Karl Philipp Moritz
1756 - 1793
Anton Reiser
2. Theil
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[Vorrede 1786]
Um fernern schiefen Urtheile, wie schon einige über dieß Buch gefällt sind, vorzubeugen, sehe ich mich genöthigt, zu erklären, daß dasjenige, was ich aus Ursachen, die ich für leicht zu errathen hielt, einen psychologischen Roman genannt habe, im eigentlichsten Verstande Biographie, und zwar eine so wahre und getreue Darstellung eines Menschenlebens, bis auf seine kleinsten Nüancen, ist, als es vielleicht nur irgend eine geben kann. –Wem nun an einer solchen getreuen Darstellung etwas gelegen ist, der wird sich an das anfänglich unbedeutende und unwichtig scheinende nicht stoßen, sondern in Erwägung ziehen, daß dieß künstlich verflochtne Gewebe eines Menschenlebens aus einer unendlichen Menge von Kleinigkeiten besteht, die alle in dieser Verflechtung äußerst wichtig reden, so unbedeutend sie an sich scheinen. –Wer auf sein vergangnes Leben aufmerksam wird, der glaubt zuerst oft nichts als Zwecklosigkeit, abgerißne Fäden, Verwirrung, Nacht und Dunkelheit zu sehen; je mehr sich aber sein Blick darauf heftet, desto mehr verschwindet die Dunkelheit, die Zwecklosigkeit verliert sich allmälig, die abgerißnen Fäden knüpfen sich wieder an, das Untereinandergeworfene und Verwirrte ordnet sich – und das mißtönende löset sich unvermerkt in Harmonie und Wohlklang auf. – |