BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Christoph Gottsched

1700 - 1766

 

Der Biedermann

 

1727

 

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Drittes Blatt 1727. den 15. May.

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BESSER.

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Ein treuverknüpftes Paar, das sich von Hertzen meynet,

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Was ists? des Himmels=Bild, da Mond und Sonne scheinet.

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EUphrosyne ist die würdige Ehegattin meines Freundes, eine Matrone, die

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ihrer guten Eigenschafften halber eines solchen rechtschaffenen Mannes werth

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ist. Sophroniscus hat sie bloß aus Liebe geheyrathet; aber diese Liebe ist

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weniger eine Wirckung ihrer guten Gestalt, als ihres wohlgearteten Gemüthes

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gewesen. Ein Frauenzimmer, so im äußerlichen was angenehmes an sich hat,

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reitzet die Augen der Männer, mehr auf sie, als auf andre zu sehen. Dieses ist der

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Vortheil wohlgebildeter Personen; der ihnen aber offt zum Schaden gereichet: wenn ihre

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böse Gemüthsart diejenige Zuneigung wieder vernichtet, die ihre Schönheit ihnen zuwegegebracht

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hatte. Euphrosyne hatte das Glück einen liebenswürdigen Cörper von

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der Natur erhalten zu haben: Doch sie verlangte nicht, bloß um einer so unbeständigen

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Sache halber, geliebet zu werden. Die Reitzungen ihrer guten Bildung, waren gleichsam

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nur die Lockspeise, dadurch der redliche Sophroniscus bewogen ward, die Bekanntschafft

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dieses jungen Frauenzimmers zu suchen, und dabey zu erfahren: ob auch ihre

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Seele eben soviel Hochachtung verdiene, als ihre Gestalt? Er fand dieses in der That.

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Ihr Verstand war von großer Fähigkeit, und durch eine gute Auferziehung mit keinen

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Vorurtheilen angefüllet. Ihr Witz war lebhafft und geistreich, weswegen ihr Umgang

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ihm überaus angenehm ward. Ihr Hertz endlich war zur strengesten Tugend geneigt,

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und zu keinen verkehrten Leidenschafften verwehnet. Bey dem allen sahe sie wohl,

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daß Sophroniscus ein redlicher, vernünfftiger und begüterter Mann war, der durch

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seine guten Eigenschafften ihre Hochachtung würde verdienet haben; wenn er ihr gleich

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nicht mit Liebe zugethan gewesen wäre. Es fiel also gar nicht schwer, zu ihrem beyderseitigen

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Vergnügen, die Bewilligung ihrer Eltern zu erlangen: und die Hochzeit

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ward ohne viele Weitläufftigkeiten vollenzogen.

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Ich kan nicht unterlassen einen merckwürdigen Umstand von dieser Heyrath zu erzehlen.

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Als mein Freund seine Liebste genugsam zu kennen vermeynte, und deutlich genug

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spürte, daß sie ihm nicht abhold wäre, brachte er sein Wort bey ihren Eltern an.

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Diese, als wohlhabende Leute, dachten nicht anders, als daß der Freyer bey seiner Anwerbung,

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auch zugleich wegen des Brautschatzes eine Foderung thun würde: Allein

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sie erfuhren mit vieler Verwunderung, daß er mit keinem Worte daran gedachte. Man

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ließ ihn durch gute Freunde von weitem erinnern: daß er eine so gewöhnliche und erlaubte

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Sache nicht ins Vergessen stellen sollte; und unter der Hand versichern, daß die Eltern,

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aus Liebe zu ihrem Kinde, und in Betrachtung seiner Verdienste, alles mögliche

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thun würden: Doch alles umsonst. Sophroniscus sagte zu diesen Unterhändlern: Wenn

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ich nach Gelde gefreyet hätte; so wäre es mir leicht gewesen eine viel reichere Parthey

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zu finden; als diese ist: Aber mir hat Euphrosyne, und nicht das Vermögen ihrer Eltern

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gefallen. Ich würde sie lieben, wenn ich gleich keinen Thaler mit ihr zu gewarten

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hätte. Wie angenehm diese vernünfftige Antwort den Schwieger=Eltern gewesen;

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kan man sich leicht einbilden: Sie zeigten aber auch von ihrer Seiten, daß sie mit redlichen

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Leuten redlich umzugehen wüsten, und verschrieben ihrem künfftigen Tochtermanne,

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nicht nur ein ansehnliches Gut; sondern versprachen ihm auch, jährlich ein Stücke Geld in

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seine Haushaltung zu geben. Dieses nahm er mit einer gleichgültigen Danckbarkeit

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an, gab aber, indem er seine Verlobte umarmete, zur Antwort: Dieses lebendige

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Geschencke ist mir tausendmahl lieber, als wenn mir meine werthesten Eltern ihr gantzes

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Vermögen abgetreten hätten.

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Doch ich verliere Euphrosynen aus dem Gesichte. Dieses kluge Frauenzimmer

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legte keine geringere Proben ihrer Tugend ab, als es diejenige Eitelkeit überwand, die

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sonst dem Frauenzimmer, in dergleichen Umständen, so schwer zu überwinden ist. Sophroniscus

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sollte sie als seine Braut beschencken, und die Gewohnheit des Landes würde

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vor etliche hundert ja tausend Thaler Geschmeide dazu erfordert haben. Allein wie er

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sich durch die eingerißnen Vorurtheile niemahls Gesetze vorschreiben läst; so that ers

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auch in diesem Falle nicht. Er nahm 100. Ducaten und verfügte sich zu seiner Geliebten.

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Mein Schatz, sprach er, hier bringe ich ihr die Kosten zu einem kleinen Brautschmucke.

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Hoffet sie nun meinen Augen besser zu gefallen, wenn sie mit vielen Perlen und Edelgesteinen

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behangen seyn wird; als itzo: so kan sie dieselben nach Belieben erhandeln.

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Düncket ihr diese kleine Summe zu wenig; so versichere ich, daß es mir selbst zu wenig

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ist: Denn alles Meinige gehört ihr zu, ja ich selbst bin ihr eigen. Euphrosyne lächelte bey

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dieser Anrede und gab zur Antwort: Wenn ich ihm, mein Geliebter, in Perlen und Diamanten

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besser zu gefallen dächte, als ohne dieselben: so hätten meine Eltern schon soviel

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Vermögen, mich reichlich genug damit zu behängen. Nun hoffe ich aber eines fremden

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Schmuckes in dieser Absicht nicht benöthiget zu seyn. Das überreichte Geschenck nehme

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ich an; bitte ihn aber, mir dasselbe an eben dem Orte ferner aufzuheben, wo es bisher

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verwahret gelegen.

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Was zwischen einem so vernünfftigen Braut=Paare vor ein vergnügter Ehestand erfolget

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sey, wird sich ein jeder selbst einigermaßen vorstellen können. Ihr Haus ist zwanzig

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Jahre her einem aufgeheiterten Himmel ähnlich gewesen, an welchem keine schwartze Wolcke

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zu sehen ist. Sechs wohlgebildete Kinder sind die Früchte ihrer ehelichen Liebe: und

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eben soviel Abdrücke ihrer vereinbarten Eigenschafften sehen sie vor Augen. Euphrosyne

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hat alle ihre Kinder selbst genähret: weil sie es vor unnatürlich gehalten, die Qvellen zu verstopfen,

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die der weise Schöpfer zur Verpflegung zarter Säuglinge fließen läßt; sobald sie

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ans Licht der Welt treten. Ihr Ehegatte ist auch um desto mehr damit zufrieden gewesen:

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da er wohl schwerlich Säugammen würde gefunden haben, die seinen Kindern eine so gute

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Gemüthsart eingeflößet hätten, als seine tugendhaffte Ehegattin thun können. Sie hat also

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den ersten Grund, zur guten Auferziehung ihrer Jugend selbst geleget: denn sie wuste wohl,

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wieviel darauf ankommt, wenn die erste Kindheit verwarloset wird. Ihre Kinder haben

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sie auch um desto lieber; da sonst die Zuneigung derselben, mehr auf die Ammen zu fallen

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pflegt. Sie hat dieselben allezeit um und neben sich: ausgenommen die Söhne, welche schon

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der Unterweisung eines geschickten Lehrmeisters, den Sophroniscus im Hause hält, übergeben

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sind. Also giebt sie allezeit selbst auf die Ihrigen acht, unterdrücket ihre bösen Neigungen

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in der ersten Blüte, und bringet ihnen eine Gewohnheit im Guten bey; ehe sie selbst

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noch verstehen was rechts oder lincks ist.

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Ausser dieser Kinderstube, hat sie noch ein geputztes Zimmer, vor sich und ihre beyden

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Töchter, die schon ziemlich heran gewachsen sind. An den artigen Verzierungen desselben,

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kan man eine Probe von ihrem guten Geschmacke sehen. Es ist mit keinem Uberflusse von

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Gläsern oder Porcellan=Aufsätzen enge gemacht; man siehet kein halbes Dutzend Spiegel

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darinn hangen; die Nachttische prangen auch mit keinem übermäßigen Kostbarkeiten: doch

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ist alles sauber und nett; so daß niemand der zum erstenmahle herein tritt, sich ohne ein sonderbahres

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Vergnügen umsehen kan. Die Wände sind mit einem wöllenen vielfarbigten

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Zeuge behangen, welches sie selbst in ihrem Hause weben lassen. Zween Spiegel, in Rahmen

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von einem schönen Holtze, hängen über soviel kleinen Tischen. Zwölf Stühle stehen

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rings herum, daran sie mit ihren Töchtern den Uberzug selbst genähet hat. Sonst hängen

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noch vier Gemählde in diesem Zimmer, davon Sara und Abigail aus der biblischen, Penelope

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u. Lucretia aber aus der weltlichen Historie bekannt sind. In diesem Gemache empfängt

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sie diejenigen Freundinnen, die ihr zuweilen aus der Nachbarschaft einen Besuch abstatten.

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Wie sie sich die Zeit zu vertreiben gewohnt sey, darf ich wohl nicht sagen; weil es aus

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dem vorhergehenden sattsam wird zu ersehen seyn. Doch muß ich noch hinzusetzen, daß sie

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bey allen ihren Hausgeschäfften und bey alle der Mühe, so ihre Kinderzucht erfordert, doch

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nicht unterlasse, zuweilen ein gutes Buch zu lesen. Sie liest aber lauter solche Schrifften, daraus

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sie diejenigen Pflichten, die ihr als Hausfrau, Ehegattin und Mutter obliegen, desto

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besser beobachten lernen kan. Noch neulich fand ich sie über einer solchen Arbeit beschäfftiget,

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als ich ohngefehr in ihr Zimmer trat. Sie war so eifrig im Lesen, daß sie mich nicht einmahl

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wahrnahm: zumahl sie mit dem Rücken nach der Thür gekehret saß. Ich wollte sie

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mit Fleiß nicht stören, und winckte den Anwesenden, stille zu seyn, bis sie selber aufhören würde.

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Dieses geschah endlich, und zwar mit einem tiefen Seufzer, daraus ich leichte schlüssen

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konnte; daß es recht was bewegliches gewesen seyn müste. Kaum hatte sie mich wahrgenommen

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und bewillkommet, als ich sie ersuchte meine Neugierigkeit zu befriedigen, und mir

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entweder das Buch und die Stelle zu zeigen, darinnen sie gelesen hätte: oder mir selbst kürtzlich

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zu sagen, was sie dißmal so sehr gerühret hätte. Wie sie mit mir, als einem alten Freunde

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ihres Mannes, kein Wesen macht; also erwehlte sie das Letztere, und erzehlte mir folgende

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Geschicht.

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Carl der achte, König in Franckreich, sprach sie, schickte einen vornehmen Hofbedienten

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nach Deutschland, gewisse Reichs=Angelegenheiten zu besorgen. Die Reise ward sehr geschwinde

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fortgesetzt, und der Gesandte schonte sogar der Nacht nicht, den Befehl seines

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Herrn desto schleuniger zu vollenziehen. Einen Abend kam er gantz spät, an das Schloß eines

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Land=Junckers, bey welchem er um Herberge bat. Es kostete viel Mühe, ehe er eingelassen

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ward; doch da der Edelman hörete, daß es ein Bedienter seines Königes wäre; kam

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er ihm entgegen, und entschuldigte die Grobheit seiner Leute: setzte aber hinzu, daß er um einiger

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übelgesinnten Anverwandten halber, von Seiten seiner Ehegattin, dergleichen Vorsichtigkeit

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vonnöthen hätte. Hierauf führte er den Gast herein, und nahm ihn mit aller

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möglichen Ehrenbezeigung auf. Als es Essenszeit war, führte der Wirth diesen Fremden

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in einen schönen tapezirten Saal. Man trug auf, und alsbald kam unter den Tapeten das

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schönste Frauenzimmer von der Welt hervorgetreten; aber mit einem kahlbeschornen Haupte,

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und in einem nach deutscher Manier gemachten schwartzen Trauer=Kleide. Man brachte

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das Handbecken, und als der Gast und Wirth sich gewaschen hatten, reichte man es dieser

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Dame, welche sich auch wusch, und ohne ein Wort zu sprechen, noch von jemanden angeredet

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zu werden, sich am Ende des Tisches niederließ. Der Fremde sahe sie offt an, und

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fand, daß sie bey ihrer grossen Schönheit, doch sehr blaß und gantz niedergeschlagen war.

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Als sie etwas gegessen hatte, forderte sie zu trincken: Ein Bedienter brachte ihr solches,

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aber in einem Gefäße von wunderbarer Gestalt. Es war die Hirnschale von einem Menschen,

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darinnen die Augenlöcher mit silbernen Blechen vermachet waren. Sie tranck zwey

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oder dreymahl daraus; und als sie satt war, stund sie auf, wusch wieder die Hände, machte

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dem Haus=Herrn einen Reverentz, und verfügte sich wieder hinter die Tapeten, ohn ein einziges

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Wort zu sagen. Uber einen so seltsamen Anblick ward der Fremde gantz traurig und

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voller Gedancken. Der Wirth merckte dieses und sprach: Ich sehe wohl, daß dasjenige,

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was ihr an meinem Tische gesehen, euch sehr Wunder nimmt; aber weil ich einen redlichen

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Mann an euch finde, will ich euch nichts verhelen, damit ihr mich nicht vor grausam halten

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möget. Dieses Frauenzimmer, so ihr gesehen habt, ist meine Ehegattin, die ich zärtlicher geliebt

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habe, als jemahls ein Mann seine Frau lieben können: Denn ihrer habhafft zu werden,

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habe ich alle Furcht aus dem Sinne geschlagen, und sie wieder ihrer Eltern Willen hieher

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gebracht. Sie bezeigte auch soviel Liebe gegen mich, daß ich mein Leben, nicht einmahl, sondern

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zehentausendmahl vor sie gewaget hätte. Wir haben auch eine zeitlang so vergnügt

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miteinander gelebt, daß ich mich vor den glücklichsten Edelmann von gantz Europa gehalten.

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Aber als ich einsmahls auf einer Reise begriffen war, dazu mich meine Ehre verpflichtete,

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setzte sie die Ihrige so sehr aus den Augen, und vergaß ihres Gewißens und der Liebe

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gegen mich so gar; daß sie sich in einen jungen Edelmann verliebte, den ich viele Jahre erhalten

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hatte. Sobald ich zurücke kam, merckte ich zwar etwas von dieser Liebe, trauete aber

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meinem Argwohne nicht eher, bis mir die Erfahrung selbst die Augen öffnete: Und dadurch

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ward alle meine vorige Liebe in Raserey und Verzweifelung verwandelt. Diese nun mit

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rechtem Nachdrucke auszulassen, stellte ich mich an, als ob ich verreisete; versteckte mich

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aber in eben dem Zimmer, darinnen sie itzo ist: wohin sie auch, gleich nach meiner vermeynten

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Abreise, ihren Buhler kommen ließ. Ich sahe ihn mit einer solchen Freyheit zu ihr herein

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treten, die mir allein gegen sie zukam; da er sich aber zu ihr ins Bette machen wollte, sprang ich

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hervor, ergriff ihn in ihren Armen, und erstach ihn auf der Stelle. Meiner Ehegattin wäre es nicht

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besser gegangen; weil aber ihr Laster viel zu groß war, als daß es durch einen solchen Todt sattsam

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hätte bestrafet werden können: So habe ich ihr eine andre Strafe auferlegt, die mir schwerer als

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der Todt selbst zu seyn düncket. Ich halte sie in der Kammer verschlossen, darinne sie damahls ihre

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gröste Belustigung geniessen wollte; und zwar in Gesellschafft dessen, den sie mehr als mich liebete.

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Ich habe nehmlich den todten Cörper desselben jungen Edelmanns in einen Schranck gehänget;

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und sie gleichsam zur Bewahrerin dieser Kostbarkeit bestellet. Ja damit sie ihres Geliebten

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niemahls vergessen möge, so lasse ich ihr auch bey Tische den Schädel dieses Bösewichts als ein

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Trinckgeschirr vorsetzen, damit sie also erstlich denjenigen lebendig vor Augen sehen müsse, den sie

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sich durch ihr Laster zum Todtfeinde gemacht: zugleich aber auch denjenigen, dessen Freundschafft

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sie der Meinigen vorgezogen.

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Dieses erzehlte Euphrosyne mit einer solchen Artigkeit, daß ich und alle gegenwärtige

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Hausgenossen in das hefftigste Erstaunen gesetzet wurden. Die Fortsetzung

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dieser Geschicht, soll ehestens folgen.