BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Christoph Gottsched

1700 - 1766

 

Der Biedermann

 

1727

 

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Vierdtes Blatt 1727. den 22. May.

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BOILEAU.

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A leurs fameux Epoux vos Ayeules fidelles,

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Aux douceurs des galans furent toujours rebelles.

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ES schien, als wenn Euphrosyne in ihrer neulichen Erzehlung nur deswegen

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innegehalten hätte; damit wir desto begieriger werden möchten, den Ausgang

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einer so merckwürdigen Geschicht zu vernehmen. Und in der That war

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niemand zugegen, der nicht ein sonderbahres Verlangen bezeiget hätte,

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den völligen Verlauf dieser traurigen Begebenheiten von ihr anzuhören. Sie stillte

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dasselbe mit eben der Geschicklichkeit, womit sie es erreget hatte; indem sie folgender

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gestalt wieder anfieng.

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Der Edelmann, sagte sie, fuhr weiter fort, sein Verfahren zu rechtfertigen, und

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seinem Gaste von allen Umständen Nachricht zu geben. Die Haare, sprach er, habe

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ich ihr deswegen abgeschoren; weil eine Ehebrecherin dieses Schmuckes gantz unwerth ist.

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Denn ihr kahler Kopf giebt itzo zu verstehen, daß sie durch ihr Laster, Zucht, Scham

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und Ehre verlohren habe. Wollt ihr euch etwa bemühen, mein Herr, und sie in ihrem

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Zimmer besuchen: so wird euch der Augenschein selbst, von allem was ich euch gesagt

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habe, überführen. Dem Fremden war nichts lieber, als dieses Anerbieten: denn

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wie er sich in soviel seltsame Dinge gar nicht zu finden wuste; so wünschte er nichts mehr,

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als eine vollkommene Uberzeugung, von der Wahrheit aller Umstände, zu erlangen. Er

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folgte also seinem Wirthe: Sie kamen in ein schönes Zimmer, und fanden die Dame

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gantz allein, vor einem Camin=Feuer sitzen. Der Edelmann zog einen Vorhang

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weg: und siehe, da hieng das Todten=Gerippe ohne Kopf, davon er vorhin geredet

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hatte. Der Gast erstaunete fast darüber, sahe aber noch weit begieriger nach dem

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Frauenzimmer, welches aus Ehrerbietung aufgestanden war; doch vor Scham die

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Augen nicht in die Höhe schlagen dorfte. So gern er sie angeredet hätte; so unterließ

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er es doch, aus Furcht vor dem gegenwärtigen Edelmanne; als welcher noch

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kein Wort gesprochen hatte. So bald dieser solches merckete; sprach er: Wollt ihr

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mit ihr reden, mein Herr, so werdet ihr hören, was vor eine Sprache sie hat, und

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wie sie sich auszudrücken weiß. Mehr brauchte es nicht, als diese Erlaubnis. Madame,

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sprach der Fremde, wenn sie soviel Gedult besitzen, als Marter sie bisher empfunden

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haben: so sind sie das glücklichste Frauenzimmer von der Welt. Mein Herr,

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erwiederte die Dame, mit thränenden Augen und der demüthigsten Mine die nur zu

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erdencken ist; ich gestehe es, mein Verbrechen ist so groß, daß alle Qvaal, die mir

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mein Herr (denn ich bin nicht werth ihn meinen Ehgatten zu nennen) anthun könnte,

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gegen die Reue so ich darüber empfinde, vor gar nichts zu rechnen ist. Denn nichts

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martert mich empfindlicher, als wenn ich bedencke, daß ich den zärtlichsten und liebreichesten

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Mann von der Welt so gröblich beleidiget habe. Und indem sie dieses sagte,

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brachen ihr die Thränen so häufig aus den Augen, daß sie Stromweise die Wangen

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herunter liefen, und sie vor bitterlichem Weinen kein Wort mehr hervor bringen konnte.

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Der mitleidige Fremde ward so sehr dadurch gerühret, daß ihm die Augen gleichfalls

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voll Wasser liefen: und die Wehmuth würde bey ihm vollends ausgebrochen seyn;

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wenn ihn der Edelmann nicht beym Arme ergriffen, und ihn sogleich wieder hinausgeführet

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hätte.

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Mit was vor Gedancken er diese gantze Nacht hingebracht, ist leichter zu dencken

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als zu erzehlen. Früh morgens, als er seine Reise wieder antreten und von dem

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Landjuncker Abschied nehmen wollte; konnte er sich nicht enthalten, ihm von wegen

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seiner Ehegattin zuzureden, und vor sie zu bitten. Mein Herr, sprach er, die Liebe

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so ich zu euch trage, und die Höflichkeit, so ihr mir erwiesen habt, verbindet mich,

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euch meine Gedancken mit mehrerer Freyheit zu eröffnen, als ich gegen einen andern

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thun würde. Mich düncket, ihr solltet eurer Ehegattin Barmhertzigkeit wiederfahren

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lassen. Ihr sehet ja wohl, wie sehr sie ihren Fehler bereuet. Entschuldigen mag

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ich denselben nicht; um euch nicht noch mehr zu erzürnen. Erweget aber nur, daß

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ihr noch jung seyd, und keine Erben habt. Wäre es nun nicht ewig Schade, daß

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ein so schöner Hof und ein so einträgliches Rittergut, als das eurige ist, dermahleins

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in fremde Hände gerathen, oder lachenden Erben anheim fallen sollte? Vergebet eurer

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Frauen ein Versehen, welches sie vielleicht aus Ubereilung begangen hat, und gewiß

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niemahls wiederholen würde; wenn sie nach einer so empfindlichen Strafe, eure

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Liebe wieder schmecken sollte.

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Wiewohl sich der Edelmann fest vorgesetzet hatte, seine untreue Ehegattin lebenslang

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in diesem traurigen Zustande zu lassen: so machte ihm doch dieses Zureden des Königlichen

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Gesandten keinen geringen Eindruck. Er stund eine Weile in Gedancken, ohne

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ein einziges Wort zurücke zu sagen. Endlich fand er, daß ihm freylich sein Gast nichts

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unrechtes gerathen hatte: und darum versprach er, sich seiner Frauen wieder zu erbarmen;

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dafern sie noch eine zeitlang in solcher Reue verharren würde. Hierauf reisete der

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Fremde ab, verrichtete seine Gesandschafft, und langte nach einiger Zeit wiederum am

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Königlichen Französischen Hofe an. Er erzehlte daselbst dem Könige unter andern auch

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diese seltsame Begebenheit, die er in dem Schlosse eines Landjunckers, wo er übernachtet

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war, theils gehöret, theils selbst gesehen hätte. Dabey wuste er die Schönheit dieser unglücklichen

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Dame so vollkommen zu beschreiben, daß der König seinen Hofmahler dahin

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abschickte, dieselbe nach dem Leben zu schildern, und ihm das Gemählde nach Hofe zu bringen.

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Ohngeachtet sie noch ihr Gefängniß hüten muste, so erlaubte doch der Edelmann

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dem Mahler, dieselbe dem Königlichen Befehle gemäß, in ihrem Trauerhabite abzuschildern.

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Vielleicht trug auch die Betrachtung, daß der Hof selbst von seinem Verfahren

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schon Nachricht hätte, nicht wenig bey, daß er sie bald darauf zu Gnaden annahm. Alles

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vorige ward von beyden Theilen vergessen. Das Gerippe ward vergraben, das Trinckgeschirr

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abgeschafft, und alle andre Merckmahle ihrer ausgestandenen Strafe wurden

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gäntzlich vertilget. Sie liebten nachmahls einander mit vollkommener Treue, und es

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schien, als wenn diese hefftige Erbitterung bloß zur Vergrösserung ihrer ehelichen Zärtlichkeit

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gedienet hätte. Kurtz, sie schienen ein neuvermähltes Paar zu seyn, und hatten das

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Vergnügen, in einem fruchtbaren Ehstande alt und grau zu werden; ja fast zu gleicher Zeit

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wohl betagt und Lebenssatt, ihre Augen zu schließen.

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Was dünckt ihnen von dieser Historie? fragte mich die kluge Euphrosyne, nachdem

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sie ihre Erzehlung dergestalt zum Ende gebracht hatte. Würden sich wohl viele Trinckgeschirre

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in Todten=Köpfe verwandeln müssen, wenn alle ungetreue Weiber auf gleiche Weise

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bestrafet werden sollten? Wir wollen hoffen, gab ich zur Antwort, daß ihrer nicht gar zu

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viele seyn würden. Doch was dünckt ihnen von diesem strengen Ehmanne? Seine Rache

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kommt mir so unerhört vor, daß ich sie eher eine Grausamkeit, als eine gerechte Strafe

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nennen wollte. Durchaus keine Grausamkeit, erwiederte Euphrosyne. Eine Frau die

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von ihrem Manne zärtlich und getreu geliebet wird, und dem ungeachtet ihre Pflicht aus

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den Augen setzet, kan durch keine Marter sattsam bestrafet werden. Der Edelmann

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hätte noch schärfer mit ihr verfahren können, ohne den geringsten Tadel zu verdienen. Er

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hätte ihr das Fleisch ihres ermordeten Buhlers stückweise vorlegen, und sie durch Hunger

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nöthigen sollen, dasselbe bis auf den letzten Bissen zu verzehren. Er hätte seine Knochen

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zu Pulver machen und in ihr tägliches Geträncke mischen sollen, bis sie ein lebendiges

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Grab ihres unzüchtigen Liebhabers geworden wäre. Und wer hätte ihm diesen billigen Eifer

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mit gutem Grunde verargen können? Behüte gott! liebe Frau Nachbarin, versetzte ich:

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Sie sind gar zu strenge gegen die Fehler ihrer Mitschwestern; und man müste sie nicht

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zu einer Richterin über dergleichen Laster bestellen. Meines Erachtens, wäre vielmehr

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der junge Edelmann einer empfindlichern Strafe werth gewesen. Ein plötzlicher Todt,

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war diesem verwegenen Bösewichte eine viel zu gelinde Vergeltung seiner Undanckbarkeit.

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Was war schändlicher und gröber als seine frevelhaffte Ubelthat, dadurch er seinen Wohlthäter,

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der ihn etliche Jahre her erhalten hatte, auf das schrecklichste beleidigte! Ohne Zweifel,

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wird er auch mehr Schuld gehabt haben, als die Dame selbst, die durch seine Nachstellungen

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und Schmeicheleyen, vielleicht zu etwas gebracht worden, daran sie sonst nimmermehr

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gedacht haben würde.

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Ich gestehe es, gab Euphrosyne zur Antwort; auch diesem Ehebrecher würde ich eine

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schmertzlichere Todesart ersonnen haben, wenn ich an des Edelmannes Stelle gewesen

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wäre. Doch auf denselben kan die Schuld allein nicht fallen. Gesetzt, daß er die Dame

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zuerst zur Untreue gegen ihren Mann gereitzet: Warum hat sie ihm Gehör gegeben? Nein,

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ich kan sie nicht freysprechen. Es hätte ihr nur ein Wort gekostet, aller seiner Nachstellungen

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loß zu werden. Allein man siehet es wohl, sie hat zum wenigsten eben so viel böse

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Lust im Hertzen gehabt, als ihr Liebhaber. Kurtz sie hat es nicht rechtschaffen mit ihrem

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Manne gemeynet, und also wohl verdienet, daß sie so nachdrücklich bestrafet worden. Es

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sey dann also, erwiederte ich darauf, daß sie solcher langwierigen Strafe wohl werth gewesen:

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Muß man denn aber nicht zuweilen die Gelindigkeit dem Rechte vorziehen? Fürwar,

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bey wohlgearteten Gemüthern, dergleichen allen Umständen nach dieses Frauenzimmer

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gehabt, richtet man mehrentheils mit Sanfftmuth mehr aus, als mit Schärfe. Vielleicht

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hätte es kommen können, daß die grausame Rachgier des Edelmannes, das Hertz seiner

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so sehr gemarterten Ehegattin, gäntzlich gegen ihn erbittert hätte? Man weiß, daß offt

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die ernstlichste Reue, wenn sie nicht Vergebung findet, sich in eine Raserey verwandelt,

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und nachmahls durch kein Mittel mehr gedämpfet werden kan. Zum wenigsten hätte der

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eifernde Landjuncker sich eher sollen besänfftigen lassen: Und ich lobe den vernünfftigen und

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mitleidigen Hofbedienten, daß er durch seine Vorbitte, die Aussöhnung dieses uneinigen

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Paares, so viel ihm möglich gewesen, befördert hat.

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Dieses war vor dasmahl meine Unterredung mit Euphrosynen, bey Gelegenheit der

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Geschicht, so sie gelesen hatte. Und dergleichen Gespräche sind unter uns nichts seltsames.

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An Veranlaßung dazu kan es uns nicht leicht fehlen; indem entweder sie, oder ich etwas

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vorzubringen weiß, was zu guten Untersuchungen und Betrachtungen leitet. Eins von

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ihren Büchern, was sie sehr hoch hält, ist des Französischen Paters du Bosc Tractat

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L'honnête Femme, oder das rechtschaffene Frauenzimmer, genannt, darinnen

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von allen Tugenden und Lastern des Weiblichen Geschlechts auf eine angenehme und erbauliche

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Art gehandelt wird. Sie hat es selbst etlichemahl vor sich durchgelesen, und itzo läßt

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sie sich noch täglich von ihren Töchtern wechselsweise ein Capittel vorlesen: dabey sie denn

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allezeit Gelegenheit nimmt, dieselben durch mündlich hinzugesetzte Erinnerungen und Lehren

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zum Guten zu ziehen. Diejenigen Schrifften die von der Haußhaltung, dem Gartenbaue,

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der Auferziehung der Kinder, und sonderlich der Töchter handeln, will ich voritzo

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nicht gedencken; als davon ihr so leicht keine einzige unbekannt seyn wird.

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So glücklich ich meinen Freund Sophroniscus, einer so tugendhafften und verständigen

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Ehegattin halber schätze: so habe ich doch, um vieler Ursachen, halber den ehlosen

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Stand vor mich zuträglicher befunden. Zum wenigsten war ich ungewiß, ob es mir im

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Heyrathen eben so gut, als ihm gelingen würde. Ich vergnüge mich indessen, so offt ich

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das ordentliche Hauswesen dieser vernünfftigen Eheleute überlege, und die ruhige

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Glückseeligkeit betrachte, darinnen Eltern, Kinder und Gesinde leben. Ich bringe

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offt halbe, ja gantze Tage in dieser wohlgearteten Familie zu: welches ich deswegen ohne

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geringste Versäumnis meiner eigenen Geschäffte thun kan; weil ich selber mein

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Gütchen verpachtet, und mir nur ein paar Zimmer meines Hauses, zu meinem

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Aufenthalte ausgedungen habe. Dergestalt lebe ich in Ruhe: Helfe aber, bald meinem

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Pachter, bald meinem Freunde, die Aufsicht über ihren Ackerbau und die übrige

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Haushaltung führen: als wodurch ich mein Bücherlesen und das itzige Schreiben

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abzuwechseln gewohnt bin.

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In dem nechsten Blatte, will ich mich bemühen, von den Söhnen meines

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Freundes eine ausführliche Abbildung zu machen.