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Zweyter Theil.
Ich bin gegen das Elend, das der Graf in Rußland ausgestanden, zu empfindlich, als daß ichs nach seiner Länge erzählen und in eine gewisse Ordnung bringen sollte. Allein ich brauche auch diese betrübte Mühe nicht. Ich habe ein halb Jahr nach seiner Zurückkunft noch zween von denen Briefen erhalten, die er in seiner Gefangenschaft an mich geschrieben. Den einen hatte er an einen Geistlichen, auf seinen Gütern in Liefland, addreßiret, der aber nichts von meinem Auffenthalte erfahren können. Den andern brachte mir ein Jude, wie man in dem Verfolge der Erzählung sehen wird. Diese Briefe enthalten den größten Theil von dem, was ihm in Moskau und Siberien begegnet ist. Ich will sie also unverändert hier einrücken. Es ist immer, als wenn man mehr Antheil an einer Begebenheit nähme, wenn sie der selbst erzählet, dem sie zugestoßen ist. Sie werden über dieses den edlen Charakter des Grafen und seine beständige Liebe gegen mich in ein grösser Licht setzen. Wie groß ist sie nicht gewesen! Und eben zu der Zeit, da er mich so brünstig geliebt und alles für mich gefühlt hat, was nur sein Elend hat vergrössern können, habe ich in den Armen eines andern Gemahls der Freuden der Liebe und des Lebens genossen. Wie viel tausend Thränen hat mich dieser Gedanke schon gekostet, und wie oft bin ich vor meiner unschuldigen Liebe zu dem Herrn R** als vor einem Verbrechen erröthet!
Der erste Brief ist aus der Stadt Moskau geschrieben.
Euer unglücklicher Gemahl lebt noch. Wollte doch Gott, daß ihr diese Nachricht schon wüßtet, oder sie wenigstens durch diesen Brief erführet! Ein plötzlicher Ueberfall, den die Russen drey Tage vor meiner angesetzten Hinrichtung auf das Dorf thaten, in welchem ich gefangen und krank lag, hat mir das Leben errettet. Ja, liebste Gemahlinn, diese Vorsehung ist eine Frucht eurer Thränen und meiner Unschuld. Ich habe etliche Tage nach dem geschehenen Ueberfall kaum mehr gewußt, daß ich lebte. Nachdem ich von meiner Krankheit wieder zu mir selber kam und mich in den Händen der Russen sah: so gab ich mich zu meiner Sicherheit für einen Capitain aus und nannte mich Loewenhoek. Unter allen denen Gefangenen, mit welchen ich bald in diese, bald in jene Festung, und endlich nach der Stadt Moskau geschleppt worden bin, sind nicht mehr, als zween Officiere, die mich kennen. Sie sind beide Engelländer von Geburt und die treusten und besten Gefährten meines Elends, die ich mir nur wünschen kann. Der eine von ihnen, Steeley, hat vor wenig Tagen die Freyheit erhalten, einige von seinen Landsleuten, die hieher handeln, zu sprechen, und durch diese hat er mir einen Brief nach Liefland zu bestellen, die sicherste Gelegenheit ausgemacht. Wenn er doch schon in euren Händen wäre! Wenn ich doch nur eine von den Thränen der Freude sehen sollte, die euch die Nachricht von meinem Leben auspressen wird. Wo habt ihr euch denn nach meinem letzten traurigen Briefe hingewandt? Hat euch die Rache des ungerechten Prinzen nicht verfolgt? Ist mein Freund R** mit euch geflüchtet? Und wohin? Arme und unglückliche Gemahlinn! Gönnt mir doch den Trost, daß ich alle mein gegenwärtiges Unglück und das noch künftige eurer Tugend und eurer Liebe gegen mich zuschreiben darf. Nichts als diese Ursache ist vermögend, mir mein Elend zu versüssen, und mir die Schande und das schreckliche Andenken eines gewaltsamen Todes, den mir der Prinz zugedacht, zu erleichtern. Ertraget meine Abwesenheit gelassen, ich bitte euch bey unserer Liebe, und hofft, wir werden uns gewiß wieder sehen. Aber, o Gott! wenn? Und ach wo weis ich denn, ob ihr mein Unglück habt überleben können? Schrecklicher Gedanke, den ich ohne Zittern nicht niederschreiben kann! Nein, mein einziger Wunsch in der Welt, ihr lebt noch. Mein Herz sagt mirs, und es verspricht mir die Wollust, euch noch einmal, ehe ich sterbe, zu umarmen. Um diese Glückseligkeit bitte ich die Vorsehung alle Tage und in dem Augenblicke, da ich dieses schreibe. Kann mir Gott mein Leben wohl zu einem geringern Vergnügen gelassen haben, als daß ich noch einen Theil davon, und wenn es auch nur etliche Tage wären, mit euch zubringen soll? Stellt euch doch die Zufriedenheit vor, die wir schmecken werden, wenn uns die Zeit einander wieder geben wird. Wie lange werden wir vor Entzückung nicht reden! und wie lange werden wir nach tausend Umarmungen sprechen, ehe wir uns satt reden und unser Herz und unser Schicksal einander ausschütten werden! Bekümmert euch nicht zu sehr um mich. Mir fehlt zur Erleichtrung meines Elendes nichts, als die Nachricht von euch und meinem lieben Freunde R**. Erlauben es eure Umstände: so überschickt mir einen Wechsel, ob ich vielleicht dadurch meine Zurückkunft bewerkstelligen kann. Ich bin seit meinem Arreste von allem entblößt gewesen. Ich habe alle Beschwerlichkeiten ausgestanden, die einem Gefangenen auf einem Wege von mehr als hundert Meilen begegnen können. Eben der kümmerliche Proviant, der noch etliche hundert gemeine Mitgefangene gesättiget hat, ist die ganze Zeit über gut genug für mich gewesen. Die Erbitterung der Russen gegen die Schwedische Nation, hat uns das Elend, gefangen zu seyn, am beschwerlichsten gemacht. Sie nennen ihre Sorglosigkeit gegen uns, ihre Unempfindlichkeit gegen unsere Klagen, eine gerechte Vergeltung für das barbarische Bezeigen, womit unser König, wie sie sagen, den gefangnen Russen begegnen ließ. Das Schrecklichste, was wir, nachdem wir über die Pohlnischen Grenzen waren, erfahren haben, ist der Mangel an frischem Wasser gewesen, weil wir oft um die Moräste zu umgehn, einen Umweg durch sandigte Gegenden nehmen mußten.
Mein ganzes Vermögen seit meiner Gefangenschaft hat in zwanzig Thalern bestanden, mit denen mich ein gemeiner Schwedischer Soldat unlängst beschenkt hat. Er starb einen Monat zuvor, ehe wir in der Stadt Moskau ankamen, an einer Wunde, und zwar in einer Nacht, die wir unter freyem Himmel zubringen mußten. Er hatte mir auf dem Marsche viele Dienste erwiesen, und ich belohnte seine Treue dadurch, daß ich die ganze Nacht bey ihm blieb und auf sein Verlangen mit ihm betete. Er hatte in seinem Brusttuche ein Goldstück von zwanzig Thalern eingenäht, womit ihn seine Braut in Stockholm bey seinem Abschiede beschenkt. Dieses gab er mir und bat mich, wenn ich wieder nach Stockholm kommen sollte, seiner Braut seinen Tod zu melden und ihr einige Wohlthaten zu erzeigen. Ich schicke euch den Zeddel, in welchem das Geld eingewickelt war, und in welchem der Braut ihr Name steht. Wenn es möglich ist: so laßt ihr den Tod ihres Bräutigams melden, und schickt ihr für die zwanzig Thaler, die mir und meinem lieben Steeley so viele Dienste gethan haben, hundert. Als mein Landsmann, der mich bis auf den letzten Augenblick bei der Hand hielt, todt war: so schlief ich neben ihm ein. Damals träumte mir, ihr kämet mir an einem Flusse entgegen. Wie erschrackt ihr, meine Liebenswürdige, wie schön entsetztet ihr euch, mich wieder zu finden! Ich erwachte über diesem Traume und lag auf dem todten Landsmanne, und dankte dem Himmel, ehe ich noch aufstund, für diesen glücklichen Traum. Die Freundschaft, die ich dem Sterbenden erwies, brachte mir die Liebe von sechs andern gemeinen Schweden zu Wege, die bey seinem Tode zugegen waren. Es gefiel ihnen, daß ich ihren Cameraden so wohl zum Tode bereitet hatte. Sie baten mich, daß ich eben das an ihnen thun möchte, wenn sie etwan auf dem Marsche sterben sollten; sie beeiferten sich recht von diesem Tage an, mir zu dienen und darbten sich oft das frische Wasser ab, damit sie es mir und Steeley im Nothfalle anbieten könnten. Ich ward kurz darauf krank und konnte nicht mehr gehn, so hinfällig war ich. Allein ehe mich meine sechs Landsleute zurück ließen: so trugen sie mich lieber etliche Tage lang in Stöcken, an Stricken gebunden und mit Binsen durchflochten, fort und nahmen alle die Mühe aus gutem Herzen über sich, zu der sie ausserdem weder Furcht noch Belohnung würde fähig gemacht haben. Ich habe in dieser Krankheit insonderheit den großen Unterschied gesehen, der unter den Diensten ist, die man uns aus Gehorsam und Hoffnung erzeigt, und unter denen, die man dem andern aus einem geheimen Triebe der Freundschaft und des Mitleidens erweiset. Ihre Begierde zu dienen wuchs mit meiner Gefahr, und Leute, die niemals sinnreich in Anschlägen, noch geübt in Gefälligkeiten gewesen waren, wurden sorgfältig, und sinnreich an Mitteln, mir das Leben zu erhalten, weil sie es gern erhalten wissen wollten. Dieses ist die einzige Krankheit gewesen, die mir auf dem Wege nach Rußland zugestoßen. Vor sechs Wochen sind wir hier in der Stadt Moskau angekommen und die ersten gefangnen Schweden in diesem Kriege gewesen, an denen die wilden Einwohner dieses Orts ihre rachsüchtigen Augen befriedigt haben. Wir mochten unser wohl drey bis vier hundert seyn, die man in einem sehr traurigen Aufzuge dem Pöbel einen halben Tag lang öffentlich darstellte. Er würde uns mit Freuden umgebracht haben, wenn wir nicht von einer starken Wache umgeben gewesen wären. Indem wir eine Zeitlang auf einem freyen Platze gestanden und tausend Schimpfreden, die wir aus den Geberden unsrer Feinde errathen konnten, angehört hatten, drängte sich eine alte Frau zu einem Russen, der mit uns angekommen war. Sie fragte, wo sein Camerad, ihr Sohn wäre. Der Russe, der vielleicht nicht wußte, nach wem sie fragte, antwortete ihr, daß ihn die Schweden todt geschlagen hätten. In dem Augenblicke fuhr sie auf mich und schrie: was? hast du meinen Sohn umgebracht? und riß mich, der ich vor Mattigkeit mich kaum selbst mehr aufrecht halten konnte, zur Erde, bis die Soldaten mich von ihrer Wut befreyten. Bedenkt nur, meine liebe Gemahlinn, wie mir damals zu Muthe gewesen seyn muß. In eben der Stadt, in welcher mein Vater in seiner Jugend die Ehre eines Königlichen Abgesandten genossen, war ich ein nichtswürdiger Schwede, und vielleicht auf eben dem Platze, wo er seinen Einzug gehalten, war sein Sohn itzt der Raserey eines Weibes ausgesetzt.
Wodurch habe ich doch das traurige Schicksal verdient, fern von euch, in einer öden Mauer eingeschlossen zu seyn, in einem Behältnisse, in dem ich ausser der Gesellschaft meines Steeley, alles entbehre, was das Leben angenehm macht, und von keiner Freude weis, als von der, mich euer mit ihm zu erinnern, und mit ihm über unser Schicksal zu seufzen? Er hat, wie ich euch schon gesagt, durch ein Geschenke, das er dem Aufseher über die Gefangnen von dem Reste unsrer zwanzig Thaler gemacht, endlich die Freyheit erhalten, mit einigen Kaufleuten aus London zu sprechen. Diese haben ihm hundert Thaler vorgeschossen und alles für ihn zu thun versprochen. Durch dieses Geld hoffen wir uns von unserm Gebieter zuweilen den Schatten einer Freyheit zu erkaufen, denn durch Geld lassen sie sich, wenn sie anders mitleidig seyn könnten, am ersten mitleidig machen. Er brachte mir bey seiner Zurückkunft eine Flasche Wein und etwas Zwieback mit. Ihr denkt etwan, sprach er, da er die Flasche aus der Tasche zog, daß ich bey meinen Landsleuten schon Wein getrunken habe. Nein, mein lieber Graf, ich würde mir nicht die Freude entzogen haben, das erste Glas in eurer Gesellschaft zu trinken. Ich habe noch keinen Tropfen gekostet. Aber nun kommt, nun kann ich nicht länger warten. Kommt, wir wollen unser Unglück einige Augenblicke vergessen und die Freuden des Weins fühlen, und uns alles das als gewiß vorstellen, was wir wünschen. Wir tranken ein Glas. Welche Wollust war das für uns! Wir ehrten durch unsere Entzückung den Gott, der dem Weine die Kraft geschenkt, unsere Herzen zu begeistern und dankten ihm durch ein stilles Nachdenken für ein Vergnügen, das wir seit ganzen Jahren nicht genossen hatten. Wir brachten einen ganzen Nachmittag über unserer Flasche Wein zu. Wir wollten nicht an unser ausgestandnes Schicksal denken; aber es war uns unmöglich. Es war, als ob uns eine große Zufriedenheit fehlte, daß wir nicht mit einem Blicke die Reihe unsrer betrübten Begebenheiten übersehen sollten. Wir wiederholten sie einander, als ob wir sie einander noch nicht gesagt hätten. Wir richteten uns bey unsern Klagen mit der Wahrheit auf, daß ein gütiger und weiser Gott dieses Schicksal über uns verhängt hätte, daß wir uns unser Elend nicht leichter machen könnten, als wenn wir uns seinen Schickungen geduldig überließen, bis es ihm gefiele, uns das Unglück, oder das Leben zu nehmen. Wir gaben einander die Hände darauf, alles was uns begegnen würde, mit einer uns anständigen Gelassenheit zu ertragen. Aber, fieng Steeley an, indem er meine Hand betrachtete, dürfen wir denn nicht wünschen, diese Hände denen noch einmal zu reichen, die wir in unserm Vaterlande lieben? Und wenn Gott dieses nicht wollte, werden wir auch da gelassen bleiben? Wenn Gott dieses nicht wollte – sprach ich, und konnte nichts mehr sprechen. Es ward finster in meinem Verstande. Ich sah keine Gründe zur Gelassenheit mehr, aber Ursachen genug, mich zu beklagen und euern Verlust zu beseufzen. Wir schwiegen eine zeitlang still, als ob wir uns schämten, den Entschluß zu widerrufen, den wir nach langen Betrachtungen gefaßt hatten. Wie Gott will, fieng endlich mein Freund mit einem Tone an, der doch die größte Unruhe verrieth: wie Gott will! Ich will durch meine Gelassenheit gar nicht einen Anspruch machen, daß er seine Schickungen nach meinem Wunsche einrichten soll. Nein, er soll sie ordnen. Aber ist denn das Verlangen unser Vaterland wieder zu sehn und aus dieser Barbarey erlöset zu seyn, ein ungerechter Wunsch? Sollen wir denn in diesem kläglichen Zustande unser ganzes Leben zubringen und nur den Tod hoffen? So sah es mit unserer Gelassenheit aus, und so ist es uns oft gegangen. Wenn wir uns bemüht haben, recht ruhig zu seyn, sind wir am unzufriedensten geworden. Man sieht, wenn man den Betrachtungen über die Vorsehung nachhängt, die Unmöglichkeit sich selbst zu helfen, deutlicher, als wenn man sich seinen Empfindungen überläßt; man sieht die Nothwendigkeit, sich ihren Führungen zu überlassen, und man will doch zugleich nicht von dem Plane seiner eignen Wünsche abgehn. Man will ihn gewiß, man will ihn bald ausgeführt wissen, und man sieht doch, daß die Umstände dazu nicht in unserer Gewalt stehn. Für diese traurige Entdeckung will sich unser Herz gleichsam durch die Unzufriedenheit rächen, und es umnebelt den Verstand, damit es von seinem Lichte nicht noch mehr zu befürchten habe.
Zur Arbeit hat man uns, wie die gemeinen Gefangnen, noch nicht gezwungen, und gleichwohl verstattet man uns nicht die geringste Freyheit auszugehen. Mein erstes Geschäfte in meinem itzigen Gefängnisse ist dieser Brief, und daß wir keine Geschäfte haben, über denen wir uns zuweilen vergessen könnten, dieses macht unser Elend vollkommen. Wenn auch die Erlaubniß, die sich Steeley erkauft hatte, seine Landsleute einige Stunden zu sehn, uns nichts zu Wege gebracht hätte, als etliche Bogen Papier, und Dinte und Feder: so würde sie uns doch schon kostbar genug seyn; denn dieses haben wir für alles Geld nicht erhalten können. Sidne, Steeleys Landsmann und Vetter, ist zu unserm Unglücke in ein ander Theil der Stadt gelegt worden; und so elend wir beide dran sind: so muß es ihm doch noch weit kümmerlicher gehn, da er von allem Gelde entblößt ist. Steeley grüßt euch tausendmal und ist so sehr euer Freund, als der meinige. Wenn ich ihn nicht hätte: so würde mir die Gefangenschaft eine Hölle seyn. Er hat bey einem redlichen und zärtlichen Herzen gewisse Fehler, für die ich ihm recht verbunden bin, weil sie oft unsere traurige Stille unterbrechen und uns etwas zu thun geben. Er liebt die Verdienste seiner Nation auf Unkosten der übrigen Völker. Diese Parteylichkeit, ein natürlicher Ungestüm, und der Fehler des Widersprechens machen mir ihn nothwendig und zugleich schätzbarer. Seine Widersprüche kommen aus einer Fülle des Geistes und der Lebhaftigkeit, aus einer Liebe zur Freyheit im Denken, aus einem Hasse gegen alles niederträchtige Nachgeben, und aus einem Ueberfluße der Aufrichtigkeit und leicht aufwallender Empfindungen her. In seinem Charakter und in seinem Munde verliert also das Widersprechen das meiste von seiner beleidigenden Natur und wird eine Quelle zu vertrauten Gesprächen und kleinen Zänkereyen, deren Mangel uns die lange Zeit und die Gefangenschaft noch weit verdrießlicher machen würde. Kurz, wir sind für einander gemacht. Seine Fehler sind von den meinigen das Gegengewicht, und machen seine guten Eigenschaften nur desto sichtbarer. Er ist sehr vortheilhaft gebildet und seine Mine ist so lebhaft, als sein Herz. Er ist noch jung. Das Unglück in der Liebe ist Ursache, daß er sein Vaterland verlassen und wider seine Neigung, bloß aus Unzufriedenheit, in Schweden Kriegsdienste angenommen hat. Ich will euch sein Unglück kurz erzählen, und ihm euer Mitleiden dadurch verdienen. Als er nebst seinem Vetter Sidne die Universität zu Oxford verlassen, begiebt er sich auf seines Vaters Landgut, etliche Meilen von London, um desto ruhiger studiren zu können. Hier wird er mit einem liebenswürdigen Frauenzimmer, der Tochter eines benachbarten Landedelmanns bekannt, und fängt an, das erstemal zu lieben. Nach zwey Jahren, nach tausend besiegten Hindernissen, und nach tausend Beweisen ihrer Treue, erhält er endlich von ihren Aeltern das Ja, und von seinem Vater die Einwilligung. Der Tag zur Vermählung mit seiner geliebten Antonia wird angesetzt. Sie soll Morgen auf seines Vaters Landgute vor sich gehen, und heute reist er mit ihm zu ihr, um sie nebst den Ihrigen abzuholen. Sie kommen um die Mittagsmahlzeit an, und nach derselben soll die Rückreise erfolgen. Er sitzt mit seiner Antonia in der zärtlichsten Vertraulichkeit unter einer Laube, als man ihnen meldet, daß die Wagen angespannt würden. Verlaßt mich einen Augenblick, fängt sie zitternd zu ihm an, und wenn alles fertig ist: so hole mich ab. Er kömmt wieder und fodert sie zur Abreise auf. Nun bin ich, spricht sie, indem sie ihm die Hand reicht, bereit, euch zu folgen. Es war mir so bange, und ich weis nicht warum. Bin ich denn nicht glücklich genug, da ich in euern Armen der Zufriedenheit der Ehe entgegen eile? Kommt, ich bin die Eurige. Er setzt sich darauf mit ihr in die Kutsche, und die Uebrigen folgen in zween andern Wagen nach. Die Liebe, die unschuldigste und seligste Liebe, ihr Ursprung, ihr Fortgang, alles was sie für einander gefühlt haben, ist in dem Wagen ihr Gespräch. Indem sie noch so reden, und etwan noch eine Stunde bis auf seines Vaters Landgut haben, zieht sich ein Gewitter auf. Im kurzen wird der ganze Himmel schwarz und ein Schlag folgt auf den andern. Der Donner erschlägt eins von ihren Pferden. Antonia springt darauf in der größten Angst aus dem Wagen und reicht Steeleyn die Hand, ihr nachzufolgen und mit ihr in das nächste Dorf zu eilen. Indem sie ihn bey der Hand nimmt, thut es einen entsetzlichen Schlag, und er sinkt in den Wagen zurück. Als er wieder zu sich selbst kömmt, sieht er seine Braut noch an der Thüre des Wagens, vom Blitze getödtet, lehnen, so wie sie ihm die Hand reichte. Kann wohl ein größer Unglück seyn? Der arme Freund! Ein halb Jahr darauf nöthiget ihn sein Vater, eine Reise vorzunehmen, um seine Schwermuth zu zerstreuen. Er thut ihn in das Gefolge des Englischen Gesandten, der nach Stockholm geht, und giebt ihm seinen Vetter zum Gefährten mit. Und eben in dieser Stadt entschließt er sich aus Schwermuth, und aus Verdruß gegen sein Leben, ohne Wissen des Gesandten, Kriegsdienste anzunehmen und muntert seinen Vetter zu eben diesem Entschlusse auf. Er hat nunmehr an diesen Gesandten geschrieben, und ihm sein Unglück und seine Gefangenschaft geklagt, und zugleich für mich, unter dem Namen des Capitains Loewenhoek gebeten. Vielleicht vermag dieser Mann etwas zu unserer Befreyung. Addressirt eure Briefe nach der beygelegten Aufschrift an den Sekretair dieses Gesandten; er ist Steeleys guter Freund. Ich würde noch nicht zu schreiben aufhören, wenn wir mehr Papier hätten. Wird euch denn dieser Brief auch antreffen? Ja, ich hoffe es und tröste mich schon mit einer Antwort von euch –
Mein Gemahl hat, wie er mir erzählt, in allen dreymal an mich geschrieben. Zweymal aus Moskau und einmal aus Siberien. Der andere Brief aus Moskau ist ganz verlohren gegangen. Er ist ungefehr ein Jahr nach dem vorhergehenden und zu einer Zeit geschrieben gewesen, in der es ihm in seiner Gefangenschaft am erträglichsten gegangen. Steeley hatte nämlich durch seine Landsleute und durch ihr Geld den Aufseher der Gefangnen immer mehr gewonnen. Er hatte es so weit gebracht, daß sein Vetter Sidne ihm und meinem Gemahle beygesellet worden war. Durch den Beytritt dieses Unglückseligen, von dem in dem folgenden Briefe eine traurige Nachricht enthalten ist, war ihr Ungemach einige Zeit sehr gemildert worden. Mein Gemahl hat mir von diesem Sidne nicht gutes genug erzählen können. Er war von Natur liebreich und furchtsam gewesen, und bloß Steeleyn zu Liebe ein Soldat geworden. Er hatte nach seiner natürlichen Beschaffenheit die Beschwerlichkeiten der Gefangenschaft empfindlicher gefühlt, als sie beide; und so traurig er selbst gewesen war: so war er doch, wenn Steeley und mein Gemahl ihren Muth verlohren hatten, aus Liebe für sie gelassen und ihr Beruhiger geworden.
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