BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Albrecht Dürer

1471 - 1528

 

Tagebuch der Reise

in die Niederlande

 

1520/21

 

Klage um Luther

 

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Item am freytag vor pfingsten [17. Mai] im 1521 jahr kamen mir mehr [Nachrichten] gen Antorff, das man Martin Luther so verrätherlich gefangen hett [Dürer mußte das annehmen, da er nicht wußte, daß Luther nur zum Schein entführt und auf der Wartburg in Sicherheit gebracht wurde]. Dann do in [ihn] des kaisers Carols [Karl V.] herolt mit dem kaiserlichen glait war zu geben, dem ward vertrauet, aber sobald ihn der heroldt bracht bey Eyßenach in ein unfreundlich orth, saget, er dörffe [bedürfe] sein nit mehr und ritt von ihn.

 

Luthers Entführung im Glasbachgrund bei Bad Liebenstein, 1521 (Lithographie von Wilhelm von Löwenstern, ca. 1827)

 

Alsbald waren 10 pferd do, die führten verrätherlich den verkaufften frommen, mit dem heyligen gaist erleichteten [erleuchteten] man hinweg, der do war ein nachfolger Christi und des wahren christlichen glaubens; und lebt er noch, oder haben sie in gemördert, das ich nit weiß, so hat er das gelitten umb der christlichen wahrheit willen und umb das er gestrafft hat das unchristliche pabsthumb, das do strebt wieder [wider] Christus freylaßung mit seiner großen beschwöhrung der menschlichen gesezt [Gesetze], und auch darumb, das wir unsers bluth und schweiß also beraubt und außgezogen werden und daselb so schandlich von müßiggehendem volck lesterlich verzehret wird, und die durstigen krancken menschen darumb hungers sterben. Und sonderlich ist mir noch das schwerest, das uns Gott villeicht noch unter ihrer falschen, blinden lehr will laßen bleiben, die doch die menschen, die sie vätter nennen, erdicht und auffgesezt haben, dardurch uns das köstlich worth an viel enden fälschlich außgelegt wird, oder gar nichts fürgehalten. Ach Gott vom himmel, erbarm dich unser, o herr Jesu Χρε [Christe], bitt für dein volck, erlöß uns zur rechten zeith, behalt in uns den rechten, wahren christlichen glauben, versammele deine weite zertrennte schaaf durch dein stim, in der schrifft dein göttlich wort genant, hilf uns, das wir dieselb, dein stimm, kennen und keinem andern schwigeln [Verlockungen], der menschen wahn, nachfolgen, auf das wir, herr Jesu Χρε [Christe], nit von dir waichen, ruff den schaafen deiner wayde, derer noch ein thails in den römischen kirchen erfinden werden, mit sampt den Indianern, Moscobitern, Reußen, Krichen [Griechen], wieder zusammen, die durch beschwörung und geiz der päbst, durch heiligen falschen schein zertrennt sind worden. Ach Gott erlöß dein armes volck, das dar durch großen bain [Bann] und geboth gezwungen wird, der es keines gern thut, darauß es stätigs sünden muß in seinem gewisen, so es die übergehet. Gott, nun hastu mit menschengesezen nie kein volck also größlich beschwehret als uns arme under den römischen stuhl, die wir täglich durch dein bluth erlöst frey christen sollen sein. O höchster himlischer vatter, geuß in unser herz durch deinen sohn Jhm Χρν [Jesum Christum] ein solch licht, dabey wir erkennen, zu welchen boten [Geboten] wir zu halten gebunden sindt, auf das wir die andern beschwernis mit gutem gewissen fahren lassen, und dir, ewiger himlischer vatter, mit freudigem, frölichem herzen dinnen mögen. Und so wie diesen man, der do clärer geschrieben hat, dan nie keiner in 140 jahrn gelebt [bezieht sich wohl auf John Wiclif und andere Vorläufer der Reformation], den du ein solchen evangelischen geist geben hast, bitt wir dich, o himlischer vatter, das du deinen heyligen geist wiederumb gebest einem, der do dein heylige christliche kirch allenthalben wider versammel, auff das wir allein und christlich wieder leben, das auß unsern guten wercken alle unglaubige, als Türcken, haiden, Calacuten [Inder], zu uns selbst begehren und christlichen glauben annehmen. Aber herr du wihlt, ehe du richtest, wie dein sohn Jhs Χρσ [Jesus Christus] von den priestern sterben must und vom todt erstehn und darnach gen himmel fahren, das es auch also gleichförmig ergeht deinen nachfolger Martino Luther, den der pabst mit sein geldt verrätherlich wieder Gott umb sein leben bringt, den wirstu erquicken. Und wie du darnach, mein herr, verhengest, das Jerusalem darum zerstöret ward, also wirstu auch diesen aignen angenommenen gewalt des römischen stuls zerstören. Ach herr, gib uns darnach das neu gezirt Jerusalem, das vom himmel herabsteigt, davon apocalypsis schreibt, das heylig clar eg†m [Evangelium], das do nit mit menschlicher lehr vertunckelt sey. Darumb sehe ein jeglicher, der do Martins Luthers bücher list, wie sein lehr so klar durchsichtig ist, so er das heilig evangelium furth [vorträgt], darumb sind sie in großen ehren zu halten und nit zu verbrennen, es wer dann, das man sein widerparth [Gegner], die allezeit die wahrheit wiederfächten [anfechten], ins feuer würff mit allen ihren opinionen, die do auß menschen götter machen wollen. Aber doch, das man wieder neuer luterische bücher truck [Drucke] hett. Gott, ist Luther todt, wer wird uns hinfürt [hinfort] das heilig eg†m [Evangelium] so clar fürtragen, ach Gott, was hett er uns noch in 10 oder 20 jahrn schreiben mögen? O ihr alle fromme christenmenschen helfft mir fleißig bitten und bewainen diesen Gottgeistigem menschen und ihn [Gott] bitten, das er uns ein andern erleuchten mann send. Erasme Roderadame, wo wiltu bleiben? Sieh, was vermag die ungerecht tyranney der weltlichen gewahlt, der macht der finsternuß? Hör, du ritter Christi, reith hervor neben den herrn Χρν [Christum], beschüz die wahrheit, erlang der martärer cron; du bist doch sonst ein altes männiken. Ich hab von dir gehört, das du dir selbst noch 2 jahr zugeben hast, die du noch tügest [taugst] etwas zu thun, dieselben leg wohl an, dem eglio [Evangelio] und dem wahren christlichen glauben zu gut, und laß dich dann hören, so werden der hellen porten [der Hölle Pforten], der römisch stuhl, wie Christus sagt, nit wieder dich mügen [vermögen]. Und ob du hie gleichförmig deinen maister Christo würdest und schand von den lügnern in dieser zeit leidest und darumb ein klein zeit desto eher stürbest, so wirstu doch ehe aus dem todt ins leben kommen und durch Ch[rist]um clarificirt [verklärt]. Dann so du auß dem kelch trinckest, denn er getruncken hat, so wirstu mit ihm regiren und richten mit gerechtigkeit die nitt weißlich gehandelt haben. O Erasme, halt dich hie, das sich Gott dein rühme, wie vom David geschrieben stehet, dann du magst thun, und fürwar, du magst den Goliath fellen [fällen], dann Gott gestehet bey der heyligen christlichen kirchen, wie er ja unter den römischen stehet nach seinem göttlichen willen. Der helff uns zu der ewigen seeligkeit, Gott vatter, sohn und heiliger geist, ein ewiger Gott, amen. O ihr christenmenschen, bittet Gott umb hilff, dann sein urtheil nahet und sein gerechtigkeit wird offenbahr, dann werden wir sehen die unschuldigen blütter [das unschuldige Blut], die der babst, pfaffen und die münchen vergossen, gericht und verdampt haben. Apocalypsis. Das sind die erschlagnen, unter dem altar Gottes ligent, und schreyen umb rach, darauff die stim Gottes antwort, erbeitet [erwartet] die volkommen zahl der unschuldigen erschlagenen, dann will ich richten.