Hermann Samuel Reimarus
1694 - 1768
Ein Mehreresaus den Papieren des Ungenannten,die Offenbarung betreffend
1777
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[366] |
Drittes Fragment.Durchgang der Israelitendurchs rothe Meer.
§. 26. Wenn wir das andere Wunder, nemlich den Durchgang durchs rothe Meer betrachten, so legt der innere Widerspruch der Sachen, ihre Unmöglichkeit fast noch handgreiflicher zu Tage. Es zogen aus Egypten 600000 streitbare Israeliten, gerüstet und in Schlacht-Ordnung. Sie hatten Weiber und Kinder und viel Pöbel-Volk, das sich zu ihnen gesammlet hatte, mit sich. Nun muß man nach dem ordentlichen Verhältniß der Menschen gegen ein ander, für einen streitbaren mannhaften, wenigstens 4 andere, theils Weiber, theils Kinder, theils alte abgelebte, theils Gesinde, rechnen. Daher die Anzahl der Ausgezogenen, nach der Angabe der streitbaren, wenigstens auf 3000000 Seelen zu rechnen ist. Sie führeten alle ihre Schaafe und Rinder, und also viel Vieh mit sich. Wenn wir nun nur 300000 Haus-Väter, und auf jeden eine Kuh oder Ochsen und zwey Schaafe rechnen: so gäbe das eine Anzahl von 300000 Ochsen und Kühen, und 600000 Schaafen und Ziegen. Wir müssen aber auch wenigstens 1000 Fuder Heu oder Futter für das Vieh rechnen; anderer vielen Wagen, zu ihren goldenen und silbernen Gefässen, die sie entwandt hatten, und zu der häufigen Bagage und den Gezelten für eine so ungeheure Armee etc., zu geschweigen: welche wir nur auf 5000, das ist für 60 Personen einen Wagen, rechnen wollen. [367] Sie waren endlich bis ans rothe Meer kommen, und hatten in dieser Gegend am Ufer ihr Lager aufgeschlagen, als ihnen Pharao mit 600 auserlesenen Wagen und allen übrigen Wagen Egyptens, nebst der ganzen Reuterey und Fuß-Volk nachkam, und sich nicht weit von ihnen, da es Abend ward, setzte. Josephus rechnet dieses Heer auf 50000 Reuter und 200000 Fuß-Knechte. Klein muß es gewiß wol nicht gewesen seyn, wo er gegen eine Armee von 600000 Gerüsteten angehen wollte. Wir wollen aber nur die Hälfte, nemlich 25000 Reuter, und 100000 Fuß-Knechte, nebst denen Wagen, rechnen. Die Wolken- und Feuer-Säule setzt sich die Nacht hindurch zwischen den Israeliten und Egyptiern. Gott schickt darauf einen starken Ostwind, der das Meer die ganze Nacht hindurch wegführete und trocken machte. Dann gehen die Israeliten trockenes Fusses hinein, und die Egyptier ihnen nach, so daß jene nun völlig hinüber, diese allesammt mitten in dem Meere waren. In der Morgen-Wache schauet Gott auf das Heer der Egyptier, lässet das Wasser wieder herkommen, daß dasselbe noch vor Morgens wieder in seinen Strohm kommt, und also alle Egyptier ersauffen, daß nicht einer überblieb. Dis ist, was die biblische Erzählung theils ausdrücklich sagt, theils nothwendig in sich schließt.§. 27. Ich will hier alle die übrigen Umstände bey Seite setzen, und nur den ungeheuren Marsch in Vergleichung der kurzen Zeit, der Menge der Menschen und Viehes, des unbequemen Weges, und der finstern Nacht in Erwegung ziehen. Da der Ostwind die ganze [368] Nacht gewehet, das Meer trocken zu machen, so kann es gewiß nicht vor Mitternacht trocken geworden seyn. Nun sind in der Morgenwache, das ist nach drey Uhr des Nachts, die Egyptier schon mit Roß und Wagen mitten im Meere: da kommt das Wasser wieder in seinen Strom gegen Morgen: die Egyptier fliehen zurück, aber dem Wasser entgegen und ersauffen. Folglich sind in der Zeit von 12 Uhr Nachts, bis 3 oder 4 Uhr Morgens, alle Israeliten nicht allein durchs Meer auf das Ufer jenseits, sondern auch die Egyptier allesammt bis mitten ins Meer marschiret. Wer nun einen Marsch einer Armee, ich will nicht eben sagen, mitgethan, sondern nur gehöret oder gelesen hat, der kann leicht begreiffen, daß ein solcher geschwinder Flug, zumal bey einer solchen Menge von Menschen und Vieh, und bey den übrigen Umständen, eine wahre Unmöglichkeit sey. Die Menge Menschen macht 3100000 aus; dann sind bey den Israeliten 6000 Wagen mit Futter und Bagage, davor die oberwehnte Ochsen mögen gespannet gewesen seyn. Bey den Egyptiern waren viele Streit-Wagen mit zwey, vier und wol mehr Pferden bespannet, und also wenigstens, nebst der Reuterey, 100000 Pferde. Dann kommt das Vieh der Israeliten: 300000 Ochsen und Kühe, und 600000 Schaafe. Wann eine solche ungeheure Menge Menschen und Vieh sich lagern soll, so wird ein Raum von vielen deutschen Meilen in die Länge und Breite dazu erfordert werden: wie nicht allein die heutige Erfahrung, sondern auch die Art des Lagers der Alten lehret. Das Lager der Hebräer war, wie bey der Hütte der Versammlung [369] und auch an den Städten der Leviten zu sehen ist, viereckt. Und die Sache giebt, daß ein Heer gegen einen feindlichen Ueberfall, seine Mannschaft nicht etwa in die Länge zerstreuen und schwach machen, sondern beysammen halten müsse; wozu ein Viereck das bequemste ist, welches auch die Römer und andere Völker beliebt haben. Wenn wir nun auch 10 Personen in ein Gezelt bringen, so giebt doch die Anzahl von 3000000 Menschen schon 300000 Gezelte. Diese können nicht bequemer ins Gevierte gestellet werden, als daß sie die Bagage, die Wagen und das Vieh zum Schutz in die Mitte nehmen. Wenn wir nun bedenken, was 300000 Ochsen, 600000 Schaafe, und so viele tausend Bagage-Wagen für einen ungeheuren Platz erfordern; und wie weit sich um dieselbe herum 300000 Gezelte erstrecken müßten: so sagen wir sehr wenig, wenn wir behaupten, daß alles mit ein ander, wenn es auch noch so ordentlich und vortheilhaft gestellet wäre, über zwo Meilen in die Länge und Breite erfüllen müssen. Da nun zwischen dem Heere der Israeliten und Egyptier nothwendig noch ein grosser Zwischen-Raum seyn müssen: so ist ferner offenbar, daß wir nicht zu milde rechnen, wenn wir sagen, daß das letzte Heer der Egyptier noch eine Meile von den äussersten Israeliten, und also drey Meilen von der See entfernet gewesen. Die See selbst, wenn wir sie nach dieser Erzählung messen, müßte auch wenigstens eine teutsche Meile breit gewesen seyn: wenn Pharaons ganzes Heer, mit so vielen Roß und Wagen, in derselben mittelsten und tiefsten Gange, auf ein mal einen Platz und ihr Grab gefunden. Mithin hätten [370] die äussersten und letzten Egyptier, von ihrem Stand des Lagers, bis an die Stätte ihrer Ersäuffung, ohngefehr vier teutsche Meilen: und so die äussersten und letzten Israeliten, von dem Stand ihres Lagers, bis an die Stelle jenseit des Meers, gleichfalls ohngefehr vier teutsche Meilen gehabt.§. 28. Nun mögte man eher gedenken, das wäre ja wol so unmöglich noch nicht, daß man auf der Flucht 4 Meilen in 4 Stunden zurücklegen mögte. Allein, wer nur ein wenig zu deutlicher Vorstellung der Sachen mit allen Umständen gewöhnet ist, und insonderheit die Art des Marsches der Morgenländer, und den Boden des Meeres kennet: der wird keine Mühe haben einzusehen, daß ein solcher Marsch von 4 Teutschen Meilen, in 4 Stunden und in finsterer Nacht, mit so viel Menschen, Bagage und Vieh, über einen Boden der See, der nur wenigen zugleich einen Gang verstattet, eine wahre Unmöglichkeit sey. Um solches nun ganz klar zu machen, will ich erst den ordentlichen Zug der Morgenländer und Hebräer beschreiben, so weit ich ihn aus den Alterthümern habe finden können, ohne daß ich noch vors erste dadurch die Israeliten in ihrer Flucht gedenke aufzuhalten. Die Hebräer hielten eine Ordnung im Ziehen, so daß Stamm vor Stamm, und in jedem Stamme jede Familie, unter den Häuptern ihrer Väter zoge. Indem ich aber dieselbe Ordnung auch auf diesem Marsche setze; so halte ich die Leute gar nicht dadurch auf. Denn man weiß, daß Ordnung im Marsche fördert, und Unordnung gewaltig zögert. Nun waren sonst unter ihnen Hauptleute über 1000, über 100, über 50, ja über 10. [371] Da sie nun noch Hauptleute über 10, als Corporals gehabt, so ist sehr wahrscheinlich, daß sie ordentlicher Weise, nicht stärker als 10 Mann in einem Gliede marschiret: welches auch die Enge und Ungleichheit der Wege, die sich wenigstens hin und wieder hervorthun konnte, zu erfordern schiene. Daher wir auch heutiges Tages die Caravanen nicht anders als in einem langen Zuge abgebildet finden; welches bloß die Unmöglichkeit der Wege veranlasset. Denn sonst wäre es ihr Vortheil, daß sie viel Mann hoch einherzögen: so würden sie mit mehrvereinten Kräften den Räubern widerstehen können. Aus eben der Ursache hatten die Hebräer, so wie andere Caravanen in alten und neueren Zeiten, einen Führer, der mit einem brennenden und schmauchenden Topfe auf einer Stange voran gieng, damit man ihn in einer grossen Ferne bey Tage und Nacht sehen, und sich also die Hintersten nicht verirren mögten. Ein solcher ordentlicher Zug gäbe bey einem Heere von 3000000 Menschen 300000 Reihen oder Glieder. Wenn wir nun auf jede Reihe, mit dem Viehe und Bagage-Wagen durch einander gerechnet, nur 3 Schritte Platz bringen, so wird sich der ganze Zug auf 900000 Schritte, oder 180 Teutsche Meilen erstrecken. Da nun ein hurtiger Kerl nicht mehr als 4000 Schritte in einer Stunde gehen kann, so würde der Zug, ohne die Stellung der Ordnung, ohne Rasttage zu rechnen, 225 Stunden, oder 9 Tage und 9 Stunden währen, ehe die letzten nur in der ersten Fußstapfen treten konnten. Ich vergrößere hier die Dinge nicht, sondern ich sage sowol nach der heutigen Erfahrung als nach der Geschichte der Hebräer [372] viel zu wenig. Ich will den General heutiges Tages sehr loben, welcher bey der jetzigen so sehr ausgekünstelten Kriegs-Ordnung nur mit 100000 Mann einen Marsch von etlichen Meilen in 8 bis 10 Tagen thun kann, so daß sie alle zur Stelle kommen. Und wer auf die Märsche der Israeliten acht giebt, wird finden, daß sie so langsam von einem Orte zum andern gezogen sind: wie sie denn an den Berg Horeb erst im dritten Monate kamen, wo sie nach Mosis erster Rechnung, in 3 Tagen zu seyn gedachten.§. 29. Es frägt sich aber, wie viel Zeit die Israeliten bey den Umständen einer Flucht am rothen Meere gewinnen können. Ich will alles einräumen, was möglich ist; nur bitte ich mir aus, daß man den Israeliten und ihren Ochsen und Karren keine Flügel gebe; und daß man die See nicht anders mache, als sie gewesen, und noch ist. Wollte man setzen, dieses Heer der Israeliten von 3000000 Menschen hätte sich nicht ins Gevierte, sondern am Strande des Meeres in die Länge gelagert, und wäre also der See nicht allein näher gewesen, sondern auch in breiten Reihen über den trockenen Boden der See gegangen: so würde man etwas annehmen, das theils nicht viel zur Geschwindigkeit hülfe: theils wider die Beschaffenheit der Sachen und biblischen Geschichte ist. Ich sage, eines Theils würde es zur Geschwindigkeit nicht viel helfen. Denn man stelle so viel in einer Reihe, als einem jeden beliebt, so wird die Reihe so lang werden, daß Moses mehr als die ganze Nacht brauchte, es allen und jeden am äussersten Ende wissen zu lassen, daß sie aufbrechen sollten. [373] Das Volk war sich Pharao mit seinem Heere nicht vorher vermuthen: es dachte an keinen solchen Durchgang durch die See: wie sie ihre Augen aufhuben und die Egyptier sahen, kamen ein Theil erschrocken zu Mose, und meynten, nun müßten sie alle sterben. Da sagt ihnen Moses erst, was geschehen sollte. Die Wolken und Feuer-Seule gieng auch nicht voran, daß sie daraus den Aufbruch hätten wahrnehmen können; sondern sie stellete sich die ganze Nacht hinter das Heer, zwischen ihnen und den Egyptiern. Das wäre sonst ein Zeichen, daß sie umkehren, und gegen die Egyptier angehen sollten, weil sich ihre vorangehende Wolken-Seule dahin gewendet. Und das sollten auch die Egyptier, nach diesem Strategemate daraus denken: wenn aber die Israeliten anders denken sollten, so mußte es ihnen angezeigt werden: und zwar nicht durch laute Posaunen, sondern durch Boten, weil es eine Flucht seyn sollte, die in der Nacht in der Stille zuginge, und die die Egyptier nicht merken sollten. Je mehr wir nun die Israeliten am Strande ausbreiten, je längere Zeit erfordert es, ehe der Aufbruch durch Boten zu aller Wissenschaft kommen können. Denn da 10, in einer Reihe gestellet, 300000 Reihen und 180 Meilen in die Länge geben: so würde umgekehrt folgen, wenn man nur 10 Reihen nähme, daß man 300000 in einer Reihe in der Breite haben würde, welche, wo nicht 180 Meilen, jedoch gerne den dritten Theil nemlich 90 Teutsche Meilen in die Breite sich erstreckten, als worinn nur auf jeden Mann ein Schritt gerechnet ist. So lang aber ist auch der ganze Sinus Arabicus nicht einmal: und niemand wird gedenken, [374] daß die ganze See, bis ins große Meer hinein, ausgetrocknet seyn sollte: die Schrift selbst beschreibt es ja nur als einen mäßigen Strich, den der Wind trocken gemacht, so daß das Wasser zu beyden Seiten als Mauren soll gestanden haben. Nimmt man nun, um die Ausbreitung zu verkürzen, eine mittlere Zahl von Reihen an: so kommen wir wieder der gebräuchlichen viereckten Gestalt des Lagers näher, aber damit weiter von der See; und es wird so noch Zeit genug erfordert, ehe Moses den Aufbruch allen hätte kund thun können; da sich auch das allervortheilhafteste Lager auf zwo Meilen erstreckt haben müßte. Allein stellet eure 3000000 Menschen so lang oder so breit, am rothen Meere, wie ihr wollet: lasset sie alle vorher wissen, daß die See durch einen Wind trocken werden soll, damit sich ein jeder zum voraus zum Durchgange bereitet, und Gezelte und Bagage eingepackt habe: so, sage ich, hilft alles doch nichts, sondern einer muß auf den anderen warten, weil der Boden des Meeres so nicht beschaffen ist, daß viele zugleich, ja daß auch nur wenige ungehindert durchkommen können. Dieses will ich durch unleugbare Zeugnisse beweisen.§. 30. Wir haben eine so genaue Beschreibung von dem rothen Meere, oder sinu arabico, als wir wünschen können, beym Diodoro Siculo 1), welche um [375] so viel glaubwürdiger ist, als die übrigen Nachrichten der Alten und Neueren damit übereinstimmen. Es ist nemlich das Meer nach dessen Berichte nicht gar tief, sieht aber allenthalben ganz grün aus, von dem vielen [376] Moose und allerley Grase, so von dem Grunde hervorwächset: An den mehrsten Orten ist es schlammigt, zumal in den Buchten, und nach seinen äußersten Enden zu. An manchen Orten hat es auch am Grunde einen losen Sand, in welchen die überfahrenden Schiffe, wenn [377] sie zu tief gehen, und es Ebbe ist, so hinein gerathen, daß sie immer tiefer einsinken, und ihnen hernach nicht zu helfen ist, es sey denn, daß eine heftige Fluth sie heraushebt. Es giebt auch in dieser See viele Inseln, zwischen deren engen Raume sich denn die Fluth mit [378] grosser Gewalt durchdrenget, und also den Gang tiefer aushölet. Hin und wieder finden sich verborgene Klippen und Felsen, so daß die Schiffe, zumal in der Nacht, nicht anders als mit großer Gefahr übersetzen können, daß sie nicht an einen Fels scheitern, oder in einen Schlamm oder Sand zu sitzen kommen. Auch bringt der Grund häufige Stauden hervor, welche einem Lorbeer- und Oelbaume gleichen, nur daß sie nicht grünend, sondern als Corallen steinigt sind; wie denn auch häufige rothe und weisse Corallen darinn anzutreffen. Daher Christoph Fürer, als er sich auf seiner Reise in diesem Meere baden wollen, den einen Fuß an solcher spitzigen Coralle gefährlich verwundet hat. Dieß sind Wahrheiten, gegen welche kein Tichten einer unbeschränkten Einbildung eine Ausflucht gewähret. Hier lasse man mir nun so viele 100 oder 1000 in einer Reihe in finsterer Nacht eiligst durch gehen und fahren. Wird nicht der eine im tiefen Schlamm bestecken bleiben, der andere vor Gras, Moos und Schilf nicht fortkommen können, der dritte über ein hohes Ufer einer Insel klettern [379] müssen, der vierte die Nase an eine Klippe stossen, der fünfte in einen Sand sinken, der sechste über die Stauden und Corallen stolpern oder sich die Füße verletzen? Werden nicht die Last-Wagen bestecken bleiben, zerbrechen oder umwerfen? Es ist schon viel, wenn durch solche See nur ein enger schmaler Gang ausfündig zu machen ist, da wenige zugleich in einer Reihe und ohne Gefahr hinüber kommen können: wie sollte ein solcher Boden vielen tausend oder hunderten zugleich einen freyen Durchgang gewähren? Herr Clericus hat in seiner Dissertation de maris Idumaei traiectione diese Beschaffenheit des Grundes vom rothen Meere größten Theils angemerkt. Aber es ist sehr artig, bey welcher Gelegenheit er die Sache anbringt. Weil er seine Israeliten gern hinüber haben will, so ist das Meer erstlich gar nicht breit und tief: er gedenkt an die Hindernisse des Bodens nicht: er erwähnet weder der Vielheit von Menschen, und Karren und Vieh, noch der Zeit, welche sie zu einem solchen Wege brauchen, noch anderer Umstände: er stellet bloß seine Israeliten in breite Reihen, und lässet sie geschwinde hinüber hutschen. Auch Pharao kommt noch ungehindert und geschwinde hinein. Wenn er aber fliehen will, so wird das Meer breit, so schneiden seine Räder in den Sand und Schlamm zu tief ein, so stößt er sich an Felsen und Corallen, so kann er nicht aus der Stelle kommen: die Fluth übereilt ihn, der arme Pharao muß mit alle seinem Heere, mit Roß und Wagen im rothen Meere ersaufen. Alle der Schlamm und Sand, alle Felsen und Klippen, alle Stauden und Corallen, alle Inseln und Höhen scheinen [380] bey Clerico erst sint der Zeit, daß die Israeliten hinüber sind, und Pharao hineingebracht ist, hervorgewachsen zu seyn. So sehr kann auch einen sonst gar vernünftigen Mann das Vorurtheil des, was er gerne haben will, blenden!§. 31. Es ist also wol offenbar genug, daß bey diesem Boden des rothen Meeres kein Durchzug in breiten Reihen statt gehabt, und daß also derselbe sowol dieserwegen, als wegen der vielen Anstöße und Hindernisse viele Tage hätte währen müssen. Lasset uns aber nun auch die andern Hindernisse mit in Erwägung ziehen. Es war gegen Abend, als sie Pharaonis Heer erblickten. Darauf lieffen sie in voller Bestürzung zu Mose und zankten mit ihm, warum er sie aus Egypten geführet. Moses besänftiget sie und spricht ihnen Muth ein. Die Wolken-Seule wird darauf von der Spitze der Armee das ganze Lager hindurch nach hinten gebracht, und zwischen den Israeliten und Egyptiern gesetzt. Dem ganzen Heere wird Befehl zum Aufbruche ertheilet, vermuthlich nicht durch die Wolken-Seule, weil die sich hinten stellete; nicht durch eine Posaune, weil sie heimlich fliehen wollten; sondern durch Boten. Darauf mußten ja die Gezelte abgebrochen und mit der Bagage auf Wagen gepackt und Ochsen davor gespannet werden. Die Armee selbst mußte sich in Ordnung stellen; und den Troß, die Bagage, das Vieh entweder voran schicken oder in die Mitte nehmen, wenigstens bedecken. Wie viel Zeit geht darüber hin? Wie hat allein so viel Vieh, jung und alt, schwer und leicht, in drey Stunden einen Weg von drey bis vier Teutschen [381] Meilen können getrieben werden? Da die Natur und Erfahrung lehret, und die Schrift selbst bemerket, daß das Vieh gar langsam will getrieben seyn. Die Israeliten hatten zu dem keine Pferde bey sich, wie die ganze Geschichte weiset, und mußten also ihre Last-Wagen mit Ochsen bespannen. Eine solche Ochsen-Post bringt wenigstens vier Stunden auf eine Meile zu. Wenn wir nun auch die Futterung und alle Hindernisse des Bodens wegnehmen wollten, so würde doch ein jeder Wagen nicht unter 12 Stunden zur Stelle kommen; und wenn einer auf den andern warten müßte, wie ja nothwendig ist, so würde allein der Zug, von etlichen tausend Wagen mit Ochsen bespannet, ganze Wochen Zeit erfordern. Sind denn auch keine Kranke, Kröppel, Lahme, Blinde, Schwangere, Abgelebte in einer Anzahl von 3000000 Menschen gewesen? und haben die mit den streitbaren Männern in gleicher Geschwindigkeit fortkommen können? Gesetzt, man hätte durch ein unerhörtes und ganz unglaubliches Wunder von allen diesen menschlichen Schwachheiten bey den Israeliten nichts gewußt: so waren doch etliche 100000 Kinder bey dem Volke, welche theils mußten getragen werden, und also das Gehen den Müttern desto saurer machten; oder, wenn sie ja schon zu laufen vermögend waren, doch einen so weiten Weg nicht aushalten konnten. Nun lasset uns dabey den unwegsamen Meeres-Boden, den Schlamm, das Moos, den Sand, die Insuln, die Klippen, die Stauden und Corallen, die Höhen und Tiefen bedenken, die allenthalben im Wege stehen. Wir haben eine finstere Nacht vor uns, da man bald auf [382] dieß bald auf jenes, und sonderlich auf ein ander stößt: wir haben in dieser finstern Nacht durch alle die aufhaltenden Anstöße des Meers 600000 streitbare Männer nicht allein, sondern etliche 100000 kleine Kinder, alte, kranke, Krüppel, lahme, blinde, schwangere, wir haben 300000 Ochsen und 600000 Schafe, 6000 bespannete Wagen hinüber zu bringen, und es wird uns nicht mehr als eine Nacht-Wache Zeit dazu gegeben. Gewiß, ich bin versichert, wir würden uns alle tausendmal eher entschliessen, uns mit Pharao und alle seinem Heere herum zu schlagen, als solch unmöglich Ding zu unternehmen. Aber unser Mosaischer Geschicht-Schreiber ist in keiner Verlegenheit, er denkt und schreibt sie in drey Stunden, ehe mans inne wird, hinüber.§. 32. Weil nun ein jeder mit Händen greifen kann, daß diese Wunder einen inneren Widerspruch und wahre Unmöglichkeit in sich halten: so können sie nicht wirklich geschehen seyn; sondern sie sind nothwendig ertichtet und zwar so merklich und so grob, daß man wol siehet, es komme von einem Schreiber, der weder diesem Zuge selber mit beygewohnet, und was alles dazu gehöre, nebst den Gegenden des rothen Meeres mit seinen Augen gesehen, noch auch von dem, was er ertichtet, sich eine deutliche, und anderweitiger Erfahrung sowol als Natur der Sachen gemässe Vorstellung, gemacht. Er macht alles Vieh in seiner Erzählung durch Pest todt; und dann hat er wieder frisches in dem Vorrathe seiner Einbildungs-Kraft. Wo es aber herkommt, da bekümmert er sich nicht um. Er lässet es abermal an Geschwüren dahin fallen und sterben: und siehe, bald [383] lebt es wieder auf, daß es vom Hagel kann erschlagen werden. Und dann spannet ers von neuem vor den Wagen und setzet Reuter darauf. Er führet 3100000 Menschen, mit Weibern, Kindern, Kranken, Kröppel, Lahmen, Blinden, Schwangern, Abgelebten, mit so viel 1000 Gezelten und Bagage-Wagen, vermittelst einer Ochsen-Post, mit 300000 Ochsen und 600000 Schafen im Finstern über Stock und Block, durch Schlamm, Moos, Sand, Stauden, Klippen, Inseln, Ufer hinunter, Ufer hinauf, viele Meilen weit, in einer Nacht-Wache, jenseit des Meeres. Sehet; so wenig Verstand und Nachdenken kostet es, Wunder zu machen! so wenig ist auch nöthig, sie zu glauben! Diese zwey Proben angegebener Wunder können also genug seyn, daraus zu urtheilen, daß auch die übrigen aus menschlichem Gehirn ertichtet, und in der That nicht geschehen sind, noch etwas göttliches beweisen. Daher darf ich mich inskünftige von meinem jetzigen Zwecke nicht so sehr entfernen, und alle Mosaische oder folgende Wunder so weitläuftig vornehmen: es soll zu seiner Zeit geschehen. Genug, daß man aus dieser Probe schon sehen kann, daß man sich durch das eingestreute göttliche nicht dürfe abhalten lassen, die Handelungen und Absichten Mosis nackend und bloß zu betrachten, wie sie an und vor sich aussehen. Wir werden demnach in den folgenden die Wunder Mosis nur im Vorbeygehen betrachten, und hauptsächlich sehen, was Moses gethan, und was die Leute seiner Zeit, die alles mit Augen gesehen, von ihm durchgängig geurtheilet haben.
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Siehe auch von der schlimmen Schiffahrt Pet[rum] Bellonium Obs[ervatione]s. lib. II. cap. 58.
Siehe Christoph. Füreri Itinerar. p. 35. und Petri de la Valle Reisebeschr. P. I. ep. XI., welcher selbst viele Corallen nebst Muscheln und Schnecken gefischet, und eine gute Anzahl Kisten damit gefüllet nach Hause geschicket. |