BiondettenEine Pause wollt erzwingen.
Aber nicht um eigne EhreHat der Kampf sich so erhitzet;Herr, es galt um deine Lehre,Die er traf mit giftgem Witze!»
Also schloß der falsche Gegner. –Apo spricht: «Nun ins GesichteWiederhole mir die Reden,Knabe, die du sprachst zum Schimpfe!»
Doch Meliore hat vergessen,Daß er stehet im Gerichte;Er gedenket an Biondetten,Wie sie sang die Totenhymne.
Was sie fromm für ihn gebetet,Als er flehend zu ihr blickte,Fühlt er schon als HimmelssegenSich durch alle Adern rinnen.
Wie in geisterfüllte SegelBlickt er ins Gewölb der Linde,Freudig stößt er ab die Erde,Hin nach schönrer Heimat dringend.
Aber wie am SterbebetteRechnend gern der Teufel sitzet,Zerrt ihn nun Apones RedeVom Unendlichen zur Ziffer.
«Meister, was Ihr habt begehret,Laßt mich gütig nochmals wissen,Sagt mir's schnelle, denn die SchwelleMeines irdschen Hauses zittert.»
Apo spricht: «Was meiner Ehre,Meiner Lehre du zum SchimpfeSprachst, des Streites freche Quelle,Sollst du in den Bart mir spritzen!»
Und Meliore spricht: «VollendetHatte Guido grad, der Bildner,Ein Gemälde voller SchreckenUnd zur Schau es ausgestellet.
Wie Aglaure und die SchwesternWild vom Wahnsinn sind ergriffen,Kniend um den Korb Athenes,Den sie treulos aufgerissen.
Giftig aus dem Korbe strecken,Um das Kind Erechtheus ringelnd,Sich zwei Schlangen, und EntsetzenPackt die törichten Geschwister.
Um den Busen will sich HerfeGürtend eine Schlange winden,Und es steigt ihr Haar zu Berge,Denn das Tier hängt an dem Kinde.
Und Aglaurens Fäuste treffenRasend ihre eigne Stirne,Während Krampf die Füße hebetUnd zu wilden Sprüngen zwinget.
Und Pandrosa zuchtvergessenHat sich das Gewand zerrissen;Antlitz, Busen, Schoß und LendeSind ein Spiegel der Erynnen.
Hinter ihnen steht Athene,Ernst in Marmor gottgebildet;Bösen Fluges Vögel schwebenUm der fernen Tempel Zinnen.
Still und mannigfach erregetHatten wir dies Bild umringet,Bis, sich ja nicht zu vergessen,Einer alle schnell erinnert:
«Jedes Kunstwerk, das vollendet»,Sprach er und zog hoch die Stirne,«Muß, um klar sich auszusprechen,Stehen auf ewigen Begriffen.
Doch, wie ich mich auch mag setzen,Vor und in und nach dem Bilde,Seh ich tot nur vor mir stehenDieses Werk des alten Pinsels. –
Ei, der zweite ihm entgegnet,Mit der Schlange bei dem KindeIst wohl auf das Leid des HerrenUnd den Sündenfall gestichelt. –
Mit den törichten drei SchwesternMeinet er, sprach dann der dritte,Juden, Christen, SarazenenStreitend um die wahre Kirche. –
Und der vierte nun versetzte:Die drei Tugenden der ChristenSind es, die sich toll gebärden:Glaube, Hoffnung und die Liebe: –
Und ein fünfter sprach: Ich seheHier entsetzt die CharitinnenVor dem dreigeeinten HeldenIn angstvoller Flucht begriffen. –
Ach, was können, sprach der sechste,Juden, Sarazenen, ChristenUnd die Grazien hier erhellen,Die doch selbst Allegorien!
Mir sind es die drei Essenzen,Die das Wesen Gottes bilden,Im Begriffe eins zu werdenIn dem Wahnsinne der Christen.
Und der siebente wollt sehenDie drei Punkte Syllogismi,Denen Abälard das WesenDer Dreieinigkeit verglichen.
Ja, sprach dann der achte frecher,Sie sehn drein wie Heloise,Die den Mittelsatz entbehret,Weil den Nachsatz er vermisset.
Doch mir sinds drei Fakultäten,Theologen, MedizinerUnd Juristen, sie umgebenTief erschreckt Apones Wiege. –
Und noch schlimmrer Rede FrevelStand ich vor dem SchreckensbildeMehr als durch es selbst entsetzet,Doch ich wiederhol sie nimmer!
Und nun trat von seiner SchwelleGuido selbst heraus zum Bilde;Kahl, ein Greis, in seiner RechtenHielt er eines Messers Klinge.
Und er sprach: Mit frecher RedeHabt ihr mir das Herz zerrissen!Hat die rächende AtheneEuch, Gesellen, auch ergriffen?
Wißt, ich war in tiefster SeeleLang ob dieser Zeit ergrimmet,Welche zu entblößen strebet,Was Gott keusch verhüllt will wissen.
Dieses schändlichen EntdeckensStrafe wollte ich hier schildern,Und ihr treibt denselben FrevelMir vor meinem züchtgen Bilde!
Doch ich folg des Herren Lehre:Gibt dein Aug dir ÄrgernisseReiß es aus, tritts an die Erde!Liebes Bild, ich muß dich richten. –
Und nun riß er mit dem MesserZürnend durch des Bildes Mitte,Und zertrat mit bittren TränenWild sein mühsam Werk mit Füßen.
Seiner lachten noch die Frechen,Dem das Liebste sie entrissen;Das traf tief ihn in der Seele,Und er stand in Tränen zitternd.
Und das Messer aus der RechtenMußt liebkosend ich ihm winden,Daß er nicht zum Mörder werde,Schmeichelnd in das Haus ihn zwingen.
Seine Axt, die in der EckeStand – er ist zugleich ein Zimmrer –Mußt die Tochter schnell verstecken,Als ich ängstlich ihr gewinket.
Denn er war so tief erreget,Daß er gänzlich schien von SinnenUnd die Tochter kaum erkennte,Vor ihm auf den Knien liegend.
Und er schrie: O Himmel, sendeMir die Bären, die zerrissenJene Buben, den ProphetenOb des nackten Hauptes schimpfend;
Denn mit Lachen seine FensterJene gottlos noch umringten,Und die Laden vorzulegenWollten sie mich schmähend hindern.
Schrieen scherzend: Freund, wir sehenUns dir heut sehr tief verpflichtet,Weil du für uns einen BärenAngebunden beim Philister! –
Da ich nun hinausgetreten,Derb die Schmach mir zu verbitten,Fragte mich dort jener GegnerHöhnend mit dem frechen Witze:
Lag das Findelkind BiondetteAuch in solchen Schlangenwindeln,Weil du, gleich den tollen Schwestern,Sinnlos wardst, sie anzublicken? –
Alle lachten Beifall gebend.Fassen konnte ich mich nimmer,Und ich trat ihm wild entgegen,Sprach zu ihm mit scharfer Stimme:
Schäm der Rede dich! AtheneSchämte auch sich dieses Kindes,Denn sein Vater war, du Frecher,Frech und wie dein Gleichnis hinkend!
Willst du deutelnd schärfer treffen,Sprich: Des Teufels Hirngespinste,Die mein Lehrer Weisheit nennet,Sah ich in Erechteus Windeln!
Denn im trunkenem ErfrechenWill sie sich mit Gott vermischen,Und empfangen von der ErdeGleicht sie wohl dem Drachenkinde.
Gleicht das trübe Wortgefechte,Das die Schule um uns stricket,Nicht dem Korb, in dem sich's dehnet,Wenn die Schlangen aufwärts dringen?
Springt der Decke, und ihr stehetAuf dem Standpunkt: den AlcidenGlaubt ihr in dem Korb zu sehen,Wie er Schlangen würgt im Schilde!
Schreit auch wohl: «Ich will vergessen,Daß im Spiegel dies gebildet,Daß ich selbst ein Gott hier stehe,Der sich auf sich selbst besinnet!
Und den letzten Flug erhebendZu den Göttern aufzudringen,Bringt, den Gnadenstoß zu geben,Euch der Teufel gar von Sinnen.
Euch steht nur das Haar zu Berge,Und dies nennt ihr reines Wissen;Nennts der Isis Schleier heben,Hebt ihr schamlos euern Kittel!
Wie durchs Maul und um die KehleSchlechte Gaukler Viper schlingen,Zieht der Teufel eure SeelenSich durchs Maul philosophierend.
Und ihr könnet nicht mehr betenUnd ihr könnet nicht mehr dichten.Die die Schlange hat zertreten,Ist barmherzig, Gott ist Richter! –
Also habe ich geredet,Zwar erregt, doch wohl bei Sinnen,Und sie drängten mit dem DegenMich bis zu der heilgen Linde,
Wo ich zu Biondettens Ehre,Aber nicht zu Eurem Schimpfe,Ruhig bliebt bei meiner Rede.Meister, nun seid Ihr der Richter!»
Und Apone zornbewegetSpricht mit falscher Kälte: «ImmerBetend, horchend, fechtend, redendFinde ich dich bei der Linde!
Jacopone, dein gelehrterBruder, lehrt dich wohl die Schliche;Er kann auch die Worte drehenIn der Kirch und vor dem Richter.
Er, der die Parteien hetzet,Um sie künstlicher zu schlichten,Als wenn ich ein Bein verrenkte,Um es wieder einzurichten.
Ihn, der naseweis sich stelletIn der Fraktionen Mitte,Werden einst die Schweine fressenWeil er sich der Kleie mischet.
Du bist von ihm angestecket,Dem juristischen Philister,Der verachtend meine LehreIm lateinschen Stalle mistet.
Doch die Gieremei werdenEinst verfluchen seine Listen,Und die Lambertazzi werdenEinst bereuen seine Pfiffe.
Und ihr Streit wird dann erst enden,Wenn in seines Herzens MitteIhre Klingen sich begegnen,Einen ewgen Frieden stiftend!»
Und Meliore spricht: «O Lehrer,Übel bleibst du bei der Klinge;Um mich bitterer zu treffen,Willst du meinen Bruder schimpfen!
Ungerechter, den gerechtenBruder du statt meiner schimpfest,Denn du träffst auf den Unrechten,Schimpftest du ihm zu Gesichte!
Um das Recht mit Spott zu treffen,Willst die Rechte du beschmitzen,Doch ich räche den Gerechten,Deines Beispiels mich bedienend.
Du sprachst, unser Streit sei Frevel,Weil er leicht das Volk erhitze,Und im Zorne wirst du selberJener Anstoß der Lawine!
Ob dem reinen Glanz des SchneesLeicht ein dunkler Rab erbittert,Und den bösen Schnabel wetzend,Stößt er nieder die Lawine!
Schmähst du meines Bruders Ehre,Dieser Musenalpe Zierde,Sonnenglänzend auf dem ewgenEispalaste der Juristen,
Schmähst du ewige Gesetze,Der Gesellschaft Urgranite,Dann schimpfst du den Kern der Erde,Der zum Licht dringt in Gebirgen!» –
«Ja, ich schmähe,» sprach der Lehrer,«Die Pandektentitel-FlickerUnd die unfruchtbaren Rechte,Kahl wie deine Urgranite!
Die sich immer kahl vererben,So wie öder Berge Gipfel,Von Geschlechte zu GeschlechteIhre alten Knoten schlingend.
Und wie magst du diese ZwergeIn papiernen Nestern nistend,Noch vergleichen mit den Bergen,Die juristischen Philister?»
Und Meliore spricht: «Die Zwerge,Ja sie wohnen in Gebirgen,Schmieden dort die starken Schwerte,Eitle Riesen zu bezwingen.
Aus der Tiefe mit den BergenWächst das Eisen auf zum Lichte,Und von ihnen wiederkehretAlles zu der Tiefe wieder.
So steigt nieder von den BergenDie Natur, und ihren GipfelnSind die weiten Sündflutmeere,Ist der Zorn zuerst entwichen.
So steigt nieder von den BergenDie Geschichte: auf der SpitzeSinai gab Gott GesetzeMosen für die Israliten.
Wenn die Erde längst verwelket,Steht noch das Granitgerippe,Und des Wassers Flut begegnendHeulet drum das Spiel der Winde.
So auch stehen die Gesetze,Wenn die Staaten rings versinkenUnd unzählige GeschlechterAn dem alten Recht sich bilden.»
Apo spricht: «Das Recht so kennend,Wirst du das Gesetz auch wissen,Daß Bologna RepetentenNie erkennt ungraduieret.
Und du hast das kaum ErlernteDennoch mir hier repetieret;Du kurzärmiger Geselle,Wisse, daß du delirierest!
Denn die Kerkerstrafe stehetAuf dem offnen DisputierenVon Studenten gegen jeden,Den die höhern Würden zieren.» –
«Ja, ich kenne die Gesetze,»Spricht Meliore, «und die PflichtenEines Christen, daß er redeDen Verkehrten ins Gewissen.» –
«Predge weiter,» sprach der Lehrer,«Und entpflichte dich, mein Christe,Daß ich dem Gesetz dich gebeUngestört in deinen Pflichten!»
Und Meliore sprach: «Ich nenneJene Berge, euch Gewitter;Euer dunkelmaulend WesenIst nur dunkel, um zu blitzen.
Seit die Welt im Zirkel gehet,Kühlet sich das Wetter blitzend,Doch, als sei's das erst und letzte,Bläht sich jegliches Gewitter.
Nur daß man die Sterne hellerSehe auf der Berge Gipfel,Lasset ihr, euch selbst verwetternd,Euren trüben Schwall verwittern.
Und wo werdet ihr dan stehen,Wann zuletzt der ewge RichterNach den ewigen GesetzenEuch und jene kommt zu richten?
Die geschimpfet auf die Recht,Werden stehen auf der Linken,Da wo Gottes Affen stehen,Die gefallnen Engel hinkend.
Die unzähligen SystemeFrevelnder PhilosophienWerden flehen, bei den HexenAuf den Besen aufzusitzen.
Ihr Allfresser, wo des erstenMagen noch der zweite frisset,Wenn ihm selbst schon aufgefressenSeinen Magen hat der dritte!
Ja, der Teufel wird den letztenNoch zertrennen in der Mitte,Daß das Maul den Leib kann fressen;So wird sich die Kete schließen!
Meister, du hast diese SchwerterIn der Schule selbst geschliffen,Höhre Anschauung mich lehrendDer Natur und der Geschichte.» –
Aber zu dem Volk gewendetRuft Apone: «Holla, Sbirren,Diesen Jüngling führt zum Kerker!»Und Meliore wird umringet.
Nochmals blickt er nach Biondetten,Folget freudig dann den Sbirren,Als sollt er zur Hochzeit gehen,Denn er höret ihre Stimme.
Und zu seinem Turme kehretApo wird, finstern Blickes;Brach er gleich den Speer der Rede,Haftet tödlich doch der Splitter.
Freudig nichtig, gleich Raketen,Luftgetragen auf den StimmenHört er noch ein Vivat brennen,Und der Schwarm verliert sich singend.
Leise Lüfte hör ich wehen,Schüchtern kehren zu der LindeAuch die Vögel, und es tretenAus dem Haus die beiden Kinder.
Rosablanka und BiondetteGrüßen sich mit stummen Winken;Da sich ihre Wege trennen,Lassen sie die Blicke sinken. |