BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christoph Martin Wieland

1733 - 1813

 

Musarion oder die Philosophie der Grazien

 

1768

 

______________________________________________________________________________

 

 

)) 43 ((

Musarion.

 

――――――――――――

 

Zweytes Buch.

 

 

 

 

)) 45 ((

Was, beym Anubis! konnte das

635

Für eine Stellung seyn, in welcher Fanias

Die beiden Weisen angetroffen?

«Sie lagen doch – wir wollen bessers hoffen! –

Nicht süßen Weines voll im Gras?» –

Dieß nicht. – «So ritten sie vielleicht auf Steckenpferden?»

640

Das könnte noch entschuldigt werden;

Plutarchus rühmt sogar es an Agesilas. 1)

Doch von so fei'rlichen Gesichtern, als sie waren,

Vermuthet sich nichts weniger als das.

Ihr Zeitvertreib war in der That kein Spaß;

645

Denn, kurz, sie hatten sich einander bey den Haaren.

 

Der nervige Kleanth war im Begriff, ein Knie

Dem Gegner auf die Brust zu setzen,

Der, unter ihn gekrümmt, für die Filosofie,

Die keine Bohnen ißt, 2) die Haare ließ; als sie

650

In ihrem Skythischen Ergetzen

)) 46 ((

Des Hausherrn Ankunft stört. Beschämt, als hätte ihn

Sein Feind bey einer That, die keine fremde Leute

Zu Zeugen nimmt, ertappt, zum Stehn wie zum Entfliehn

Unschlüssig, wünscht er nur dem Gast an seiner Seite

655

Ein Schauspiel zu entziehn, das Sie weit mehr erfreute

Als von Menandern selbst (dem Attischen Goldon)

Das beste Stück. Allein sie waren schon

Zu nah, sie sah zu gut, der Schauplatz war zu offen,

Er konnte nicht sie zu bereden hoffen

660

Sie habe nichts gesehn. Die Kämpfer raffen sich

Indessen auf; sie ziehen sittsamlich

Die Mäntel um sich her, und stehen da und sinnen

(Weil Fanias, damit sie Zeit gewinnen,

Die Nymf' am Arm, nur schleichend näher kam)

665

Der Schmach sich selbst bewußter Scham

Durch dialektische Mäander zu entrinnen.

Vergebens, wenn Musarion

)) 47 ((

Großmüthig ihnen nicht zuvor gekommen wäre.

«Die Herren üben sich», spricht mit gelaßnem Ton

670

Die Spötterin, «vermuthlich nach der Lehre,

Daß Leibesübung auch des Geistes Stärke nähre.

Ein männlich Spiel fürwahr! wovon

Mit bestem Recht zu wünschen wäre,

Daß unsrer Sitten Weichlichkeit

675

Nicht allgemach es aus der Mode brächte.»

Man sieht, sie gab dem wilden Stiergefechte

Ein Kolorit von Wohlanständigkeit;

(Nicht ohne Absicht zwar) – Wer war dabey so freudig

Als Fanias! – Allein der stoische Kleanth

680

(Zu hitzig oder ungeschmeidig

Zu fühlen, daß es bloß in seiner Willkühr stand

Das Kompliment in vollem Ernst zu nehmen)

Zwang seinen Schüler sich noch mehr für ihn zu schämen.

Der Augenblick, worin Musarion

685

Ihn überfiel, ihr Blick, der schalkhaft sanfte Ton

Der Ironie, und (was noch zehnmahl schlimmer

Als alles andre war) ihr ungewohnter Schimmer,

Die Majestät der Liebeskönigin,

)) 48 ((

Das Wollustathmende, das eine Atmosfäre

690

Von Reitz und Lust um sie zu machen schien,

Bestürmt auf einmahl, für die Ehre

Der Apathie 3) zu stark, den überraschten Sinn.

Er stottert ihr Entschuldigungen,

Zupft sich am Bart, zieht stets den Mantel enger an,

695

Und unterdeß entwischt dem weisen Mann

Was niemand wissen will, – er hab' im Ernst gerungen.

Der Streit, versichert er, ging eine Wahrheit an,

Die er so sonnenklar, so scharf beweisen kann,

Nur ein Arkadisch Thier, ein Strauß, ein Auerhahn –

700

Hier röthet sich sein Kamm, es schwellen Brust und Lungen,

Er schreyt – Mich jammert nur der arme Fanias!

Bald lauter Gluth, bald leichenmäßig blaß,

Steht er beyseits und wünscht vom Boden sich verschlungen

Worauf er steht – Die Schöne sieht's, und eilt

705

Ihn von der Marter zu erretten.

Mit einem Blick voll junger Amoretten

Und Grazien, der stracks an unsichtbare Ketten

)) 49 ((

Kleanthens Tollheit legt, Theofrons Rippen heilt,

Spricht sie: Wenn's euch beliebt, so machen wir die Fragen,

710

Wovon die Rede war, zu unserm Tischkonfekt;

Ich zög' ein solch Gespräch, sogar bey leerem Magen,

Der Tafel vor, die Ganymedes deckt.

Wie freu' ich mich, daß ich den Weg verloren,

Da mir das Glück so viel Vergnügen zugedacht!

715

Glücksel'ger Fanias, der Freunde sich erkohren,

Von denen schon der Anblick weiser macht!

Jetzt wundert mich nicht mehr, wenn er zum Spott der Thoren

Mitleidig lächeln kann, und, glücklich, wie er ist,

Athen und uns und alle Welt vergißt!

 

720

So sprach sie; und mit Ohren und mit Augen

Verschlingt das weise Paar was diese Muse spricht:

Begier'ger kann die welke Rose nicht

Den Abendthau aus Zefyrs Lippen saugen.

Zusehens schwellen sie von selbst-bewußtem Werth:

)) 50 ((

Nicht, daß ein fremdes Lob sie dessen erst belehrt;

Nur hört man stets mit Wohlgefallen

Aus andrer Mund das Urtheil wiederhallen,

Womit uns innerlich die Eitelkeit beehrt.

Ein Filosof bleibt doch uns andern allen

730

Im Grunde gleich: wär er so stoisch als ein Stein,

Und hätte nichts die Ehr' ihm zu gefallen,

Er selbst gefällt sich doch! Schmaucht ihn mit Weihrauch ein,

Und seyd gewiß, er wird erkenntlich seyn.

Es stieg demnach von Grad zu Grade

735

Der Schönen Gunst bey unserm Weisenpaar;

Ihr lachend Auge fand selbst vor der Stoa Gnade,

Und man vergab es ihr, daß sie so reitzend war.

 

Ein kleiner Sahl, der von des Hauswirths Schätzen

Kein allzu günstig Zeugniß gab,

740

Nahm die Gesellschaft auf. Ein ungekämmter Knab'

Erschien, die Tafel aufzusetzen,

)) 51 ((

Lief keuchend hin und her, und hatte viel zu thun

Bis er ein Mahl zu Stande brachte,

Wovon ein wohlbetagtes Huhn

745

(Doch nicht, der Regel nach, die Kazius erdachte, 4)

In Cypernwein erstickt) die beste Schüssel machte.

 

Ob die Filosofie des guten Fanias

Der schönen Nymfe gegen über

Bey einem solchen Schmaus so gar gemächlich saß,

750

Läßt man dem Leser selbst zu untersuchen über.

Ein wenig falsche Scham, von der er noch nicht ganz

Sich los gemacht, schien ihn vor einem Zeugen

Von seines vor'gen Wohlstands Glanz

Ein wenig mehr als nöthig war zu beugen.

755

Allein der Dame Witz, die freye Munterkeit,

Die was sie spricht und thut mit Grazie bestreut,

Und dann und wann ein Blick voll Zärtlichkeit,

Den sie, als ob sie sich vergäß', erst auf ihn heftet

Dann seitwärts glitschen läßt, entkräftet

760

Den Unmuth bald, der seine Stirne kräust;

)) 52 ((

Stets schwächer widersteht sein Herz dem süßen Triebe,

Und, eh' er sichs versieht, beweist

Sein ganzes Wesen schon den stillen Sieg der Liebe.

 

Indessen wird, so sichtbar als es war,

765

Den beiden Weisen doch davon nichts offenbar,

Ob sie die Schöne gleich mit großen Augen messen.

Die Herren dieser Art blendt oft zu vieles Licht;

Sie sehn den Wald vor lauter Bäumen nicht

Doch sind die unsrigen entschuldigt; denn indessen

770

Daß Fanias ein liebliches Vergessen

Von allem, was sein steifer Pädagog

Ihm jemahls vorgeprahlt, aus schönen Augen sog,

War auf Musarions Verlangen

Das akademische Gefecht schon angegangen,

775

Womit sie etwas sich zu gut zu thun beschloß.

Kleanth bewies bereits: «Der Weise nur sey groß

Und frey, geringer kaum ein wenig

Als Jupiter, ein Krösus, ein Adon,

Ein Herkules, und zehnmahl mehr ein König

)) 53 ((

Auf mürbem Stroh als Xerxes auf dem Thron;

Des Weisen Eigenthum, die Tugend, ganz alleine

Sey wahres Gut, und nichts von allem dem

Was unsern Sinnen reitzend scheine

Sey wünschenswürdig» – Kurz, die Wuth für sein System

785

Ging weit genug, ganz trotzig, ohne Röthe,

Zu prahlen: «Wenn in Cypriens Figur

Die Wollust selbst leibhaftig vor ihn träte,

Schön, wie die Göttin sich dem Sohn der Myrrha 5) nur

Bey Mondschein sehen ließ, – und diese Venus böte

790

Auf seinem Stroh ihm ihre schöne Brust

Zum Polster an – ein Mann wie Er verschmähte

Den süßen Tausch.» –

 

Hier war es, wo die Lust

Des Widerspruchs Theofron sich nicht länger

Versagen kann – ein Mann von krausem schwarzem Bart

795

Und Augen voller Gluth, kein übler Sänger

Und Citharist, dabey ein Grillenfänger

So gut als jener, nur von einer andern Art.

)) 54 ((

Das geht zu weit, (fiel er Kleanthen in die Rede)

Zum mindsten führet es gar leicht zu Mißverstand.

800

Nicht daß ich hier das Wort der Wollust rede

Im gröbern Sinn! Die ist unläugbar eitel Tand

Und Schaum und Dunst, ein Kinderspiel für blöde

Unreife Seelen, die mit ihren Flügeln noch

Im Schlamm des trüben Stoffes stecken. 6)

805

Doch sollt' uns nicht die Nektartraube schmecken,

Weil ein Insekt auf ihrem Purpur kroch?

Der Mißbrauch darf nicht unser Urtheil leiten:

Alt ist der Spruch, zu selten sein Gebrauch!

Saugt nicht auf gleichem Rosenstrauch

810

Die Raupe Gift, die Biene Süßigkeiten?

 

Begeistert wie ein Korybant,

Und von Musarion die Augen unverwandt,

Fing jetzt Theofron an, in dichterischen Tönen,

Vom Ersten Wesentlichen Schönen

815

Zu schwärmen: «Wie das alles, was wir sehn

Und durch der Sinne Dienst mit unsrer Seele gatten,

Von dem, was übersinnlich schön

)) 55 ((

Und göttlich ist, nur wesenlose Schatten,

Nur Bilder sind, wie wenn in stiller Flut,

820

Von Büschen eingefaßt, sich Sommerwolken mahlen.»

Von da erhob er sich, bey immer wärmerm Blut,

«Zu den geheimnißvollen Zahlen,

Zur sfärischen Musik, zum unsichtbaren Licht,

Zuletzt zum Quell des Lichts.» – Ekstatischer hat nicht,

825

Wie aus der alten Nacht die schöne Welt entsprungen,

Und vom Deukalion, und von der goldnen Zeit,

Virgils Silen den Knaben vorgesungen,

Die ihn im Schlaf erhascht und zum Gesang gezwungen.

 

Dann fuhr er fort, und sprach «vom Tod der Sinnlichkeit,

830

Und wie durch magische geheime Reinigungen

Die Seele nach und nach vom Stoffe sich befreyt,

Und wie sie durch Enthaltsamkeit

Von Erdetöchtern und – von Bohnen,

Zum Umgang tüchtig wird mit Göttern und Dämonen,

)) 56 ((

Bis sie (dem Wurme gleich, der in die Sommerluft

Auf neuen Flügeln sich erhebet)

Dem Stoff sich ganz entreißt und ihres Körpers Gruft,

Zur Göttin wird und unter Göttern lebet.»

 

Belustigt an dem hohen Schwung,

840

Den unser Doktor nahm, stellt sich die schlaue Schöne,

Als ob vor Hörenslust und vor Bewunderung

Ihr Busen sich in seinen Fesseln dehne.

Zum Unglück für den Mann, der lauter Wunder spricht,

Entsteht dadurch (und sie bemerkt es nicht)

845

Ich weiß nicht welche kleine Lücke,

Die seinen Flug auf einmahl unterbricht;

Und wie zuletzt die Richtung seiner Blicke

Ihr sichtbar macht was ihn zerstreut,

Und sie beschäftigt scheint den Zufall zu verbessern,

850

Hat sie die Ungeschicklichkeit,

(Woferns nicht Bosheit war) das Übel zu vergrößern.

 

)) 57 ((

Der Umstand ist an sich nur eine Kleinigkeit;

Doch wird vielleicht die Folge zeigen

Daß er entscheidend war. Es folgt ein tiefes Schweigen,

855

Wobey Kleanth sogar das volle Glas,

Und, was kaum glaublich ist, die Lust zum Zank vergaß;

Indeß, vertieft in Sinus und Tangenten,

Der Jünger des Pythagoras

Den wallenden Kontur 7) gewisser Sfären maß,

860

Woran die Lambert selbst sich übermessen könnten;

Vor Amorn unbesorgt, der hier zu lauern pflegt,

Und schon den schärfsten Pfeil auf seinen Bogen legt.

 

Mit lächelnder Verachtung sieht die Dame

Das weise Paar, mit seinem Flitterkrame

865

Von falschen Tugenden und großen Wörtern, an;

Und eh' die Herren sichs versahn,

Weiß sie mit guter Art den unbescheidnen Blicken,

Was ihres gleichen zu entzücken

Die Charitinnen nicht mit eigner Hand

)) 58 ((

So schön gedreht, auf einmahl zu entrücken;

Und alles sinkt sogleich in seinen alten Stand.

 

Drauf sprach sie: In der That, man kann nichts schöners hören,

Als was Theofron uns von unsichtbarem Licht,

Von Eins und Zwey, von musikal'schen Sfären,

875

Vom Tod der Sinnlichkeit und von Vergött'rung spricht.

Wie Schade, wär' es nur ein schönes Luftgesicht,

Wornach er uns die Lippen wässern machte!

Und doch, der Weg zu diesem stolzen Glück

Ist, däucht mir, das, woran er nicht gedachte?

 

880

Theofron, noch ganz warm von dem was seinem Blick

Entzogen war, und voll von wollustreichen Bildern,

Beginnt den Weg, den Prodikus so schmal

Und rauh und dornig mahlt, 8) so angenehm zu schildern,

So lachend wie ein Rosenthal

885

Zu Amathunt, dem Aufenthalt der Freuden.

Ein Sybarit, der einen Weg aus beiden

Zu wählen hätt', erwählte sonder Müh

)) 59 ((

Den blumigen, den die Filosofie

Theofrons ging, – durch zauberische Schatten,

890

Wo Geist und Körper sich, bey ungewissem Licht,

In schöne Ungeheuer gatten,

Und Amor, nicht der kleine Bösewicht

Den Koypel mahlt, ein andrer von Ideen,

Wie der zu Gnid von Grazien, umschwebt,

895

Ein Amor, der vom Haupt bis zu den Zehen

Voll Augen ist und nur vom Anschaun lebt,

Der Seele Führer wird, sie in die Wolken hebt,

Und, wenn er sie zuvor – in einem kleinen Bade

Von Flammen – wohl gereinigt und gefegt,

900

Sie stufenweis durch die gestirnten Pfade

Bis in den Schooß des höchsten Schönen trägt.

 

Doch eh' zu so erhabner Liebe

Die Seele leicht genug sich fühlt,

Befreyt Theofron sie vorher von jedem Triebe,

905

Der thierisch im Morast des groben Stoffes wühlt.

«Und hier ist's, fährt er fort, wo unsre Afterweisen

Ein falsches Licht verführt. Die guten Leute preisen

)) 60 ((

Uns ihre Apathie als ein Geheimniß an,

Das uns zu mehr als Göttern machen kann. 9)

910

Nach ihnen soll der Weise alles meiden

Was Aug' und Ohr ergetzt; so kleine Kinderfreuden

Sind ihm zu tändelhaft; stets in sich selbst gekehrt

Beweist er sich allein durch das was er entbehrt

Die Größe seines Glücks, fühlt nichts, um nichts zu leiden,

915

Und – irret sehr. Das Schöne kann allein

Der Gegenstand von unsrer Liebe seyn;

Die große Kunst ist nur, vom Stoff es abzuscheiden.

Der Weise fühlt. Dieß bleibt ihm stets gemein

Mit allen andern Erdensöhnen:

920

Doch diese stürzen sich, vom körperlichen Schönen

Geblendet, in den Schlamm der Sinnlichkeit hinein,

Indessen wir daran, als einem Wiederschein,

Ins Urbild selbst zu schauen uns gewöhnen.

Dieß ist's, was ein Adept in allem Schönen sieht,

)) 61 ((

Was in der Sonn' ihm strahlt und in der Rose blüht.

Der Sinnensklave klebt, wie Vögel an der Stange,

An einem Lilienhals, an einer Rosenwange;

Der Weise sieht und liebt im Schönen der Natur

Vom Unvergänglichen die abgedrückte Spur.

930

Der Seele Fittich wächst in diesen geist'gen Strahlen,

Die, aus dem Ursprungsquell des Lichts

Ergossen, die Natur bis an den Rand des Nichts

Mit fern nachahmenden nicht eignen Farben mahlen.

Sie wächst, entfaltet sich, wagt immer höhern Flug,

935

Und trinkt aus reinern Wollustbächen;

Ihr thut nichts Sterbliches genug,

Ja, Götterlust kann einen Durst nicht schwächen

Den nur die Quelle stillt. So, meine Freunde, wird,

Was andre Sterbliche, aus Mangel

940

Der höhern Scheidekunst, gleich einer Flieg' am Angel,

Zu süßem Untergange kirrt,

)) 62 ((

So wird es für den ächten Weisen

Ein Flügelpferd zu überird'schen Reisen.

 

«Auch die Musik, so roh und mangelhaft

945

Sie unterm Monde bleibt – denn, ihrer Zauberkraft

Sich recht vollkommen zu belehren,

Muß man, wie Scipio, die Sfären

(Zum wenigsten im Traume) singen hören – 10)

Auch die Musik bezähmt die wilde Leidenschaft,

950

Verfeinert das Gefühl, und schwellt die Seelenflügel;

Sie stillt den Kummer, heilt die Milzsucht aus dem Grund,

Und wirkt (zumahl aus einem schönen Mund)

Mehr Wunderding' als Salomonis Siegel.»

 

Hier kann Kleanth nicht länger ruhn;

955

Er muß, vom Wahrheitsdrang gezwungen,

Der Schwärmerey des Mannes Einhalt thun;

Denn alles was Theofron uns gesungen,

War, seinem Urtheil nach, vollkommner Aberwitz.

Schon richtet er auf seinem Polstersitz,

)) 63 ((

Den rechten Arm entblößt, die Stirn in stolzen Falten,

Sich drohend auf, und hat, noch eh' er spricht,

Den leichten Sieg bereits erhalten;

Als ihn ein Auftritt unterbricht,

Auf den das weise Paar sich nicht gefaßt gehalten.

 

 

965

Der Sahl eröffnet sich, und eine Nymfe tritt

Herein, das Haupt mit einem Korb beladen,

Den Busen leicht verhüllt, und gleich den Oreaden

So hoch geschürzt, daß jeder schnelle Schritt

Den schlanken Fuß bis an die feinsten Waden,

970

Und oft sogar ein Knie von Wachs entdeckt,

Das eilend wieder sich im dünnen Flor versteckt.

Nicht schöner mahlt die Heben und Auroren

Alban, der, wie ihr wißt, so gerne Nymfen mahlt.

Mit Einem Wort, sie war so auserkohren,

975

Daß unser Theosof (beym ersten Blick verloren

Im Wiederschein, der ihm entgegen strahlt)

Die Düfte nicht empfindt, die aus dem Korbe steigen,

)) 64 ((

Und die Kleanth mit Mund und Nase in sich schlürft.

Musarion, die sich den Ausgang schon entwirft,

980

Winkt ihrem Freund ein Pythagor'sches Schweigen,

Indeß den Korb die schöne Sklavin leert,

Und mit sechs großen Nektarkrügen,

(Genug von einem Faun den Weindurst zu besiegen)

Mit Früchten und Konfekt den runden Tisch beschwert.

 

985

Die Herren (spricht hierauf die Schöne) haben beide

Mich wechselsweise, so wie jeder sprach, bekehrt:

Wie sehr ich auch das Glück der Apathie beneide,

So däucht mich doch die geistge Augenweide,

Die uns Theofron zeigt, nicht minder wünschenswerth.

990

Erlaubet, daß ich mich ein andermahl entscheide.

Es sey der Rest der Nacht, der mich so viel gelehrt,

Den Musen heilig und der Freude!

Nimm, Fanias, die Schal', und gieß sie aus

)) 65 ((

Der himmlisch lächelnden Cytheren;

995

Und du Theofron, gieb uns einen Ohrenschmaus,

Und laß zum Saitenspiel uns deine Stimme hören.

 

Das leichte filosof'sche Mahl

Verwandelt nun (Dank sey der Oreade,

Die Hebens Dienste thut) durch unbemerkte Grade

1000

Sich in ein kleines Bacchanal.

Zwar läßt zum Lob des unsichtbaren Schönen

Der bärtige Apoll das ganze Haus ertönen;

Allein sein Blick, der nie von Chloens Busen weicht,

Beweist, wie wenig was er fühlet

1005

Dem was er singt, und einer Rolle gleicht,

Die auch der künstlichste Komödiant so leicht

Und ungezwungen nie, wie seine eigne, spielet.

Die lose Sklavin hilft des Weisen Lüsternheit

Durch listige Geschäftigkeit

1010

Mit jedem Augenblick lebhafter anzufachen;

Stets ist sie um ihn her, und macht sich tausend Sachen

Mit ihm zu thun, in immer hellerm Glanz

)) 66 ((

Die Reitzungen ihm – vorzuspiegeln,

Die nur zu sehr die Seel' in ihm beflügeln

1015

Die unterm Zwerchfell thront. 11) Ein großer Blumenkranz,

Womit sie seine Stirne schmücket,

Vollendet was ihm fehlt, damit wer ihn erblicket,

Wie er den Zärtlichen und Angenehmen macht,

Fast überlaut ihm an die Nase lacht.

 

1020

Wie traurig, Fanias, siehst du die schönste Nacht,

Dir ungenützt, bey diesem Spiel verstreichen!

Er gähnt die Freundin kläglich an,

Er winkt, er seufzt: umsonst, sie folget ihrem Plan,

Und denkt vielleicht nicht weniger daran

1025

Ihn mit dem seinen zu vergleichen.

 

Zu ihrer Freude bringt der schlauen Chloe Kunst

Den schlüpfrigen Pythagoräer

Dem abgeredten Ziel zusehens immer näher.

Er buhlt durch Blicke schon um ihre Gegengunst

1030

So feierlich, antwortet ihren Blicken

Mit so fanatischem, so komischem Entzücken,

)) 67 ((

Daß Hogarths Laune selbst kaum weiter gehen kann.

Wozu, Verführerin, bietst du den Nektarbecher

Dem Lechzenden so zaubrisch lächelnd an?

1035

Sein Brand bedarf kein Öhl! Nimm lieber einen Fächer,

Und kühle seinen Mund und seiner Wangen Gluth!

Wohnt so viel Grausamkeit in sanften Mädchenseelen?

Glaubt ihr ein weiser Mann sey nicht von Fleisch und Blut?

Doch Chloe weiß vermuthlich was sie thut;

1040

Sie hat die Miene nicht, ihn unbelohnt zu quälen.

 

Nicht wenig stolz auf sein gefrornes Blut,

Beweist indeß mit hoch empor geworfner Nase

Kleanth, der Stoiker, bey oft gefülltem Glase,

Daß Schmerz kein Übel sey, und Sinnenlust kein Gut.

1045

Ihm hängt, wie dort Horaz, dem trägen

Lastbaren Thiere gleich, sein Lehrling, weil er muß

Verzweiflungsvoll ein schläfrig Ohr entgegen, 12)

Und widerspricht zuletzt aus Langweil und Verdruß.

)) 68 ((

Natürlich reitzet dieß noch mehr des Weisen Galle;

1050

Im Eifer schenkt er sich nur desto öfter ein,

Glaubt, daß er Wasser trinkt, nicht Wein,

Und demonstriert den Aristipp, und alle

Die seiner Gattung sind, in Circens Stall hinein.

 

Sein Eifer für den Lieblingssatz der Halle, 13)

1055

Durch jeden Widerspruch und jedes Glas vermehrt,

Hat von sechs Flaschen schon die dritte ausgeleert;

Als der Planetentanz, 14) womit der Geisterseher

Die Dame zum Beschluß ergetzt,

Ihn vollends ganz in Flammen setzt.

1060

Nun wird nichts mehr verschont: Ägypter und Chaldäer 15)

Erfahren seine Wuth, wie Er des Weingotts Macht;

Und eh' der Tänzer noch uns von den Antipoden

Den Gott des Lichts zurück gebracht,

Fällt taumelnd sein Rival und liegt besiegt zu Boden.

 

1065

Der dritte Akt des Lustspiels schließt sich nun,

Und alles sehnet sich, den Rest der Nacht zu ruhn.

)) 69 ((

Kleanth, der, wie er lag, Virgils Silenen

Nicht übel glich, (nur daß er nicht erwacht,

So sehr ihn Chloe zwickt, so laut man um ihn lacht)

1070

Wird standsgemäß, umtanzt von beiden Schönen,

Mit Bacchischem Triumf in – einen Stall gebracht,

Und lachend wünschet man einander gute Nacht.

 

 

 

)) 70 ((

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Anmerkungen.

 

――――――――

 

1)       An Agesilas

Der Reim muß die kleine Freyheit entschuldigen, daß der Nahme Agesilaus hier in Französischer Gestalt erscheint. Dieser berühmte Spartanische König war ein so gefälliger Vater, daß er einsmahls von einem seiner Freunde überrascht wurde, da er mit seinen Kindern auf dem Steckenpferde herum trabte. Sage ja niemanden etwas davon, sagte Agesilaus zu ihm, bis du selbst Vater bist. 

2)       Die Filosofie die keine Bohnen ißt –

Die Pythagorische. Das Verbot ihres Meisters, sich der Bohnen zu enthalten, (über dessen wahren Grund schon viel vergebliches geschrieben worden ist) wurde von den ersten Pythagoräern so heilig beobachtet, und so weit getrieben, daß einige von ihnen, da sie sich von ihren )) 71 (( nachsetzenden Feinden nicht anders als durch ein Bohnenfeld retten konnten, lieber den Feinden in die Hände liefen – si fabula vera est. 

3)       Für die Ehre der Apathie

So nannten die Stoiker die vollkommene Gleichgültigkeit ihres Weisen gegen alle sinnlichen Eindrücke von Schmerz und Vergnügen, die ihn natürlicher Weise allen Leidenschaften unzugänglich machen mußte. 

4)        Der Regel nach, die Kacius erdachte –

«Kommt» (sagt dieser durch seine von Horaz aufbehaltenen Aforismen aus der Küchenfilosofie berühmt gewordene Epikuräer)

Kommt unvermuthet dir des Abends spät

Ein Gast noch auf den Hals, so laß dir rathen,

Das alte zähe Huhn, (womit die Noth

Dich ihn bewirthen heißt) damit es ihm

Nicht in den Zähnen stecken bleibe, in

Falerner Moste zu ersticken –

Horaz. Satiren, 2. B. 4. S. 

5)        Dem Sohn der Myrrha

dem Adonis, dem geliebtesten unter ihren sterblichen Günstlingen. )) 72 ((

6)        Die mit ihren Flügeln noch im Schlamm des Stoffes stecken

Anspielung auf eine von den Pythagoräern und von Plato aus einer uralten morgenländischen Vorstellungsart angenommene Lehre von der dämonischen Natur der menschlichen Seele, ihrer Präexistenz in der Geisterwelt und ihrem Sturz in die Materie, wovon der göttliche Plato in seinem Fädrus, im zehnten Buche von den Gesetzen, im Timäus, u. a. O. uns mancherley schwer zu begreifende Dinge offenbart. 

7)        Das Wort Kontur (Contour, Conturno) scheint uns unter diejenigen ausländischen Kunstwörter zu gehören, welche man sonst, aus Ermanglung eines gleichbedeutenden Deutschen Wortes, immer nur durch Umschreibung zu geben genöthigt wäre; denn Kontur und Umriß sind keineswegs gleichbedeutend. Umriß heißt bloß das, was von der Form eines Körpers durch den Sinn des Gesichts erkannt wird: Kontur hingegen bezeichnet eigentlich die Vorstellung, die wir von einer körperlichen Form vermittelst des Gefühls und Betastens erhalten. Es ist eine bloße Täuschung –nicht unsrer Sinne, sondern unsers voreiligen Urtheils, wenn wir den Kontur eines Körpers (z. B. der Sfären, wovon hier die Rede ist) zu sehen glauben. Bevor wir ihn durch )) 73 (( das Gefühl ausgetastet, haben wir von seiner Form nur eine sehr mangelhafte Vorstellung, weil uns das Auge nicht mit der Dichtheit, Rundung, Eckigkeit, Glätte, Rauheit, u. s.w. sondern bloß mit der heller oder dunkler gefärbten Oberfläche der Körper bekannt macht. 

8)        Den Weg, den Prodikus so rauh und dornig mahlt –

Den Weg der Tugend, in der Erzählung von Herkules auf dem Scheidewege, auf welche im ersten Buche schon angespielt wird. 

9)        Das uns zu mehr als Göttern machen kann.

Denn, da die Götter keine Bedürfnisse und also auch keine Leidenschaften haben, so würde ein Sterblicher, der es in der Apathie so weit als ein Gott bringen könnte, eben darum weil sie nicht eine nothwendige Eigenschaft seiner Natur, sondern ein Werk seines freyen Willens und eines nicht immer leichten Sieges über seine Sinnlichkeit wäre, mehr als ein Gott seyn. Daher sagt Seneka: «Est aliquid quo Sapiens antecedat Deum; ille Naturae beneficio non timet, suo Sapiens.» (Epist. 53.) Und an einem andern Orte: «Sapiens tam aequo animo omnia apud alios videt contemnitque quam Jupiter; et hoc se magis )) 74 (( suspicit, quod Jupiter illis uti non potest, Sapiens non vult.» (Epist. 73.) 

10)        Muß man, wie Scipio, die Sfären

(Zum wenigsten im Traume) singen hören –

Anspielung auf eine Stelle in dem bekannten Traumgesichte des Scipio, dem schönsten Fragmente, das sich von dem verloren gegangenen Werke des Cicero, de Republica, erhalten hat, worin die Harmonie, die aus den verschiedenen Intervallen der Bewegung der Planetenkreise und des Sternhimmels entstehen soll, nach Pythagorischen Begriffen, wiewohl nicht sehr verständlich, beschrieben wird. Cicero läßt den jungen Scipio diese himmlische Harmonie in seinem Traumgesichte hören: Pythagoras hatte, nach der Versicherung seines Legendenschreibers Jamblichus, das Vorrecht sie sogar wachend zu vernehmen; und die Ursache, warum sie nicht von jedermann gehört wird, ist bloß, weil dieses Getön so stark ist, daß es unser Ohr gänzlich übertäubt. Hoc sonitu oppletae aures hominum obsurduerunt, nec est ullus hebetior sensus in vobis. (Somn. Scip. c. 5.) 

11)        Die nur zu sehr die Seel' in ihm beflügeln

Die unterm Zwerchfell thront.

)) 75 (( Plato giebt in seinem Timäus dem Menschen drey Seelen, wovon die erste göttlicher und unsterblicher Natur ist und ihren Sitz im Haupte hat, von den beiden andern sterblichen aber die eine die Brusthöhle, und die andere (deren Begierden bloß auf Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse gehen) die Gegend zwischen dem Zwerchfell und Nabel zu ihrer Wohnung angewiesen bekommen hat, «wo sie, (sagt der hochweise Timäus) gleich einem Thiere, das nichts zu thun hat als zu fressen, an die Krippe angebunden, so weit als möglich von dem denkenden und regierenden Princip entfernt worden ist, um dasselbe desto weniger durch ihr Geräusch und Geschrey nach Futter in der Ruhe zu stören, deren es, zu der ihr obliegenden Besorgung dessen was Allen zuträglich ist, vonnöthen hat.» 

12)        Ein schläfrig Ohr entgegen –

Anspielung auf die Stelle in der neunten Satire des ersten Buchs der Horazischen Satiren:

Demitto auriculas ut iniquae mentis asellus

Dum gravius dorso subiit onus. 

13)        Den Lieblingssatz der Halle

Der stoischen Filosofie, die von der vornehmsten der Hallen (oder bedeckten Säulengänge) in )) 76 (( Athen, welche gewöhnlich, wegen der Gemählde womit sie geziert war, die Poikile (die bunte) genannt wurde, ihren Beynahmen erhielt, und, so wie diese Halle selbst, auch die Stoa schlechtweg hieß, weil Zeno und seine Nachfolger in derselben öffentlich zu lehren pflegten. 

14)        Als der Planetentanz, –

Vermuthlich ein Pythagorischer Tanz, der die Bewegungen der Planeten nachahmt. Es scheint hier auf eine Stelle in Lucians Dialog über die Tanzkunst gedeutet zu werden, wo Lycinus sagt: «Die Tanzkunst habe mit dem ganzen Weltall einerley Ursprung, und sey mit jenem uralten Amor des Orfeus und Hesiodus zugleich zum Vorschein gekommen. Denn (setzt er hinzu) was ist jener Reigen der Gestirne und jene regelmäßige Verflechtung der Planeten mit den Fixsternen und die gemeinschaftliche Mensur und schöne Harmonie ihrer Bewegungen anders als Proben jenes uranfänglichen Tanzes?» 

15)        Ägypter und Chaldäer –

will vermuthlich so viel sagen, Kleanth habe seinen Eifer gegen die Pythagorisch seynsollenden )) 77 (( Thorheiten des Theofron bis zu einem Ausfall gegen die alten Chaldäischen und Ägyptischen Weisen getrieben, von welchen Pythagoras, nach der gemeinen Sage, die vornehmsten Lehren und den Geist seiner Filosofie geborgt haben sollte.