BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christoph Martin Wieland

1733 - 1813

 

Musarion oder die Philosophie der Grazien

 

1768

 

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)) 79 ((

Musarion.

 

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Drittes Buch.

 

 

 

 

)) 81 ((

Die Schöne lag auf ihrem Ruhebette,

Und hatte (fern, vermuthlich, vom Verdacht

1075

Daß sie bey Fanias sich vorzusehen hätte,)

Ihr Mädchen fortgeschickt. Es war nach Mitternacht;

Ein leicht Gewölke brach des Mondes Silberschimmer,

Und alles schlief: als plötzlich, wie ihr däucht,

Den Gang herauf zu ihrem kleinen Zimmer

1080

Mit leisem Tritt – ich weiß nicht was sich schleicht.

 

Sie stutzt. Was kann es seyn? Ein Geist? nach seinen Tritten –

Besuch von einem Geist! den wollt' ich sehr verbitten,

Denkt sie. Indem eröffnet sich die Thür,

Und eh' sie's ausgedacht, steht – Fanias vor ihr.

 

1085

«Vergieb, Musarion, vergieb, (so fing der Blöde

Zu stottern an) die Zeit ist unbequem –

)) 82 ((

Allein» – «Wozu», fiel ihm die Freundin in die Rede,

Wozu ein Vorbericht? Wenn war ich eine Spröde?

Ein Freund ist auch zur Unzeit angenehm:

1090

Er hat uns immer was, das uns gefällt, zu sagen.» –

 

Dein Ton (erwiedert er) beweist,

Wie wenig dieser Schein von Güte meinen Klagen

Mitleidiges Gefühl verheißt.

Du siehst mein Innerstes, und kannst mich lächelnd plagen?

1095

Siehst, daß ein Augenblick mir hundert Jahre scheint,

Und findest noch ein grausames Behagen

An meiner Qual? Du treibst mich zum Verzagen,

Kaltsinnige, und nennst mich deinen Freund?

Wie grausam rächst du dich! –

 

«Ich? – fällt sie ein, mich rächen?

1100

Träumt Fanias? – Er liebte mich vordem;

Er hörte wieder auf! War dieses ein Verbrechen?

War's jenes? Mir, mein Freund, war beides angenehm.

Wir Mädchen sehn doch immer mit Vergnügen

Die Weisheit eines Manns zu unsern Füßen liegen.

)) 83 ((

Allein, als Freundin säh ich dich

Noch lieber kalt für mich – als lächerlich.»

 

Wie du mich martern kannst, Musarion! Viel lieber

Stoß einen Dolch in dieses Herz, das du

Nicht glücklich machen willst! –

«Nichts tragisches, mein Lieber!

1110

Komm, setze dich gelassen gegen über,

Und sag' uns im Vertraun, wie viel gehört dazu,

Damit ich dich so glücklich mache

Als du verlangst?» – Mich lieben, wie ich dich! –

«So liebt mich Fanias, der noch so kürzlich mich

1115

Mit Abscheu von sich warf?» – Ist (ruft er) dieß nicht Rache?

Du weißt zu wohl, ich war nicht Ich

In jener unglücksel'gen Stunde;

Gram und Verzweiflung sprach aus meinem irren Munde;

Ich lästerte die Lieb', und fühlte nie

1120

Mein Herz so voll von ihr. Ich war zu sehr betroffen,

Zu wissen was ich sprach, und hielt für Ironie

)) 84 ((

Was du mir sagtest. Konnt' ich hoffen,

Daß was Athen von mir, mich von Athen verbannt,

Dein Herz allein mir plötzlich zugewandt?

1125

Erwäge dieß, und kannst du nicht vergeben

Was ich mir selbst zwar nicht vergeben kann,

So blicke mich noch einmahl an,

Und nimm mit diesem Blick mir ein verhaßtes Leben.

Ob ich dich liebe? ach! –

 

«Nun, bey Dianen! Freund,

1130

Die Liebe macht bey dir sehr klägliche Geberden:

Sie spricht so weinerlich, daß mir's unmöglich scheint

In diesen Ton jemahls gestimmt zu werden.

Die hohe Schwärmerey taugt meiner Seele nicht,

So wenig als Theofrons Augenweide:

1135

Mein Element ist heitre sanfte Freude,

Und alles zeigt sich mir in rosenfarbnem Licht.

Ich liebe dich mit diesem sanften Triebe,

Der, Zefyrn gleich, das Herz in leichte Wellen setzt,

Nie Stürm' erregt, nie peinigt, stets ergetzt:

1140

Wie ich die Grazien, wie ich die Musen liebe,

)) 85 ((

So lieb' ich dich. Wenn dieß dich glücklich machen kann,

So fängt dein Glück mit diesem Morgen an,

Und wird sich nur mit meinem Leben enden.»

 

Welch einen Strahl von unverhofftem Licht

1145

Läßt dieses Wort in seine Seele fallen!

Er glaubte seinem Ohr den süßen Wechsel nicht;

Allein, er sieht das Glück, das ihm ihr Mund verspricht,

In ihren schönen Augen wallen.

Vor Wonne sprachlos sinkt sein Mund auf ihre Hand;

1150

Wie küßt er sie! Sein inniges Entzücken

Entwaffnet ihren Widerstand;

Sie gönnet ihm und sich die Lust ihn zu beglücken,

Die Lust die so viel Reitz für schöne Seelen hat;

Selbst da er sich vergißt, bestraft sie ihn so matt,

1155

Daß er es wagt, den Mund an ihre Brust zu drücken.

 

Die Nacht, die Einsamkeit, der Mondschein, die Magie

Verliebter Schwärmerey, ihr eignes Herz, dem sie

)) 86 ((

Nur lässig widersteht, wie vieles kommt zusammen,

Das leichte Blut der Schönen zu entflammen!

1160

Allein Musarion war ihrer selbst gewiß:

Und als er sich durch das was sie erlaubte,

Nach Art der Liebenden, zu mehr berechtigt glaubte,

Wie stutzt' er, da sie sich aus seinen Armen riß!

 

Daß eine Fyllis sich erkläret

1165

Sie wolle nicht, daß sie mit – leiser Stimme schreyt,

Und, wenn nichts helfen will, euch – lächelnd dräut,

Und sich, so lang' es hilft, mit stumpfen Nägeln wehret, 1)

Ist nichts befremdliches. Ein Satyr kaum verzeiht

Den Nymfen, die er hascht, zu viele Willigkeit.

1170

Sie sträuben sich: gut, dieß ist in der Regel;

Und so verstand es auch der schlaue Fanias.

Er irrte sich, es war nicht das!

Sie scherzte nicht, und wies ihm keine Nägel.

 

Nach mehr als Einem fehl geschlagenen Versuch

1175

Fängt unser Held sehr kläglich an zu krähen.

)) 87 ((

Und in der That, wer hätte sichs versehen?

Man treibt in einem Ritterbuch

Die Tugend kaum so weit! – Doch will er nicht gestehen,

Daß dieß Betragen Tugend sey:

1180

Er nennt es Eigensinn und Grillenfängerey;

Er schilt sie spröd, unzärtlich, unempfindlich.

Die Schöne, die gesteht daß sie uns günstig sey,

Macht, seiner Meinung nach, sich zum Beweis verbindlich

 

Und ich, mein Herr, (versetzt sie) die so viel

1185

Beweisen soll, bin ich, nach eurer Sittenlehre

Nicht auch befugt daß ich Beweis begehre?

Und wie, wenn eure Gluth ein bloßes Sinnenspiel,

Ein flüchtiger Geschmack, ein kleines Fieber wäre?

Wenn Fanias mich liebt, so räumt er, hoff' ich, ein,

1190

Daß ich, eh' ich mich selbst verschenke,

Auf meine Sicherheit vorher ein wenig denke.

Bey Leuten von so warmem Blut

Ist diese Vorsicht wohl nicht allzu weit getrieben.

Verzeihe, wenn sie dir ein wenig Unrecht thut;

1195

Allein du selber willst daß wir im Ernst uns lieben!

)) 88 ((

Sonst tändelt ich mit Amors Pfeilen nur:

Jetzt, da er mich erhascht, ist's nicht mehr Zeit zum Lachen;

Es ist darum zu thun daß wir uns glücklich machen,

Und nur vereinigt kann dieß Weisheit und Natur.

 

1200

Unwiderstehlich, sagt man, sey

Der Weisheit Reitz aus einem schönen Munde.

Wir geben's zu, so fern euch nicht dabey

Aus einem Nachtgewand mit Nelkenfarbnem Grunde

Ein Busen reitzt, der, jugendlich gebläht,

1205

Die Augen blendt und niemahls stille steht;

Ein Busen, den die Göttin von Cythere,

Wenn eine Göttin nicht zum Neid zu vornehm wäre,

Beneiden könnt'. In diesem Falle fand

Sich, leider! unser Held, von zwey verschiednen Kräften

1210

Gezogen. Mußt er auch so starr und unverwandt

Auf die Gefahr ein lüstern Auge heften?

Natürlich muß der stärkre Sinn

Des schwächern Eindruck bald verdringen;

Und was die Freundin spricht, ihn zu sich selbst zu bringen,

)) 89 ((

Schwebt ungefühlt an seinen Ohren hin.

Was Amor nur vermag um Spröden zu bezwingen,

Was, wie man sagt, schon Drachen zahm gemacht,

Die Künste, die Ovid in ein System gebracht,

Die feinsten Wendungen, die unsichtbarsten Schlingen

1220

Versucht er gegen sie, und keine will gelingen.

 

Ergieb dich (spricht zuletzt die schöne Siegerin)

Mit guter Art! Du siehst, wie nachsichtsvoll ich bin

So vielen Übermuth zu tragen:

Mehr Eigensinn, erlaube mir's zu sagen,

1225

Beleidigt meine Zärtlichkeit,

Und dient zu nichts, als deine Prüfungszeit

Mehr, als ich selbst vielleicht es wünsche, zu verlängern.

Genug von diesem! Schwatzen wir,

Wenn dir's gefällt, von unsern Grillenfängern.

1230

Ich weiß nicht wie der Einfall mir

Zu Kopfe steigt – allein, ich wollte schwören,

Daß diesen Augenblick – was meinst du, Fanias? –

Mein Mädchen – rathe doch! – und dein Pythagoras –

 

)) 90 ((

Wie? etwa gar die Sfären singen hören?

1235

(Versetzt mit Lachen Fanias)

Das hieße mir ein Abenteuer!

Und doch, wer weiß? Ich merkte selbst so was:

Es wallte, däuchte mich, ein ziemlich irdisch Feuer

In seinem Aug', als Chloens lose Hand

1240

Den Blumenkranz um seine Stirne wand.

Wie viel, Musarion, hab' ich dir nicht zu danken!

Was für ein Thor ich war, Gesellen dieser Art,

An denen nichts als Mantel, Stab und Bart

Sokratisch ist, (wie haß' ich den Gedanken!)

1245

Ein Paar, das nur in einem Possenspiel

Bey rohen Satyrn und Bacchanten

Zu glänzen würdig ist, für Weise, für Verwandten

Der Götter anzusehn! –

 

Du thust dir selbst zu viel,

(Fällt ihm die Freundin ein) und, wie mich däucht, auch ihnen,

1250

Kein Übermaß, mein Freund, ich bitte sehr!

Du schätztest sie vordem vermuthlich mehr,

Jetzt weniger, als sie vielleicht verdienen.

 

)) 91 ((

Was hör' ich! (ruft er) spricht Musarion für sie?

Du scherzest! Hätt'st du auch (was du gewißlich nie

1255

Gethan hast) dieß Gezücht so hoch als ich gehalten,

So müßte dir, nach dem was wir gesehn,

Der günst'ge Wahn so gut als mir vergehn.

Wie? dieser Stoiker, der nur die Tugend schön

Und gut erkennt, entlarvt in einen alten

1260

Bezechten Faun! – Theofron, der vom Glück

Der Geister singt, indeß sein unbescheid'ner Blick

In Chloens Busen wühlt – Was braucht es mehr Beweise?

 

«Daß sie sehr menschlich sind, (fällt ihm die Freundin ein)

Und in der That nicht ganz so weise

1265

Als ihr System, das zeigt der Augenschein. –

Und dennoch ist nichts mächtiger, um Seelen

Zu starken Tugenden zu bilden, unsern Muth

Zu dieser Festigkeit zu stählen,

Die großen Übeln trotzt und große Thaten thut,

)) 92 ((

Als eben dieser Satz, für welchen dein Kleanth

Zum Märtyrer sich trank. Die alten Herakliden,

Die Männer, die ihr Vaterland

Mehr als sich selbst geliebt, die Aristiden,

Die Focion und die Leonidas,

1275

Ruhmvolle Nahmen!» – Gut! (ruft unser Mann) und waren

Sie etwann Stoiker? – «Sie waren, Fanias,

Noch etwas mehr! Sie haben das erfahren

Was Zeno spekuliert; sie haben es gethan!

Warum hat Herkules Altäre?

1280

Den Weg, den Prodikus nicht gehn, nur mahlen kann,

Den ging der Held» –

 

– Und wem gebührt davon die Ehre,

Als der Natur, die ihn, und wer ihm gleicht, gebar

Und auferzog, eh' eine Stoa war?

Ein Held wird nicht geformt, er wird geboren.

 

1285

«Indessen hat, weil ihr der erste Preis gebührt,

Doch Plato nicht sein Recht an Focion verloren. 2)

)) 93 ((

Was die Natur entwirft, wird von der Kunst vollführt.

Die Blume, die im Feld sich unvermerkt verliert,

Erzieht des Gärtners Fleiß zum schönsten Kind der Floren.»

 

1290

Gesetzt, spricht Fanias, daß dieses richtig sey,

So ist doch, was von Zahlen und Ideen

Und Dingen, die kein Aug' gehört, kein Ohr gesehen,

Theofron schwatzt, handgreiflich Träumerey !

 

«Und mit den nehmlichen Ideen

1295

War doch Archytas einst ein wirklich großer Mann!

Auch Seelen dieser Art erzeuget dann und wann

(Zwar sparsam) die Natur. Man wird zum Geisterseher

Geboren, wie zum Feldherrn Xenofon, 3)

Wie Zeuxis zum Palett, und Filipps Sohn zum Thron.

1300

Und in der That, was hebt die Seele höher,

Was nährt die Tugend mehr, erweitert und verfeint

Des Herzens Triebe so, als glänzende Gedanken

)) 94 ((

Von unsers Daseyns Zweck? – das Weltall ohne Schranken,

Unendlich Raum und Zeit, die Sonne die uns scheint

1305

Ein Funke nur von einer höhern Sonne,

Unsterblich unser Geist, Unsterblichen befreundt,

Und, ahmt er Göttern nach, bestimmt zu Götterwonne!»

 

Bey allen Grazien! (ruft lachend Fanias)

Du wirst noch mit der Zeit die Sfären singen hören!

1310

Vor wenig Stunden gab dieß Galimathias

Dir Stoff zum Spott –

 

«Der Mann, nicht seine Lehren;

Das Wahre nicht, obgleich (nach aller Schwärmer Art)

Sein glühendes Gehirn es mit Schimären paart.

Nur diese trifft der Spott. – Doch stille! wir versteigen

1315

Uns allzu hoch. Ich wollte dir nur zeigen,

Daß dich dein Vorurtheil für dieses weise Paar

Nicht schamroth machen soll. Nichts war

Natürlicher in deiner schlimmen Lage.

Der Knospe gleich am kalten Märzentage

)) 95 ((

Schrumpft, wenn des Glückes Sonnenschein

Sich ihr entzieht, die Seel' in sich hinein.

Entfiedert, nackt, von allem ausgeleeret

Was sie für wesentlich zu ihrem Wohlseyn hielt,

Was Wunder, wenn sich ihr ein Lehrbegriff empfiehlt,

1325

Der sie die Kunst es zu entbehren lehret?

Der ihr beweist, was nicht zu ihr gehöret,

Was sie verlieren kann, sey keinen Seufzer werth;

Ja, ihren Unmuth zu betrügen,

Aus der Entbehrung selbst ein künstliches Vergnügen

1330

Ihr, statt des wahren, schafft? – Was ist so angenehm

Für den gekränkten Stolz, als ein System,

Das uns gewöhnt für Puppenwerk zu achten

Was aufgehört für uns ein Gut zu seyn?

Was, meinst du, bildete der Mann im Faß sich ein,

1335

Der, groß genug Monarchen zu verachten,

Von Filipps Sohn nichts bat, als freyen Sonnenschein?

Noch mehr willkommen muß, im Falle den wir setzen,

Die Schwärmerey des Platonisten seyn,

)) 96 ((

Der das Geheimniß hat, die Freuden zu ersetzen

1340

Die Zeno nur entbehren lehrt;

Der, statt des thierischen verächtlichen Ergetzen

Der Sinne, uns mit Götterspeise nährt.

Wir sehn mit ihm aus leicht erstiegnen Höhen

Auf diesen Erdenball als einen Punkt herab;

1345

Ein Schlag mit seinem Zauberstab

Heißt Welten um uns her bey Tausenden entstehen;

Sind's gleich nur Welten aus Ideen,

So baut man sie so herrlich als man will;

Und steht einmahl das Rad der äußern Sinne still,

1350

Wer sagt uns, daß wir nicht im Traume wirklich sehen?

Ein Traum der uns zum Gast der Götter macht –»

Hat seinen Werth – zumahl in einer Winternacht,

Ruft Fanias: allein auch aus den schönsten Träumen

Ist doch zuletzt Endymion erwacht!

1355

Wozu, Musarion, aus Eigensinn versäumen

Was wachend uns zu Göttern macht?

 

)) 97 ((

An Antworts Statt reicht sie, zum stillen Pfand

Der Sympathie, ihm ihre schöne Hand.

Er drückt mit schüchternem Entzücken

1360

Sie an sein schwellend Herz, und sucht in ihren Blicken

Ob sie sein Klopfen fühlt. Ein sanftes Wiederdrücken

Beweist es ihm. Mit manchem süßen Ach,

Das ihr im Busen zu ersticken

Unmöglich ist, bekämpft sie allzu schwach

1365

Die Macht des süßesten der Triebe

Und kämpfend noch bekennt ihr Herz den Sieg der Liebe.

 

Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.

Mit jedem neuen fühlt sich unser Paar beglückter

Indem sich jedes selbst im andern glücklich macht.

1370

Durch überstandne Noth geschickter

Zum weiseren Gebrauch, zum reitzendern Genuß

Des Glückes, das sich ihm so unverhofft versöhnte,

Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluß,

Glückselig, weil er's war, nicht weil die Welt es wähnte,

1375

Bringt Fanias in neidenswerther Ruh

)) 98 ((

Ein unbeneidet Leben zu;

In Freuden, die der unverfälschte Stempel

Der Unschuld und Natur zu echten Freuden prägt.

Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt,

1380

Trifft seine Hütte nicht – den Tempel

Der Grazien, seitdem Musarion sie ziert.

Bescheid'ne Kunst, durch ihren Witz geleitet,

Giebt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,

Den stillen Reitz, der ohne Schimmer rührt.

1385

Ein Garten, den mit Zefyrn und mit Floren

Pomona sich zum Aufenthalt erkohren;

Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,

Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet;

Ein kleiner Bach von Ulmen überschattet,

1390

An dem der Mittagsschlaf ihn ungesucht beschleicht;

Im Garten eine Sommerlaube,

Wo, zu der Freundin Kuß, der Saft der Purpurtraube,

Den Thassos schickt, ihm wahrer Nektar däucht;

Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht, 4)

1395

Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,

Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne,

)) 99 ((

Wie vieles macht ihn reich! Denkt noch Musarion

Hinzu, und sagt, was kann zum frohen Leben

Der Götter Gunst ihm mehr und bessers geben?

1400

Die Weisheit nur, den ganzen Werth davon

Zu fühlen, immer ihn zu fühlen,

Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen!

Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor war

Kein Cyniker mit ungekämmtem Haar,

1405

Kein runzliger Kleanth, der, wenn die Flasche blinkt,

Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt:

Die Liebe war's. – Wer lehrt so gut wie sie?

Auch lernt' er gern, und schnell, und sonder Müh,

Die reitzende Filosofie,

1410

Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,

Vergnügt genießt, und gern den Rest entbehrt;

Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite

Betrachtet, dem Geschick sich unterwürfig macht,

Nicht wissen will was alles das bedeute,

1415

Was Zevs aus Huld in räthselhafte Nacht

Vor uns verbarg, und auf die guten Leute

Der Unterwelt, so sehr sie Thoren sind,

Nie böse wird, nur lächerlich sie findt

)) 100 ((

Und sich dazu, sie drum nicht minder liebet,

1420

Den Irrenden bedau'rt, und nur den Gleißner flieht;

Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,

Doch, ohne Sold und aus Geschmack, sie übet;

Und, glücklich oder nicht, die Welt

Für kein Elysium, für keine Hölle hält,

1425

Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter

Von seinem Thron – im sechsten Stockwerk sieht,

So lustig nie als jugendliche Dichter

Sie mahlen, wenn ihr Hirn von Wein und Fyllis glüht.

 

So war, so dacht' und lebte Fanias,

1430

Und weil er war – wornach wir andern streben,

So that er wohl, zu seyn, zu denken und zu leben,

So wie er that. – «Das mag er denn! – Und was

Ward aus dem Manne, der so gerne – Sfären maß?»

Gut, daß ihr fragt, den hätt' ich rein vergessen –

1435

Er ward in einer einzgen Nacht

Zum γνῶθι σεαυτόν in Chloens Arm gebracht; 5)

Er fand er sey nicht klug, und lernte Bohnen essen.

)) 101 ((

«Und Herr Kleanth?» – Der kroch, so bald die Mittagssonne

Ihm aufgeweckt, ganz leise auf den Zehn

1440

Aus seinem Stall – vielleicht in eine Tonne;

Kurz, er verschwand, und ward nicht mehr gesehn.

 

 

 

)) 102 ((

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Anmerkungen.

 

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1)       Und sich – mit stumpfen Nägeln wehret –

Anspielung auf das Horazische «praelia virginum sectis in juvenes unguibus acrium», in der sechsten Ode des ersten Buchs. 

2)       Hat Plato nicht sein Recht an Focion verloren.

Daß dieser unter den Feldherren und Staatsmännern so seltene Mann in seiner ersten Jugend noch den Plato und dessen ersten Nachfolger den Xenokrates gehört, und in ihrer Schule die Maximen eingesogen habe, deren Ausübung ihn sein ganzes Leben durch und bis zu seinem Sokratischen Tode zum tugendhaftesten Manne seiner Zeit machte, bezeugt Plutarch in seiner Lebensbeschreibung. 

3)       Wie zum Feldherrn Xenofon

In den vorigen Ausgaben lautete diese Stelle so:

– Man wird zum Geisterseher

Geboren wie zum Held, wie zum Anakreon.

)) 103 (( Da das Wort Held kein Indeclinabile ist, und in allen seinen Biegefällen Helden lautet, so mußte es, nicht zum Held, sondern zum Helden, heißen. Weil dieß aber nicht in den Vers passen wollte, so mußte der Held hier ein Opfer der Sprachrichtigkeit werden, und auch Anakreon, wiewohl unschuldig, konnte seinen Platz nicht behalten. Die neue Lesart, wodurch dem Sprachfehler abgeholfen worden ist, hat außerdem, daß der Gedanke an Wahrheit nichts dadurch verliert, noch den Vorzug, sich mit dem folgenden Verse richtiger zu verbinden. – Daß man von Xenofon vorzüglich sagen könne, er sey zum Feldherrn geboren gewesen, scheint sich hinlänglich dadurch erwiesen zu haben, daß er, als er nach dem Tode des jüngern Cyrus aus einem bloßen Freywilligen, der die Dienste eines gemeinen Soldaten verrichtete, auf einmahl zum Rang eines Feldherrn stieg, auch die Talente eines Feldherren in einem Grade zeigte, der ihm bis auf diesen Tag einen Platz unter den Meistern der Kriegskunst erhalten hat. 

4)        Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht –

Vermuthlich hatte der Dichter die Stelle im sechsten der Horazischen Sermonen (des zweyten Buchs) im Sinne:

Cervius haec inter vicinus garrit aniles

Ex re fabellas, u. s. w.

)) 104 (( wo Horaz den alten Nachbar Cervius die berühmte Fabel von der Feldmaus und Stadtmaus in einem so unnachahmlich gutlaunigen und verständigen Ton erzählen läßt, daß man nicht umhin kann, den Dichter eben so sehr wegen seines Nachbars Cervius als wegen seines Sabinums, und des frohen Lebensgenusses, den es ihm gewährte, glücklich zu preisen. 

5)        Zum γνῶθι σεαυτόν d. i. zur Selbsterkenntniß; welche diese zwey über die Pforte des Tempels zu Delfi geschriebenen Worte empfahlen, als den besten Rath, den der Delfische Gott allen Sterblichen, die sich bey ihm Rathes erhohlten, ertheilen konnte.