Hermann Samuel Reimarus
1694 - 1768
Ein Mehreresaus den Papieren des Ungenannten,die Offenbarung betreffend
1777
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III.
Der Einwurf des dritten Fragments ist schon oft gemacht, und oft beantwortet worden. Aber wie ist er beides? Sicherlich ist er noch nie so gründlich, so ausführlich, allen Ausflüchten so vorbeugend gemacht worden, als hier. Und nun versuche man, wie viel die Antworten eines Clericus, eines Calmet, eines Saurin, eines Lilienthals dagegen verschlagen. Ich fürchte, sehr viel wohl nicht. Nothwendig wird der Orthodox also ganz auf etwas Neues denken müssen, wenn er sich auf [511] seinem Posten nicht zu behaupten weiß, und seiner Sache doch nichts vergeben will.Er wird ihr aber nicht wenig zu vergeben glauben, wenn er die Unmöglichkeit, daß eine so große Menge in so kurzer Zeit einen solchen Weg machen können, eingestehen und sich damit zu retten suchen wollte, daß also wohl in dem Texte die Zahl des ausziehenden Volks verschrieben seyn möge; daß anstatt sechs mal hundert tausend streitbarer Mann, nur deren sechzig tausend, nur sechs tausend ausgezogen. – Ich nun freylich wohl wüßte nicht, was ein solcher Schreibfehler, wenn er auch noch so wissentlich wäre begangen worden, eben verderben würde. In den ältesten Zeiten verband man mit großen Summen noch sehr undeutliche Begriffe, und es geschah wol oft ganz unschuldiger Weise, wenn man eine sehr große Zahl bald durch diese, bald durch eine andere Anzahl ausdrückte. Man hätte viel zu bezweifeln, wenn man an allen den alten Schlachten zweifeln wollte, bey welchen die Zahl der gebliebenen Feinde von dem einen Schriftsteller so, von dem andern anders, und von allen weit größer angegeben wird, als sich mit andern zugleich erzählten Umständen reimen läßt. Warum sollte man mit Wundern es genauer nehmen wollen, bey welchen auf die Zahl derer, zu deren Besten oder zu deren Züchtigung sie geschehen, weit weniger ankömmt, – ganz und gar nichts auf ihr beruhet? Denn ob Moses mit seinem Stabe das Meer theilet, und Millionen trocknes Fußes hindurchführet, oder ob Elisa mit dem Mantel seines Meisters das nehmliche an dem Jordan thut, und blos für seine [512] Person hindurchgehet: ist dieses nicht ein eben so gutes Wunder, als jenes?So freylich würde ich denken. Aber allerdings kann der Orthodox so nachgebend nicht wohl seyn, so lange noch eine Möglichkeit unversucht ist, die Sache bis in den kleinsten Buchstaben zu retten. – Wie vielleicht hier. – Denn wie, wenn das Wunder folgender Gestalt erfolgt wäre? – Als die Israeliten an einen Arm des Arabischen Meerbusens gelangt waren, durch welchen sie nothwendig mußten, wenn sie ihren Verfolgern nicht in die Hände fallen wollten: so trieb ein starker Wind – man nehme die Ebbe zu Hülfe, wenn man will – das Wasser ans diesem Arme Meer ein, und hielt es so lange zurück, bis sie mit aller Gemächlichkeit hindurch gegangen waren. Indeß suchte das oberwärts gestauchte Wasser einen andern Ablauf, brach hinter den Israeliten durch, stürzte sich einen neuen Weg wieder Land ein, und in diesem neuen Arme war es, wo die Aegyptier ihren Untergang fanden. Was könnte ungezwungner seyn, als diese Vorstellung? Ist es nicht die Natur des Wassers, daß es, in seinem gewöhnlichen Ablaufe gehindert, die erste die beste schwache oder niedrige Stelle des Ufers übersteigt oder durchreißt, und ein neues Bette sich wühlet? Und welche Schwierigkeit unsers Fragments bleibt durch diese Vorstellung noch ungehoben? Die Israeliten, deren so viel seyn mögen, als man will, brauchen nun nicht zu eilen; sie können mit Rindern und Kindern, mit Sack und Pack nun so langsam ziehen, als sie nur immer nöthig haben; sind sie gleich beym Eintritte der [513] Morgenwache schon eben nicht über den ganzen breiten ausgetrockneten Arm, so ist das Wasser dieses Armes doch nun schon hinter ihnen, und ihre Feinde ersaufen in eben dem Wasser, auf dessen Boden sie ihnen entkommen.Ich wüßte nicht, daß irgend ein Ausleger sich eine ähnliche Vorstellung gemacht, und den Text darnach behandelt hätte, der sich gewiß in sehr vielen Stellen ihr ungemein fügen würde; ihr in allen besser fügen würde, als jeder andern Vorstellung. Ja, die Sache noch so genau genommen, sehe ich nur ein einziges Wort in der Mosaischen Erzählung Luthers, das ihr entgegen zu seyn scheinet. Nehmlich: und das Meer kam wieder für Morgens in seinen Strom: oder wie es Hr. Michaelis übersetzt: da kam das Wasser um die Morgenzeit wieder, und hielt seine gewöhnliche Fluth. Wenn es sein Strom war, in welchen das Meer zurückkam; wenn es seine gewöhnliche Fluth war, mit welcher es zurückkam: so scheinet ein neuer Arm, ein neuer Ausfluß freylich mehr als eigenmächtig angenommen zu seyn. Luther zwar hat ganz das Ansehen, hier mehr der Vulgata als dem Grundtexte gefolgt zu seyn, welche sagt: mare reuersum est primo diluculo ad priorem locum; und Hr. Michaelis dürfte leicht ein wenig zu viel von seiner Hypothes in den Text getragen haben. Denn nach den Worten heißt es in diesem doch nur: und das Meer kam wieder am Morgen in seine Stärke; so daß es noch nicht einmal entschieden ist, ob das Meer in seiner Stärke wiedergekommen, oder ob es wiederkam, als der Morgen in seiner Stärke war. [514]Doch dem sey, wie ihm wolle. Meine Auslegung lasse sich, oder lasse sich nicht vertheidigen: ich bin weit entfernt, zu glauben, daß der Orthodox genöthiget sey, zu einem Einfalle von mir seine Zuflucht zu nehmen. Er braucht, wie gesagt, nur auf seinem Posten sich zu behaupten, und er kann alle die sinnreichen Einfälle entbehren, mit welchen man ihm zu Hülfe zu kommen den Schein haben will, und in der That ihn nur aus seiner Verschanzung heraus zu locken sucht.Ich nenne aber seinen Posten, den kleinen, aber unüberwindlichen Bezirk, außer welchem ihm gar keine Anfälle beunruhigen müßten; die Eine befriedigende Antwort, die er auf so viele Einwürfe ertheilen kann, und soll. Als hier. Wenn denn nun aber, darf er blos sagen, der ganze Durchgang ein Wunder war? Wenn das Wunder nicht blos in der Auftrocknung des Meerbusens bestand, wenn auch die Geschwindigkeit, mit welcher eine solche Menge in so kurzer Zeit herüberkam, mit zu dem Wunder gehört? – Ich habe gar nichts darwider, daß man bey dem ersten Stücke dieser wunderbaren Begebenheit auch natürliche Ursachen wirksam seyn läßt; nicht den Wind blos, dessen die Schrift selbst gedenket; sondern auch die Ebbe, von der die Schrift nichts sagt: und wenn man an einer Ebbe nicht genug hat, meinetwegen auch zwey auf einander folgende Ebben, Ebbe auf Ebbe, von welcher weder die Schrift, noch die Admiralitäts Lohtsen in Cuxhafen etwas wissen 1).Ich gebe es gern zu, daß es zu einem Wunder [515] genug ist, wenn diese natürlichen Ursachen nur nicht itzt, oder itzt nicht so und so wirksam gewesen wären, und ihre dermalige so beschaffene Wirksamkeit, die unmittelbar in dem Willen Gottes gegründet ist, gleichwohl vorhergesagt worden. Ich gebe das gern zu: nur muß man mit dem, was ich zugebe, mich nicht schlagen wollen; nur muß man das, wovon ich zugebe, daß es bey einem Wunder, dem Wunder unbeschadet, seyn könne, nicht zu einer unumgänglichen Erforderniß des Wunders überhaupt machen; man muß ein Wunder, weil sich keine natürlichen Kräfte angeben lassen, deren sich Gott dazu bedienet, nicht platterdings verwerfen. Die Auftrocknung des Meerbusens geschahe durch Ebbe und Wind; gut: und war doch ein Wunder. Die Geschwindigkeit, mit der das Volk herüber kam, ward – freylich weiß ich nicht wie bewirkt: aber ist sie darum weniger ein Wunder? Sie ist gerade Wunders um so viel mehr. Es klingt allerdings ganz sinnreich, wenn sich euer Verfasser (S. 372.) verbittet, daß man den Israeliten und ihren Ochsen und Karren nur keine Flügel gebe. Indeß sagt doch Gott selbst, daß er die Israeliten auf Adlersflügeln (2. Mos. 19. 4.) aus Aegypten getragen habe: und wenn die Sprache nun kein Wort hat, die Art und Weise dieser wunderbaren Geschwindigkeit auszudrücken, als diese Metapher? Erlaubt mir immer, daß ich auch in einer Metapher, die Gott braucht, mehr Wirkliches sehe, als in allen euren symbolischen Demonstrationen.Und wenn der Orthodox so antwortet, wie will man ihm beykommen? Man kann die Achseln zucken über seine [516] Antwort, so viel man will; aber stehen muß man ihn doch lassen, wo er steht. Das ist der Vortheil, den ein Mann hat, der seinen Grundsätzen treu bleibt, und lieber nicht so ausgemachten Grundsätzen folgen, als ihnen nicht consequent reden und handeln will. Diese Consequenz, vermöge welcher man voraussagen kann, wie ein Mensch in einem gegebnen Falle reden und handeln werde, ist es, was den Mann zum Manne macht, ihm Charakter und Stetigkeit giebt; diese großen Vorzüge eines denkenden Menschen. Character und Stetigkeit berichtigen sogar mit der Zeit die Grundsätze; denn es ist unmöglich, daß ein Mann lange nach Grundsätzen handeln kann, ohne es wahrzunehmen, wenn sie falsch sind. Wer viel rechnet, wird es bald merken, ob ihm ein richtiges Einmaleins beywohnet, oder nicht.Nicht also die Orthodoxie, sondern eine gewisse schielende, hinkende, sich selber ungleiche Orthodoxie ist so ekel! So ekel, so widerstehend, so aufstoßend! – Das wenigstens sind die eigentlichen Worte für meine Empfindung.
―――――――― 1) S. Niebuhrs Beschreibung von Arabien, S. 414. |