BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Fürchtegott Gellert

1715 - 1769

 

 

Das Leben der Schwedischen

Gräfinn von G***

 

1. Teil (6)

 

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Dormund war fort. Wir haben auch in unserm Leben nichts weiter von ihm gehört. Ich wünsche, daß er sich nicht aus Verzweiflung selbst umgebracht haben mag. Unsere Mariane war in eine ordentliche Schwermuth gerathen. Sie weinte Tag und Nacht, und wir mußten ihr auf einmal zwo Adern schlagen lassen. Sie schlief in meiner Stube, und versicherte mich, daß ihr viel besser zu Muthe wäre, und daß sie diese Nacht wohl zu schlafen hoffte. Der Morgen wies diese Prophezeyung aus. Ich warf kaum die Augen auf ihr Bette, so sah ich ganze Ströme Blut davon herunter laufen. Was konnte ich anders vermuthen, als daß ihr die Adern im Schlafe aufgegangen seyn würden? Mariane lag in einem fühllosen Schlummer, oder vielmehr in einer Ohnmacht. Ich schrie nach Hülfe, und wir banden ihr die Adern zu. Das entsetzlichste war, daß die Binden nicht abgefallen, sondern mit Fleiß aufgemacht zu seyn schienen. Mariane kam gegen Abend etwas wieder zu sich. Sie gestund, daß sie die Binden aus Lust zum Tode selbst aufgemacht hätte, und wünschte nichts mehr, als daß ihr Ende bald da seyn möchte. Sie küßte mich und sank, ohne ein Wort weiter zu reden, in einen Schlummer, und in etlichen Stunden darauf war sie todt.

Mir gieng es, wie denen Leuten, die in einer Gefahr heftig verwundet werden, und es doch nicht eher fühlen, bis sie aus der Gefahr sind. So bald Mariane todt war, so gieng erst meine Marter an. Ich hätte mir lieber die Schuld von ihrem Tode beygemessen, weil ich dieselbe Nacht nicht genauer auf sie Achtung gegeben hatte. Allein welche menschliche Klugheit kann alles voraus sehen! Ich hatte Marianen in der That zur Heyrath mit Dormunden gerathen. Ich sah, daß dieser Mann Schuld an ihrem Selbstmorde war. Ich dachte an Marianens Schicksal in der andern Welt. Und ich würde noch tausendmal mehr ausgestanden haben, wenn mir die Liebe zu Marianen verstattet hätte, sie für unglücklich zu halten. Ihre Mutter war noch weit gelassener, als ich. Ich weis nicht, wem sie ihren Beystand zu danken hatte; vermuthlich der Religion. Sie sah alles für ein Verhängniß an, dessen Ursachen sie nicht ergründen könnte. Sie tröstete sich mit der Weisheit und Güte des Schöpfers, und verherrlichte ihr Unglück durch Standhaftigkeit. Es ist gewiß, daß der Beystand der Religion in Unglücksfällen eine unglaubliche Kraft hat. Man nehme nur den Unglücklichen die Hoffnung einer bessern Welt: so sehe ich nicht, womit sie sich aufrichten sollen.

Unser Unglück schien nunmehr besänftiget zu seyn. Wir schmeckten die Ruhe eines stillen Lebens von neuem wieder. Wir kehrten zu unsern Büchern zurück, und die Liebe versüßte uns das Leben, und benahm den traurigen Erinnerungen des Vergangenen ihre Stärke. Mein Mann schrieb um diese Zeit ein Buch: Der standhafte Weise im Unglück. Etwan ein Vierteljahr nach Marianens Tode starb unser Wirth, und seine Frau hatte auch bereits die Welt verlassen. Dieser Todesfall machte eine grosse Veränderung in unsern Umständen. Wir mußten unsere Capitale übernehmen, die durch Dormunds Verlassenschaft sehr hoch angewachsen waren. In der That war dieses eine grosse Last für uns. Weder ich, noch mein Mann, noch Caroline wußten recht mit dem Gelde umzugehen. Und ich glaube, wir hätten ehe die Hälfte weggeschenkt, als daß wir es in unserer Verwahrung hätten behalten sollen. Andreas, Carolinens Bruder, hatte wieder eine Handlung in dem Haag angefangen. Wir schenkten ihm einige tausend Thaler, und von dem übrigen Gelde bothen wir ihm die Hälfte in seine Handlung an; mit der andern Hälfte dienten wir guten Freunden. Wenn die Vorsichtigkeit bey dem Gelde eine Tugend ohne Ausnahme ist: so muß ich sagen, daß wir oft nachläßig damit umgiengen. Es war uns oft genug, es hinzugeben, wenn wir wußten, daß derjenige, der uns darum bat, ein rechtschaffener Mann war, der das Geld nöthiger brauchte, als wir. Ein Wort galt bey meinem Manne so viel, als ein Wechsel. Wir haben in der That auf diese Art viel Geld eingebüßt; aber wir sind niemals darum betrogen worden. Unsere Schuldner hatten ein gutes Herz; aber wenig Glück. Sie wollten gern wieder bezahlen, je mehr sie unsere Dienstfertigkeit sahen. Und sie machten uns durch ihre Aufrichtigkeit freygebig, wenn wir es auch von Natur nicht gewesen wären. Man glaubt es kaum, was es für ein Vergnügen ist, wenn man wackern Leuten dienen kann. Es gehört, wie mich deucht, weit mehr Ueberwindung dazu, das Vermögen, zu dienen, zurück zu halten, als es zu erfüllen.

Endlich verliessen wir aus verschiedenen Ursachen Amsterdam, und wandten uns mit unserer Tochter, nebst Carolinen und Carlsons Tochter nach dem Haag zu dem Herrn Andreas. Unser verstorbener Wirth hatte uns bey seinem Tode seine Tochter, als die unsrige, anbefohlen. Diese nahmen wir also mit uns. Ihr Vermögen blieb in Amsterdam in guten Händen. Dieses Frauenzimmer, welches nunmehr etwan funfzehn Jahr alt war, sah eben nicht schön aus; sie hatte aber sehr gute natürliche Gaben. Sie gefiel, ohne daß sie sich einbildete, gefallen zu haben. Die Artigkeit vertrat bey ihr die Stelle der Schönheit. Und wenn man die Wahl hat, ob man ein schönes Frauenzimmer, das nicht artig ist, oder ein artiges, das nicht schön ist, lieben soll: so wird man sich leicht für das letzte entschliessen. Ich kann ohne Prahlerey sagen, daß ich dieses Kind, welches Florentine hieß, meistens erzogen hatte. Und wenn ich gestehe, daß sie außerordentlich viel Geschicklichkeit besaß, so will ich nicht sagen, daß ich sie ihr beygebracht, sondern ihr nur zur Gelegenheit gedienet habe, sich solche zu erwerben. Sie hatte Carolinen und dem Umgange mit meinem Manne sehr vieles zu danken. Sie war mehr unter Mannspersonen, als unter ihrem Geschlechte aufgewachsen. Dieses halte ich allemal für ein Glück bey einem Frauenzimmer. Denn wenn es wahr ist, daß die Mannspersonen in dem Umgange mit uns artig und manierlich werden: so ist es ebenfalls wahr, daß wir in ihrer Gesellschaft klug und gesetzt werden. Ich meyne aber gar nicht solche Mannspersonen, die insgemein für galant ausgeschryen werden, und die sich bemühen, ein junges Mädchen durch niederträchtige Schmeicheleyen zu vergöttern; die ihr durch ieden Blick, durch iede Bewegung des Mundes und der Hand von nichts als einer abgeschmackten Liebe sagen. Solche Leute müssen freylich nicht die Sittenlehrer der Frauenzimmer werden, wenn man haben will, daß eine junge Schöne keine Närrinn werden soll. Mir wäre es am wenigsten zu vergeben gewesen, wenn ich Florentinen nicht so wohl erzogen hätte, als es seyn kann, da ich Zeit, Gelegenheit, und ihre gute Fähigkeit vor mir hatte, und seit ihrem siebenten Jahre fast beständig um sie gewesen war. Ihre guten Eigenschaften machten sie nachgehends zur Frau eines Mannes, der in Holland eine der höchsten Ehrenstellen bekleidete, und an dem sein Stand noch das wenigste war, was ihn groß und hochachtungswerth machte. Doch ich will von unserer Florentine ein andermal reden.

Wir waren kaum einige Monate in dem Haag, so lief ein Schiff aus Rußland mit Waaren für unsern Andreas ein. Er bat uns, daß wir mit an Bord gehen, und die Ladung ansehen möchten. Wir ließen uns diesen Vorschlag gefallen, und fuhren dem ankommenden Schiffe etwan eine halbe Stunde auf der See entgegen.

Nunmehr komme ich auf einen Period aus meinem Leben, der alles übertrifft, was ich bisher gesagt habe. Ich muß mir Gewalt anthun, indem ich ihn beschreibe; so sehr weigert sich mein Herz, die Vorstellung einer Begebenheit in sich zu erneuern, die ihm so viel gekostet hat. Ich weis, daß es eine von den Haupttugenden einer guten Art zu erzählen ist, wenn man so erzählt, daß die Leser nicht die Sache zu lesen, sondern selbst zu sehen glauben, und durch eine abgenöthigte Empfindung sich unvermerkt an die Stelle der Person setzen, welcher die Sache begegnet ist. Allein ich zweifle, daß ich diese Absicht erhalten werde. Wir fuhren, wie ich gesagt habe, dem ankommenden Schiffe eine halbe Stunde entgegen. Es waren zehn bis zwölf Deutsche Reisende auf demselben, und auch etliche Russen. Diese stiegen in unserm Angesichte ans Land, und gratulirten den Herrn Andreas zur glücklichen Ankunft seines Schiffes, weil sie hörten, daß er der Herr davon war. Andreas, der die See stets in Gedanken hatte, hörte ihnen begierig zu. Nur mir ward die Zeit zu lang. Ich trat daher mit meinem Manne auf die Seite, und bat ihn, daß er wieder zurück fahren möchte. Da ich noch mit ihm rede, so kömmt einer von den Passagiern auf mich zugesprungen, umarmet mich, und ruft: Ja, ja, sie sind es, ich habe meinen Augen nicht trauen wollen; aber sie sind meine liebe Gemahlinn. Er drückte mich einige Minuten so fest an sich, daß ich nicht sehen konnte, wer mir diese Zärtlichkeit erwies. Das Schrecken kam darzu, und ich glaubte nicht anders, als daß ein unsinnig Verliebter mich angefallen hätte. Aber ach Himmel, wen sah ich endlich in meinen Armen! Meinen Grafen in Russischer Kleidung, meinen ersten Mann, den ich zehn Jahr für todt gehalten hatte. Ich kann nicht sagen, wie mir ward. So viel weis ich, daß ich kein Wort aufbringen konnte. Mein Graf stund und weinte. Er erblickte endlich seinen ehemaligen Freund, als meinen itzigen Mann. Er umarmte ihn; doch von beyden habe ich kein Wort gehört, oder vor Bestürzung nichts verstehen können. Unser Wagen hielt gleich neben uns. Nach diesem lief ich zu, ohne meine beyden Männer mit zu nehmen, aber beyde folgten mir nach. Ich umarmte den Grafen unzähligemal in dem Wagen; was ich ihm aber gesagt habe, das ist mir unbekannt. Wir waren nunmehr in unserer Behausung, und ich fieng an mich wieder selber zu verstehen. Mein Graf bezeigte eine unendliche Zufriedenheit, daß er mich wieder gefunden hatte, und zwar an einem Orte, wo er mich am wenigsten vermuthet. Er sagte mir wohl tausendmal, daß ich noch eben so liebenswürdig wäre, als da er mich verlassen hätte. Sein Vergnügen war um desto stärker, weil er mich für todt gehalten hatte, da ich ihm auf etliche Briefe nicht geantwortet. Er glaubte, ich hätte es erfahren, daß er noch am Leben wäre. Kurz, er hatte von mir eben so wenig gewußt, als ich von seinem Leben. Herr R** hatte uns verlassen, ohne daß wir es gemerkt. Wir waren also ganz allein. Mein Graf erzählte mir sein gehabtes Schicksal, davon ich bald reden will, und verlangte nunmehr zu wissen, wie es mir gegangen wäre. Er fragte mich hundertmal, und ich konnte ihm mit nichts, als Thränen und Umarmungen antworten. Liebe und Schaam machten mich sprachlos. Einen Mann hatte ich wieder gefunden, den ich ausnehmend liebte, und einen sollte ich verlassen, den ich nicht weniger liebte. Man muß es fühlen, wenn man wissen will, was es heißt, von zween Affecten zugleich bestürmt zu werden, von denen einer so groß, als der andere ist. Mein Gemahl muthmaßete aus meiner Wehmuth etwas widriges für sich. Er hielt noch inständiger an, daß ich ihm mein Herz entdecken, und ihm sein Glück oder Unglück wissen lassen sollte. Aber umsonst. Was konnte ich ihm sagen, wenn ich nicht sagen wollte, daß ich verheyrathet wäre? Ich schwieg, ich seufzete; doch dieses war genug gesagt. Sind sie nicht mehr meine Gemahlinn? fieng er an. Das wolle Gott nicht! Lieber meinen Tod, als diese Nachricht. In eben dem Augenblicke trat meine kleine Tochter, ein Kind von fünf Jahren, in das Zimmer, und vermehrte meine Bestürzung, und entdeckte zu gleicher Zeit das Geheimniß, vor welchem ich zitterte. Sie sah mich weinen; sie trat zu mir. Was fehlt ihnen denn, liebe Mama, fieng sie an, daß sie weinen? Ich komme von dem Papa, der weint auch, und will gar nicht mit mir reden. Ich habe ihnen doch nichts gethan. Mein Gott, sprach der Graf zu mir, sie sind verheyrathet! Ich unglückseliger Mann! Habe ich sie darum wieder finden müssen, damit meinem Herzen keine Art von Marter unbekannt bliebe? Wer ist denn ihr Gemahl? Sagen sie mirs nur. Ich will sie durch meine Gegenwart nicht länger quälen. Ich will sie gleich verlassen. Sie sind mir nicht untreu geworden. Sie haben mich für todt gehalten. Ich mache ihnen keine Vorwürfe. Niemand ist an meinem Unglücke Schuld, als das Verhängniß. Vielleicht ist dieses die Strafe für die Liebe mit Carolinen. Ueberwinden sie sich und reden sie mit mir, fuhr er fort. Ich kann es von niemanden, als von ihnen anhören, wer ihr Mann ist. Ich sprang von dem Stuhle auf, und fiel ihm in die Arme, aber ich sagte noch kein Wort. Nein, fieng er an, erweisen sie mir keine Zärtlichkeiten. Ich verdiene sie, das weis mein Herz; aber ihr itziger Ehegemahl kann ihre Liebe allein fordern, und ich muß dem Schicksale und der Tugend mit meiner Liebe weichen. Durch dieses Geständniß brachte er mich nur mehr in Bewegung. Er fragte endlich das kleine Kind, wo der Papa wäre, und warum er nicht herein käme? Er ist ja mit ihnen in dem Wagen gekommen, hub sie an. Er ist in seiner Stube und weint. Also, fieng der Graf zu mir an, ist mein liebster Freund ihr Gemahl? Dieses macht mein Unglück noch erträglich. Darauf bat er meine kleine Tochter, daß sie ihrem Papa rufen sollte. Allein er kam nicht, sondern schickte durch eben dieses Kind dem Grafen ein französisch Billet von diesem Innhalte:

Mein lieber Graf,

Sie dauern mich unendlich. Ich habe sie durch die unschuldigste Liebe so sehr beleidigt, als ob ich Ihr Feind gewesen wäre. Ich habe Ihnen Ihre Gemahlinn entzogen. Können Sie dieses wohl von mir glauben? Der Irrthum, oder vielmehr die Gewißheit, daß Sie nicht mehr am Leben wären, hat mir den erlaubten Besitz ihrer Gemahlinn gegönnt; ihre Gegenwart aber verdammt nunmehr das sonst so tugendhafte Band. Sie sind zu großmüthig, und wir zu unschuldig, als daß Sie uns mit Ihrem Hasse bestrafen sollten. Unsere Unschuld verringert Ihr Unglück; allein sie hebt es nicht auf. Das einzige Mittel mich zu bestrafen ist, daß ich fliehe. Ich verlasse Sie, liebster Graf, und werde mich zeitlebens vor mir selber schämen. Wollte Gott, daß ich durch meine Abwesenheit und durch die Marter, die ich ausstehe, Ihren Verlust ersetzen könnte! Entfernen Sie das Kind, das Ihnen diesen Brief bringt, damit Sie das traurige Merkmaal Ihres Unglücks nicht vor den Augen haben dürfen. Ist es möglich, so denken Sie bey diesem Briefe zum letztenmale an mich. Sie sollen mich nicht wieder sehen.

Der Graf verließ mich, so bald er diesen Brief gelesen hatte, und suchte meinen Mann. Doch er war fort, und niemand wußte, wohin. Diese Nachricht setzte mich in eine neue Bestürzung. Mein ganzes Herz empörte sich. Ich hatte meinen ersten Mann wieder gefunden. Ich wußte, daß ich sie beyde nicht besitzen konnte; allein welcher Trieb hört die Vernunft weniger, als die Liebe. Es war in meinen Augen die grausamste Wahl, wenn ich daran dachte, welchen ich wählen sollte. Ich gehörte dem letzten so wohl, als dem ersten zu. Und nichts war mir entsetzlicher, als einen von beyden zu verlassen, so gewiß ich auch von dieser Nothwendigkeit überzeugt war. Der Herr R** war indessen fort, und der Graf wollte nicht ruhen, bis er seinen Freund wieder sähe. Er schickte so gleich nach dem Hafen, damit er nicht etwan mit einem Schiffe abgehen sollte. Ich hatte ihm indessen erzählt, daß ich den Herrn R** freywillig zu meinem Manne erwählt, und daß ich seine großmüthige Freundschaft nicht besser zu belohnen gewußt hätte, als durch die Liebe. Ich weis genug, fieng der Graf an, weder sie, noch mein Freund haben mich beleidiget. Es ist ein Schicksal, das wir nicht erforschen können. In wenig Stunden kam Herr R** zurück. Er war schon im Begriffe gewesen, mit einem Schiffe fortzugehen. Er dankte dem Grafen auf das zärtlichste, daß er ihn wieder hätte zurück rufen lassen. Ich will nichts, als Abschied von ihnen nehmen, fieng er an, von ihnen und ihrer Gemahlinn. Gönnen sie mir diese Zufriedenheit noch, es wird gewiß die letzte in meinem Leben seyn. So gleich nahm er mich bey der Hand, und führte mich zu dem Grafen. Hier, sprach er, übergebe ich ihnen meine Gemahlinn, und verwandele meine Liebe von diesem Augenblicke an in Ehrerbietung. Hierauf wollte er Abschied nehmen; doch der Graf ließ ihn nicht von sich. Nein, sagte er, bleiben sie bey mir. Ich fange auf ihr Verlangen mit meiner Gemahlinn die zärtlichste Ehe wieder an. Sie ist mir noch so kostbar, als ehedem. Ihr Herz ist edel und beständig geblieben. Sie hat nicht gewußt, daß ich noch lebe. Nein, mein lieber Freund, bleiben sie bey uns. Wollen sie mich etwan darum verlassen, daß ich nicht eifersüchtig werden soll, so beleidigen sie die Treue meiner Gemahlinn und mein Vertrauen. Bitten sie ihn doch, Madam, fieng er zu mir an, daß er bleibt. Ich hatte kaum so viel Gewalt über mich, daß ich zu ihm sagte: Warum wollen sie uns verlassen? Mein lieber Gemahl bittet sie ja, daß sie hier bleiben sollen. Und ich müßte sie niemals geliebt haben, wenn mir ihre Entfernung gleichgültig seyn sollte. Bleiben sie wenigstens in Amsterdam, wenn sie nicht in unserm Hause bleiben wollen. Ich werde sie lieben, ohne es ihnen weiter zu sagen, und ob ich gleich aufhören werde, die ihrige zu seyn, so untersagt mir doch die Liebe zu meinem Gemahle nicht, ihnen beständig Zeichen der Hochachtung und Freundschaft zu erkennen zu geben. Er blieb auf unser Bitten auch wirklich in Amsterdam. Er speisete oft mit uns, und seine Aufführung war so edel, als man nur denken kann. Wenn auch ich weniger tugendhaft gewesen wäre, so hätte mich doch sein großmüthiges Bezeigen tugendhaft erhalten müssen. Er that gar nicht, als ob er jemals mein Mann gewesen wäre. Kein vertrauliches Wort, keine vertrauliche Mine durfte ihm entfahren. Wie er vor meiner Ehe mit mir umgegangen war, so gieng er itzt mit mir um. Er unterhielt mich mit Freundschaft und Hochachtung, und beförderte mein und meines Grafen Vergnügen mit Aufopferung des seinigen. Er war oft ganze Tage bey mir allein. Ich glaube, daß ich so viel Schwachheit gehabt hätte, ihn anzuhören, wenn er an die vorigen Zeiten gedacht hätte. Und wer weis, ob ich ihm nicht wider meinen Willen durch manchen Blick ein stummes Bekenntniß von meiner Liebe gethan habe, so gewissenhaft ich auch mit ihm umgieng, und so sehr ich meinen Grafen liebte. Ueber die Gegenwart der Caroline erstaunte der Graf sehr. Er hätte es lieber gesehen, wenn sie unsere Wohnung verlassen hätte. Allein ich bat ihn, daß er mir ihre Gesellschaft nicht entziehen sollte. Können sie meiner Tugend trauen, sagte ich zu ihm, so müssen sie wissen, daß ich der ihrigen gewiß bin. Das Schicksal der beyden Kinder, die er mit Carolinen erzeugt, war eine Sache, die ihn oft ganze Stunden niedergeschlagen machte. Er führte sich indessen gegen Carolinen sehr liebreich auf. Er scherzte oft mit uns beyden; allein sein Scherz war so behutsam, daß er weder sie kränken, noch mich beleidigen konnte. Wie es uns ferner gegangen, will ich künftig erzählen. Itzt muß ich nur von meines Gemahls, des Grafen Abwesenheit noch kürzlich so viel erwähnen. Die Russen hatten von dem Dorfe Besitz genommen, darinn mein Gemahl auf den Tod gelegen, und von den Schweden als todt war zurück gelassen worden. Da er nach und nach wieder gesund worden, hatte man ihn als einen gefangenen Officier mit nach Rußland geschickt. Er hatte seinen Namen aus Furcht, daß man ihn desto eher an die Schweden ausliefern möchte, verschwiegen, und sich für einen Capitain ausgegeben. Seine erlittenen Unglücksfälle, und wie er fünf Jahre in Siberien hat zubringen müssen, damit will ich die Fortsetzung von meiner Geschichte anfangen. Der arme Graf hat viel ausstehen müssen. Er starb. – Doch ich will itzt nichts mehr sagen.

Ende des ersten Theils.