BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Samuel Reimarus

1694 - 1768

 

Ein Mehreres

aus den Papieren des Ungenannten,

die Offenbarung betreffend

 

1777

 

____________________________________________________________________

 

 

[288]

Zweytes Fragment.

Unmöglichkeit einer Offenbarung,

die alle Menschen auf eine gegründete

Art glauben könnten.

 

 

§§. Wir kommen demnach zu dem andern Vordersatze unsers obangeführten Schlusses, welcher einen umständlichern Beweis erfordert: daß eine Offenbarung, so alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten, eine unmögliche Sache sey. Es würde nemlich eine solche Offenbarung entweder unmittelbar allen und jeden Menschen, oder nur etlichen geschehen müssen. In dem letzteren Falle würde sie entweder etlichen Menschen bey allen Völkern, oder bey etlichen Völkern, oder wohl gar nur bey einem offenbahret: und jedes von diesen geschähe entweder zu allen Zeiten, oder zu gewissen Zeiten, oder wohl gar nur zu einer Zeit. Die Art aber, wie es von den etlichen Menschen denen übrigen bekannt gemacht würde, geschähe entweder mündlich oder schriftlich. Wir hätten zwar nicht nöthig, die Möglichkeit der andern Fälle, welche nimmer von jemand vorgegeben sind, in Erwegung zu ziehen, und könnten uns nur allein an diesen Fall halten, da gesagt wird, daß Gott bey einem Volke zu gewisser Zeit etlichen Personen unmittelbare Offenbarung gegeben, von welchen es alle übrige Menschen, theils mündlich, theils schriftlich empfangen und annehmen sollten. Allein, da wir die Frage überhaupt abhandeln, so kann ich die übrigen Fälle nicht ganz weglassen: zumahl da sie [289] auch in dem besondern Falle Licht geben; und da es scheinet, daß eine Offenbarung desto eher von allen würde können geglaubet werden, je mehreren sie unmit[t]elbar widerfahren.

§§. Wenn wir nun erstlich das äusserste setzen, daß Gott allen und jeden Menschen, zu allen Zeiten und an allen Orten, ein übernatürliches Erkenntniß unmittelbar offenbarete: so müßten wir zugleich annehmen, daß alle Augenblick und allenthalben bey allen Menschen Wunder geschähen. Denn eine Wirkung, die in der Natur keinen Grund hat, oder übernatürlich ist, ist ein Wunder. Daß aber Gott stets Wunder thun sollte, ist seiner Weisheit zuwider. Beständige Wunder stöhren die Ordnung und den Lauf der Natur beständig, welche doch Gott selbst weislich und gütig gesetzt hatte. Gott würde also sich selbst widersprechen und die Ordnung der Natur gewollt haben und noch beständig wollen; und doch beständig nicht wollen. Wäre es ja nöthig, daß alle Menschen solche Erkenntniß hätten, so würde er es mit in die Ordnung der Natur befasset, und dem menschlichen Verstande ein natürliches Vermögen zu solchem Erkenntnisse ertheilet haben. Daß er aber ein allen Menschen nöthiges Erkenntniß in allen Menschen übernatürlich und unmittelbar wirken sollte, ist seiner Weisheit eben so entgegen, und an sich eben so ungereimt, als wenn ich spräche, daß er allen Menschen keine Augen hätte geben wollen, sondern jedem übernatürlicher Weise und unmittelbar offenbarte, wo sie eine Höhe oder Tiefe, wo sie Feuer oder Wasser, wo sie Essen oder Trinken, vor sich hätten. Wenn jemand sagen wollte: mit der Offenbarung verhalte es sich anders: die könne durch [290] Kräfte der Natur nicht erhalten werden: so würde er sich selber widersprechen. Denn er nimmt an, daß eben die Erkenntniß vorhin bey dem ersten Menschen vor dem Falle natürlich gewesen, und zur Seligkeit zugereichet habe. Wenn nun gleich der erste Mensch sich und seinen Nachkommen ein natürliches Unvermögen, eine Blindheit im Verstande, und Verkehrtheit im Willen zugezogen hätte, und dieses Verderben nach göttlichem Willen müßte wieder gebessert werden: so würde doch nichts anders daraus folgen, als daß Gott nach seiner Weisheit die Natur wieder in ihre vorige Kraft und Vollkommenheit setzen würde: so wäre mit einmal dem Menschen und allen seinen Nachkommen geholfen: es wäre doch nur ein einiges Wunder, und Gott durfte nicht alle Augenblicke aller Orten bey allen Menschen immer neue Wunder thun. Die Vollkommenheit der Natur würde, wenn sie gleich durch ein Wunder hergestellet worden, dennoch nachmals Natur seyn, und in natürliche Wirkungen ausschlagen. Dazu würde das natürliche Erkenntniß dem Menschen verständlich und begreiflich seyn: folglich auch allgemeinern und mehrern Nutzen schaffen, als wenn Gott übernatürlicher Weise jedem etwas unbegreifliches offenbarte. Zu geschweigen, daß wenn Gott des gefallenen Menschen Natur wieder vollkommen machte, auch nicht nöthig wäre, daß Gottes Sohn vom Himmel käme, Mensch würde, allerley Marter ausstünde und stürbe. Wenn wir setzten, daß der erste Mensch sich und alle Nachkommen durch die verbotene Frucht hätte können leiblicher Weise blind essen; und es wäre doch nöthig, daß die Menschen die Körper, welche um sie sind, erkenneten: Gott wollte auch, daß [291] sie ein Erkenntniß davon haben sollten: was würde denn Gott nach seiner Weisheit beginnen? Würde er durch eine übernatürliche Offenbarung jedem Menschen eingeben, was für Körper um ihn sind? oder würde er für jeden Menschen einen Engel vom Himmel kommen lassen, der ihn leitete und zupfte? Ich halte, nein! er würde dem ersten Menschen sein natürliches Vermögen zu sehen, und gesunde Augen wieder geben: dann so würde auch diese Vollkommenheit nach der Ordnung der Natur auf die Nachkommen fortgepflanzet, und alle Menschen in den vorigen Stand gesetzet seyn, als ob nichts widriges geschehen wäre. Ein natürliches Vermögen sowol des Leibes als der Seele, das Gott einmal gegeben, kann er auch wieder geben. Saget nicht, daß es der Heiligkeit Gottes zuwider seyn würde, dem Menschen die willkührlich verdorbenen Seelen-Kräfte natürlich wieder zu geben. Denn wenn es Adam und Eva gleich nicht verdienet hätten: was können wir davor? Ist es denn der Heiligkeit Gottes gemäß, das ist, an sich recht, gut, billig und den Vollkommenheiten eines unsträflichen Herrn, Gesetzgebers und Richters anständig, daß unschuldige Kinder die Missethat ihrer Eltern tragen, und daß ihnen eine Schuld und Strafe von dem, was sie nicht gethan haben, aufgebürdet wird? Wie wenn sich Adam und Eva beide muthwillig die Augen ausgestochen hätten: sollten wir deswegen blind geboren werden? Wenn sie sich beyde krumm und lahm gemacht hätten: sollten wir deßwegen Kröppel seyn? Wann sie sich denn folglich auch beide blind am Verstande und verkehrt am Willen gemacht: was ist für [292] Grund, daß wir deßwegen auch nothwendig natürlich unverständigen Verstand und böses wollenden Willen haben müßten? Die Natur vollkommen zu machen, oder wieder in Vollkommenheit zu setzen, wann es nöthig ist, kann Gottes Vollkommenheit nicht zuwider seyn, es mag den Leib oder die Seele betreffen. Man gestehet ja doch, daß Gott die verdorbene Natur der Menschen will wieder vollkommen haben: warum dann nicht durch den kürzesten Weg, auf eine natürliche Weise? Es ist also was ungereimtes, und mit der Weisheit Gottes streitendes, wenn er den Menschen ein mehrers Erkenntniß hätte nöthig zu seyn erachtet, als sie jetzt natürlich haben können, und doch natürlich gehabt haben; daß er solches durch beständige Wunder in einer unmittelbaren Offenbarung aller Orten und zu allen Zeiten bey allen und jeden übernatürlich hätte verrichten wollen.

§§. Noch ungereimter aber ist es, wenn man setzete, daß die Offenbarung nur etlichen Personen bey jedem Volke, zu allen Zeiten, oder zu gewissen Zeiten, widerführe, damit es die andern Menschen von ihnen hören und glauben sollten. Denn einmal ist doch hier auch der Zweck, daß alle und jede Menschen das Erkenntniß bekommen sollen; und also ist hier eine ähnliche Ungereimtheit, daß solches nicht durch die Natur, sondern durch häufige Wunder geschieht. Aber darinn ist hier die Ungereimtheit noch größer, daß alsdenn die Wunder den Zweck nicht einmal erhielten. Denn wenn ein jeder Mensch bey sich eine unmittelbare Offenbarung hat, und sie führet ein untrieglich Kennzeichen mit sich, welches [293] ein jeder durch sein eigen Gefühl erkennen kann: so kann auch ein jeder das Erkenntniß bekommen und davon überzeugt werden. Wenn aber nur einige im Volke eine Offenbarung unmittelbar bekommen, und sie bezeugen andern Menschen, was ihnen offenbaret ist: so bekommen die andern Menschen diese Nachricht von Menschen. Es ist also nicht mehr eine göttliche Offenbarung, sondern ein menschlich Zeugniß von einer göttlichen Offenbarung. Wenn nun ein Mensch sowol ein Mensch ist, wie der andere; wenn ein jeder Mensch sich selbst und andere aus Einbildung, Uebereilung und Irrthum betriegen kann, und aus Absichten öfters betriegen will: so ist dieses menschliche Zeugniß von einer göttlichen Offenbarung bey weiten so glaubwürdig nicht. Niemand kann ihm weiter Beyfall geben, als so weit er von der Einsicht, Behutsamkeit und Ehrlichkeit des Zeugen Nachricht und Proben bekommen, und daher einen Grad des Vertrauens oder Mißtrauens gegen ihn hegt. Woraus denn folget, daß ein solch Zeugniß unmöglich von allen könne angenommen werden, sondern vielem Zweifel und Widerspruche unterworfen ist: weil es menschlicher Weise nicht möglich ist, daß alle und jede von der Einsicht, Behutsamkeit und Ehrlichkeit dieses oder jenes, in Erzählung dessen, was ihm insgeheim wiederfahren, sollten zuverläßig überführet werden können; zumahl wenn auch andere eine widrige Offenbarung von sich rühmten, und doch eben so grossen Schein vor sich hätten. Selbst in dem jüdischen Volke haben die Propheten zu der Zeit, da sie geweissaget und Wunder gethan, am wenigsten Glauben gefunden; und so würde [294] es bey allen Völkern gehen. Wenn denn die Offenbarung auch nur zu einer gewissen Zeit geschähe, hernach aber durch Menschen fortgepflanzet werden sollte: so verlieret sie immer mehr von ihrer Glaubwürdigkeit, da sie von Hand zu Hand, von Mund zu Mund gehet, und da nun nicht eines oder weniger Menschen Einsicht und Ehrlichkeit, sondern auch so vieler tausenden zu verschiedenen Zeiten Leichtgläubigkeit und Eigennutz müßte untersuchet werden; welches zu thun fast unmöglich ist. Ein Nachbar hat zuweilen grosse Mühe, die wahren Umstände dessen zu erfahren, was zu seiner Zeit in seines Nachbaren Hause geschehen ist: wie viel schwerer ist es nicht, zuverläßig zu erkennen, woher in eines andern Gehirne die Träume und Denkbilder entstanden; ob sie von ihm ersonnen sind; ob sie von der Natur oder unmittelbar von Gott ihren Ursprung gehabt? Wie viel muß nicht ferner in so manchen Jahrhunderten die Glaubwürdigkeit abnehmen; wenn einer, der dergleichen zu seiner Zeit von einem andern für wahr hält, solches seinen Kindern, die Kinder wieder seinen Enkeln, die Enkel seinen Urenkeln, und so weiter, erzählen? Da wird aus der allergrößten Glaubwürdigkeit eine Wahrscheinlichkeit, dann eine Sage, und zuletzt ein Mährlein. Es kömmt denn noch dazu, daß bey allen diesen verschiedenen Völkern, (wie allgemeine Erfahrung und Geschichte weisen), viele fälschlich eine Offenbarung vorgeben können, welche von andern Offenbarungen ganz verschieden, und jenen widersprechend, und dennoch auf einerley Weise bestätiget ist. Rühmt sich die eine göttliches Eingebens, Gesichte und Träume: die andern auch. [295] Beruft sich die eine auf geschehene Wunder; die andern führen eben dergleichen für sich an. Hat die eine einen Schein vor sich: die andern haben auch den ihrigen. Hat diese oder jene vieles wider sich: es ist keine von starkem Anstoße oder Vorwurfe frey. Wie will ein Mensch, der unpartheyisch zu Werke gehet, und nicht gleich die väterliche und großväterliche Religion als eine gute Erbschaft antritt, oder für baare göttliche Offenbarung hält, aus diesem Vorgeben herausfinden? wenn er zumal viele hundert ja tausend Jahre hernach lebt: wie will er das wahre von dem falschen gewiß unterscheiden? Dieß ist aber gerade der Fall, welcher sich in der That findet, und durch die Erfahrung bestätiget wird. Es sind fast bey allen Völkern, selbst bey den Hebräern, etliche gewesen, die fälschlich eine Offenbarung, die fälschlich Wunder vorgegeben, und die darauf zum Theil auch eine Religion und Gottesdienst gebauet. Weil doch aber eine jede Offenbarung fast einer jeden widerspricht: so folget erstlich, daß sich Gott dieses Weges, nemlich bey vielen Völkern sich zu offenbaren nicht wirklich bedienet habe. Es folget aber auch, daß sich Gott dieses Weges vermöge seiner Weisheit nicht bedienen könne: denn er würde dadurch um so viel weniger zu seinem Zwecke kommen. Er bezeugte erstlich ein Ding an mancherley Orten, und durch mancherley Personen, in mancherley Worten und Sprache. Nun ist noch wohl möglich, daß ein Mensch oder Zeuge mit seiner eigenen Aussage oder Lehre übereinstimmet; aber je mehr ein Ding durch vieler Menschen Mund oder Feder bezeuget wird, je mehr Widerspruch und Verschiedenheit [296] scheinet darinn zu seyn. Davon geben die Bücher der Chroniken und der Könige, wie auch die vier Evangelisten und Apostel, wenn man sie mit einander vergleichet, einen lebhaften Beweis. Denn wenn nur ein Buch die Historie altes, und wieder eins die Geschichte des neuen Testaments in sich hielte: so wüßten wir von keinem äußerlichen Widerspruch und Zweifel. Wenn nur Paulus allein die Lehre vorgetragen hätte: so könnten wir nicht so irre werden, als da Jacobus gerade das Gegentheil vom Verhältniß des Glaubens zur Seligkeit zu lehren scheinet. Was würden nun nicht für Disharmonieen entstehen: wenn bey so vielen Völkern lauter solche Menschen den göttlichen Sinn vortragen sollten? Dann kämen die falschen Propheten und falsche Apostel, ja falsche Evangelia und Apocrypha dazu. Schickte Gott einen Propheten bey einem Volke: so wären leicht vier hundert falsche dagegen. Thäte Gott durch seine Boten Wunder: die Zauberer würden auch also thun mit ihrem Beschweren. Schickte Gott einen Christ: es würden viel falsche Christi kommen und Wunder thun; so daß auch die Auserwählten wo möglich dürften verführet werden. Kämen etliche Apostel in seinem Namen: es würden viel falsche Apostel aufstehen, die er nicht gesandt hätte. Liesse er ein Evangelium aufzeichnen: gleich würden eine Menge Pseudo-Evangelia, oder fälschlich ausgegebene Evangelia, denen Leuten in die Hände gespielet werden. Summa, je mehr Völker wären, bey welchen sich Gott offenbarete, je mehr würde sich Verschiedenheit, falscher Schein, Betrug, und also Zweifel, Irrungen, Ungewißheit, und [297] Widerspruch häuffen. Es ist also der Weisheit Gottes entgegen, sich so zu offenbaren, und uns nicht möglich, eine solche zerstreute, vervielfältigte, und nur durch Mehrheit der Wunder weniger ausrichtende göttliche Offenbarung zu gedenken.

§§. Wir müssen nun den letzten Fall, da sich Gott nur in einem Volke, zu gewissen Zeiten, durch gewisse Personen, theils mündlich, theils schriftlich offenbaren könnte, um desto genauer in Erwegung ziehen, weil eben dieses wirklich geschehen zu seyn gesetzet, und dabey behauptet wird, daß darinn der allen Menschen nöthige Weg zur Seligkeit enthalten sey. Es ist wahr, daß bey diesem Falle die Wunder nicht so viel und so oft geschehen, dürfen als in den beiden vorigen Fällen. Auch ist wahr, daß in der Offenbarung selbst nicht so viel Verschiedenheit und anscheinender Streit seyn kann, als wenn dieselbe bey vielen Völkern durch vieler Mund und Feder gegangen wäre. Und darinn hat diese Hypothesis einen Vorzug vor den übrigen. Jedoch wird man auch schon aus dem, was ich bisher angeführet, erkennen können, was dieser Hypothesi theils eben so wohl, theils noch mehr als den vorigen entgegen ist. Einmal geschiehet auch hier durch Wunder, und außerordentliche übernatürliche Wirkung, was durch den ordentlichen Weg der Natur hätte geschehen können. Fürs andere wird das offenbarte Erkenntniß dadurch, daß es über die Vernunft ist, dunkel und unbegreiflich; da es würde klar und verständlich gewesen seyn, wenn es aus natürlich bekannten Wahrheiten hätte können hergeleitet werden. Fürs dritte folget daraus, daß es, um der Ursache willen, nicht allgemein kann angenommen werden: [298] dem einen ist es zu hoch, er kann nichts davon verstehen: dem andern ein Aergerniß und Thorheit. Zum vierten muß der göttliche Ursprung dieses Erkenntnisses selbst bey dem Volke, wo es offenbaret wird, eben so zweifelhaft, als bey allen andern Völkern bleiben: weil es doch auch da bloß durch ein menschlich Zeugniß dem Volke für eine göttliche Offenbarung ausgegeben wird, und es an falschen Propheten und Wundern nicht fehlet, wie man denn nicht leugnen kann, daß Moses und die Propheten, daß Christus und die Apostel zu ihren Zeiten unter ihrem Volke daher am meisten Widerspruch gefunden, und am meisten mit dem Unglauben zu kämpfen gehabt. Fünftens wird doch auch der Vortrag durch mehrerer Menschen Mund und Feder vielfältig: und daher müssen Irrungen und Zweifel, ja Rotten und Secten entstehen: wie gleichfalls die Historie altes und neuen Testaments in dem jüdischen Volke bestätiget. Wenn man denn nun weiter gehet, und bedenket, wie diese Offenbarung von einem Volke zu allen übrigen auf dem ganzen Erdboden kommen soll, so, daß alle Menschen eine gegründete Ueberführung davon haben könnten: so häuft sich die Schwierigkeit dermassen, daß es, nach der Natur und Beschaffenheit der Menschen, eine wahre Unmöglichkeit ist, daß alle Menschen auf dem Erdboden eine solche Offenbarung zu wissen bekommen, glauben, und also durch dieselbe selig werden könnten. Es wird sich bey gemachtem Ueberschlage finden, daß unter einer Million Menschen kaum einer mit Grund von einer solchen Offenbarung urtheilen und überführt seyn kann. Wir wollen dieses etwas genauer in Untersuchung nehmen. [299]

§§. Erstlich haben Kinder bis zehn Jahre schlechterdings keine Fähigkeit eine Offenbarung entweder zu verstehen, oder mit Grunde davon zu urtheilen. Denn was zarte Kinder betrifft, die erst auf die Welt kommen, so können sie zwar mit Wasser besprengt, und unter beygefügtem Formular getauft werden: es können andere Erwachsene statt ihrer ein Glaubens-Bekenntniß dabey ablegen, und alsdenn statt ihrer ja sagen, wenn gefragt wird, ob sie auf solchen Glauben wollen getauft seyn? Allein die Kinder haben noch nicht die geringsten Begriffe, sie können noch nichts von einander unterscheiden, und sind sich dessen, was mit ihnen geschiehet, im geringsten nicht bewußt. Weil nun kein Glaube, Religion, oder Erkenntniß von Gott und göttlichen Dingen ohne Begriffe mag gedacht werden: so ist nicht möglich, daß diese getaufte Kinder einen Glauben von der Offenbarung haben. Will man sich etwa auf eine übernatürliche Wirkung Gottes in die Seele berufen, dadurch ein Glaube gewirket würde: so müßte man doch gestehen, daß dieser gewirkte Glaube aus der Taufe, ein Glaube ohne Begriffe, und also ganz was anders sey, als der Glaube, welchen die Kinder nachmals in den Schulen aus dem Catechismo lernen. Denn hätte der heilige Geist in den getauften Kindern ein Erkenntniß von Gott, von den drey Personen, von Christo, von seiner Person und Naturen, von seinem Leiden und Sterben u.s.w. gewirkt: was brauchte es denn nachher eines elenden Schulmeisters, um dieses Erkenntniß den Kindern einzupflanzen? könnten die Begriffe, so der heilige Geist gewirkt, so bald verschwinden? könnten die [300] Lehrlinge aus der Schule des heiligen Geistes so roh, unwissend, einfältig und dumm in die A.B.C. Schule kommen, daß ihnen auch nicht die geringste Spur des Erlerneten zurück geblieben wäre? Es ist also aus der Natur der Menschen in der Kindheit, und aus dem, was Kinder nachmals von sich blicken lassen, offenbar genug, daß ihnen durch die Taufe kein Glaube an die Offenbarung, der in Erkenntniß oder Begriffen bestehet, gewirket sey, noch habe gewirket werden können. Wer aber einen Glauben ohne alles Erkenntniß und Begriffe sich einbilden wollte, der würde sich vergeblich bemühen, ein widersprechendes Ding zu gedenken. Es scheinen auch die Stifter dieser Ceremonie wohl eingesehen zu haben, daß die Taufe den Glauben nicht wirken könne. Denn sie lassen die Gevattern im Namen des Kindes schon vor der Taufe das ganze Bekenntniß des Glaubens ablegen, und dann fragen sie: willst du auf solchen Glauben getauft seyn? Wenn sie in den Gedanken gestanden wären, daß die Taufe den Glauben wirkte: so würden sie erst geordnet haben, die Kinder zu taufen, und hernach das Bekenntniß des Glaubens, so die Taufe gewirkt hätte, abzulegen. So aber machen sie es umgekehrt: es antworten die Gevattern statt des Kindes, daß es glaube an Gott den Vater als Schöpfer, an Gott den Sohn als Erlöser, an Gott den heiligen Geist als Heiligmacher, und das Kind wird auf einen Glauben, den es schon hat, und dessen Bekenntniß es schon abgelegt, getauft und zur christlichen Gemeine angenommen. Wie kann man denn sagen, daß die Taufe erst den Glauben wirke? Es ist aber daraus offenbar, [301] daß diese Ceremonie von alten Leuten, die ihr Bekenntniß des Glaubens vor der Taufe ablegen, auf die Kinder gebracht sey, zu einem bloßen Zeichen, daß sie diese Aufnahme in die christliche Kirche durch die Taufe begehren würden, wenn sie schon das Erkenntniß hätten, was sie als Erwachsene haben werden; und daher diese Ceremonie, wie die Beschneidung, bey ihnen zum voraus verrichte. Oder wenn die Taufe den Glauben wirken kann, warum müssen Erwachsene erst den Catechismum mit Mühe lernen? warum werden Juden, die sich zur christlichen Kirche begeben wollen, nicht alsobald getauft, sondern erst fleißig unterrichtet? Man dürfte sie ja nur taufen, so wüßten sie den ganzen Glauben, wenn der heilige Geist den Glauben durch die Taufe wirkte. Man kann auch bey der ganzen Taufe nichts annehmen, das den Glauben wirkte: nicht das Wasser; denn das machet nur die Haut naß: nicht die Worte an sich; denn sie bestehen nur in einem Schalle aus zusammengefügten Buchstaben: nicht der Verstand der Worte; denn der ist eine Vorstellung der Sache in Gedanken, welche von willkührlichen Zeichen abhänget, so die Vorfahren und Urheber der Sprache erdacht haben, davon die Kinder nichts wissen: nicht der heilige Geist, der durch das Wort wirkte; denn Kinder verstehen die Worte nicht: nicht ein Geist, der unmittelbar wirkte; weil sonst die Wirkung ein Zwang seyn würde, dem die Kinder nicht widerstehen könnten; und keine Ursache wäre, warum derselbe Geist nicht ohne Wasser und bey allen Kindern auf der Welt dasselbe verrichten wollte. Oder hängt der Glaube und die Seligkeit ab [302] von dem Wasser und von den christlichen Aeltern, welche die Taufe für ihre Kinder verlangen? so ist es ein bloßes Glück, daß gewisse Kinder selig werden, weil sie von christlichen Eltern geboren sind; ein bloßes Unglück hergegen, warum noch weit mehrere ewig verdammet werden, weil sie nicht von christlichen Eltern das Leben empfangen haben. Alles dieses fasset unendlichen Widerspruch in sich, und daher bleibt nichts übrig, als daß die Kinder gar keinen Glauben oder Erkenntniß von der Offenbarung haben oder haben können. Wenn nun die Offenbarung und der Glaube an dieselbe das einzige nothwendige Mittel zur Seligkeit seyn sollte: so ist es für diesen Theil menschlichen Geschlechts, der in seiner zarten Kindheit von der Welt scheidet, ein unmögliches Mittel. Wenigstens wird man zugestehen müssen, daß doch nur Christen-Kindern durch Glück und Zufall möglich werde, durch dieses Mittel den Glauben zu bekommen und selig zu werden; allen übrigen Türken- Jüden- und Heiden-Kindern aber durch Unglück unmöglich falle an der Offenbarung, Glauben, und Seligkeit Antheil zu bekommen.

§§. Wenn die Kinder erwachsen, so wird ein jedes nach dem Willen seiner Aeltern von Lehrmeistern, oder auch von den Aeltern selbst in den Anfangs-Gründen der väterlichen Religion unterrichtet: der Jude in dem Judenthum, der Türke nach dem Alkoran, der Sineser, der Perser, der Heide in seinen hergebrachten Meinungen und Gebräuchen, der Christ in seinem Catechismo, so wie es fällt, auf Catholisch, Reformirt, Lutherisch, Arminianisch, Menonitisch, Socinianisch. Zuweilen [303] wird schon in den Ehe-Pacten der Eltern den Kindern, die noch sollen geboren werden, ihr Glaube als ein Erbgut, als ihre väterliche oder mütterliche Portion bestimmt: die Knaben bekommen etwa den Catholischen, die Mädchens den Lutherischen Glauben. Und siehe, sie nehmen ihn, wie alle übrige Religionen und Secten, nach den Ehe-Pacten, nach dem Willen und Bestimmung ihrer Aeltern, nach dem Exempel ihrer Vorfahren, getrost an; und können nicht anders handeln. Wer kann von solchen Kindern eine Fähigkeit fordern, daß sie die Wahrheit dessen, was sie lernen, beurtheilen, und so sie im Jrrthume wären, eine bessere Religion suchen und finden sollten? Wer kann ihnen verdenken, daß sie bey dem Vertrauen, bey dem Gehorsame, so sie ihren Aeltern schuldig sind, auch derselben ihre Religion für wahr und für die beste halten? Sie lernen erstlich mehr die Wörter und äußerliche Cerimonien, als Begriffe: es wird ihnen sauer, sich von göttlichen Dingen, die nicht in die Sinne fallen, eine Vorstellung zu machen: und wenn sie zumal unter ungeschickte Lehrmeister verfallen, wie es leider den meisten widerfährt, so müssen sie sich auch bis ins männliche Alter mit dem leeren Tone unverständlicher Formuln, die sie ihrem Gedächtnisse ohne Erklärung einzuprägen angehalten sind, behelfen. Wenn denn noch einige wenige Kinder so weit kommen, daß sie sich von den Dingen selbst anfangen Begriffe zu machen: so sind doch dieselben noch auf kindische Weise dunkel, unvollständig, verwirrt und irrig. Da ist noch keine Fertigkeit im Gebrauche der Vernunft, keine Erfahrung, keine Wissenschaft, keine Belesenheit [304] in der Geschichte. Ihnen kann also leicht ein Blendwerk vorgemacht, ein Schrecken vor der Hölle, wo sie nicht glauben, eingeprägt werden: und sie sind ohne das von selbst geneigt, was ihnen ihre Aeltern und Lehrmeister sagen, was alle bekannte und angesehene Leute glauben, ohne Untersuchung blindlings für wahr zu halten. Daher denn auch die Erfahrung bestätiget, daß ein jedes Kind meinet die rechte Offenbarung und den rechten Verstand derselben erlernet zu haben: sie folgen den Aeltern so getrost auf dem unbekannten Wege zur Seligkeit, als auf einem unbetretenen Wege zu einem Lustschlosse. Eine Offenbarung, welche über die Vernunft gehet zu beurtheilen, ist kein Kinderwerk: es ist schlechterdings unmöglich, daß ein so unverständiges Alter darinn zu rechte finden, oder den rechten Weg zum gegründeten Erkenntnisse treffen könnte. Ist eine Offenbarung, und ein gegründeter Glaube an dieselbe das Mittel zur Seligkeit, so ist dieß Mittel für Kinder umsonst. Will man hiebey wieder die Kinder ausnehmen, die man rechtgläubige Aeltern zu haben annimmt: so macht man abermals aus dem Glauben und aus der Seligkeit ein Werk des Glücks, einen Zufall, ein Ohngefähr. Was können andere Kinder davor, daß ihre Aeltern nicht Christen, nicht Protestanten sind? So wenig als die jetzigen Sachsen Ursache sind, daß ihre Vorfahren durch Caroli M. Schwerdt zum christlichen Glauben gebracht sind: so wenig können auch andere Kinder davor, daß ihre Vorältern nicht so bekehret worden. Wird denn nicht Gott dadurch unweise, unbillig, ungerecht und unbarmherzig gemacht, wenn er [305] die Seligkeit nach dem Glücke und Zufalle ausspendete, wenn er ein Mittel zu derselben nothwendig setzte, dessen Ergreifung doch von tausend Umständen abhänget, und über das Vermögen der meisten ist; wenn er die meisten Menschen, wegen unverschuldeter zufälligen Beraubung des Mittels zu einer ewigen Strafe verdammete? Gott handelt gewiß anders im Leiblichen. Was den Menschen, und besonders auch Kindern zum Leben nothwendig ist, das reicht er durch die Natur im Ueberflusse dar, daß es sich allen und jeden von selbst anbietet; und giebt wiederum jedem das Vermögen, sich dessen zu bedienen. Wie kann er die Mittel zu dem geistlichen und ewigen Leben und Wohlfahrt so sehr über das Vermögen der Menschen gesetzt haben, daß sie theils unmöglich sind, theils dem Zufalle überlassen werden?

§§. Wenn demnach ein jeder vernünftiger Mensch wohl einsehen kann, daß es für Kinder, von dem Anfange ihres Lebens bis wenigstens zu vollen zehn Jahren schlechterdings eine Unmöglichkeit ist, eine Offenbarung zu beurtheilen, und also zu einem gegründeten Glauben zu gelangen: so ist hiebey noch übrig zu untersuchen, wie viel Menschen hiedurch von der Möglichkeit dieses Mittels ausgeschlossen werden. Ich will mich in diesem Stücke auf einen angesehenen Mann beziehen, der die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts nach ungezweifelter Erfahrung sorgfältig berechnet hat, und dadurch dem menschlichen Geschlechte und der vernünftigen Welt einen wahren Dienst gethan. Der bestimmet unter andern [306] im sechsten Capitel das Verhältniß der Sterbenden nach dem verschiedenen Alter, und bedienet sich zu dem Ende der richtigsten Listen von Breslau, London, Berlin und insonderheit von Wien, woraus erhellet, daß die Hälfte der gebornen Kinder gegen vier Jahr schon wieder todt ist: von 11686 gebornen werden nur 5520, und also nicht einmal die Hälfte drey Jahr alt, daß sie bis ins vierte kämen. Nach dem zehnten Jahre aber ist von allen Gebornen nur ein Drittel übrig, nemlich von 11686 erreichen nur 3920 das zehnte Jahr. Folglich wären von dem ganzen menschlichen Geschlechte die Kinder, so unter zehn Jahren sterben zwey Drittheile des menschlichen Geschlechts. Also ist vermöge dessen der Schluß richtig, daß erstlich die Offenbarung für zwey Drittheile des menschlichen Geschlechts ein schlechterdings unmögliches Mittel sey. Ob ich nun wol versichert bin, daß diese Rechnung genau und behutsam gemacht sey, und von keiner ausserordentlichen Krankheit entstanden; so will ich doch ein und anderer Einwendung, welche man wegen des Verhältnisses der sterbenden Kinder an andern Orten und zu andern Zeiten machen mögte, vorbeugen, und nur annehmen, daß die Hälfte Menschen unter zehn Jahren versterben, und folglich die Offenbarung für die Hälfte des menschlichen Geschlechts unbrauchbar und unmöglich sey. Das ist doch, dünkt mich, mit einemmal ein gewaltiger Abschlag von dem Satze, daß die Offenbarung allen Menschen zur Seligkeit nöthig sey.

§§. Lasset uns aber weiter gehen. Die übrige Hälfte des menschlichen Geschlechts bestehet denn aus Erwachsenen [307] über zehn Jahre. Nun sterben noch von diesen auch eine grosse Menge dahin, ehe sie vollen Gebrauch der Vernunft, und die zur Untersuchung ihres erlerneten Glaubens nöthige Fähigkeit erhalten können. Das mögte abermahl gerne die Hälfte der übrigen Hälfte wegnehmen. Allein ich will auch diese nicht mit in Anschlag nehmen, und nur das übrige menschliche Geschlecht von Erwachsenen über zehn Jahre, in die Zeiten vor Christo und nach Christo theilen. Ja, ob ich wohl genugsamen Grund zu haben vermeine, daß die Welt vor Christo schon unzählige tausend Jahre gestanden; so will ich doch jezt das Alter der Welt, so aus der Schrift ohngefehr bestimmt werden mag, annehmen, daß nemlich vor Christi Geburt nur etwa 4000 Jahre verflossen. Ich hoffe auch, daß mir ein jeder zustehen wird, daß in den 4000 Jahren vor Christo wenigstens eben so viel Menschen auf dem Erdboden gelebet, als nach Christi Geburt in 1744 Jahren. Denn wenn gleich der Erdboden anfangs nur durch ein Paar besetzet worden wäre; so hätte doch das lange Leben der Patriarchen, die dauerhafte Gesundheit der ersten Menschen, und die Fruchtbarkeit der Morgenländer, den Erdboden bald füllen müssen. Die entsetzliche Vermehrung der Hebräer selbst wäre davon ein Zeuge; insonderheit aber, daß bald nach Noä Zeiten die Erde an vielen so gar rauhen Oertern schon so gedrungen voll gewesen, daß wenn sich Menschen einen neuen Sitz und Wohnplatz erwählen wollten, sie dazu nicht anders, als durch Vertreibung alter Einwohner Rath gewußt. Nun ist gar nicht glaublich, wenn hin und wieder noch Länder unbesetzt [308] gewesen, und nur auf Einwohner gewartet hätten, daß die Leute, und selbst die Israeliten, würden so toll und rasend gewesen seyn, sich so wohl mit vieler eigenen Gefahr des Lebens und mancherley Elend, als auch mit Unrecht, Raub und Mord unschuldiger Menschen einen Wohnplatz zu suchen, den sie in Friede und Ruhe hätten haben können. Warum würden die Kinder Esau die Horiter von dem Gebürge vertilgt und vertrieben haben, Deut. II. 12. u. f. wenn ihnen das mit Milch und Honig fliessende Canaan in der Nähe frey und offen gestanden? Was hätten sich die Kinder Ammon an die grossen starken Enakim oder Samsumim gemacht, und sie aus den bergigten Gegenden verjagt, wenn sie gewußt, daß bessere Länder noch unbesetzt wären? ebend. v. 19. Warum hätte der Schwarm von Caphthorim die Aveer von Hazerim bis gen Gaza, wollen ins Elend verweisen und an ihrer Statt daselbst wohnen, so sie einen ledigen Platz des Erdbodens für sich hätten finden können, ebend. v. 23. Diese und dergleichen Geschichte mehr, so schon lange vor Mosis Zeiten geschehen, und deren mehrere von auswärtigen Geschichtschreibern aufgezeichnet sind, zeigen genugsam, daß der Erdboden schon damahls volkreich und allenthalben bepflanzet gewesen. Und dieses ist von ganz Asien bis nach China hinaus zu sagen, welchem Lande niemand den Ruhm eines sehr alten und von Alters her stark bevölkerten Reiches streitig machen wird. Africa war, eben wie Asien, vorzeiten weit stärker besetzt wie jetzo, wie die alten Nachrichten von Egypten und der ganzen Küste am Meere beweisen. In Europa haben die Celten, Scythen [309] und andere Nationen durch ihre Wanderschaften und Streifereyen genug an den Tag gelegt, daß ihre Menge weder zu Hause noch an andern Orten bequem mehr unterkommen könnte. Und America muß wohl von undenklichen Zeiten voller Einwohner gewesen seyn: weil der übrige Erdkreis von solcher Wanderschaft alle Erinnerung verlohren, und die Spanier alles darin bewohnt gefunden, so daß sie 40 Millionen Menschen in einem kleinen Theile desselben hinrichten können, ohne daß sie doch denselben von Menschen ganz öde gemacht. Endlich so bedenke man, daß 1744 Jahre noch nicht einmal die Hälfte von 4000 Jahren sind. So daß ich meyne, selbst nach der Zeitrechnung und Geschichte der Bibel, unstreitig annehmen zu können, daß vor Christo wenigstens eben so viel Menschen in 4000 Jahren gelebt, als nachmals in 1744 Jahren.

§§. Wenn nun vor Christi Geburt nur einem Geschlecht oder einem Volke die Offenbarung wiederfahren wäre, wie angenommen wird: so ist derselben Ausbreitung und Fortpflanzung ganz unmöglich gewesen. Denn es konnte anfangs nur mündlich geschehen. Wie leicht aber wird eine Rede vergessen? wie viel wird dazu gesetzt, davon gelassen, oder verkehrt? Wie viel verlieret die Sage von der Glaubwürdigkeit bey denen Entlegenen und bey den Nachkommen? Oder wenn der Stamm-Vater eines Volks die Offenbarung verachtet, und seinen Kindern nichts davon gesagt, wie wollen es die Nachkommen erfahren? So lautet auch die Historie vor der Sündfluth, darinn kaum ein Dutzend Leute haben genannt werden können, die von einer Offenbarung [310] was gehalten. Allen den übrigen war sie so fremde, daß es endlich heisset, Gott habe nur auf dem ganzen Erdboden den einen Noah übrig gehabt, der sich an seine Offenbarung gehalten, oder dieselbe von Gott bekommen. Er war denn der einzige Prediger der Gerechtigkeit, wie es heisset. Lasset uns aber bedenken, wie weit wol seine Stimme sollte erschollen seyn. Lief er etwa die Welt durch, wie die Apostel, zu predigen? sandte er etwan Mißionarien aus? Nein! er saß an seinem Orte, er bauete seinen Acker, pflanzte seinen Weinberg, hütete seiner Schaafe, wie es die damaligen Zeiten erforderten. Und alle Nachkommen haben es eben so gemacht, sie waren Vieh-Hirten wie ihre Väter; und sind höchstens mit ihren Vieh-Horden von einem Orte, nach Verfliessung etlicher Jahre, zu einem andern gezogen. Nun lesen wir nirgend in der Schrift, daß sie sich jemals die geringste Mühe gegeben die Religion und Offenbarung auszubreiten, oder nur ein Wort darum bey Fremden verlohren hätten; aber gesetzt, daß auch solche vest gesessene Ackersleute oder ziehende Vieh-Hirten etwa bey Gelegenheit zu einem oder andern ihrer Nachbarn etwas gesprochen haben mögten: wie konnte das unter dem ganzen menschlichen Geschlechte, das auf so viel tausend Meile verbreitet war, bekannt werden? Wer bekümmerte sich darum, ob und was dort ein Landmann etliche hundert Meile von ihm gesagt? Wer von den übrigen Menschen wußte, daß ein Abraham, ein Isaac, ein Jacob in der Welt wäre? Wer konnte das, was ein solcher sollte gesagt haben, alsobald glauben? Allein es war auch nicht einmal an dem, daß sich [311] diese guten Leute um Ausbreitung der Religion und Offenbarung bekümmert hätten; sie haben vielmehr guten Theils samt ihrer Familie die Abgötterey der Oerter, wo sie gewesen, mit angenommen. Jacobs, Josephs, und der Israeliten Exempel in Egypten beweisen solches. Wenn daher Moses kömmt, und sagt, daß Gott ihm erschienen sey, so findet er nicht allein nicht bey Pharao, sondern nicht einmal bey den Israeliten Glauben. Die Geschichte giebt auch, daß Moses und alle Propheten, ohngeachtet aller Wunder, nicht einmal ihr eigenes Volk von ihren Erscheinungen, Gesichten und Träumen überführen können; und daß die Abgötterey unter den Israeliten beständig von Anfang bis zu der Babylonischen Gefängniß geherrschet habe. Wenn denn die Offenbarung auf solche Art soll gepflanzet werden, daß sich Gott nur einem einigen gewissen Volke offenbaret; und es mit allen ausserordentlichen Hülfsmitteln nicht einmal bey dem Volke dahin bringen kann, daß sie angenommen wird: wie hätten denn vollend die Nachbarn, wie hätten entfernte Völker zu den Zeiten der alten Welt etwas davon glauben, oder einmal davon hören können? Es ist ja wol unleugbar, daß es heutiges Tages tausend mal leichter ist, etwas unter vielen Menschen bekannt zu machen, da Posten, Schreibekunst, Briefwechsel, Handlung, Schiffahrt, Reisen, Mißionen, Gesandschaften, Reisebeschreibungen, und endlich die erfundene Buchdruckerey und öffentliche Zeitungen etwas unter die Leute bringen können. Dennoch wollte ich was darauf verwetten, da[ß] hundert und aber hundert ganze Nationen auf Erden sind, die jetzo noch unter tausend [312] Gelehrten bey den gesittetsten Völkern nicht einer nur dem Namen nach kennet; geschweige, daß er von einzeln Personen unter ihnen und deren Vorgeben und Meynungen sollte Nachricht haben, oder sich darum bekiimmern, oder auch gegründeten Bericht davon einziehen können. Wie wäre es also in alten Zeiten, vor Christi Geburt, möglich gewesen, daß eine Offenbarung, welche in einem Winkel des Erdbodens einigen wenigen Personen in einem einzigen Volke widerfahren war, und welche dem Volke selbst unglaublich schien, den andern Nationen auf dem ganzen Erd-Kreise, ohne alle Bemühung und Predigen der Propheten, ohne Posten, Schreibe-Kunst, Briefwechsel, Schiffahrt, Missionen, Buchdruckerey und dergleichen, sollte bekannt oder glaublich gemacht werden können? Gewiß, das ist so unmöglich und noch weit unmöglicher, als daß ich heutiges Tages wissen könnte, oder zu wissen verlangte, was ein Slachtjitz in Pohlen hinter seinem Pfluge spricht, oder ein Bojar in Siberien bey seinem Zobel-Fange denkt, oder was einem Mandarin in Sina träumt. Die alte Welt konnte so wenig von einander wissen, und wegen ihrer Umstände sich so wenig um einander bekümmern, daß es in dem Stücke eben so gut war, als ob die andern nicht in der Welt wären. Die Chaldäer und Egyptier hatten sich noch durch ihre Wissenschaft Ruhm erworben, so daß sie wol von Fremden besucht wurden. Aber die Hebräer und das Israelitische Volk haben sich niemals in irgend einem Theile der Wissenschaften hervorgethan. Dazu waren sie durch ihr Gesetz sowol, als durch die Lage selbst, von allen andern Nationen abgeschlossen: [313] sie trieben keine Handlung zu Wasser oder zu Lande, außer das wenige, was zu Salomons Zeiten mag geschehen seyn: ihre Schriften waren unter ihnen selbst ganz selten, und andern nicht allein in der Hebräischen Sprache, sondern auch in der nachher gemachten Griechischen Uebersetzung unverständlich. Nimmt man denn auch dazu an, daß die Haupt-Sache der Offenbarung bey ihnen unter dem Schatten der Ceremonieen versteckt gewesen, so daß sie zuletzt denen Juden selbst unbekannt oder von ihnen verkehrt verstanden worden: wie wollte doch durch dieses Volk die Offenbarung offenbar und allgemein werden? Vor Alexandri M. Zeiten hat niemand, außer etwa die nächsten Nachbaren, gewußt, daß Juden, Israeliten oder Hebräer in der Welt wären. Und da sie zerstreuet in der Welt herum liefen, waren sie wegen der Beschneidung, Armuth, Unwissenheit, Unart, Lügen, Betrug und wunderbaren Gebräuche ein Gelächter, Verachtung und Scheusal aller Menschen geworden, so daß sie die allerungeschicktesten auf der Welt waren, von denen vernünftige Menschen eine Offenbarung als göttlich und glaubwürdig hätten annehmen können. Summa, wenn wir das alles, was etwa vor Christi Zeit einige unter den Juden von der Offenbarung geglaubt, zusammen nehmen, so ist es gegen die übrige Anzahl des Volkes selbst, und noch mehr gegen das übrige ganze menschliche Geschlecht für nichts zu achten. Und daher bleibt uns nur ein Viertheil des menschlichen Geschlechts nach Christi Geburt übrig, das in Erwägung zu ziehen wäre. [314]

§§. Wenn wir auf die Zeiten nach Christi Geburt kommen: so ist offenbar, daß wiederum die Hälfte der Menschen, welche von daher bis jetzo gelebt haben, von der Geschichte Jesu, oder der darauf gebaueten Religion nicht das geringste gehöret haben. Paulus ist so billig, daß er Röm. X, 14. 15. frägt: Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehöret haben? wie sollen sie aber hören ohne Prediger? wie sollen sie aber predigen, wo sie nicht gesandt werden? Er hat aber die Dreistigkeit zu antworten, X. 18. Ich sage aber: haben sie es nicht gehöret? ja doch! es ist je in alle Lande ausgegangen ihr Schall und an die Ende des Erdkreises ihre Worte 1). Und am andern Orte Col. I. 23. sagt er noch mit weniger Scheu: so ihr anders bleibet im Glauben gegründet und vest, und euch nicht bewegen lasset von der Hoffnung des Evangelii, welches ihr gehöret habt; welches geprediget ist bey allen Creaturen, die unter dem Himmel sind, dessen ich Paulus ein Diener worden bin. Gewiß, in Pauli seinem Atlante geographico müssen sehr viele Charten gemangelt haben; der Erdkreis und das menschliche Geschlecht muß bey ihm auf wenig Völker und Länder eingezogen worden seyn, daß er zu der Zeit, da das Christenthum noch, so zu reden, in seiner Wiege lag, dieses zu sagen das Herz hat. Paulus war es ja fast nur allein unter den Aposteln, welcher sich das Amt des Evangelii unter den Heiden anmaassete, da die andern [315] Apostel mehrentheils unter den Juden blieben. War denn dieser Mann oder seine Gehülfen bis ans Ende des Erdbodens gewesen? Waren keine Creaturen, keine Heiden oder Menschen unter dem Himmel mehr übrig, denen er nicht geprediget, oder die von seiner Predigt nicht gehöret hätten? Wir wissen ja, wie weit seine Reisen sich erstrecket, und an wen seine Briefe gerichtet sind. Wie Himmel weit ist das davon entfernet, daß er hätte sagen mögen, er oder seine Gehülfen wären in alle Lande, ans Ende des Erdkreises, zu allen Creaturen, die unter dem Himmel sind, gewesen 2)? Die Schiffahrt ist erst in neueren Zeiten, durch Erfindung der Magnet-Nadel, recht empor kommen. Es ist nicht so gar lange, daß man die ganze Erde zuerst [316] umfahren hat. Man hat seit ein Paar Jahrhunderten viele hundert Inseln, viele hundert Völker, viele große Länder, die ein oder etliche mal größer sind, als Europa, entdecket. Es sind noch viele Terrae incognitae übrig: und die jetzt aus allen Reisebeschreibungen alles genau gesammlet haben, werden sich noch nicht rühmen, daß sie nur die Küsten des Erdbodens allerwärts recht kenneten; geschweige, daß sie von allen Völkern innerhalb Landes Nachricht zu haben, sich anmasseten. Von dem innern großen Africa, und so vielen andern Ländern und Völkern mehr, wissen wir fast noch nichts. Die mit so vielen Kosten, Mühe und Gefahr versandten Mißionarii haben nur noch etliche wenige Völker besuchen, etlicher wenigen Sprache erlernen können. Wer nur die geringste Erkenntniß von unserm Erdboden hat, und nur irgend noch etwas von Aufrichtigkeit besitzet, der muß gestehen, daß weder die 40 Millionen Menschen, welche die Spanier in America so christlich ermordet haben, noch alle ihre Vorfahren bis ins funfzehnte Jahrhundert, noch alle Einwohner der übrigen neu entdeckten Länder und Insuln, bis auf die Zeit, da sie entdeckt sind, noch die innern Einwohner des großen Africa bis auf diese Stunde, noch viele andere Nationen in dem nördlichen und östlichen Europa und Asia bis ins achte, neunte, ja funfzehnte Jahrhundert, das geringste von dem Christenthume haben wissen können. Was von dem früh gepredigten Christenthume in den meisten sonst noch bekannt gewesenen Ländern gesagt wird, sind nach aller Verständigen Urtheil lauter Mährlein und dreiste Unwahrheiten. Wenn wir nun die Anzahl Menschen, [317] welche von Christi Geburt an bis auf den heutigen Tag keine Nachricht von dem Christenthume haben können, in genauen Anschlag bringen wollten: so würde sich finden, daß gerne sechs Achttheile von der gesammten Anzahl erwachsener Menschen, die seit Christi Geburt gelebt, abgiengen: denen es schlechterdings unmöglich gewesen, durch einen solchen Weg der Offenbarung zu Gott zu kommen. Da wir nun diese gesammte Anzahl erwachsener Menschen kaum als ein Viertheil des ganzen menschlichen Geschlechts anzusehen haben, so würden nur 2/32 Theile desselben übrig bleiben, die vom Christenthume etwas wissen können. Allein es ist mir gleich, zu welcher Art der Unmöglichkeit ich die Menschen hinrechnen soll: ich will hier demnach abermal sehr freygebig seyn, und nur die Hälfte abrechnen, daß ein Achttheil des menschlichen Geschlechts noch übrig bleibt, an welches einige Nachricht vom Christenthum gelangen können. Aber es sind noch viele Ursachen übrig, warum es den meisten von diesen unmöglich gewesen, gegründeten Bericht davon einzuziehen, und noch viel mehrere, warum sie es für keine göttliche Offenbarung halten können.

§§. Setzet solche christliche Barbaren und Unmenschen, die in ein fremd Land kommen, 40 Millionen Menschen, ohne daß sie ihnen das geringste Leid gethan, jämmerlich ermorden, die übrigen verjagen, berauben, und ihnen ihr Land, Haus und alles ihrige nehmen: können dieselbe wol als von Gott gesandte Boten einer Offenbarung angesehen werden? konnten die Amerikaner ihnen wol einige, geschweige denn eine wahre und göttliche [318] Religion zutrauen? mußten sie nicht allen ihren Nachbarn und Landsleuten Schrecken und Abscheu vor solchen gottlosen Creaturen beybringen? Was gehen noch heutiges Tages mehrentheils für Leute nach heydnischen Ländern? ruchloses See-Volk; verdorbene liederliche junge Leute; Uebelthäter, die zum Strange verurtheilet waren, und nun in die Colonieen zur Begnadigung verschickt werden; gewinnsüchtige Kaufleute, die gestohlene Menschen kaufen und sie wieder verkaufen oder zu Sclaven brauchen; Geistliche von verschiedenen Secten, deren eine jede die andern in die Hölle verdammet, und da ein jeder Amts-Gehülfe den andern verketzert und sich mit ihm zanket; zum Theil auch solche Mißionarii, die das Christenthum durch allerley groben Tand, Aberglauben, Bilder- und Heiligen-Dienst so beschmitzet haben, daß es keinem Menschen, der natürlich gesunde Vernunft hat, und noch von Vorurtheilen frey ist, anständig seyn kann. Ist da wol die geringste Möglichkeit, daß Fremde, die noch von dem Innern der christlichen Lehre keine rechte Einsicht haben, und also noch bloß aus dem äusserlichen Betragen der Christen urtheilen müssen, nur eine Begierde bekommen, zu wissen, worinn die Lehre bestehe? Sie müssen ja so gedenken: Ist es eine göttliche Religion, die sich einer übernatürlichen Offenbarung und wunderthätigen Kraft bey denen Menschen rühmet: warum macht sie die Menschen nicht frömmer, nicht besser? warum sind die Leute dabey gottloser, als alle andere? Gott hat keine Gemeinschaft mit unreinen Seelen, er offenbaret sich nicht denen Gottlosen: er brauchet keine Lasterhafte zu Boten [319] seiner heiligen Wahrheiten: ihr Vorgeben muß falsch und erlogen seyn. Dazu, wenn ich gleich ihnen Gehör geben wollte: wem soll ich folgen? Der eine beschuldiget den andern irriger Lehre, falscher Auslegung, menschlicher Zusätze: frage ich diesen, so warnet er mich für jenen; frage ich jenen, so verdammet er diesen bis in die Hölle. Laß sie erst selber unter ein ander eins werden, wenn ich ihnen, als Wegweisern, folgen soll. Wer kann den Heyden verdenken, wenn sie bis auf den heutigen Tag so urtheilen, und sich von dem Christenthume vielmehr zurück ziehen? Das Christenthum hat anfangs durch Vernunft und frommen Wandel über das Heidenthum gesiegt; aber durch Zwiespalt des Glaubens, und daher entstehende Unordnung und Laster ist es in sich wieder zerfallen. Wenn nun sonderlich Zwiespalt dem Christenthume wesentlich ist, und nach Pauli Ausspruche Secten oder Rotten darinn notwendig seyn müssen, wie es auch die ganze Kirchen-Historie giebt: so kann man leicht gedenken, wie es bald mit der Fortpflanzung des Christenthums ergangen. Ein Reich, das mit sich selbst uneins ist, kann nicht bestehen: Eine Secte, eine Rotte reibt die andere wieder auf. Und diese innerlichen Unruhen, Gezänke und Verfolgungen, nebst denen einreissenden Lastern und Aberglauben, haben gemacht, daß das Christenthum fast in ganz Asien, wo es zuerst aufgekommen war, wie auch in Africa, wieder hat vergehen und ausgerottet werden müssen: und daß noch die schwachen Ueberbleibsel davon, da sie in wenigen unter sich zankenden Griechen, Catholiken, Protestanten, Habassinern, Armeniern oder Jacobiten, und Maroniten [320] oder Melchiten etc. bestehen, nicht wieder aufkommen können. Wie es denn auch, innerhalb des Christenthums, mit der Reformation nicht anders ergangen: daß die vielen Spaltungen unter den Protestanten den Fortgang der aufgehenden Reformation in vielen auswärtigen Reichen sowol als in Deutschland selbst unterbrochen und zurückgesetzt haben. Wie kann man sich denn, bey den immer sich mehrenden Secten der Christen einen Zugang und Wachsthum von Heyden versprechen? Wenn vormals nachgerade ganz Europa das Christenthum angenommen, so weiß man genugsam, daß solches guten Theils mit Gewalt und Schwerdt geschehen sey: und daß die gröbste Barbarey, Unwissenheit und Einfalt der Einwohner den Weg dazu gebahnet, und diese Einwohner also auch klüglich von der Clerisey in solcher sclavischen Dummheit erhalten worden. Wir wissen, daß die Zeiten der Gewalt und Finsterniß den größten Theil der Dauer des Christenthums in Europa ausmachen. Ich kann aber solche Leute, die durch Gewalt und Unwissenheit zum Christenthume gebracht, oder durch eben diese Mittel darinn unterhalten werden, gar nicht für solche erkennen, bey welchen eine gegründete Ueberführung von der Offenbarung statt finde; und wenn auch jetzt eben diese Gewalt und Finsterniß ausser Europa über die Heyden ausgebreitet werden könnte: so würde ich doch diese vormals blinde Heyden, nunmehro blinde Christen, eben so wenig unter die Zahl derer rechnen, denen man einen gegründeten Glauben von der Offenbarung beylegen kann. Es gehet aber auch jenes heutiges Tages nicht mehr an; und also fällt alles hin, was vormals [321] zur Ausbreitung des Christenthums etwas beigetragen. Gewalt kann und will man nicht mehr gebrauchen. Man will durch Ueberzeugung bekehren; und dabey verläßt man doch den Weg der Vernunft, dadurch zuerst die Heyden gewonnen sind. Die vernünftige Religion ist jetzt aus dem Catechismo verbannet, es sind lauter unbegreifliche Glaubens-Articul. Statt der ersten Glaubens-Einfalt, welche die auswärtigen Lehrlinge mit vielen Geheimnissen verschonete, belästiget man die Catechumenos mit vielen über alle Vernunft steigenden Glaubens-Articuln, mit Ceremonien, Aberglauben, Streitigkeiten. Statt der Tugend und Gottseligkeit lässet man ihnen äusserlich nichts als ruchloses Wesen und Schandthaten sehen. Daher darf man sich nicht wundern, daß an keinen weitern Fortgang des Christenthums bey den Heyden mehr zu gedenken ist, und alle Mühe, so daran gewandt wird, vergebens sey. Ein jeder stelle sich unpartheyisch in die Stelle der Heyden, und urtheile denn, ob es wohl möglich sey, daß sie durch gegründete Ueberführung zum Christenthume zu bringen sind. Sie sind erstlich von ihrer väterlichen Religion, so wie wir, von Jugend auf so eingenommen, daß sie sich um andere zu bekümmern so unnöthig als gefährlich halten. Wer ihnen dieses verargen wollte, der mag mir zuvor antworten, ob er den Talmud, die Misna und Gemara, den Alcoran, den Zendavesta des Zerduscht, den Sad-der des Destur, den Con-fu-zu und andere dergleichen Bücher gelesen? ob er aller Völker Religionen so genau zu kennen und so unpartheyisch zu untersuchen jemals Lust, Fähigkeit oder Zeit gehabt? [322] ob er nicht glaube, die Religion, darin er erzogen worden, sey die einige wahre und seligmachende? ob er nicht daher unnöthig zu seyn glaube, sich um andere Religionen viel zu bekümmern? ja ob er es nicht fast für sündlich erachtet hätte, sich nach andern, als bessern, umzusehen, und aus Reizung zu denselben ihre Bücher zu lesen und nach ihren Lehrern zu laufen? Eben das haben die Heyden, und noch weit mehreres für sich, da sie die Christen für die gottlosesten Menschen auf der Welt zu halten Ursache haben, und also durch das, was sie äusserlich von dem Christenthume wissen und sehen, keine Lust bekommen können zu forschen, worinn ihre Lehre eigentlich bestehe; sondern vielmehr durch die äusserliche Gestalt desselben, so die erste Reizung zum Erkenntnisse desselben geben sollte, einen starken Eindruck des Abscheues und Widerwillens bekommen. Da sie denn auch wahrnehmen, daß die Christen selbst unter sich in so viele Secten vertheilet sind, und sich unter einander verketzern und verdammen; da die Stücke des Christenthums, welche sie von allen Secten als einstimmige Wahrheiten hören, der Vernunft des Menschen ein Aergerniß und Thorheit sind; und da endlich die Wunder-Geschichte, worauf sich alles gründet, an sich unglaublich, und jetzt unmöglich von Heyden zu untersuchen sind: so müssen wir alle Heyden und fremde Religionen, zu welchen in neuern Zeiten die Christen und der Ruf des Christenthums gekommen ist, von der Zahl derer, bey welchen das Christenthum möglich sey, ausschliessen. Die Geschichte und Erfahrung bewähret auch, was ich sage, indem in den zwey bis dreyhundert Jahren, da man unbekannte [323] Völker zu besuchen, und mit vieler Mühe und Kosten die geschicktesten Missionarien dahin zu senden angefangen, auch die größten Vortheile der Wissenschaften und Buchdruckerey vor den alten voraus hat, dennoch fast nichts ausgerichtet ist, und überhaupt zu rechnen, von einer Million Menschen kaum einer zum Christenthume gebracht worden: so daß auch diese Neubekehrte entweder bloß aus Absicht auf zeitliche Vortheile, oder aus blinder sclavischer Einfalt, zum Christenthume getreten, oder nur einen Schein desselben angenommen; keiner aber von der Geschichte Jesu und der Apostel, von der Wahrheit und Göttlichkeit ihrer Wunder, von der Aufrichtigkeit der Zeugen, von der unverfälschten Bewahrung der Bücher, oder deren göttlichen Eingeben genugsame Untersuchung anstellen, oder gegründete Ueberführung haben kann. Mit einem Worte, alle große Mühe und Kosten sind an Missionen verlohren: das Christenthum lässet sich heutiges Tages bey den Heyden nicht weiter ausbreiten.

§§. Es finden sich denn ferner andere Hindernisse in der Beschaffenheit des menschlichen Geschlechts, welche nicht verstatten, daß eine solche Offenbarung, die nur einem Volke gegeben ist, allen Völkern beygebracht werde. Die Menschen sind durch die Verschiedenheit so vieler Sprachen sehr von einander abgesondert, daß sie sich nicht verstehen. Und wer die Menge der Sprachen bedenket, benebst der Geschicklichkeit, die ein Dollmetscher oder Uebersetzer haben muß, wird wohl glauben, daß es menschlicher Weise unmöglich sey, ein Buch in alle Sprachen zu übersetzen, und so viel Menschen zu finden, [324] welche sowol alle übrige Eigenschaften der Missionarien, als auch diese Geschicklichkeit an sich hätten, daß sie alle Sprachen fertig redeten, damit man sie in die ganze Welt vertheilen, und allen Völkern und Zungen predigen lassen könnte. Wenn wir die Sprachen, wie billig, als verschiedene Sprachen ansehen, darinn einer den andern nicht verstehen kann, wo er sie nicht besonders gelernet hat: so werden wir auf dem Erdboden gerne 500 verschiedene Sprachen zählen können. Ich will gerne zugeben, daß diese aus viel wenigern Haupt-Sprachen stammen; aber weil wir hier auf die Verkündigung der Offenbarung sehen, welche mündlich oder schriftlich geschehen soll; so müssen wir so viele Sprachen setzen, als sich Völker ein ander in der Mutter-Sprache nicht verstehen können. Denn wer wollte z. E. alle die Sprachen für eine halten, welche aus der Sclavonischen oder Teutschen entstanden sind? Wenn er einen Prediger des Evangelii bey den Europäischen Völkern abgeben wollte: so würde er wohl sehen, daß er mit diesen Stamm-Sprachen nicht auskäme, und daß er weder die Leute, noch die Leute ihn verstehen könnten. Wenn wir nun diesen Begriff zum Grunde legen, so sage ich gar nicht zu viel, daß 500 verschiedene Sprachen auf dem Erdboden sind. Herr Chamberlaine hat allein das Gebet Jesu in 152 Sprachen drucken lassen, und man könnte das zweyte Hundert leicht voll machen, wenn man die darinn fehlende Uebersetzungen, die schon bekannt sind, hinzufügen wollte. Wie viele Sprachen aber sind uns noch ganz unbekannt. Man rechnet allein in America über 1000 Sprachen, deren jedoch viele solche Verwandtschaft [325] unter ein ander haben, wie unsere Europäischen. 3) Herr Reland zählet allein in der Provinz Guaxaca, zu Mexico gehörig, dreyzehn verschiedene Sprachen 4). Herr Stralenberg hat uns eine Probe von 32 allein Tartarischen Sprachen gegeben, die ziemlich weit von einander abgehen 5). Ich lasse es gelten, daß einige Sprachen in allen Theilen der Welt fast als allgemeine Sprachen anzusehen sind, als das Französische in Europa, das Malaische in Asien; das Holländische und Portugiesische an den Küsten von Ost- und West-Indien. Doch ist dieses nicht weiter zu denken, als daß einige vornehmere, gelehrte, reisende, oder Handelsleute sich diese Sprachen bekannt gemacht, nicht aber, daß sie der gemeine Mann spricht oder verstehet; auf welchen doch in der Bekehrung am meisten zu sehen wäre. Demnach bleibt die Vielheit der Sprachen eine unüberwindliche Schwierigkeit in der Ausbreitung einer Offenbarung oder des Christenthums. Wenn werden wir die Bibel in 500 Sprachen übersetzt und gedruckt sehen? Dergleichen ungeheure Polyglotta ist nimmer zu hoffen. Nun soll ja Gott, wie man vorgiebt, die Vielheit der Verwirrung der Sprachen bei dem Babylonischen Thurm selber angerichtet haben: so hätte denn ja Gott dadurch selbst unmöglich gemacht, daß eine solche Offenbarung, die er nur in einer Sprache gegeben, allgemein werden könnte. Wir wollen es wenigstens so nehmen, daß es Gott durch die Natur gethan. Der Menschen Natur bringt das so mit sich, daß wenn sie gleich anfangs alle eine Sprache gehabt hätten, dennoch durch Länge der Zeit gar viele daraus entstehen müßten. Keine einzige Sprache bleibt in etlichen hundert Jahren dieselbe. Wir würden unsere Vorfahren nicht mehr teutsch redend verstehen, wenn sie wieder aufstehen sollten; und sie uns nicht. Daraus siehet man aber gar deutlich, daß der Mensch für keine natürliche Offenbarung gemacht sey: als welche natürlich allen und jeden mitgetheilt werden kann. Die Sprache der Natur, die in den Geschöpfen Gottes redet, nebst Vernunft und Gewissen, ist allein die allgemeine Sprache, dadurch sich Gott allen Menschen und Völkern offenbaren kann; sonst durch Worte eines Volks, die 500 Dolmetscher brauchten, ist es nicht möglich 6). [327] Wenn Gott hätte wollen den Predigern des Evangelii unerlernte Sprachen durch ein Wunder eingiessen, so wäre es bei der Entdeckung der neuen Welt so nöthig gewesen, als jemals. Und was wollen wir von denen Völkern sagen, deren Sprache entweder ganz von den übrigen abgehet, oder auch kaum eine Sprache zu nennen ist? Die Sinesische hat weder im Reden noch Schreiben mit andern uns bekannten Sprachen etwas gemein, sie sprechen etliche Buchstaben, als B. D. R. gar nicht, sie haben nur in der ganzen Sprache .... Wörter, und zwar lauter einsylbigte, welche sie durch allerlei Melodey und Zusammensetzung zu mehrern Wörtern machen. Hergegen haben sie statt der Buchstaben im Schreiben über 80000 Figuren, welche sie mahlen, und nicht mit dem Klange der Wörter, sondern mit den Begriffen selbst, verknüpfen. Folglich können sie die eigenen Namen nicht anders schreiben, als in sofern sie aus deren Klange sich allerley Begriffe vorstellen. Eben das ist fast von der Japanischen und Tunkinischen Sprache zu sagen, welche von der Sinesischen ganz unterschieden sind, ohnerachtet sie, ihre Begriffe auszudrücken einerley Figuren mit den Sinesen gebrauchen. Wie denn auch die Sprache von Congo besonders schwer seyn soll. Ich halte daher für eine Sache fast von unüberwindlicher [328] Schwierigkeit, die Bibel ins Sinesische und dergleichen Sprachen zu übersetzen. Noch weniger aber ist möglich, mit denen Völkern zu reden, oder ihnen die Gedanken durch Figuren vorzumahlen, die gar keine rechte Sprache haben. Der Bischof Nicholson, da er zu Herrn Chamberlayne's vielfachen Uebersetzung von dem Gebet des Herrn einen Brief schreibt, von den verschiedenen Sprachen des Erdbodens, redet so davon: 7) Einige Samojiden, welche an der Eis-Küste von Siberien wohnen, haben fast nichts menschliches, als das Gesicht und die Leibes-Gestalt. Deren undeutlichen Schall werden Gelehrte hier in dieser Uebersetzung eben so wenig als der Affen ihr Gekrechze verlangen. Die Einwohner [329] Grönlands können sich nicht anders, als die wilden Thiere verstehen, durch einen wüsten Schall, welchen weder Dänische noch Holländische Schiff-Leute bisher haben nachmachen können. So können auch vielleicht die Hottentotten in Africa in ihrer Sprache, die mehr nach der Truthäne Kollern, als nach menschlicher Stimme klingt, etwas schnarchen, das sie unter einander verstehen. Allein man müßte besorgen, das Gebet des Herrn zu verunehren, wenn man es in die schändliche Aussprache dieser Elenden einkleiden wollte. Ferner sagt er: Die Mohren haben durch ganz Guinea, und so weiter nach Mittag, eine grosse Menge wilder Sprachen, deren Schall so wüste ist, daß er mit den Buchstaben der Europäer gar nicht kann ausgedruckt werden. Und so mag es auch beschaffen seyn mit den meisten inländischen Völkern unter der Linie. Ich mögte also wissen, wie einer auf Hottentottisch oder Guineisch das Evangelium predigen, oder die Bibel übersetzen wollte. Kurz, der Mensch ist für keine Offenbarung geschaffen: den einen hindert dieses, den andern jenes, daß sie ihm nicht kann beygebracht werden.

§§. Ein neues Hinderniß geben bey vielen Völkern theils die weltliche Macht und strengen Gesetze, welche allen fremden Vorstellungen in Religions-Sachen schlechterdings den Eintritt versperren: theils die Landes-Religion und der Unterthanen Gewissen, welche nach ihren Lehr-Sätzen glauben die einige wahre Religion zu besitzen, [330] und eine Tod-Sünde zu begehen, wenn sie sich nur im geringsten unterfingen, ihre Religion vernünftig zu überlegen, und daran zu zweifeln, oder wenn sie lüstern würden, sich um andere Religionen zu bekümmern, und sich mit deren Verwandten in ein Gespräch darüber einzulassen. Dieß ist der Zustand, sowol anderwärts, als besonders im ganzen Türkischen Reiche. Es würde dem ein kurzer Proceß gemacht werden, welcher sich da des Vorhabens äußerte, die Muselmänner in ihrem Glauben irre zu machen, und sie zum Christenthume, als einer bessern Religion, zu bewegen. Ich entsinne mich auch niemals etwas von Mißionarien, welche in die Türkey geschickt wären, gelesen oder gehört zu haben. Es würde auch bey den Türken selbst, wegen ihres blinden Gehorsams und Eifers für ihren Glauben und Alkoran, nicht angehen. Denn eben das bringt ihre Religion mit sich, nicht zu raisonniren, nicht zu zweifeln, sich mit Irrgläubigen in keine Unterredung oder Streit einzulassen. Sie sind so vest von der göttlichen Sendung des Mahomet, von der Wahrheit seiner Wunder, von der göttlichen Eingebung und Vorzügen ihres Alkorans überredet; sie haben aus dem Alkoran so starken Haß wider das Christenthum, als einer Vielgötterey und Abgötterey eingesogen, daß es keiner Gesetze oder Strafe brauchte, sie davon abzuhalten. Die guten Leute handeln darinn nach ihrer Einsicht des Gewissens. Es ist wahr, sie dulden Christen unter sich, und man muß es der Christenheit zur Schande nachsagen, daß Christen unter Türkischer Regierung ihren Gottesdienst ungehinderter treiben, als unter christlicher. Es ist auch [331] nicht zu leugnen, daß die Türken nach ihrem Alkoran selbst Mosen und Christum für große Propheten halten. Allein sie glauben, daß die Bücher altes Testaments von den Juden häßlich verdorben und die Lehre Christi sehr verfälschet sey; und insonderheit von diesen mancherley Abgötterey und Vielgötterey eingeführet worden. Denn daß die Christen drey Götter anbeten, ist einem Türken so klar, als er drey zehlen kann; und daß ein Mensch zugleich Gott sey, ist bey ihnen offenbare Abgötterey. Dieses ihnen anders zu bedeuten und aus dem Sinne zu reden ist schwer. Dieses macht, daß sie so wenig Lust haben, Christen zu werden, als Christen Lust haben Juden zu werden, ungeachtet die Juden an manchen Orten unter ihnen wohnen, und das alte Testament beiden gemein ist; genug sie verwerfen Christum. So ist auch einem Türken zum Abscheu wider das Christenthum genug, daß sie Gottes Wort und Lehre verfälschet, daß sie einen Gott, der Vater heißt, einen Gott, der Sohn heißt, einen Gott, der heiliger Geist heißt, setzen, den Menschen Christum zugleich zu dem mittelsten Gott machen, und den von Gott gesandten Propheten Mahomed verwerfen. Ich habe schon vorhin gezeiget, was die Vorurtheile einer väterlichen Religion, darinn man vor dem Gebrauche der Vernunft unterwiesen und durch Furcht vor ewiger Verdammniß bestätiget ist, über des Menschen Gemüth vermögen: daß auf die Art ein jeder, wo er nicht eine mehr als gemeine Einsicht hat, bey der Religion seiner Vorältern bleibe, und ein jetziger eifriger Christ, eben ein so guter eifriger Türke und Jude würde gewesen seyn, wenn er darinn von gleichen Aeltern auf [332] solche Weise wäre erzogen worden: imgleichen ein ehrlicher Protestante eben so ein Erz-Catholischer würde gewesen seyn, wenn er mitten unter Catholiken groß geworden wäre. Der Menschen Natur bringt das so mit sich, und das Gegentheil ist über das Vermögen der allermeisten Menschen; wenn zumal ihre natürlichen Kräfte der Vernunft durch den bangen Gehorsam des väterlichen Glaubens so unterdrückt und gefangen sind, daß sie sich lebenslang zu Sclaven desselben dahingegeben. Weil nun ein Türke aus eben solchem Grunde, wie Christen, und eben so stark und eifrig, wie Christen, die einige wahre Religion zu haben glaubt; weil er eben wie ein Christ für verdammlich hält, an seiner Religion zu zweifeln und darüber zu vernünfteln; weil er von dem Christenthume so viel anstößiges und ärgerliches weiß, als immer einem Christen von der türkischen Religion bekannt ist; weil er endlich eben so sehr durch innerliche Gewissens- als weltliche Furcht abgehalten wird, sich mit dem Christenthume und deren Lehrern und Schriften bekannter zu machen: so ist menschlicher Weise unmöglich, daß ein Türke in der Türkey zum Christenthume sollte gelangen, oder darnach besser zu forschen Lust bekommen können. Und dieses müssen wir auf alle andere Völker, deren Beschaffenheit und Erziehung dieser ähnlich ist, ja selbst auf die catholische Christenheit, deuten. Ein guter Catholik in Spanien, da er die Bibel gar nicht zu sehen bekommt, und von den Ketzern so viel arges höret, hergegen zum blinden Glauben und Vertrauen zu seinen Geistlichen angeführet ist, und durch das Fegfeuer so sehr als die Inquisition geschrecket wird: [333] kann unmöglich dazu kommen, daß er ein Protestant werde. Alle vernünftige und billige Welt muß solche blinde Menschen entschuldiget halten. Man kann von niemanden was unmögliches fordern, noch für möglich halten, was die Kräfte desselben nach bewandten Umständen übersteiget.

§§. Ich könnte noch vieles inbesondere von den Juden sagen, warum deren nicht mehrere zum Christenthume treten; da sie doch mitten unter denselben leben, ihre Bücher, die oft genug bey ihnen versetzt werden, lesen können, oft genug zum Christenthume gereizt werden, und einerley Grund-Sätze mit den Christen annehmen. Der Pöbel schilt nur auf die grausame Verstockung und Bosheit der Juden, und ist daher so erbittert auf dieselbe, daß er ihnen das Christenthum gern einprügeln würde, wenn es ihm nur frey stünde. Allein, lieben Leute, es will niemand gern und wissentlich zum Teufel fahren, und ewig an Seele und Leib gequält seyn. Könnten die Leute einsehen, daß ihnen Heil in Jesu offen stünde, sie würden gewiß zugreifen. Es ist ihnen aber so leicht nicht, wie wol mancher denkt. Der Jude hat von seinen Vorfahren ganz andere Zeugnisse und Urtheile von Jesu, wie die Evangelisten und Apostel davon geben. Und wenn er es nirgend anders her wüßte, so siehet ers im neuen Testamente selbst, was die Schriftgelehrten, Obristen und Aeltesten im Volke von ihm gehalten. Da sich nun diese Zeugnisse von dem höchsten Rathe in Jerusalem, von siebenzig angesehenen obrigkeitlichen Personen herschreibet, und aller damaligen Gelehrten und angesehenen Leute Gutachten damit [334] übereingestimmet: so trauet der Jude darinn dem Urtheile des ganzen hohen Raths und aller alten Rabbiner mehr als dem Zeugnisse einiger weniger aus dem Pöbel, die Jesu Anhänger gewesen. Er ist im Gesetze Mosis aufs schärfste gewarnet, er soll nicht mehrere Götter anerkennen; es sey nur ein Gott. Er kann aber doch die Lehre, daß Jesus sowol Gott sey, wie der Vater, und der heilige Geist sowol Gott sey, wie Vater und Sohn, nicht anders einsehen, als eine Lehre von vielen Göttern: er denkt, wie seine Vorfahren, das sey eine Gotteslästerung, daß sich Jesus selbst zum Gott gemacht. Er erwartet zwar einen Messias, aber einen, der Israel erlösen, und nicht noch 1700 Jahre nachher in der Gefangenschaft und Elende lassen sollte: einen, der König seyn und ein herrlich Reich anfangen, nicht aber am Holze als ein Missethäter gehenkt werden sollte: einen, der nicht das ewige Gesetz Mosis abschaffen, sondern recht in den Schwang bringen sollte. Betrachtet er die von den Evangelisten angeführten Beweisthümer aus dem alten Testamente, daß Jesus der Messias sey: er soll Nazarenus heissen: aus Egypten habe ich meinen Sohn gerufen: ich will sein Vater seyn under soll mein Sohn seyn, usw. so findet er entweder gar nichts davon im alten Testamente, oder daß auch die Worte von ganz was anders handeln. Er findet also seiner Einsicht nach nichts als Blendwerk und Betrügerey in diesem vorgegebenen Beweise. Diese und andere dergleichen scheinbare Einwürfe, die er begreifen kann, sind ihm von seinem Rabbiner, dem er, wie natürlich, trauet, von Jugend auf mit dem größten [335] Hasse wider Jesum beygebracht worden. Er hat gelernet, nach seinem Catechismo, seinem Gotte im Gebete zu danken, daß er ein Jude geboren sey: er höret von zarter Kindheit an, daß die sich ins Verderben stürzen, die den Gott ihrer Väter verlassen: so bekommt er nothwendig einen solchen Haß und Abscheu gegen das Christenthum, den er, wenn wir wollen menschlich urtheilen, unmöglich überwinden kann. Sind ihm andere Dinge unbegreiflich, so daß sie ihn wollen irre machen: kann er auf die Einwürfe der Christen, daß der Messias längst müßte gekommen seyn, nicht allerdings antworten: so denkt er, wie auch ein Christ bey solcher Gelegenheit denkt, das gehe über seine Einsicht, das wisse dennoch sein Rabbiner zu beantworten: er wolle sich an das halten, was er verstehe. Wenn man nicht mehr von solchen armen Menschen fordern will, als seine Kräfte zulassen, so wird man wohl begreifen, daß es einem Juden, der nach seiner Art recht unterrichtet ist, nicht möglich sey, ein Christ zu werden. Paulus hat schon die Hoffnung der Bekehrung mehrerer Juden fast ganz aufgegeben, und wandte sich daher zu den Heyden: und wir lesen nicht, daß nachher bis auf jetzige Zeiten aus diesem Volke ein besonderer Zuwachs zum Christenthume gekommen sey. Vielmehr haben sie hin und wieder um ihres Glaubens willen die greulichsten Verfolgungen und Marter herzhaft ausgestanden. Und man mag insgemein mit Bestand der Wahrheit sagen, daß die Juden, so heutiges Tages Christen werden, fast alle Betrüger sind, die Liederlichkeit, Armuth und gehoffter Vortheil dazu bewogen hat. Alle Anstalten, Anschläge, Zwangs-Mittel, [336] Widerlegungen werden bey den Juden übel und vergeblich angewandt.

§§. Wir sehen aus allen obigen, daß und warum das Christenthum unmöglich allgemein werden, noch jetzo weiter ausgebreitet werden könne. Es erhellet zugleich, daß es weder bey Heyden, seit der Entdeckung von America und andern unbekannten Ländern, noch bey Türken seit dem siebenten Jahrhunderte, noch bey Juden, seit der Zerstörung Jerusalems, jemals merklichen Wachsthum gehabt, oder ferner haben könne. Vielmehr hat Mahomet mit seinen Nachkommen dem Christenthume erstaunlichen Abbruch gethan, und gern die Hälfte christlicher Botmäßigkeit unter seine Herrschaft und Glauben gebracht. Und bis auf den heutigen Tag giebt es die Menge Renegaten, die vom Christenthume zu den Türken übertreten. Wenn man demnach diejenigen mit dazu rechnet, welche mitten im Christenthume mehr und mehr Augen bekommen, und wegen des Aergernisses und Anstosses, so sie am Christenthum nehmen, zurück treten und bey ihrer gesunden Vernunft bleiben: so sind alle die von Heyden, Juden oder Türken heutiges Tages zum Christenthum bekehrte nicht dagegen zu rechnen. Dieses alles, was bisher den christlichen Nahmen geführet, machet gegen das, so jemahls heydnisch, jüdisch oder türkisch gewesen, nicht den hundertsten Theil aus. Und wer die Natur des Menschen und die Beschaffenheit des Erdbodens und der darauf wohnenden Völker kennet, wird gestehen müssen, daß dieses auch alles ist, was menschlicher Weise bey Ausbreitung einer Offenbarung möglich zu nennen. Denn [337] das Christenthum hat alle Vortheile gehabt und gebraucht, die nur zu erdenken sind. Es kam auf, da das Judenthum zu Grunde gehen wollte, und da die jüdische Religion mit so vielem närrischen Tand verstellet war, daß es theils den Juden selbst, theils andern Nationen zum Gelächter dienete. Es kam auf, da nicht allein die klugen Heyden, sondern sogar das gemeine Volk unter Griechen und Römern, und durch diese fast in der ganzen Welt, die Thorheit der heydnischen Götterhistorie, Götzen, Orakel, Vogelflug und Wahrsagerey einsah, und zum Spotte hatte. Das Christenthum gebrauchte sich des Vortheils, daß es anfangs fast nichts als die natürliche und vernünftige Religion den Heyden entgegen setzte, die Geheimnisse des Glaubens aber, die damahls schon aufgekommen waren, als eine Disciplinam arcani zurück hielte, bis die Neubekehrten völlig unter den Gehorsam des Glaubens gebracht waren. Man ertichtete auch wol zur Bestärkung der christlichen Lehre, durch pias fraudes, allerley Bücher, Weissagungen und Wunder, welche durch dreistes Vorgeben bey der Unwissenheit Glauben gefunden. Die Leute wurden erst durch Verheissung der baldigen Wiederkunft Christi zu seinem herrlichen Reiche, und durch die großen Belohnungen, welche sie darinn sollten zu gewarten haben, wenigstens durch Versprechung einer ewigen unaussprechlichen Freude im Himmel, angelockt, und zu herzhaften Bekennern gemacht, den Tod zu verachten und alle Marter dafür auszustehen Die ersten Christen nahm man, wegen der zu befürchtenden Lästerung der Auswärtigen, in genaue Aufsicht und Zucht, daß ihre [338] äußerliche Gottesfurcht und Tugend allen in die Augen fiel. Als durch solche Mittel immer mehrere, und endlich Römische Kaiser gewonnen waren: da brauchte man auch Gewalt, riß allenthalben die heydnischen Tempel und Altäre nieder: und so bekam die Religion fast mit der Römischen Macht einerley Gränzen. Wie denn auch nachher in Deutschland, Dännemark, Schweden, Rußland, die Gewalt, nebst der Unwissenheit der Zeiten das beste zur Ausbreitung des Christenthums gethan. Seit dem funfzehenten Jahrhunderte hat die Europäische Christenheit das Glück gehabt, in den Besitz der Sprachen und Wissenschaften zu kommen: allerley Künste, insonderheit Buchdruckerey und die Magnet-Nadel zu erfinden: eine ganz neue Welt zu entdecken: die Handlung und Schiffahrt über den ganzen Erdboden auszubreiten: Reichthümer zur Unterhaltung der Missionarien und Neubekehrten zu erwerben; so daß Leute, die Sprachen und Wissenschaften besassen, mit gedruckten Büchern als Missionarii weit und breit haben versandt werden können. Sehet, das hat keine Religion auf der Welt jemals zusammen gehabt oder angewandt; und das ist alles, was in menschlichen Kräften stehet, zur allgemeinen Ausbreitung einer Offenbarung anzuwenden: so, daß die christliche Religion desfals hätte allgemein werden müssen, wenn es an sich möglich wäre, daß eine Offenbarung, die nur einem Volke gegeben ist, oder besonders die christliche Lehre, allgemein werden könnte. Wir müssen nur noch dieses hiebey anmerken, daß das Christenthum am wenigsten zugenommen, seit dem es die größsten und besten ja fast allein wahren Hülfsmittel [339] gehabt, nemlich Erkenntniß der Sprachen und Wissenschaften, Historie, Buchdruckerey, Schiffahrt, Handlung, Reichthümer und Missionen: ja daß es sint der Zeit häufige innerliche Feinde und Ungläubige bekommen, die durch alle Boyleanische Predigten und Beweise für die christliche Religion nur desto mehr überhand genommen. Ein Zeichen, daß diejenigen Dinge, welche einer Offenbarung am meisten förderlich seyn sollten, wenn sie mit gegründetem Glauben und Ueberzeugung soll gepflanzet werden, dieselbe nur in sich wankend und schwach machen: Ein Zeichen, daß sie zwar viele Menschen durch Gewalt und Unwissenheit zum blinden Gehorsam des Glaubens bringen kann; aber alsdenn auch von einer gegründeten Ueberführung am weitesten entfernet sey.

§§. Lasset uns demnach noch untersuchen, was zu einer gegründeten Ueberführung von einer Offenbarung gehöre; um zu sehen, ob viele oder wenige in der Christenheit selbst dieselbe haben, oder haben können. Erstlich ist unstreitig, daß die Schrift, in der Schrift selbst, als ein solcher Weg zu einem gegründeten Glauben angewiesen werde, und daß man dieselbe mit Ueberlegung und Verstand lesen solle. Forschet in der Schrift, heißt es, denn ihr meynet, daß ihr das ewige Leben darinn habet, und sie ist es, die von mir zeuget. Und Paulus sagt, weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, so kann dich dieselbe unterrichten zur Seligkeit. Jesus und die Apostel verweisen also die Menschen nicht auf einen Catechismum, sondern auf die Schrift: sie heissen sie mit eigenen Augen darinn sehen und forschen; nicht [340] aber andere für sich denken und sehen lassen. Die Rede ist auch nicht von den Jüngern, in so fern sie Lehrer abgeben sollten, sondern in so fern sie für sich das ewige Leben darinn finden, und zur Seligkeit sollten unterrichtet werden; welches allen Menschen zukommt. Dieses nun vorausgesetzt: so folget erstlich, daß die Bibel oder das Buch, worinn die Offenbarung enthalten ist, in einer jeden Sprache übersetzt vorhanden seyn muß, und zwar so häufig, und für so wohlfeilen Preis, daß sie ein jeder zu seinem Gebrauche anschaffen kann. Es folget ferner, daß ein jeder Mensch die gedruckte Schrift muß fertig lesen, und aus dem gelesenen einen Verstand heraus bringen können. Ja wenn hin und wieder eine schwere Stelle unterläuft, worauf was ankommt, so müssen sie geschickt seyn, sich durch die Erklärungs-Kunst und alle die Hülfsmittel derselben, nemlich Sprachen, Alterthümer, Historie und Wissenschaften zu helfen. Man weiß ja, wie in der Schrift selbst die Oerter am meisten den Streitigkeiten unterworfen sind, worauf die Glaubens-Articul gebauet werden, als, von der Dreyeinigkeit Gottes, von der Gottheit Jesu, von den Verheissungen des Messias, von der Gnaden-Wahl, von der Rechtfertigung, von der Taufe, vom Abendmahl, von dem Ansehen der Kirche, u.s.w. Man weiß, daß gar viele und mancherley Systemata aus der verschiedenen Auslegung dieser Oerter geflossen sind. Wenn nun die Menschen nicht fähig sind, den wahren Sinn derselben einzusehen, sondern darinn andere für sich rathen lassen: so ist ihr Glaube blind, ungegründet, und dependiret von einem Zufalle: sie wissen nicht, ob sie den Sinn [341] der Offenbarung, oder einen ganz andern gefasset haben: welches wider die Schrift, und wider die Natur eines zuverlässigen Glaubens ist. Wollen wir die Religion und den Glauben als den Grund der Seligkeit so hinwerfen, daß wir ihn von aller Einsicht und Verstand absondern, und zu einem bloßen Echo eines vorgesagten Schalles machen: welches durch einen Zufall diese Worte nachspricht, da es auch jede andere würde nachgesprochen haben? Das gehet nicht an. Allein lasset uns nun eine Untersuchung anstellen, was in oberwähnten Stücken möglich sey. Da ist nun offenbar, daß eine geraume Zeit hat hingehen müssen, ehe die Bibel, oder auch nur das neue Testament, in alle die Sprachen hat können übersetzt werden, dahin sich das Christenthum ausgebreitet: es ist offenbar, daß wenn gleich alle die Uebersetzungen vorhanden gewesen, dennoch vor Erfindung der Buchdruckerey, dieselbe in sehr weniger Leute Händen gewesen, theils weil sie nicht so oft hat können abgeschrieben werden, theils auch, weil solche Handschriften zu theuer waren, als daß sie ein jeder hätte bezahlen können. Ja, nachdem auch die Buchdruckerey erfunden ist, so fehlt es doch in den meisten Sprachen an häufigem und wohlfeilem Abdrucke. Die Teutschen mögen sich hierinn, durch des Herrn Barons von Cansteins Anstalten, eines Vorzugs rühmen. Sonst sind in den übrigen Sprachen nicht der hundertste Theil Bibeln gedruckt, als Menschen sind. Und im ganzen Pabstthume darf der Laye nicht einmal die Bibel lesen. Zu geschweigen, daß sowol im Pabstthume als unter Protestanten und in der Griechischen Kirche eine unglaubliche [342] Menge Leute sind, und jederzeit gewesen sind, die in ihrer Jugend so weit nicht angeführet worden, daß sie irgend eine Schrift lesen könnten. Wenn wir dieses alles zusammen nehmen, so ist leicht zu erachten, daß vom Anfange des Christenthums, da noch keine Übersetzungen waren, da die Abschriften rar und theuer waren, da der Unterricht der Jugend schlecht war, da man auch den Layen nicht verstattete, die Bibel zu lesen, bis auf den heutigen Tag, die ganze Menge der Christen zusammen gerechnet, kaum der tausendste Christ eine Bibel zu sehen bekommen: und unter tausend, welche die Bibel zu sehen bekommen, kaum einer die Geschicklichkeit gehabt, sich in schweren Stellen, worauf die Glaubens-Artikel ankommen, selber durch die Mittel der Erklärungs-Kunst zu helfen. Es ist vom Anfange des Christenthums, in den Zeiten der Unwissenheit und Finsterniß, und noch jetzt im Pabstthume, ja auch unter den meisten Protestanten, lauter Köhler-Glaube, lauter Catechismus-Glaube. Alle diese armen Leute müssen sichs von den Priestern lassen vorsagen, was in der Schrift stehe, und was der Verstand der Worte sey: zum theil haben sie nichts als Wörter, welche sie aus dem Catechismo ihrem Gedächtnisse ohne Verstand eingeprägt; und wenn sie ja noch einige Vorstellungen dabey haben, so sind es die, welche andere nach ihrem Begriffe, Einsicht und Vorurtheil aus der Schrift gezogen und für wahr gehalten, oder vielleicht auch aus der dritten, vierten, fünften Hand bekommen haben: Indem ja selbst unter tausend Priestern kaum zehne fähig sind, mit eigenen Augen den Verstand schwerer Stellen einzusehen: [343] sondern einen ihnen angepriesenen Ausleger ihrer Secte fragen, welcher seine Gedanken vielleicht selbst nach anderer Einsicht gerichtet, und andere ausgeschrieben. So wissen denn unter 1000000 Christen, 999999, wenn es hoch kömmt, nichts weiter, als daß der eine Mensch so oder so von der Offenbarung, und derselben Verstande, denkt, das beten sie nach, das lernen sie auswendig: darinn bestehet ihr ganzer Glaube. Sie sind demnach bloße Papageyen, bey denen es nicht fehlet, daß sie das, was ihnen vorgesagt worden, wieder nachsagen. Was die Natur und das Glück jedem, für Aeltern und Lehrmeister gegeben, dessen Catechismum lernet er auswendig. Sind jene catholisch, so lernet und glaubt er einen katholischen Catechismum: sind sie reformirt, lutherisch, menonitisch, so lernet und glaubt er einen reformirten, lutherischen, menonitischen Catechismum: so wie der Jude seinen Lekach tobh, Minhagim und Maase-Buch: wie ein Türke seinen Alkoran. Der allergrößte Haufe ist in solchen Dingen, die nicht vor sich begreiflich sind, und auf Glauben ankommen, ein bloßes Wachs, das auf eine leidende Weise alle Figuren in sich drucken lässet: ein Bogen weiß Papier, welcher alle Schrift annimmt: ein vielfacher Spiegel, worinn sich eines Menschen Gedanke viel tausendmal vorstellet, aber auch alle andere Gedanken würden vorgestellet haben.

§§. Es werden vielleicht viele heutiges Tages, welche die Bibel für sich fleißig lesen, bey sich gedenken: ich habe doch keinen solchen Köhler-Glauben, ich sehe mit eigenen Augen klar und offenbar, daß das wahr sey, und in der Bibel stehe, was mir mein Catechismus bisher [344] gesagt. So gestehet er denn doch, daß er bisher ein Catechismus-Gläubiger gewesen. Er mag denn andere Catechismus-Gläubige anderer Secten, die auch nun in der Bibel keine Fremdlinge sind, fragen, ob sie was anders darinn gefunden, als was ihnen ihr Catechismus eingeschärfet. Ja er mag sich selber fragen, ob er was anderes darinn finden wollen, als was er in den Anfangsgründen der erlerneten Lehre von Jugend auf eingesogen. Denn wenn man nicht die Schrift so läse, so wäre es ja nicht möglich, daß ein jeder seine, von andern ganz verschiedene, Meynungen, und zwar ganz klar und offenbar, darinn zu erblicken glaubte. Man muß zuvor allen Catechismus-Glauben gänzlich ablegen, und alle Hülfsmittel der Erklärung bey der Hand haben, wenn man das in der Schrift finden will, was wirklich darinn versteckt liegt. Wer sie aber in der Absicht vornimmt, daß er das daraus bestätigen will, was sein erlernetes Glaubens-Formular sagt: der findet es auch darinn, und wird in seinem Catechismus-Glauben tröstlich gestärkt. Das gehet den Gelehrten so, wie will es Halb-Gelehrten, Staats-Leuten, Kaufleuten und Handwerkern? Der Laye läßt den Priester, der Priester den Professor, der Professor Calvinum, Lutherum, die Heidelbergischen, Wittenbergischen und Tridentinischen Theologen, und diese wieder die Concilia, Kirchen-Väter und Athanasium, für sich denken. Ein jeder denkt dem andern nach, und giebt sich Mühe, ja nicht anders zu denken, als seine Vorfahren gedacht haben, von welchen er glaubt, daß sie die Orthodoxie besessen. Wie viele sind wol, die, ich will nicht sagen, einzelne schwere Oerter, [345] darauf es ankommt, mit eigener Einsicht, welche aus Sprachen und Alterthümern entstehen kann, unpartheyisch betrachten: sondern sich nur in den Sinn kommen liessen, daß sie aus der ganzen Schrift, selber, nach eigener Einsicht, ein Lehrgebäude ziehen wollten, ohne irgend an das System ihrer Catechismus-Jahre zu gedenken? Nein! unsere symbolischen Bücher müssen zum Grunde liegen, nach denen müssen wir die Schrift erklären. Vitringa und Lampe waren geschickte wackere Leute: wer kann es leugnen? und was funden sie in der Bibel? den Heidelbergischen Catechismus und das Dordrechtische Concilium. Buddeus, Reinbeck, Mosheim haben allewege großen Ruhm: wer wollte ihnen den streitig machen? Aber was sehen sie in der Bibel? die Augspurgische Confeßion und Lutheri Catechismum. Grotius, Episcopius, Limborch haben viel Einsicht und Wissenschaft gehabt: ich habe nichts dagegen. Was ziehen sie aber aus der Schrift für eine Lehre? Der Arminianer. Lasset uns auch Petavio, Bellarmino und andern Catholischen mehr, das Zeugniß einer großen Gelehrsamkeit nicht unbillig versagen. Aber was kommt aus ihrem Bibel-Forschen heraus? Die Lehre der Tridentinischen Väter. Wenn solche große Leute, die alles gehabt, was zum Verstande der Bibel Licht geben kann, dennoch im Blinden getappt, und nichts anders darin finden können, als was ein jeder in seiner Jugend aus seinem Catechismo gesogen: was will doch einer, der weder Sprachen, noch Alterthümer, noch Vernunft-Kunst, noch Historie, noch Wissenschaften im Kopfe hat, dem nichts als vorgefaßte [346] Meynungen übergelassen sind, woran er sich halten könne: was will der, sage ich, sich anmaassen, daß er aus der Schrift durch eigene Einsicht erforschen wollte? Er mag sich vielleicht nach Lesung der Schrift einbilden, er sehe nun mit eigenen Augen, er glaube nun nicht mehr einfältig, was seine Kirche und sein Catechismus sagen; und dennoch ist es nicht anders. So lange sich einer nicht aufrichtig entschliesset, vor Lesung der Schrift alle seine Theologie abzulegen, und nichts zu wissen, was darinn stehe: so kann er auch nicht lernen, welcher der eigentliche Zusammenhang der darinn vorgetragenen Lehre sey. Denn wenn wir gleich alle vorgefaßte Meynungen bey Seite setzen, so sind doch die allerwenigsten Menschen fähig, aus der zerstreuten und hin und wieder versteckten Materie ein Lehrgebäude des Glaubens aufzurichten. Man kann nicht leugnen, daß das Glaubens-Bekenntnis der Hebräer und Christen im alten und neuen Testamente, nicht an einem Orte, nicht im Zusammenhange, nicht deutlich durch Erklärung der Begriffe, nicht ordentlich nach Artikuln,. so wie in unsern heutigen Lehr-Büchern, vorgetragen sey: sondern daß alles, was dahin gehöret, bald hie, bald da, bey Gelegenheit, zum Theil ganz versteckt, oder mit unbestimmten und vielerley bedeutenden Worten, ausser dem Zusammenhange vorgebracht sey: daß manche Redens-Arten verblümt, weitgetrieben, dunkel und schwer zu verstehen sind: und große Uebung in der Erklärungs-Kunst, nebst Belesenheit, Wissenschaft und Scharfsinnigkeit erfordern: daß vieles nicht so wohl ausdrücklich darinn enthalten, als durch Folgerungen [347] und Vernunft-Schlüsse heraus zu bringen sey: anderes ohne Alterthümer und Historie der Meynungen und Redens-Arten der Alten, nicht recht verstanden werden könne. Daher es kein Wunder ist, daß nach der verschiedenen Einsicht der Menschen, und nach den verschiedenen vorgefaßten Meynungen, so vielerley Systemata aus der Schrift gezogen sind, als Secten und Ketzereyen im Christenthume gewesen. Ein Buch, das nicht systematisch, nicht deutlich und ordentlich, sondern so geschrieben ist, daß hundert verschiedene Systemata daraus genommen werden können, erfordert einen Leser, der ganz ungemeine Gelehrsamkeit, Scharfsinnigkeit und Einsicht besitzet und dabey von allen Vorurtheilen vollkommen frey ist, wenn er das darinn liegende System nur mit einiger Wahrscheinlichkeit herausbringen soll. Da ist unter tausenden, auch der Gelehrten und Gottesgelehrten kaum einer, der alle die dazu erforderliche Eigenschaften besitzet: für den allergrößten Theil der Menschen, und selbst der Gelehrten, ist es eine unmögliche Sache, sich durch eigene Einsicht ein wahres System aus der Schrift zu bauen. Was bleibt denn übrig, als daß ein jeder sich an seinem von der ersten Kindheit an erlernetem Bekenntnisse hält. Und was ist das anders, als blinde Folge, Vorurtheil, Dünkel, eitler Schein; gewiß kein zuverläßiger, gegründeter Glaube.

§§. Allein es ist damit noch nicht ausgemacht, daß man ein Buch, darinn eine Offenbarung enthalten seyn soll, verstehet: man muß auch nothwendig wissen, ob es eben die Leute, denen man etwa eine Offenbarung [348] zutrauen mögte, zu Urhebern habe, oder ihnen nur untergeschoben sey: und ob man mit dem Buche auch in so langer Zeit allemal ehrlich und vorsichtig genug umgegangen; oder ob es auch hin und wieder verfälscht oder verstümmelt sey. Denn gewiß keine Art Schriften sind der Nachstellung der Betrüger, und Gefahr der Verfälschung mehr unterworfen, als solche, die den Ruf einer Weissagung, Offenbarung und Göttlichkeit vor sich haben: kein Volk hat sich in der Kunst, ganze Schriften unter dem Namen prophetischer Männer zu schmieden, dreister gewiesen, als das Jüdische: keine Secte ist wegen der fraudum piarum in Unterschiebung der Schriften so berühmt, als die Christliche. Wir haben keine Offenbarung davon, in welchen und wie vielen Büchern die Offenbarung enthalten sey? wenn und von wem ein jedes geschrieben? ob der Schreiber von dem heiligen Geiste getrieben sey? ob diejenigen, welche das zuerst von den Verfassern geglaubt, richtig geurtheilet, oder sich betrogen haben? Es läßt sich von den meisten Büchern altes Testaments augenscheinlich zeigen, daß sie so alt nicht seyn können, als sie ausgegeben werden, noch von denen geschrieben seyn können, die man gemeiniglich für die Verfasser hält. Moses kann nicht Verfasser von den fünf ersten Büchern des alten Testaments seyn, so wie wir sie jetzt haben: und was denn auch Mosis Gesetz vorzeiten geheissen haben mag, das war vor der Babylonischen Gefängniß fast in keines Händen. Die Samariter wollten hernach von keinem andern Buche, als diesem allein, wissen: alle übrige prophetische Bücher kannten sie nicht, und nahmen sie nicht [349] an. Von historischen hatten sie nur eins, unter Josuae Nahmen, das aber von dem heutigen ganz verschieden war. Woher sind denn die übrigen Bücher zu den Juden kommen? wer hat sie gemacht? wer hat sie gesammlet? wer hat sie für Canonisch erklärt? Wo sind hergegen so viele Bücher geblieben, auf welche sich die übergebliebenen gründen und berufen, und die daher noch mehreres Ansehen und Alterthum müssen gehabt haben? wo sind die Bücher, welche die Apostel selbst als Schrift und Weissagung anführen, und doch in unserm heutigen alten Testamente nicht vorhanden sind? Die Schreiber des neuen Testaments geben ihre Bücher selbst nicht für die göttliche Schrift aus: sie heissen nichts anders Schrift oder Bibel, als das alte Testament: sie zeigen nicht an, daß aus ihren Schriften und zwar gewissen Schriften, eine Sammlung solle gemacht, und als ein neues Testament mit der Schrift altes Testaments gleiches Ansehen haben. Ein jeder schrieb, bey Gelegenheit, wie es ihm gut dünkte. Es waren Anfangs von der Geschichte Jesu viele und mancherley Erzählungen und Schriften in der Leute Händen, die alle hin und wieder für wahre Nachrichten gehalten wurden. Die Evangelisten aber, die wir noch übrig haben, sagen nicht, daß die andern Evangelia falsche Evangelia, noch daß ihnen ihre von Gott eingegeben, und also die rechten wären: sondern Lucas, zum Exempel, spricht: Nachdem schon so viele sich unternommen hätten, eine Erzählung von Jesu Geschichten zusammen zu tragen, so wie es ihnen von Leuten, die dabey gewesen, berichtet worden; so habe es ihm auch gedünkt des gleichen zu thun 8). Es ist nach [350] und nach gekommen, daß sich die andern Evangelia verlohren, und daß diese viere, als die gemeinsten und beliebtesten, die Oberhand behalten. Die Apostel haben geschrieben, ein jeder so, wie es Zeit und Gelegenheit gab, ohne Verabredung oder Vorsatz, ein völliges Lehrgebäude in ihren Schriften zu hinterlassen; zuweilen auch von ihren besondern Angelegenheiten. Manche von ihren Schriften sind verlohren, andere sind ohne Befehl und Absicht der Apostel selbst, wer weiß von wem, abgeschrieben und gesammlet. Die eigene Handschriften der Apostel waren nicht aufbehalten: an manchen Schriften wurde gezweifelt, ob sie auch von den Aposteln geschrieben wären: und es kam auf jedes Gutdünken, auf allgemeinen Ruf und Sage an, ob man diese oder jene Schrift wollte vor apostolisch durchgehen lassen: so daß noch bis ins sechste, siebente Jahrhundert manche Bücher des neuen Testaments von gewissen Kirchen-Vätern verworfen und nicht für canonisch erkannt wurden. Wenn denn ja die Bücher für canonisch erkannt worden: wie ist man damit umgegangen? Wir wissen, daß nicht allein viele Lesarten darinn befindlich sind, sondern daß auch an manchen Stellen gezweifelt worden, ob sie aufrichtig wären. Hat nicht die ganze Historie von den Magis aus Morgenland, das achte Capitel Johannis, der deutlichste Spruch von der Dreyeinigkeit, drey sind, die da zeugen etc., in vielen, ja den ältesten Handschriften gefehlet? Hat nicht Herr Wettstein offenbar gewiesen, daß man mit den alten Handschriften des N. T. nicht ehrlich umgegangen ist, und um nur Jesu Gottheit hineinzubringen, viele Stellen [351] desselben in den MSS. gottloser Weise geändert? Ich führe dieses alles jezt nicht an, in der Absicht, solches an diesem Orte, als wahr, zu erweisen; sondern ich will nur damit zeigen, was von Alters her bey den Büchern und Grund-Texte der Schrift in Streit gezogen ist, und billig von einem jeden Menschen, ehe er sich ein Buch als baare Offenbarung in die Hände stecken lässet, müßte untersuchet und geprüfet werden. Denn daß man in neueren Zeiten fast durchgehends zu dieser oder jener Meynung getreten ist, oder diese Streitigkeiten gar schlafen lässet, das machet die Sache nicht gewisser: und entbindet keinen vernünftigen Menschen von der Pflicht einer so wichtigen Untersuchung. Der veste ungezweifelte Beyfall und Zuversicht der Neuern, daß es mit allen Büchern und üblichen Lesarten der Schrift seine vollkommene Richtigkeit habe, ist auf nichts gegründet, als auf die blinde und faule Leichtgläubigkeit der Vorfahren. Je näher man zu den älteren Zeiten hinauf steiget, da man doch noch etwa bessere Urkunden und Beweisthümer hätte haben mögen: desto mehr Streit, Ungewißheit und Zweifel ist wegen der Bücher des neuen Testaments. Ist denn nun nicht zum gegründeten Glauben, der aus diesen Büchern entstehen soll, nöthig, daß einer alle die Alten und ihre Nachrichten von denen Büchern und Personen durchlese, daß er die Critik, Sprachen und Historie der Zeiten, Gewohnheiten und Meynungen inne habe, viele Schärfe des Verstandes besitze, und seine Vernunft im Nachdenken wohl geübet habe? Eins von beyden muß nothwendig seyn; entweder wir müssen die offenbarte Religion, [352] worinn wir erzogen sind, bloß auf gut Vertrauen zu unsern Lehrern und zu allen Vorfahren und denen ersten Urhebern annehmen, oder, so wir davon selber gründlich überführt seyn wollen, müssen wir die Urkunden, worin dieselbe enthalten ist, und deren Verfasser genau kennen und untersuchen. Jenes kann nichts anders würken, als einen blinden Glauben, da man selbst nicht weiß, was und warum man es für wahr und göttlich hält, sondern da man bloß das Glück oder den Zufall bestimmen lässet, was er uns durch erbliche Verlassenschaft unserer Eltern und Vorfahren für Meynungen und Religion zugetheilet. Ein solcher Glaube ist der türkischen, jüdischen und heydnischen Religion, ja alles Aberglaubens und Abgötterey gleich fähig; und kann eben daher unmöglich allgemein werden, weil er sich blindlings nach den Vorfahren richtet, die längst in gar verschiedene Meynungen, Secten und Religionen vertheilet gewesen: kann auch unmöglich der Grund der Seligkeit seyn, weil die Seligkeit nicht auf ein Glück und Zufall beruhen kann. Ist denn aber im Gegentheil ein gegründeter Glaube und dazu eine Untersuchung der Urkunden nöthig, welche uns ohne viele Belesenheit, Historie, Sprachen, Critik, Wissenschaft, Nachdenken, Witz und Scharfsinnigkeit, unmöglich klares Licht geben kann: so ist abermal offenbar, daß der Glaube an eine Offenbarung unmöglich allgemein werden kann, weil unter tausend der Gelehrten, ja unter tausend Gottesgelahrten, kaum einer zu dieser Untersuchung fähig ist, geschweige, daß Ungelehrte, wes Standes sie auch sind, zu einer Ueberführung davon gelangen könnten. [353]

§§. Wir haben aber noch die wichtigste und allerschwerste Untersuchung übrig. Soll ein Buch als die göttliche Offenbarung, als der Grund des Glaubens und der Seligkeit angenommen werden, so muß ja wol ein Mensch erst recht klar und deutlich überführt seyn, daß die Schrift Gottes Wort sey; und daß die Verfasser, welche sonst ohnstreitig sündliche Menschen gewesen, wie andere, dieses voraus gehabt, daß ihnen Gott alles eingeflösset, und daß sie sich darinn weder selbst betrogen noch andere betriegen wollen. Mein, wie viele sind doch wol in der Christenheit, die jemals an solche Frage gedacht, oder so ihnen solches eingefallen, die darnach zu fragen nicht für gefährlich und sündlich gehalten: oder die auch, wenn sie sich so weit erdreistet, das Geschick und die Wissenschaft haben, solches aus rechten Gründen zu beurtheilen: oder endlich, die, wenn sie alle dazu nöthige Fähigkeit besässen, wegen eingesogener jugendlichen Vorurtheile unpartheyisch dabey verfahren können? Es ist artig, wie diese schwere und wichtige Sache denen Leuten erleichtert wird. Die Kinder lernen ein halb Dutzend Sprüche aus der Bibel, darinn gesagt wird, daß die Bibel Gottes Wort sey: so sind sie darnach ihr ganzes Leben hindurch mit Hülfe ihres Gedächtnisses im Christenthume vortreflich gegründet, und wider allen Zweifel und Anfechtung bewahret. Die Offenbarung hat denn allein das Vorrecht, sich per petitionem principii zu erweisen: Die Schreiber sind von Gott getrieben, denn sie sagen es: Beweis genug! nur Schade, daß denn doch allein die wahre Offenbarung solch Vorrecht haben kann, die Falschen aber [354] nicht: und daß folglich die Ungewißheit bleibt, welche die wahre Offenbarung sey, mithin die Nöhtigkeit solcher Untersuchung aus bessern Gründen bestätiget wird. Noch kürzer kommen andere zum Beweise, wenn sie sich beruffen auf die Kraft des Geistes, der mit dem Worte verbunden sey, und der Seele Zeugniß gebe, daß es Gottes Wort sey. Wer aber merket solch Zeugniß bey sich? die, welche es vorher schon glauben, daß die Schrift Gottes Wort sey. Denn sonst müßten ja Juden, Türken, Heyden, und alle die noch von der Göttlichkeit der Schrift nicht überführt sind, alsobald bekehrt werden, wenn sie nur die Schrift läsen; und müßten wenigstens merken, daß der Geist Gottes ihnen das auch sage, und ihrer Seelen einrede. Denn die hätten es gewiß am meisten nöhtig, daß sie so überführt würden. Bey denen aber findet sich gerade das Gegentheil: indem sie sich alle Augenblick beym Lesen, bald hie bald daran stossen, und viel ungereimtes, widersprechendes, fabelhaftes, ja gottloses und liederliches darinn zu finden vermeynen, daran ein vernünftiger und gesitteter Mensch nohtwendig Aergerniß nehmen müsse. Und wenn ja gleich hin und wieder etwas vorkäme, das wahr und gut gesagt sey, so sey es doch nichts ausserordentliches, dergleichen nicht auch im Alkoran und bey vernünftigen Heyden, ja mehrentheils weit edler, schöner, und unanstößiger ausgedrückt, anzutreffen wäre. Es macht blos die Gewohnheit der Menschen, da sie von Jugend auf ohne Verstand und Nachdenken, alle die saubern Historien von Noah, von Loth und seinen Töchtern, von Abrahams und Isaaks Preißgebung ihrer [355] Weiber, von Jacobs Betrug und List, von Josephs Kornjuderey und Unterdrückung der Unterthanen, von Mosis Stehlen, Rauben und Morden, und so weiter lesen, daß ihnen alles das nicht mehr anstößig und ärgerlich dünkt; und hergegen macht die in der Jugend gefaßte Meynung, Gott spreche in der Bibel mit den Menschen, daß sie schon zum voraus mit Hochachtung, Ehrfurcht, Bewunderung, und mit Vorsatz auf das göttliche Acht zu geben, zur Lesung oder Anhörung der Bibel schreiten, und alsdenn bald hie bald dadurch bewegt werden, und also das Zeugniß des Geistes von der Göttlichkeit der Schrift bey sich zu spüren vermeynen. Fraget doch aber einen Türken, ob ihm bey Lesung seines Alkorans nicht eben so zu Muthe sey, und ob er nicht von heiliger Andacht und Bewunderung über die göttliche Schreibart, so gerühret werde, daß er glaubt, es sey nicht möglich, wenn auch alle Engel zusammen kämen, ein dergleichen schönes Buch zu verfertigen. Das macht, er kömmt zu seinem Alkoran eben so vorbereitet, wie der Christ zur Bibel. Ich bin aber versichert, wenn ein Mensch weder ein noch anderes Buch von Jugend auf gelesen hätte, wäre aber doch vernünftig erzogen, und käme denn mit gesetzten und geübten Gemüths-Kräften, und ohne Vorurtheil, ja ohne einmal zu wissen, was die Bibel für ein Buch sey, über die Bibel: so würde er sie nicht nur ohne Bewegung lesen; sondern bald für einen Roman, und Sammlung der alten fabularis historiae, bald für eine Geschichte der Thorheit und Bosheit der Besten unter dem jüdischen Volke: bald für unverständliche Enthusiasterey [356] oder auch verständliche Betrügerey ihrer Priester, und so ferner, halten. Wer jede Gemüths-Bewegung bey sich, indem er etwas lieset oder höret, für ein Zeugniß der Wahrheit und des Geistes Gottes hält, der kennet sich selbst noch nicht, was alles für Vorstellungen in seinem Gemüthe sind, die es zuweilen weich, zärtlich und rege machen können. Dazu braucht es, zumal bey Leuten, die vorher wovon eingenommen sind, und ihre Vernunft bey Seite setzen, keiner Wahrheit, keiner übernatürlichen Wirkung des Geistes Gottes. Es kann ein tröstlich Mährlein, eine traurige Geschichte, eine lebhafte und zum Mitleide eingerichtete Vorstellung in Fabeln, Legenden, Tragödien, Historien, und so ferner, verrichten. Wer Wahrheit und Göttlichkeit einer Schrift auf solche Bewegungen des Herzens ankommen läßt, der macht seine eigene Einbildung und Weichlichkeit zum Richter in einer so wichtigen Sache. Allein die jüdische und christliche Kirche hat doch von so langer Zeit diese Bücher für göttlich gehalten. Abermal eine Verkürzung des Beweises! Sagt mir aber, was nennet man die Kirche? Sind es solche Leute, die die Schrift für Gottes Wort gehalten, oder sind es andere? Wenn jenes, wie ich glaube, Kirche heisset, so hat es seine Richtigkeit: welche die Bibel für Gottes Wort gehalten, die haben sie dafür gehalten. Was soll uns aber die Menge Leute, die es so viele Jahrhunderte einer dem andern nachgebetet? Hat einer geirret, so haben sie alle geirret. Kann sich nicht die Meynung, in den Zeiten der Unwissenheit, bey der leichtgläubigen Einfalt, durch pias fraudes eingeschlichen haben, und darnach mit blindem [357] Eifer fortgepflanzet seyn? Soll ich denn meinen Glauben und Zuversicht auf Leute ankommen lassen, die vor siebenzehnhundert Jahren gelebt haben, und die ich selber nicht kenne, noch weiß, wer sie gewesen sind, viel weniger von ihrer Ehrlichkeit und Vorsicht versichert bin? Jedoch, es ist auch so richtig nicht mit der lieben Kirche, falls wir einen Blick in die Geschichte thun. Die jüdischen Schreiber haben anfangs in ihrem Volke wenig Glauben gefunden, und die Schriften des neuen Testaments sind nicht nur von Auswärtigen, sondern auch von Einheimischen sehr angefochten, und ihnen andere Schriften entgegen gesetzt worden. Wir müssen ein Kennzeichen der Offenbarung haben, dadurch wir selbst, ohne andern blindlings zu trauen, mit eigener Einsicht, zu allen Zeiten, fähig sind zu urtheilen, ob etwas eine wahre Offenbarung sey oder nicht. Demnach bleibt uns nichts übrig, wenn wir auf den Grund gehen wollen, als daß wir theils die Schreiber selbst, theils den Innhalt ihrer Schriften untersuchen. Von den Schreibern kennen wir zwar nicht alle, aber doch etliche aus ihrer eigenen Erzählung, wer sie gewesen und was sie verrichtet haben: wir sehen ihre Absicht aus den Schriften, wir bemerken ihre Schreib-Art, wir erkennen die Ordnung ihrer Gedanken. Der Inhalt ist entweder historisch, oder läuft in Wissenschaften hinein, oder bestehet in Lehren, die über unsern Verstand sind. Historische Dinge müssen nach den Regeln einer glaubwürdigen Geschichte beurtheilet werden. Was zu Wissenschaften gehöret, muß der Vernunft gemäß seyn, oder sich aus deutlichen Begriffen und unleugbaren [358] Grundsätzen durch richtige Vernunft-Schlüsse beweisen lassen. Was aber ein höheres übernatürliches Erkenntniß seyn soll, muß doch nicht wider die Vernunft seyn, das ist, keinen innern Widerspruch enthalten, oder andern klar erkannten Wahrheiten widersprechen. Jedoch wenn auch dieses alles einträfe, so wäre ein Buch darum noch nicht göttlich. Denn von Geschichten und Wissenschaften kann auch ein verständiger Mensch wahr schreiben, ja ordentlich, deutlich und schön schreiben: und er könnte auch was unbegreifliches sagen, ohne daß man ihn eines Widerspruchs überführen könnte, das deswegen doch nicht wahr oder göttlich wäre. Demnach geben alle die obigen Betrachtungen bloß solche Kennzeichen, daraus man die Sache wol verneinen, aber nicht bejahen kann. Eine einzige Unwahrheit, die wider die klare Erfahrung, wider die Geschichte, wider die gesunde Vernunft, wider unleugbare Grund-Sätze, wider die Regeln guter Sitten läuft, ist genug, ein Buch als eine göttliche Offenbarung zu verwerfen. Dagegen muß in einer göttlichen Offenbarung nicht allein alles dieses übereinstimmen und ohne den geringsten Fehl seyn, so daß man sich auf alle dabey entstehende Zweifel Genüge thun kann; sondern sie muß auch noch was voraus haben, das sie als göttlich von allem menschlichen unterscheidet. Und da weiß man nichts anders, als Prophezeyungen und Wunder. Bey den Prophezeyungen hat man in acht zu nehmen, ob sie das zukünftige klar und deutlich voraus sagen, oder nur, auf Art der heydnischen Orakel, mit dunkeln und zweydeutigen Worten, daß man darinn finden kann, was ein jeder will? ob [359] sie wirklich so, vor der geschehenen Sache, niedergeschrieben und bekannt gemacht sind, oder ob sie nur nach der Begebenheit aufgezeichnet, oder in so klaren Worten verfasset sey? ob die klar vorher aufgezeichneten Weissagungen eingetroffen oder nicht? und wenn jenes geschehen, ob das zukünftige nicht durch menschlichen Verstand vorauszusehen gewesen? ob es nicht von ohngefehr eingetroffen? ob die Weissagung nicht vielleicht gemacht, daß dasjenige sich zugetragen, was vorhergesagt worden? ob nicht solche eingetroffene Wahrsagungen, und zwar durch die Feder eines spätern Schriftstellers noch verbessert, allein aufbehalten sind, die fehlgeschlagenen aber verschwiegen worden? und was dergleichen mehr ist. Bey den Wundern hat man zu beobachten, ob sie von den Gegenwärtigen ohne Widerspruch für Wunder gehalten sind? ob dieselben das Geschick gehabt, das natürliche und die Kunstgriffe von übernatürlichen Wirkungen zu unterscheiden? ob die Wunder so erzählet sind, daß man aus der Erzählung selbst ein geübtes Urtheil des Schreibers, und die Merkmale, daß es ein Wunder, und nichts natürliches, oder Betrug, gewesen, schliessen kann? ob die Wunder selbst so beschaffen sind, daß die Umstände mit einander übereinstimmen, oder sich widersprechen? ob sie der Art sind, daß sie nicht allein Gottes Macht, sondern auch seine Weisheit und Güte beweisen, oder ob sie vielmehr diesen Vollkommenheiten Gottes entgegen laufen, und blos die Ordnung und den Lauf der Natur stören und aus der Welt einen Traum machen? letzlich ist sehr darauf zu sehen, was sie für einen Zweck gehabt, und was [360] denn endlich durch diese Wunder gutes und herrliches ausgerichtet worden? Wer die Geschichte anderer Völker gelesen, der wird wohl begreifen, daß alle diese Untersuchungen bey den Weissagungen und Wundern nöthig sind, wo man nicht will betrogen seyn. Und ein jeder kann auch hier wohl sehen, daß aus diesen Kennzeichen viel leichter sey, die Falschheit einer Offenbarung einzusehen, als von ihrer Wahrheit überzeugt zu werden. Denn jene verräth sich, wo man nur nicht gar zu sehr geblendet ist, gar bald, wo nicht in dem einen, jedoch in dem andern. Wie will man sich aber, zumal nach so langer Zeit, auf alle die erregten Fragen von den Weissagungen und Wundern genüglich antworten, daß nicht vieles überbliebe, das wir nicht zuverlässig mit ja beantworten oder allen Zweifeln dabey begegnen könnten. Daher denn nothwendig folget, daß sehr viele von denen, welche noch die Fähigkeit und den Vorsatz haben, die Offenbarung aufrichtig zu untersuchen, in der Ungewißheit und Zweifeln stecken bleiben, oder die Offenbarung wol gar als falsch verwerfen. Und wie viele bleiben denn wol von dem ganzen menschlichen Geschlechte übrig, die einen gegründeten und zuverläßigen Glauben an die Offenbarung bekommen können?

§§. Ich habe in allem Obigem nichts unbilliges gesetzet. Die Vernunft und die Schrift selbst erfordern eine Gewißheit und Ueberführung des Glaubens. Die Gewißheit kann aber nicht anders als durch obige Untersuchung entstehen: und wer von Menschen nichts fordern will, was über menschliches Vermögen ist, wird [361] gestehen müssen, daß eine solche Untersuchung und folglich ein zuverläßiger Glaube an die Offenbarung eine für den allergrößsten Theil des menschlichen Geschlechts ganz unmögliche Sache sey: da die Nachricht und Urkunden der Offenbarung erst müssen an alle Menschen gebracht, und in alle Sprachen der Welt übersetzt seyn, da ein jeder muß zu verständigen Jahren kommen seyn, nach solcher Offenbarung zu forschen vorgängige Lust bekommen, und durch kein Vorurtheil oder Gewalt davon abgehalten werden; da ein jeder muß das Buch habhaft werden und lesen können, und so ers lieset, verstehen und erklären, und durch eigene Einsicht ein Lehrgebäude herausziehen können: und wenn er dieses gethan hat, von der Richtigkeit der Uebersetzung, von der unverfälschten Bewahrung der Bücher, und von den rechten Urhebern derselben, überführt seyn, und alsdann von der Wahrheit der Geschichte und Lehrsätze, und von der Göttlichkeit der Weissagungen und Wunder unpartheyisch urtheilen: so daß ein jeder dazu, wenn ihm auch alle Urkunden könnten in die Hände gebracht werden, gar viele Sprachen, Alterthümer, Historie, Geographie, Chrononologie, Belesenheit, Erklärungs-Kunst, Weltweisheit und andere Wissenschaften, Witz und Uebung der Vernunft, Ehrlichkeit und Freyheit im Denken besitzen müßte: wenn er nicht blindlings glauben, sondern wissen will, was, und an wen, und warum ers glaubet: welches unter Millionen des ganzen menschlichen Geschlechts kaum von einem zusammen kann gefordert werden. Denn die Hälfte des menschlichen Geschlechts verstirbt in kindischen Jahren. Von den Erwachsenen [362] hat die eine Hälfte vor Christi Geburt, von der Offenbarung, so etwa dem Israelitischen Volke geschehen wäre, nichts wissen oder glauben können. Und von denen, so nach Christi Geburt gelebt, sind die Amerikaner und andere jüngst entdeckte Länder insgesamt, wenigstens bis ins funfzehnte Seculum, ja viele Theile von Europa und Asia, bis ins achte, neunte Jahrhundert gänzlich entschuldiget, daß sie keine Christen werden können, weil ihnen nicht geprediget ist, noch bis auf den heutigen Tag die Bibel in alle Sprachen übersetzt, noch allenthalben Missionarii hingeschickt worden: Und nachdem sich das Christenthum durch Schiffahrt und Handlung weiter ausgebreitet: so können doch Heyden und Türken, theils wegen der Gottlosigkeit und Spaltung der Christen unter sich, theils wegen ihres durch väterliche Religion gefesselten Gewissens und äusserlichen Zwangs, unmöglich Lust oder Gelegenheit bekommen, sich nur einmal um die Lehre der Christen und deren Wahrheit, recht zu bekümmern. Daß daher, wenn wir alles rechnen, was nach Christi Geburt mit allen möglichen Mitteln, Gewalt und Kunst-Griffen hat können christlich werden, selbiges sich nicht auf den hundertsten Theil der gesammten Anzahl erstrecket. Wenn wir nun diejenigen unter den Christen selbst abrechnen, die in den Zeiten der Barbarey und Unwissenheit gelebt, und noch leben, die nicht einmal lesen können, oder aus Armuth, aus Bosheit der Pfaffen und Mangel der Bibel-Exemplarien keine Bibel habhaft werden können; und so sie sie haben und lesen, dennoch nicht verstehen: so wird wiederum unter denselben kaum [363] der hundertste Theil seyn, welcher weiter kömmt, als bis zu einem Köhler-Glauben. Unter denen, die ein wenig mehr Gelegenheit und Begriffe haben, die Bibel zu lesen und zu verstehen, können dennoch sehr wenige das Lehrgebäude der Schrift aus hundert versteckten Oertern durch eigene Einsicht heraussuchen: und daher sind hundert gegen einen, die nicht weiter kommen, als bis zum Catechismus-Glauben: sie halten, daß dieß die seligmachende Lehre sey, bloß, weil es ihr von Jugend auf erlerneter Catechismus sagt. Lasset sie denn endlich auch Gelehrte und Gottesgelehrte seyn, so kommen doch wenige so weit, daß sie alle Urkunden, Kirchengeschichte, Alterthümer, Sprachen und Wissenschaften in so hohem Grade besitzen, daß sie, vermittelst der Critik und Anwendung der gesunden Vernunft, von der Bücher unverfälschten Bewahrung, von den wahren Urhebern derselben, von der Wahrheit der Geschichte, von der Göttlichkeit der Offenbarung, sollten genugsame Prüfung anstellen können, die bis zu einer zuverlässigen Ueberführung käme. Demnach habe ich nichts zu viel gesagt, daß eine Offenbarung, die einem Volke im Winkel des Erdbodens und in demselben Volke nur wenigen Personen, nur zu gewisser Zeit, und zwar durch Gesichte und Träume geschehen ist, kaum unter einer Million des menschlichen Geschlechts, bey einem einen überführlichen Glauben wirken könne, bey allen den andern Menschen aber unmöglich ein Mittel zur Seligkeit werden könne. Es mag nun einer so viel davon abdingen, als er will, er mag nach Gefallen gar keine solche Gewißheit zu einem seligmachenden Glauben erfordern, sondern [364] es bey dem Catechismus- und Köhler-Glauben bewenden lassen; so erhellet doch auch aus diesem Gegensatze, daß eine Offenbarung nimmer allgemein werden kann, weil nach solchem Catechismus-Glauben, ohne genugsame Fähigkeit der Untersuchung, ein jeder, (wie es auch die Erfahrung giebt) bey seiner väterlichen Religion, das ist, Jude, Türke, Heyde bleiben wird, und bleiben muß, und also durch Ueberführung und Untersuchung zu keiner neuen Lehre der Offenbarung gebracht werden kann. Man nehme demnach an, was man will: einen Glauben an die Offenbarung, der sich auf zureichende Untersuchung und Ueberführung gründet, oder der bloß mit dem, was Aeltern und Lehrer, was Catechismus und Bibel sagen, zufrieden ist: so ist in beyden Fällen klar, daß eine Offenbarung, welche alle und jede Menschen ohne Entschuldigung annehmen könnten und müßten, eine schlechterdings unmögliche Sache sey. Da nun Gott nach seiner Weisheit und Güte, wenn er alle Menschen selig haben will, dasjenige nicht zum nothwendigen und einzigen Mittel der Seligkeit machen kann, welches denen allermeisten schlechterdings unmöglich fällt, zu bekommen, anzunehmen und zu gebrauchen: so muß gewiß die Offenbarung nicht nöthig, und der Mensch für keine Offenbarung gemacht seyn. Es bleibt der einzige Weg, dadurch etwas allgemein werden kann, die Sprache und das Buch der Natur, die Geschöpfe Gottes, und die Spuren der göttlichen Vollkommenheiten, welche darinn als in einem Spiegel allen Menschen, so gelehrten als ungelehrten, so Barbaren als Griechen, Juden und Christen, aller Orten und zu allen Zeiten, [365] sich deutlich darstellen. Sollten die Menschen zu ihrem Zweck, dazu sie Gott geschaffen, eine mehrere Fähigkeit und Erkenntniß haben müssen, als sie jetzt erhalten können: so würde Gott selbiges in der Natur oder natürlichen Kräften des Menschen gelegt haben. Er hat für die leibliche und zeitliche Wohlfahrt des Menschen durch solche allgemeine Mittel, die ein jeder haben kann, in der Natur gesorget: und was nur wenige habhaft werden können, das ist auch dem Menschen zu seiner Wohlfahrt nicht nöthig. Um so viel mehr muß dasjenige, was die Seele, und zwar in alle Ewigkeit, soll vollkommen und glücklich machen, allgemein seyn: und wo es das nicht ist, wenn nur wenige dazu gelangen können: so ist auch dem Menschen nicht nöthig, und von dem weisen, gütigen Gott nicht als ein nothwendiges Mittel gesetzet, sondern von Menschen ersonnen.

 

――――――――

 

1) Paulus führet hier die Worte des XIX Psalms v. 5. an. 

2) Der berühmte Professor Theologiae am Gymnasio in Hamburg, Joh. Alb. Fabricius, schreibt davon in seinem Syllabo Scriptorum de veritate religionis christianae ganz billig: tamen de multis millenis millibus valet quaestio Apostoli: quomodo credent ei, quem non audierunt? quomodo autem audient sine praedicante? Nam quod eodem loco quidem Paulus subiungit: in omnem terram exiuit sonus eorum, neminem video rerum humanarum utcunque peritum et in historia aut geographia non rudem, qui hoc ausit de omnibus locis et aetatibus, quam diu fuit et quam longe patuit patetque orbis, ostendere, ita, ut ne unus quidem mortalis iustam eo nomine meruisse ignorationis invictae excusationem sit dicendus. Woher kommt es doch aber, daß der von Paulo aus dem XIX. Psalm angeführte Spruch ihn selbst widerlegt? Aus keiner andern Ursache, als weil er die Stimme der Natur, davon David spricht, zur Stimme der Offenbarung machen will. Denn jene geht so weit die Natur selber geht, und vernünftige Menschen sind; diese aber kann nimmer allgemein werden. 

3) Guil. Nicholsonus Episc. Carliolensis in diss. de uniuersis totius orbis linguis, subiuncta Chamberlaynii Orationi Domin. p. 20. Purchasius noster linguas sex diuersas (Americanas) didicit, ipsi autem plus mille habuisse dicebantur. Multae in hunc usque diem in Anglia noua, Canada etc. esse dicuntur, sed quae non minus quam Europaeae nostrae sibi inuicem affines videntur. 

4) Hadr. Reland Diss. de linguis insularum quarundam orientalium. P. III. Diss. Misc. p. 206. sqq. 

5) Stralenberg im Nord- und Oestl. Theil von Europa und Asia. Einleitung, Sect. IV. p. 55. sqq. 

6)    Quid quaeri Labiene iubes? an liber in armis

Occubuisse velim potius, quam regna videre?

An sit vita nihil? sed longa an differat aetas?

An noceat vis ulla bono? Fortunaque perdat

Opposita virtute minas? laudandaque velle

Sit satis? et nunquam successu crescat honestum?

Scimus, et haec nobis non altius inseret Ammon.

Haeremus cuncti superis, temploque tacente.

Nil Jacimus non sponte Dei; nec vocibus ullis

Numen eget, dixitque semet nascentibus Auctor

Quidquid scire Ucet; sleritesne legit arenas,

Vt caneret paucis; mersitque hoc pulvere verum?

Estne Dei sedes nisi terra, et pontus, et aër,

Et coelum, et virtus? Superus quid quaerimus vltra?

Lucan. IX. 566. sqq. 

7) Pag. 1. Samojidae glaciales Siberiae oras incolentes, praeter os corporisque speciem, nihil fere humanum habere dicuntur. Incertus autem istorum homuncionum sonus nihilo magis, quam simiorum garritus hic a doctis requiretur. Groenlandiae quoque incolae fortassis, non multo aliter atque ferae, se mutuo intelligere possunt, per inconditum illum sonum suum, quem Danus Batavusque nauta nullus adhuc imitari potuerit. Denique Hotentoti illi Afri in lingua sua Gallorum Numidicorum sono, quam voci humanae similiore aliquid forte inter ipsos intelligibile blaterent. Quis vero non metuat, ne orationem Dominicam pollueret, si foedo miserorum istorum hominum ore pronunciandum committeret. Id. p. 18. Per totum Guineae, indeque Austrum versus Mauri magnam barbararum linguarum copiam habent, quarum soni adeo inconditi sunt, ut Europaeis literis nullis exprimi possint. Quae fortassis et iam conditio est nonnullarum imo plerarumque mediterranearum gentium sub Aequatore sitarum.  

8) ἔδοξε κἀμοὶ. Luc. 1:3.