Christoph Martin Wieland
1733 - 1813
Musarion oder die Philosophie der Grazien
1768
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)) 79 (( |
Musarion.
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Drittes Buch.
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)) 81 (( | Die Schöne lag auf ihrem Ruhebette,Und hatte (fern, vermuthlich, vom Verdacht |
1075 | Daß sie bey Fanias sich vorzusehen hätte,)Ihr Mädchen fortgeschickt. Es war nach Mitternacht;Ein leicht Gewölke brach des Mondes Silberschimmer,Und alles schlief: als plötzlich, wie ihr däucht,Den Gang herauf zu ihrem kleinen Zimmer |
1080 | Mit leisem Tritt – ich weiß nicht was sich schleicht.
Sie stutzt. Was kann es seyn? Ein Geist? nach seinen Tritten –Besuch von einem Geist! den wollt' ich sehr verbitten,Denkt sie. Indem eröffnet sich die Thür,Und eh' sie's ausgedacht, steht – Fanias vor ihr.
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1085 | «Vergieb, Musarion, vergieb, (so fing der BlödeZu stottern an) die Zeit ist unbequem – |
)) 82 (( | Allein» – «Wozu», fiel ihm die Freundin in die Rede,Wozu ein Vorbericht? Wenn war ich eine Spröde?Ein Freund ist auch zur Unzeit angenehm: |
1090 | Er hat uns immer was, das uns gefällt, zu sagen.» –
Dein Ton (erwiedert er) beweist,Wie wenig dieser Schein von Güte meinen KlagenMitleidiges Gefühl verheißt.Du siehst mein Innerstes, und kannst mich lächelnd plagen? |
1095 | Siehst, daß ein Augenblick mir hundert Jahre scheint,Und findest noch ein grausames BehagenAn meiner Qual? Du treibst mich zum Verzagen,Kaltsinnige, und nennst mich deinen Freund?Wie grausam rächst du dich! –
«Ich? – fällt sie ein, mich rächen? |
1100 | Träumt Fanias? – Er liebte mich vordem;Er hörte wieder auf! War dieses ein Verbrechen?War's jenes? Mir, mein Freund, war beides angenehm.Wir Mädchen sehn doch immer mit VergnügenDie Weisheit eines Manns zu unsern Füßen liegen. |
)) 83 (( | Allein, als Freundin säh ich dichNoch lieber kalt für mich – als lächerlich.»
Wie du mich martern kannst, Musarion! Viel lieberStoß einen Dolch in dieses Herz, das duNicht glücklich machen willst! –«Nichts tragisches, mein Lieber! |
1110 | Komm, setze dich gelassen gegen über,Und sag' uns im Vertraun, wie viel gehört dazu,Damit ich dich so glücklich macheAls du verlangst?» – Mich lieben, wie ich dich! –«So liebt mich Fanias, der noch so kürzlich mich |
1115 | Mit Abscheu von sich warf?» – Ist (ruft er) dieß nicht Rache?Du weißt zu wohl, ich war nicht IchIn jener unglücksel'gen Stunde;Gram und Verzweiflung sprach aus meinem irren Munde;Ich lästerte die Lieb', und fühlte nie |
1120 | Mein Herz so voll von ihr. Ich war zu sehr betroffen,Zu wissen was ich sprach, und hielt für Ironie |
)) 84 (( | Was du mir sagtest. Konnt' ich hoffen,Daß was Athen von mir, mich von Athen verbannt,Dein Herz allein mir plötzlich zugewandt? |
1125 | Erwäge dieß, und kannst du nicht vergebenWas ich mir selbst zwar nicht vergeben kann,So blicke mich noch einmahl an,Und nimm mit diesem Blick mir ein verhaßtes Leben.Ob ich dich liebe? ach! –
«Nun, bey Dianen! Freund, |
1130 | Die Liebe macht bey dir sehr klägliche Geberden:Sie spricht so weinerlich, daß mir's unmöglich scheintIn diesen Ton jemahls gestimmt zu werden.Die hohe Schwärmerey taugt meiner Seele nicht,So wenig als Theofrons Augenweide: |
1135 | Mein Element ist heitre sanfte Freude,Und alles zeigt sich mir in rosenfarbnem Licht.Ich liebe dich mit diesem sanften Triebe,Der, Zefyrn gleich, das Herz in leichte Wellen setzt,Nie Stürm' erregt, nie peinigt, stets ergetzt: |
1140 | Wie ich die Grazien, wie ich die Musen liebe, |
)) 85 (( | So lieb' ich dich. Wenn dieß dich glücklich machen kann,So fängt dein Glück mit diesem Morgen an,Und wird sich nur mit meinem Leben enden.»
Welch einen Strahl von unverhofftem Licht |
1145 | Läßt dieses Wort in seine Seele fallen!Er glaubte seinem Ohr den süßen Wechsel nicht;Allein, er sieht das Glück, das ihm ihr Mund verspricht,In ihren schönen Augen wallen.Vor Wonne sprachlos sinkt sein Mund auf ihre Hand; |
1150 | Wie küßt er sie! Sein inniges EntzückenEntwaffnet ihren Widerstand;Sie gönnet ihm und sich die Lust ihn zu beglücken,Die Lust die so viel Reitz für schöne Seelen hat;Selbst da er sich vergißt, bestraft sie ihn so matt, |
1155 | Daß er es wagt, den Mund an ihre Brust zu drücken.
Die Nacht, die Einsamkeit, der Mondschein, die MagieVerliebter Schwärmerey, ihr eignes Herz, dem sie |
)) 86 (( | Nur lässig widersteht, wie vieles kommt zusammen,Das leichte Blut der Schönen zu entflammen! |
1160 | Allein Musarion war ihrer selbst gewiß:Und als er sich durch das was sie erlaubte,Nach Art der Liebenden, zu mehr berechtigt glaubte,Wie stutzt' er, da sie sich aus seinen Armen riß!
Daß eine Fyllis sich erkläret |
1165 | Sie wolle nicht, daß sie mit – leiser Stimme schreyt,Und, wenn nichts helfen will, euch – lächelnd dräut,Und sich, so lang' es hilft, mit stumpfen Nägeln wehret, 1)Ist nichts befremdliches. Ein Satyr kaum verzeihtDen Nymfen, die er hascht, zu viele Willigkeit. |
1170 | Sie sträuben sich: gut, dieß ist in der Regel;Und so verstand es auch der schlaue Fanias.Er irrte sich, es war nicht das!Sie scherzte nicht, und wies ihm keine Nägel.
Nach mehr als Einem fehl geschlagenen Versuch |
1175 | Fängt unser Held sehr kläglich an zu krähen. |
)) 87 (( | Und in der That, wer hätte sichs versehen?Man treibt in einem RitterbuchDie Tugend kaum so weit! – Doch will er nicht gestehen,Daß dieß Betragen Tugend sey: |
1180 | Er nennt es Eigensinn und Grillenfängerey;Er schilt sie spröd, unzärtlich, unempfindlich.Die Schöne, die gesteht daß sie uns günstig sey,Macht, seiner Meinung nach, sich zum Beweis verbindlich
Und ich, mein Herr, (versetzt sie) die so viel |
1185 | Beweisen soll, bin ich, nach eurer SittenlehreNicht auch befugt daß ich Beweis begehre?Und wie, wenn eure Gluth ein bloßes Sinnenspiel,Ein flüchtiger Geschmack, ein kleines Fieber wäre?Wenn Fanias mich liebt, so räumt er, hoff' ich, ein, |
1190 | Daß ich, eh' ich mich selbst verschenke,Auf meine Sicherheit vorher ein wenig denke.Bey Leuten von so warmem BlutIst diese Vorsicht wohl nicht allzu weit getrieben.Verzeihe, wenn sie dir ein wenig Unrecht thut; |
1195 | Allein du selber willst daß wir im Ernst uns lieben! |
)) 88 (( | Sonst tändelt ich mit Amors Pfeilen nur:Jetzt, da er mich erhascht, ist's nicht mehr Zeit zum Lachen;Es ist darum zu thun daß wir uns glücklich machen,Und nur vereinigt kann dieß Weisheit und Natur.
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1200 | Unwiderstehlich, sagt man, seyDer Weisheit Reitz aus einem schönen Munde.Wir geben's zu, so fern euch nicht dabeyAus einem Nachtgewand mit Nelkenfarbnem GrundeEin Busen reitzt, der, jugendlich gebläht, |
1205 | Die Augen blendt und niemahls stille steht;Ein Busen, den die Göttin von Cythere,Wenn eine Göttin nicht zum Neid zu vornehm wäre,Beneiden könnt'. In diesem Falle fandSich, leider! unser Held, von zwey verschiednen Kräften |
1210 | Gezogen. Mußt er auch so starr und unverwandtAuf die Gefahr ein lüstern Auge heften?Natürlich muß der stärkre SinnDes schwächern Eindruck bald verdringen;Und was die Freundin spricht, ihn zu sich selbst zu bringen, |
)) 89 (( | Schwebt ungefühlt an seinen Ohren hin.Was Amor nur vermag um Spröden zu bezwingen,Was, wie man sagt, schon Drachen zahm gemacht,Die Künste, die Ovid in ein System gebracht,Die feinsten Wendungen, die unsichtbarsten Schlingen |
1220 | Versucht er gegen sie, und keine will gelingen.
Ergieb dich (spricht zuletzt die schöne Siegerin)Mit guter Art! Du siehst, wie nachsichtsvoll ich binSo vielen Übermuth zu tragen:Mehr Eigensinn, erlaube mir's zu sagen, |
1225 | Beleidigt meine Zärtlichkeit,Und dient zu nichts, als deine PrüfungszeitMehr, als ich selbst vielleicht es wünsche, zu verlängern.Genug von diesem! Schwatzen wir,Wenn dir's gefällt, von unsern Grillenfängern. |
1230 | Ich weiß nicht wie der Einfall mirZu Kopfe steigt – allein, ich wollte schwören,Daß diesen Augenblick – was meinst du, Fanias? –Mein Mädchen – rathe doch! – und dein Pythagoras –
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)) 90 (( | Wie? etwa gar die Sfären singen hören? |
1235 | (Versetzt mit Lachen Fanias)Das hieße mir ein Abenteuer!Und doch, wer weiß? Ich merkte selbst so was:Es wallte, däuchte mich, ein ziemlich irdisch FeuerIn seinem Aug', als Chloens lose Hand |
1240 | Den Blumenkranz um seine Stirne wand.Wie viel, Musarion, hab' ich dir nicht zu danken!Was für ein Thor ich war, Gesellen dieser Art,An denen nichts als Mantel, Stab und BartSokratisch ist, (wie haß' ich den Gedanken!) |
1245 | Ein Paar, das nur in einem PossenspielBey rohen Satyrn und BacchantenZu glänzen würdig ist, für Weise, für VerwandtenDer Götter anzusehn! –
Du thust dir selbst zu viel,(Fällt ihm die Freundin ein) und, wie mich däucht, auch ihnen, |
1250 | Kein Übermaß, mein Freund, ich bitte sehr!Du schätztest sie vordem vermuthlich mehr,Jetzt weniger, als sie vielleicht verdienen.
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)) 91 (( | Was hör' ich! (ruft er) spricht Musarion für sie?Du scherzest! Hätt'st du auch (was du gewißlich nie |
1255 | Gethan hast) dieß Gezücht so hoch als ich gehalten,So müßte dir, nach dem was wir gesehn,Der günst'ge Wahn so gut als mir vergehn.Wie? dieser Stoiker, der nur die Tugend schönUnd gut erkennt, entlarvt in einen alten |
1260 | Bezechten Faun! – Theofron, der vom GlückDer Geister singt, indeß sein unbescheid'ner BlickIn Chloens Busen wühlt – Was braucht es mehr Beweise?
«Daß sie sehr menschlich sind, (fällt ihm die Freundin ein)Und in der That nicht ganz so weise |
1265 | Als ihr System, das zeigt der Augenschein. –Und dennoch ist nichts mächtiger, um SeelenZu starken Tugenden zu bilden, unsern MuthZu dieser Festigkeit zu stählen,Die großen Übeln trotzt und große Thaten thut, |
)) 92 (( | Als eben dieser Satz, für welchen dein KleanthZum Märtyrer sich trank. Die alten Herakliden,Die Männer, die ihr VaterlandMehr als sich selbst geliebt, die Aristiden,Die Focion und die Leonidas, |
1275 | Ruhmvolle Nahmen!» – Gut! (ruft unser Mann) und warenSie etwann Stoiker? – «Sie waren, Fanias,Noch etwas mehr! Sie haben das erfahrenWas Zeno spekuliert; sie haben es gethan!Warum hat Herkules Altäre? |
1280 | Den Weg, den Prodikus nicht gehn, nur mahlen kann,Den ging der Held» –
– Und wem gebührt davon die Ehre,Als der Natur, die ihn, und wer ihm gleicht, gebarUnd auferzog, eh' eine Stoa war?Ein Held wird nicht geformt, er wird geboren.
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1285 | «Indessen hat, weil ihr der erste Preis gebührt,Doch Plato nicht sein Recht an Focion verloren. 2) |
)) 93 (( | Was die Natur entwirft, wird von der Kunst vollführt.Die Blume, die im Feld sich unvermerkt verliert,Erzieht des Gärtners Fleiß zum schönsten Kind der Floren.»
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1290 | Gesetzt, spricht Fanias, daß dieses richtig sey,So ist doch, was von Zahlen und IdeenUnd Dingen, die kein Aug' gehört, kein Ohr gesehen,Theofron schwatzt, handgreiflich Träumerey !
«Und mit den nehmlichen Ideen |
1295 | War doch Archytas einst ein wirklich großer Mann!Auch Seelen dieser Art erzeuget dann und wann(Zwar sparsam) die Natur. Man wird zum GeisterseherGeboren, wie zum Feldherrn Xenofon, 3)Wie Zeuxis zum Palett, und Filipps Sohn zum Thron. |
1300 | Und in der That, was hebt die Seele höher,Was nährt die Tugend mehr, erweitert und verfeintDes Herzens Triebe so, als glänzende Gedanken |
)) 94 (( | Von unsers Daseyns Zweck? – das Weltall ohne Schranken,Unendlich Raum und Zeit, die Sonne die uns scheint |
1305 | Ein Funke nur von einer höhern Sonne,Unsterblich unser Geist, Unsterblichen befreundt,Und, ahmt er Göttern nach, bestimmt zu Götterwonne!»
Bey allen Grazien! (ruft lachend Fanias)Du wirst noch mit der Zeit die Sfären singen hören! |
1310 | Vor wenig Stunden gab dieß GalimathiasDir Stoff zum Spott –
«Der Mann, nicht seine Lehren;Das Wahre nicht, obgleich (nach aller Schwärmer Art)Sein glühendes Gehirn es mit Schimären paart.Nur diese trifft der Spott. – Doch stille! wir versteigen |
1315 | Uns allzu hoch. Ich wollte dir nur zeigen,Daß dich dein Vorurtheil für dieses weise PaarNicht schamroth machen soll. Nichts warNatürlicher in deiner schlimmen Lage.Der Knospe gleich am kalten Märzentage |
)) 95 (( | Schrumpft, wenn des Glückes SonnenscheinSich ihr entzieht, die Seel' in sich hinein.Entfiedert, nackt, von allem ausgeleeretWas sie für wesentlich zu ihrem Wohlseyn hielt,Was Wunder, wenn sich ihr ein Lehrbegriff empfiehlt, |
1325 | Der sie die Kunst es zu entbehren lehret?Der ihr beweist, was nicht zu ihr gehöret,Was sie verlieren kann, sey keinen Seufzer werth;Ja, ihren Unmuth zu betrügen,Aus der Entbehrung selbst ein künstliches Vergnügen |
1330 | Ihr, statt des wahren, schafft? – Was ist so angenehmFür den gekränkten Stolz, als ein System,Das uns gewöhnt für Puppenwerk zu achtenWas aufgehört für uns ein Gut zu seyn?Was, meinst du, bildete der Mann im Faß sich ein, |
1335 | Der, groß genug Monarchen zu verachten,Von Filipps Sohn nichts bat, als freyen Sonnenschein?Noch mehr willkommen muß, im Falle den wir setzen,Die Schwärmerey des Platonisten seyn, |
)) 96 (( | Der das Geheimniß hat, die Freuden zu ersetzen |
1340 | Die Zeno nur entbehren lehrt;Der, statt des thierischen verächtlichen ErgetzenDer Sinne, uns mit Götterspeise nährt.Wir sehn mit ihm aus leicht erstiegnen HöhenAuf diesen Erdenball als einen Punkt herab; |
1345 | Ein Schlag mit seinem ZauberstabHeißt Welten um uns her bey Tausenden entstehen;Sind's gleich nur Welten aus Ideen,So baut man sie so herrlich als man will;Und steht einmahl das Rad der äußern Sinne still, |
1350 | Wer sagt uns, daß wir nicht im Traume wirklich sehen?Ein Traum der uns zum Gast der Götter macht –»Hat seinen Werth – zumahl in einer Winternacht,Ruft Fanias: allein auch aus den schönsten TräumenIst doch zuletzt Endymion erwacht! |
1355 | Wozu, Musarion, aus Eigensinn versäumenWas wachend uns zu Göttern macht?
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)) 97 (( | An Antworts Statt reicht sie, zum stillen PfandDer Sympathie, ihm ihre schöne Hand.Er drückt mit schüchternem Entzücken |
1360 | Sie an sein schwellend Herz, und sucht in ihren BlickenOb sie sein Klopfen fühlt. Ein sanftes WiederdrückenBeweist es ihm. Mit manchem süßen Ach,Das ihr im Busen zu erstickenUnmöglich ist, bekämpft sie allzu schwach |
1365 | Die Macht des süßesten der TriebeUnd kämpfend noch bekennt ihr Herz den Sieg der Liebe.
Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.Mit jedem neuen fühlt sich unser Paar beglückterIndem sich jedes selbst im andern glücklich macht. |
1370 | Durch überstandne Noth geschickterZum weiseren Gebrauch, zum reitzendern GenußDes Glückes, das sich ihm so unverhofft versöhnte,Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluß,Glückselig, weil er's war, nicht weil die Welt es wähnte, |
1375 | Bringt Fanias in neidenswerther Ruh |
)) 98 (( | Ein unbeneidet Leben zu;In Freuden, die der unverfälschte StempelDer Unschuld und Natur zu echten Freuden prägt.Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt, |
1380 | Trifft seine Hütte nicht – den TempelDer Grazien, seitdem Musarion sie ziert.Bescheid'ne Kunst, durch ihren Witz geleitet,Giebt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,Den stillen Reitz, der ohne Schimmer rührt. |
1385 | Ein Garten, den mit Zefyrn und mit FlorenPomona sich zum Aufenthalt erkohren;Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet;Ein kleiner Bach von Ulmen überschattet, |
1390 | An dem der Mittagsschlaf ihn ungesucht beschleicht;Im Garten eine Sommerlaube,Wo, zu der Freundin Kuß, der Saft der Purpurtraube,Den Thassos schickt, ihm wahrer Nektar däucht;Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht, 4) |
1395 | Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne, |
)) 99 (( | Wie vieles macht ihn reich! Denkt noch MusarionHinzu, und sagt, was kann zum frohen LebenDer Götter Gunst ihm mehr und bessers geben? |
1400 | Die Weisheit nur, den ganzen Werth davonZu fühlen, immer ihn zu fühlen,Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen!Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor warKein Cyniker mit ungekämmtem Haar, |
1405 | Kein runzliger Kleanth, der, wenn die Flasche blinkt,Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt:Die Liebe war's. – Wer lehrt so gut wie sie?Auch lernt' er gern, und schnell, und sonder Müh,Die reitzende Filosofie, |
1410 | Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,Vergnügt genießt, und gern den Rest entbehrt;Die Dinge dieser Welt gern von der schönen SeiteBetrachtet, dem Geschick sich unterwürfig macht,Nicht wissen will was alles das bedeute, |
1415 | Was Zevs aus Huld in räthselhafte NachtVor uns verbarg, und auf die guten LeuteDer Unterwelt, so sehr sie Thoren sind,Nie böse wird, nur lächerlich sie findt |
)) 100 (( | Und sich dazu, sie drum nicht minder liebet, |
1420 | Den Irrenden bedau'rt, und nur den Gleißner flieht;Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,Doch, ohne Sold und aus Geschmack, sie übet;Und, glücklich oder nicht, die WeltFür kein Elysium, für keine Hölle hält, |
1425 | Nie so verderbt, als sie der SittenrichterVon seinem Thron – im sechsten Stockwerk sieht,So lustig nie als jugendliche DichterSie mahlen, wenn ihr Hirn von Wein und Fyllis glüht.
So war, so dacht' und lebte Fanias, |
1430 | Und weil er war – wornach wir andern streben,So that er wohl, zu seyn, zu denken und zu leben,So wie er that. – «Das mag er denn! – Und wasWard aus dem Manne, der so gerne – Sfären maß?»Gut, daß ihr fragt, den hätt' ich rein vergessen – |
1435 | Er ward in einer einzgen NachtZum γνῶθι σεαυτόν in Chloens Arm gebracht; 5)Er fand er sey nicht klug, und lernte Bohnen essen. |
)) 101 (( | «Und Herr Kleanth?» – Der kroch, so bald die MittagssonneIhm aufgeweckt, ganz leise auf den Zehn |
1440 | Aus seinem Stall – vielleicht in eine Tonne;Kurz, er verschwand, und ward nicht mehr gesehn.
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)) 102 (( | ――――――――Anmerkungen.
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1) Und sich – mit stumpfen Nägeln wehret – Anspielung auf das Horazische «praelia virginum sectis in juvenes unguibus acrium», in der sechsten Ode des ersten Buchs. 2) Hat Plato nicht sein Recht an Focion verloren. Daß dieser unter den Feldherren und Staatsmännern so seltene Mann in seiner ersten Jugend noch den Plato und dessen ersten Nachfolger den Xenokrates gehört, und in ihrer Schule die Maximen eingesogen habe, deren Ausübung ihn sein ganzes Leben durch und bis zu seinem Sokratischen Tode zum tugendhaftesten Manne seiner Zeit machte, bezeugt Plutarch in seiner Lebensbeschreibung. 3) Wie zum Feldherrn Xenofon In den vorigen Ausgaben lautete diese Stelle so: – Man wird zum Geisterseher Geboren wie zum Held, wie zum Anakreon. )) 103 (( Da das Wort Held kein Indeclinabile ist, und in allen seinen Biegefällen Helden lautet, so mußte es, nicht zum Held, sondern zum Helden, heißen. Weil dieß aber nicht in den Vers passen wollte, so mußte der Held hier ein Opfer der Sprachrichtigkeit werden, und auch Anakreon, wiewohl unschuldig, konnte seinen Platz nicht behalten. Die neue Lesart, wodurch dem Sprachfehler abgeholfen worden ist, hat außerdem, daß der Gedanke an Wahrheit nichts dadurch verliert, noch den Vorzug, sich mit dem folgenden Verse richtiger zu verbinden. – Daß man von Xenofon vorzüglich sagen könne, er sey zum Feldherrn geboren gewesen, scheint sich hinlänglich dadurch erwiesen zu haben, daß er, als er nach dem Tode des jüngern Cyrus aus einem bloßen Freywilligen, der die Dienste eines gemeinen Soldaten verrichtete, auf einmahl zum Rang eines Feldherrn stieg, auch die Talente eines Feldherren in einem Grade zeigte, der ihm bis auf diesen Tag einen Platz unter den Meistern der Kriegskunst erhalten hat. 4) Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht – Vermuthlich hatte der Dichter die Stelle im sechsten der Horazischen Sermonen (des zweyten Buchs) im Sinne: Cervius haec inter vicinus garrit aniles Ex re fabellas, u. s. w. )) 104 (( wo Horaz den alten Nachbar Cervius die berühmte Fabel von der Feldmaus und Stadtmaus in einem so unnachahmlich gutlaunigen und verständigen Ton erzählen läßt, daß man nicht umhin kann, den Dichter eben so sehr wegen seines Nachbars Cervius als wegen seines Sabinums, und des frohen Lebensgenusses, den es ihm gewährte, glücklich zu preisen. 5) Zum γνῶθι σεαυτόν d. i. zur Selbsterkenntniß welche diese zwey über die Pforte des Tempels zu Delfi geschriebenen Worte empfahlen, als den besten Rath, den der Delfische Gott allen Sterblichen, die sich bey ihm Rathes erhohlten, ertheilen konnte. |