B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



O d e n   u n d   E l e g i e n .

A l s   d e r   D i c h t e r   d e n   M e s s i a s
z u   s i n g e n   u n t e r n a h m .
1 7 4 8 .


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Euch Stunden grüß ich, die mir der Abendstern
Ueber mein Haupt hin still zur Erfindung führt!
      O geht nicht, ohne mich zu segnen,
            Nicht ohne Göttergedanken weiter!

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Im Thor des Himmels sprach ein Unsterblicher;
«Eilt heil'ge Stunden, die ihr die Unterwelt
      Aus diesen goldnen Pforten GOttes
            Selten besucht, eilt zu jenem Menschen,

Der den Messias seinem Geschlechte singt;
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Deckt ihn mit dieser schattigten kühlen Nacht
      Eures Gefieders, daß er einsam
            Unter dem Schatten des Ewigen dichte!

Euer Werk, Stunden! werden Jahrhunderte,
Dieß weissagt Salem, ganze Jahrhunderte
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      Werden es hören, den Messias
            Ernsthaft betrachten und heilig leben.»

Er sprachs. Ein Nachklang von dem Unsterblichen
Fuhr mir gewaltig durch mein Gebein dahin.
      Ich stand, wie wann in Donnerwettern
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            Ueber mir GOtt geht, erstaunt und freudig.

Daß diesen Ort kein schwazender Prediger,
Kein wandelloser Christ, der Propheten selbst
      Nicht höret, nah sey! Seyd mir alle
            Unsichtbar, Bürger des Staubs, Gedanken,

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Die izt gekrönte, die ungekrönte Narren
Rings um mich denken, die dich, du Heilige,
      Dich Edle, dich du Menschenfreundin
            Göttliche Tugend, die dich entweihen!

Deckt heil'ge Stunden, decket mit eurer Nacht
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Den stillen Eingang, daß sich kein Sterblicher
      Annäh're; winkt selbst meiner Freunde
            Stets gern gehorchten geliebten Fuß weg.

Ausser wenn Schmidt will aus den Versammlungen
Der Musen Tabors zu mir herüber gehn,
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      Doch, daß du nur vom Weltgerichte,
            Oder von deiner erhabenen Schwester

Dich unterredest, ihr Oberrichteramt
Ist liebenswürdig. Was ihr empfindend Herz
      In unsern Liedern nicht empfindet
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            Sey nicht mehr! Was sie empfindt, sey ewig!

Darüber sollen künftige Christinnen
Weichherzig weinen! Drauf sollen Seraphim,
      Die unter unsern Enkeln wandeln
            Ernst und gedankenvoll niederbliken.