Clemens Brentano
1778 - 1842
Gedichte 1804 - 1815
180621./22. Januar: Goethes zustimmende Rezension des «Wunderhorns». September: Aufenthalt in Frankfurt am Main. 11. September: Joseph Görres kommt als Dozent nach Heidelberg. 31. Oktober: Sophie stirbt in Heidelberg an einer Totgeburt.
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St. Meinrad
Graf Berthold von Sulchen, der fromme Mann,Er führt sein Söhnlein an der Hand;Meinrad, mein Söhnlein von fünf Jahren,Du mußt mit mir gen Reichenau fahren.
Hatto, Hatto, nimm hin das Kind,Alle lieben Engelein mit ihm sind;Die geistlich Zucht mag er wohl lernen,Und mag ein Spiegel der Münche werden.
Er ging zur Schul barfuß ohne Schuh;Und legt die geistlich Kunst sich zu;Die Weisheit kam ihm vor der Zeit,Da ward er zu einem Priester geweiht.
Da schickt ihn Hatto auf den Zürcher See,Daß er ins Klösterlein bei Jona geh;Bei Jona zu Oberpollingen,Da lehrt er die Münch beten und singen.
Da er lange ihr Schulmeister war,Und ihn die Brüder ehrten gar;Tät er oft an dem Ufer stehen,Und nach dem wilden Gebirg hinsehen.
Sein Gewissen zog ihn zur Wüste hin,Zur Einsamkeit stand all sein Sinn;Er sprach zu einem Münch: Mein Bruder,Rüst uns ein Schifflein und zwei Ruder.
Über See zur Wildnis zur Wüstenei,Hab ich gehört gut fischen sei;Da gehn die Fischlein in den einsamen Bächen! –Ja Herr, mein Meister, der Münch tät sprechen.
Sie fuhren gen Rapperswyl über See,Zu einer frommen Wittib sie da gehn;Bewahr uns die Gewand, sie zur ihr sprechen,Daß sie uns nicht in der Wildnis zerbrechen.
Sankt Meinrad und der Bruder gut,Sie folgten wohl der Bächlein Flut:Sie fischten hinan in dem Flüßlein Sille,Bis in die Alp gar wild und stille.
O Herr und Meister, lieber Sankt Meinrad,Wir haben Fischlein schon mehr als satt;Noch nit genug Meinrad da saget,Steigt, wo der Finsterwald herraget.
Und da sie gegangen den dritten TagIm finstern Wald eine Matte lag;Ein Born da unter Steinen quillet,Da hat Sankt Meinrad den Durst gestillet.
Nun lieber Bruder, nun ist's genug,Gen Rapperswyl die Fisch er trug;Die fromm Wittib stand vor der Pforten,Und grüßt die Münch mit frohen Worten.
Willkomm, willkomm, ihr bleibt schier lang,Die reißende Tier, die machten mich bang;Die Fisch, die tät sie braten und sieden,Die aßen sie in Gottes Frieden.
Frau hört mich an durch Gott den Herrn!Die Wittib sprach: Das tu ich gern!Ein armer Priester hat das Begehren,Sein Leben im Finsterwald zu verzehren.
Nun sprecht, ob hier ein Frommer leb,Der ihm ein klein Almosen geb;Sie sprach: Ich bin allein allhiere,Ich werd ihm ein Almoseniere.
Da tät Sankt Meinrad ihr vertrauen,Daß er sich wollt ein Zelle bauen;Und kehrt nach Oberpollingen,Tät noch ein Jahr da beten und singen.
Aber die Einsamkeit drängt ihn sehr,Er hat kein ruhig Stund da mehr;Und eilt nach Rapperswyl zu der Frauen,Die ließ ihm da seine Zelle bauen.
Am Etzel wohnt er sieben Jahr,Viel fromme Leut die kamen dar;Seine Heiligkeit macht groß Geschrei,Und zog da gar viel Volks herbei.
Solch weltlich Ehr bracht ihm viel Schmerz,Sein Hüttlein rückt er waldeinwärts;Zum finstern Wald, wo das Brünnlein quillet,Das ihm einst seinen Durst gestillet.
Und wenn er sich das Holz abhaut,Daraus er seine Zelle baut;Find't er ein Nest mit jungen Raben,Die tät er da mit Brot erlaben.
Die fromm Frau auch von RapperswylSchickt ihm Almosen ein gut Teil;So lebt er während funfzehn Jahren,Sein Freund die beiden Raben waren.
Von Wollrau war ein Zimmermann,Der kam da zu dem Wald heran;Und bat auch den St. Meinrad eben,Sein Kindlein aus der Tauf zu heben.
Da ging St. Meinrad hinab ins Land,Dem Zimmermann zur Taufe stand;Und kam da wieder zu vielen Ehren,Das täten zwei böse Mörder hören.
Peter und Reinhard dachten wohl,St. Meinrads Opferstock wär voll;Und wie sie zum Finsterwald eintreten,Die Raben schreien in großen Nöten.
St. Meinrad las die Meß zur Stund,Der Herr tät ihm sein Stündlein kund;Da betet er aus ganzer Seele,Daß ihn der Himmel auserwähle.
Die Mörder schlagen an die Tür:Du böser Münich tret herfür;Tu auf, gib uns dein Geld zusammen,Sonst stecken wir dein Haus in Flammen.
Im Finsterwald schallt's ganz verworrn,Die Raben mehren ihren Zorn;Um ihre Häupter sie wütend kreisen,Nach ihren Augen hacken und beißen.
St. Meinrad sanft zu ihnen tritt,Bringt ihnen Brot und Wasser mit;Eßt, trinkt, ihr Gäste, seid willkommen,Dann tut, warum ihr hergekommen.
Der Reinhard sprach: Warum komm ich?St. Meinrad sprach: Zu töten mich;Da schrien sie beide: Kannst du es wissen?So werden wir's vollbringen müssen.
Nun gib dein Silber und all dein Gut!Da schlugen sie ihn wohl aufs Blut;Und da sie seine Armut sahen,Täten sie ihn zu Boden schlagen.
Da sprach der liebe Gottesmann:Ihr lieben Freund, nun hört mich an;Zünd't mir ein Licht zu meiner Leiche,Dann eilt, daß euch kein Feind erreiche.
Der Peter ging da zur Kapell,Zu zünden an die Kerze hell;Die tät durch Gott von selbst erbrennen,Die Mörder da ihr Schuld erkennen.
Die Kerze brennt an seiner Seit,Ein Wohlgeruch sich auch verbreit;Sein Seel tät zu dem Himmel ziehen,Die Mörder da erschrocken fliehen.
Aber die frommen Raben beid,Die gaben ihnen bös Geleit;Um ihre Häupter sie zornig kreisen,Und ihnen Haar und Stirn zerreißen.
Durch Wollrau kamen sie gerannt,Der Zimmermann die Raben kannt;Da tät er seinen Bruder bitten,Zu folgen ihren wilden Schritten.
Indes lief er in den Finsterwald,Sucht seinen lieben Gevatter bald;Der lag erschlagen auf grüner Heide,Die Kerze brannt an seiner Seite.
Er küßt ihn auf den blutgen Mund,Hüllt in den Mantel ihn zur Stund;Legt weinend ihn in die Kapelle,An seines heilgen Altars Schwelle.
Und eilt herunter in das Land,Sein Jammer allen macht bekannt;Und schickt hinauf sein Kind und Frauen,Nach ihrem heilgen Freund zu schauen.
Die Mörder fand er im Wirtshaus,An der Schifflande zu Zürich drauß;Die Raben stießen die Fenster ein,Und warfen um das Bier und Wein.
Die Mörder man ergriff und band,Ihr Schuld, die haben sie bekannt;Und bis hin auf den Scheiterhaufen,Die Raben sie wohl hacken und raufen.
Der Abt zu Reichenau da hört,Der fromm St. Meinrad sei ermörd't;Schickt auch mit Licht und Fahn viel Brüder,Zu holen des St. Meinrads Glieder.
Und da der Leib zum Etzel kam,Wo er gewohnt der heilge Mann;Da war der Sarg nicht zu bewegen,Sie mußten ihn da niederlegen.
Sein heilig Herz und IngeweidSie da begruben zu der Zeit;Den Leib sie dann mit Beten und SingenNach Reichenau zur Kirche bringen.
Wo er gestorben und gelebt,Das Kloster Einsiedeln sich erhebt;Für fromme Pilger ein Wunderquelle,Quillt dort in St. Meinrads Kapelle.
Entstanden zwischen 1806 und 1808 (Schultz 1995) |