B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



O d e n   u n d   E l e g i e n .

A n   M e t a .

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Am Thor des Himmels stand ich, und wolte schon
Zu dir hinüber, GOtt mein Messias gehn,
      Von Antliz den zu Antliz singen,
            Der hier unsichtbar die Harfe durchklang.

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Dann hätt' ein Andrer, auch ein Glükseliger,
Mein unsterbliches unter den Sterblichen
      Empfangen, und mein ganzer Name
            Wäre des Seligen Theil geworden!

Gegönnt hätt' ich's ihm, hätt' ihn (ein Seraph denn!)
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Zum Liede gesegnet, dem du mich GOtt! erschufst;
      Doch thränend that ich eine Bitte,
            Eine nur von meiner ganzen Hoffnung:

«Der du mich schufst, mir von dir zu fühlen gabst,
Mein Vater! mein GOtt! zürne dem Sohne nicht,
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      Der sich zu bitten unterwindet,
            Nah am Gerichte zu dir dies lastet:

Die Sterbliche, die du, doch nur mir erschufst!
Und mich ihr erschufst! Denn dein Bild trüget nicht
      Die nimm nicht von mir, ach! nicht von mir,
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            Die meine Seele unaussprechlich umarmt!

Es sey sein Theil, was mir einst bestimmet war,
Des Seligen, den du hier erwählen wirst,
      Den Erdbewohnern den Messias,
            Sich die Unsterblichkeit zu ersingen!

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Aber nur sie, die meine Seele sich,
Wie ewig sie ist, wenn sie dich lieben wird,
      Doch ewig immer wird verlangen,
            Laß mir die! Gib sie dem Seligen nicht!

Zwar, Vater! Nicht hier bitt' ich sie mir von dir!
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Daß ich sie liebte, das war dein hoher Trieb!
      Nur jenseits, jenseits dieses Himmels,
            Bitt' ich mir die mir Geschaf'ne wieder!

Ich fühl es nun ganz, irdisch war sie nicht mein!
Vollendet ist sie noch nicht! Sie liebet mich
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      Noch nicht! Ihr Thränen meines Lebens!
            Heilige Trauer, sey du mein Zeuge!»

So bat ich. Ergab mich nun dem Richtenden.
Mein halberstorb'nes Auge verhülte schnell
      Ein süser Schlaf, und vor mein Antliz
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            Stiegen die Träume Jehovas herab!

Ein tiefer Schauer wie vom Unendlichen,
Ein sanft Beben wie es von GOtt ausgeht,
      Wenn zu des Lebens grosen Thaten
            Gnädig er seine Geschaf'nen weihet,

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Ergrif mich. Ich sah, was sonst nur Götter sehn,
Wenn keine Sonne, wenn nun kein Mond mehr ist,
      Den vollen Wohlklang meines Daseyns,
            Jenseits der sphärischen Harmonien!

Salem, mein Schuzgeist (seinen ernstlächelnden
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Blik, den Weihrauchsduft, der ihm entfloß, kannt' ich)
      Stand vor mir, wie ich ihn da sahe,
            Als den Gottmensch mein erster Gedank' sang!

Mehr noch, als du bat'st, ist dein Gebet erhört!
Mehr als du verstand'st, Sterblicher, betest du!
      Du wirst nicht sterben! Sieh' hinüber,
            Wie dich im Schaffen dein Schöpfer dachte!»

Er sprach's. Ich sah hin, da rissen gegen mich
Lebende Winde Pforten des Himmels auf!
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      Der Myriaden Gottes Harfe
            Klang auf mein strahlendes Haupt daher!

Heil mir! Es hüpft noch mächtig mein Geist in mir,
Wenn er zurük und schnell an die Zukunft denkt!
      Vom Throne rief man meinen Namen,
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            Den ich verklärt einst führen werde!

Entzükt hört' ich, und meine Gestalt fuhr schnell
Geflügelt, dünkt' mich, durch die Anbetenden
      Dahin, wo in der Wolken Hülle
            Mich zum Gerichte der Ewige rief!

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Erwartend sank ich gegen die Wolken hin!
Izt kam sanftwandelnd nicht eines Sterblichen,
      Nein meines Seraphs Stimme zu mir:
            «Siehe den Lohn deines Lebens vor dir.»

Zitternd sah ich auf! Da riß das Dunkel weg,
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Und wolkenlos stand vor mir ein Altar da!
      Die goldne Schal voll Christenthränen
            Glänzte geweihet vom Altar herab!

Ich sang geheimen Jubel, geflügelten,
Nur GOtt verstandenen Jubel! doch sang noch nicht
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      Die Seel' aus allen ihren Tiefen!
            Noch war mein Daseyn nicht ganz erfüllet!

Was ich sang, war, Dank nicht ganz, doch kein Gebet
Um sie, die bis izt meine Seele hielt!
      Ein süs betäubendes Erstaunen,
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            Ein nie gesehenes Bild ergrif mich!

Unausgesprochne Freude, voll Wehmuth doch,
Und ein getrenntes, zärtlich erkanntes, und
      Wie meines mir geliebtes Herze,
            War der Herold des Wunders vom Throne!

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Ich sank wieder hin! tiefer verstummt vor ihm!
Ewigkeit! du tratst aus vor ihm her in mich,
      Daß ich deß Herrlichkeit verstünde,
            Der vor dem Weltgericht mich vollend'te!

Es donnerte sanft! Herlich, wie lechzenden
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Gefilden, nach der Flamme des Sommertags,
      Prophetisch, vor dem Regen, Gottes
            Sanfterer Donner, Gewitter hauchet!

Die Stimme kam nun! «Salem, komm! zeige ihm
Die, die ich für ihn schuf, und für die Ewigkeit!
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      Ich heise HErr! HErr! bin dir gnädig!
            Singe mich lebend, wie mich dein Mund singt!

Erhebe dich !» so sprach Salem, faßte mich
Aufrichtend an, denn aufgelöst lag ich da!
      Aufs Antliz hingebreitet, kraftlos,
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            Tief von Wollüsten Gottes getroffen!

Die Stärke kam nun in mein gesunk'nes Mark;
Heil mir! ich sprang auf! Heil mir! voll Ungestüm
      Blikt ich - Sie war's! - doch Fanny nicht mehr -
            Zitternd an des Seraphs Rechte gelehnt! -

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«Nimm hin, die hier steht!» - So sprach der Himmlische:
«Ich lehrte sie dich seufzen, wo Seraphin
      Die jungen Seelen unterm Schatten
            Dekender Fittige Gottes weyden!»

Er sagt's, und führte den noch Erstaunenden
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Zu ihr! das Mädgen zu dem Erstaunenden!
      «Nimm Sie! du täuschtest dich an Fanny!
            Meta war dein! zur Unsterblichkeit dein!»

Wie soll ich sagen, was ich da, da! empfand!
Dem hohen Flügel himmlischer Fühlungen
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      Nachfolgen! da der Lieb' am Staube
            Meine ohnmächtige Harfe verstummt!

Dir, Fanny, nicht mehr! doch segn' ich ewig dich!
Dich seufzt' ich nicht mehr, da ich erwachete!
      Ach Meta! Meta! Ach! dein Bild nur
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            Zwar hier noch ungesehn, durchdrang mich!

Ich sah dich! «Sie ist's!» sprach die tiefglühende
Wange! Sprach mein Geist, schnell zu dir hin empört!
      Da ging es dreymal durch mein Haupt hin!
            Dreymal erkannt' ich Jehovens Stimme!

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Du sahst mich! «Er ist's!» sprach die erröthete
Wange! sprach das schnellklopfende Herz in dir!
      Das Zittern, wenn ich mich dir nahte!
            Wich ich dann von dir, dein banges Auge!

Verheele mir's nicht! Ewiggeliebte, nicht!
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Ich laß dich nicht, ganz mir Geschaffene!
      Du bist, weil Irdisches an mir ist,
            Und in Elysium Gottes, Meine!