Clemens Brentano
1778 - 1842
Romanzenvom Rosenkranz
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Romanze IVRosablanka und Biondetta
Nieder auf Bolognas GassenBrennt die volle Mittagssonne,Und aus hohen Schloten wallenWeiß des dichten Rauches Wolken.
In den Kellern klimpern Flaschen,Und auf kühlem MarmorbodenWird mit silbernem GerasselSchon des Reichen Tisch geordnet.
Suchend hie und da den Schatten,Schleichen von der KlosterpforteAuch die Bettler zu dem Mahle,Mit dem vollen Suppentopfe.
Und der Ochse lauscht am Wagen,Wiederkäuend in der SonneEinsam auf dem heißen Markte,Auf das Plätschern hoher Bronnen.
Aber in der Linde Schatten,Wo die fromme Tänzrin wohnet,Scheint der Mittag selbst entschlafenAn dem lieben, stillen Bronnen.
Leis umgrast von seinem LammeAuf dem dicht berasten BodenRuht ein süßer, kleiner Knabe,Schlummerglühnd in goldnen Locken.
Jede Blüte hör ich fallen,Hör des Knaben leisen Odem,Und die reine RosablankeTritt einher mit ihrem Korbe.
Auf den Stufen des Altares,Wo sie früh den Kranz geflochten,Ladet sie zum armen MahleKindlich ein die Mutter Gottes.
Eine goldne Honigwabe,Auch ein Stückchen weißen BrotesUnd die milchgefüllte FlascheNimmt sie aus dem weißen Korbe.
Da erwacht der blonde KnabeUnd steht harrend bei dem Bronnen,Und es rief ihn Rosablanke:«Komm, ich geb dir Honigbrote!»
Und er nahet mit dem LammeFreundlich sich der Jungfrau Schoße,Auch ein Vöglein kommt zu GasteVon der Linde abgeflogen.
Liebreich lächelt Rosablanke,Heißt sie allesamt willkommen,Und es spricht der blonde Knabe:«Du bist mild, o fromme Tochter!
Was du teilest mit den Armen,Das hast du dem Herrn geboten,Der sich deiner wird erbarmenIn der Stunde deines Todes!»
Von der Gäste lautem DankeWard Biondetta hergelocket,Schaut herab zur offnen Tafel,Will mit ihrer Kunst sie loben.
Leis ergreift sie ihre Harfe,Singet still herabgebogen:«Heil dir, Jungfrau, mit dem Lamme,Mit dem Knaben, mit dem Vogel.
Über deinem frommen MahleWeile gern das Auge Gottes,Denn so liebe Gäste saßenEinstens um das Tischlein Josefs.
Herr, dies Mahl laß dir gefallenZum Gedächtnis deines Sohnes,Und die arme irdsche HarfeKlinge bald am Himmelstore.»
Als die Worte niederklangen,Saß die Jungfrau stille horchend,Ließt die Gäste munter naschenBrot und Honig aus dem Schoße.
Und Biondetta flüstert sachte:«Mägdlein, sieh nach deinem Korbe,Denn das Lamm hat mit der NaseSchon das weiße Tuch erhoben.
Kindisch horchend meiner Harfe,Bist du um dein Brot gekommen:Darf ich dich zu Gaste laden,So tritt ein in meine Pforte!»
Doch nun spricht der blonde Knabe:«Eh du gehest, fromme Tochter,Gib drei Kerzlein mir vom Wachse,Daß ich sie heut abend opfre.
Ich will dir ein Lied auch sagen,Wenn ich wieder zu dir komme,Von dem Knaben und dem LammeUnd drei wundervollen Rosen.
Ich kenn deines Vaters Garten;Will es Gott, so komm ich morgen.»Und sie gibt drei schön gemalteKerzen ihm, daß er sie opfre.
Eine rote, eine schwarze:Und er spricht: «Für dich, du Fromme,Ist die weiße hier – drei FarbenWill ich für drei Rosen opfern!»
Und nun wendet sich der Knabe,Spricht: «Gedenke dieses Morgens,Denk der Schlange und des Mannes,Folge seinen ernsten Worten.
Daß sich unser mög erbarmen,Der du gabst die frischen Rosen,Die zertreten hat die Schlange,Die den Heiland hat geboren!»
Und nun schied er. Tief erbangetDenkt die Jungfrau seiner Worte,Bis Biondetta sie ermahnteMit der Saiten goldnem Tone.
Ihren Korb nimmt Rosablanke;Wie von lieber Hand gezogenSteigt sie zu Biondettas KammerUnd spricht schüchtern: «Willst du Rosen?
Rosen, rot wie deine Wangen,Kerzen, rein und schlank gezogen,Wie dein klarer Leib gestaltet?»Sprichts und zieht das Tuch vom Korbe.
Kann die Antwort nicht erwarten,Setzt sich nieder an den Boden,Fleht: «O schlage an die Harfe,Singe, singe rein und golden!»
Und Biondetta spricht: «O klareJungfrau, schöne Harfe Gottes,Woll an meinem Herzen schlagenVon den Armen lieb umschlossen!»
Und es sinket RosablankeIhr ans Herz, und heilig lodertÜber sie die Gottesflamme,Daß die Seelen dicht verschmolzen.
Daß von ihren süßen Wangen,Von den rot und weißen Rosen,Von dem Klang verborgner HarfenHeilge Tränenquellen flossen.
«Hörst du, hörst du, wie vom KlangeMir des Herzen Saiten pochen,Wie von göttlichem GesangeSich ein Netz um uns gezogen?
O, wer bist du? meine ArmeHaben einen Schatz gehoben;O, wer sind wir, die sich fanden?Sprich, wo wir uns einst verloren?»
Also ward in süßen FragenIhrer Arme Bund erschlossen,Der mit heimlichen GewaltenIhrer Seele Bund geschlossen.
«Da ich früh heut am AltareEinen Rosenkranz geflochten,Fühlte ich in dem Gesange,Liebe, mich an dich verloren.
Durch die Rosen meines KranzesUnd durch meines Blutes Rosen,Die in Lieb und Andacht wachsen,Flocht ich deine Töne golden!» –
«Da ich dich gesehn beim MahleMit dem Knaben, Lamm und Vogel,Fühlte ich ein tief Erbarmen,Daß ich hier so einsam wohne.
Wie ein Himmelsglanz die KammerHeilgen Möchen in VisionenFüllet, also füllte strahlendMich Verlangen, Lieb und Hoffen!»
Um sich blicket Rosablanke,Sieht das Stübchen wohl geordnet,Spiegelblank sind Stuhl und Tafel,Schrank und Wand von edlem Holze.
Reicher Stoff in reichen FaltenSchwebet um der Fenster Bogen,Und ein Bilderteppich spannetAugerquickend sich am Boden.
Und wo es erwünscht, da ragenAn den Wänden, halb erhoben,Kunstgebildete Gestalten:Mensch und Vase schön geformet.
Marmor, Glas und Alabaster,Erze, Silber, Gold und Bronze,Die Metalle und KristalleSprechen, was der Meister wollte.
«Reich ist, Jungfrau, wohl dein Vater,Der dir all dies Gut erworben?Solchen Reichtum zu betrachten,Ist mir füher nie geworden.» –
«Nur der Welt gehört dies alles,»Spricht Biondetta, «aber folgeJetzt mir auch zum eigenen Schatze,Den ich selber mir erworben.
Trete in die enge Kammer,Sieh mein Bett von trocknem Moose,Wo ich mit dem Licht erwache,Mit der Schwalbe Gott zu loben.
Vor dem Fenster schwebt ein GartenAuf der alten Mauerkrone,Wo zwei süße NachtigallenMeine Lieder wiederholen.
Aber deine Augen fragen,Was das Tüchlein dort verborgenÜber meinem Betstuhl halte:Sieh, das Bildnis einer Nonne.
Schlecht ist nur das Bild gemalet,Doch in seinen Zügen wohnetStrenge, die mich liebreich strafet,Liebe, die mich ernsthaft lobet.
Heiliger als alles, alles,Ist mir dieses Bild geworden,Seinen Linnenvorhang achteHöher ich, als sei er golden.
Aber über deine WangenSeh ich sanfte Tränen rollen?»«Kann ich,» saget Rosablanke,«Vor dem Bild nicht weinen wollen?
Denn ich seh auf seinen WangenBlasser Lilien Kelch erschlossen,Der von Tränen bittren GramesBis zum Tode überflossen.
Wer hat dir das Bild gemalet,Wer hat dir das Tuch gesponnen,Daß sie lieb dir über allesUnd mir auch so lieb geworden?» –
«Was ich weiß, sollst du erfahren,»Spricht Biondetta, «doch zu sorgenBleibt mir vieles noch heut Abend;Ich muß meinen Putz noch ordnen;
Muß noch stimmen Leir und HarfeUnd die Lieder wiederholen,Denn schon mahnet mich der SchattenMeiner Uhr dort an der Sonne.»
Schüchtern fraget Rosablanke:«Hohe Gäste hat entbotenWohl dein Vater für heut Abend,Die so reichen Putz erfordern?» –
«Alles das will ich dir sagen,»Spricht Biondetta, «doch nun folgeMir zu meinem Kleiderschranke,Hilf mir die Gewande ordnen.»
Vor den Blicken RosablankensStehn die blanken Türen offen:Ach die seltsamen GewandeUnd die bunten, reichen Stoffe,
Und die schönen Blumen, wankendBei den Sternen silbern, golden,Wie die zarten Federn schwankenUm die leichten, duftgen Flore,
Wie die Diamanten strahlenLachend in rotgoldnen Kronen,Wie die Perlenschnüre fallenWeinend durch des Purpurs Wogen.
Und in blanken SilberpanzernSpiegeln dunkle Seidenrosen,Windend sich um Schwert und LanzeAus des Goldhelms stolzem Schoße.
Muschelhut und PilgerflascheHängt am sarazenschen Bogen,Falsche Stern und Monde prangenAuf des Turbans üppgen Wolken.
Flitterschuhe und Sandalen,Bei Kothurn und GoldpantoffelnUnd gespornten Schienen, paarenTraulich unten sich am Boden.
«Reich ist, Jungfrau, wohl dein Vater,Der dir all dies Gut erworben?» –«Nur der Welt gehört dies alles,Ich bin freier Künste Tochter.
Muß auf offner Bühne tanzen,Bin zur Lust der Welt erzogen;Heute sind es nun sechs Jahre,Daß ich sang die erste Rolle.
Heute sind es zwanzig Jahre,Daß ich bin gefunden wordenAls ein Kindlein am Altare,Wo du früh den Kranz geflochten.
Findelkind Mariens nannteMich die Tänzrin, die hier wohnte,Ihr verdank ich Sang und Harfe,Sie ist meine Mutter worden.
Was mit Staunen du betrachtest,Ist das Gut, das sie erworbenUnd mir gütig hat gelassen,Als ich sie im Tod verloren.
Da zur Jungfrau ich erwachsen,Übernahm ich ihre Rollen,Und sie hat vom offnen WandelSich zu Gott zurückgezogen.
In dem Kloster zu Sankt ClarenWard sie endlich aufgenommen.Und im heilgen Kleid begrabenAls ein Mitglied jenes Ordens.
Sterbend hat sie mir gestanden,Daß ich ihre Findeltochter,Und mir Zeit und Ort gesaget,Da ich bin gefunden worden,
In dem Tüchlein eingeschlagen,Mit dem Bilde jener Nonne,Und dem Ringlein, das ich trage,Am Altare bei dem Bronnen.
Heute sind es zwanzig Jahre;Freitag nachts, als aus der OperEinsam sie nach Haus gegangen,Nahm sie auf mich von dem Boden.
Hat mit mir sich in der KammerMutterheimlich eingeschlossen,Und von den gemalten WangenLiebestränen auf mich flossen.
Da sie sterbend mir dies sagte,Fragt ich: wer hat mich geboren?Doch sie konnte mirs nicht sagen,Ihre Lippe war verschlossen.
Ihre Blicke, aufgeschlagen,Sahen nach dem Bild der Nonne,Und auf ihre bleichen WangenKalte Tränen niederflossen,
Die noch traurig darauf standenAls ich ihr das Aug geschlossen;Und so sind mit ihr mir ArmenBeide Mütter mir gestorben:
Die mich hilflos mußte lassenAls sie mich zum Lichte geboren,Die mich treu in ihre ArmeAls ein Kind hat aufgenommen.
Heute nun zum letzten MaleWill ich tanzen in der Oper,Will ich meine Wangen malenMeiner Lehrerin zum Lobe,
In der Künste bunter FlammeIhrem Leben noch dies Opfer,Und dann fromm die jungen TageOpfern ihrem selgen Tode.»
Alles höret Rosablanke,Dinge, die sie nie vernommen,Über manches möcht sie fragen,Stünd der Schrank nicht vor ihr offen.
Lange steht sie vor den Masken,Wie umgafft von fremden Volke;Kindisch wagt sie nicht zu fragen,Wer die Augen ausgestochen.
Doch fragt sie bei Armors Larve,Der ein Band von leichtem FloreUm die Augen war gefaltet:«Ist ihm auch das Aug genommen?» –
«Da ich einstens trug die Larve,Sprach Apone unterm Volke:Wer darf deine Mutter tadeln,Wenn du spielst des Vaters Rolle!
Da erglühten meine Wangen,Durch die Maskenöffnung rolltenHeiße Tränen, und die FarbenUm die Augen her verloschen.
Darum hab ich mit dem BandeDiesen Schaden schnell verborgen,Und blieb ferner an dem AbendVon dem Toren unverspottet.
Aber nun sollst du die HaareMir für heute Abend ordnen,Wie um eine SilbernadelDu die deinen hast geflochten.
Willst du mir die Zöpfe machen?Ich knie nieder an den Boden,Und indessen sollst du sagen,Wer dein Vater, wo du wohnest.»
Und sie flicht Biondettens Haare,Windet sie in feste Knoten,Während sie vom RosengartenSpricht und von dem Vater Kosme.
Wie im Traume heut die SchlangeGegen sie emporgeschossen,Wo der ernste Mann gegraben,Der versunken in den Boden.
Wie dann später am AltareSie ihn wieder angetroffen:«Ach, da hört ich deine Harfe,Hab mit ihm den Kranz geflochten!
Und jetzt hat der blonde KnabeMit dem Lamme und dem VogelZu bedenken ernst ermahnet,Was der ernste Mann gesprochen.
Ach, ich bin mit Angst umfangen!Mich umdrängen diesen MorgenJener Mann, der Knab, die Schlange,Du, dein Glanz, das Bild der Nonne!
Beten will ich noch heut Abend,Beten, recht von Herzen, morgenAn der armen Mutter Grabe,Die mich sterbend hat geboren.
Auch sie ruhet bei Sankt Claren;Ich hab morgen angeordnetIhre Messe, eh es taget;Willst auch du hin beten kommen?
Aber halte fest, du wankest!Sieht, jetzt durch den FlechtenknotenSteck ich meine Silbernadel,Bleib der Geberin gewogen!»
Und Biondetta spricht: «Die NadelWill ich heut ins Herz mir stoßen,Wenn ich auf des Spieles BahnenMich dem schönsten Tode opfre.
Wenn die Fluten des GesangesWeltlich alle sind zerronnen,Wenn die Schwingungen des TanzesAlle nieder sind gezogen.
Wenn die Saiten meiner HarfeWeltlich alle sind gebrochen,Denk ich deiner, Rosablanke,Dient die Nadel mir zum Dolche!
Und das Ringlein, das ich trage,Das mit mir gefunden worden,Nimm es hin zur Gegengabe!Also bin ich dir gewogen!
Aber wähl auch aus dem SchrankeIrgend ein Gewand dir, Holde!Zur Erinnrung dieses TagesZeige es dem Vater Kosme.
Morgen will ich Sankt ClarenZu der Totenmesse kommen,Und dann dir zum RosengartenDeines ernsten Vaters folgen.»
Lange wählet RosablankeWelch Gewand sie nehmen sollte,Und Biondetta singt zur Harfe,Ihre Rolle wiederholend:
«Lebet wohl, ihr falschen Farben,Eitler Tränen Regenbogen,Sterne, die mit falschem GlanzeDienten einem Flittermonde!
Meine Tränen sollen wachsen,Daß sie mit den bittern WogenGanz mein Irdsches überwallen,Bis die Schuld ist hingenommen.
Aus dem Argen in die ArcheGeh ich, eine Tochter Noä,Kleide mich in schwarzer Farbe,Wie der Rabe ausgeflogen.
Kleide schwarz mich gleich dem Raben,Der als Bote ausgeflogen,Und so traurig auf den WassernSchwebte, bis sie abgenommen.
Schleire mich mit weißer FarbeGleich der Taube, die als BoteWiederkehrte mit dem Blatte,Das dem Friedensbaum entsprossen.
Sei gegrüßt, du Tag der Gnade!Durch den Friedensbogen GottesWill ich zu den Vätern wallenAuf der Opferflamme Wolken.»
Also sang sie. RosablankeWählt das Röcklein einer Nonne,Weiß den Schleier, schwarz den Mantel,Wie die beiden Friedensboten.
Da sie dies im Korb bewahret,Und ihn auf das Haupt gehoben,Singen scheidend sie zusammen,Wie Biondetta angehoben:
«Lebet wohl, ihr falschen Farben,Eitler Tränen Regenbogen,Sterne, die mit falschem GlanzeDienten einem Flittermonde!» |