BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Minnereden

1300 - 1500

 

Minnereden

 

Quelle:

Cod. Pal. germ. 355

(Die Blattangaben führen jeweils zu den

Originalseiten der Heidelberger Handschrift)

 

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14.

Hans Zukunft, Das goldene Jahr

 

[19r]

Der werde got den hochsten tron

gar adellich volkommen schön

gewalteglich hät besessen.

geformet und gemessen

5

hät er mit siner goettlichen hande

himel und ertrich, lút und lande,

Die vier elementen, luft, wasser, erd und fúr

und dar in alle creatur,

was da lebt zams und wildt.

10

nach im geformet und gebildt

hät er den menschen súnderlich;

lob und danck ich im sprich,

sit er uns hät gegeben

sin lib und och sin leben.

15

zit, wochen und och die stund,

ön gott das nieman anders kunt

geschicken und gefuegen

und dar zuo úber kluegen

yetlichs besonder uff ein zil,

20

als lang als er uns haben wil.

Das jar in vierú geteilet stät,

yetlicher teil dry monet hät:

glentz, summer, herbst, wintter zit,

alßo das jär quatiert lit,

25

gemessen in vier glichú teyl.

Hie mit an vacht das glentz mit heil,

wenn des mertzen krafft gat in

[19v]

und des klaren sunnen schin

schön durch lúchtet berg und tal.

30

alles das den wintter val

gewesen ist mit leyde,

blümlin uff der heyde,

viel, blümlun und der kle,

die grünent wider umb als e.

35

den mertzen und den abrellen

sicht man das lob uß schnellen

dringen uß den zwygen;

die vögel númen schwygen.

den das uns der may nachen tuot,

40

das bringet uns die suessen bluot,

wiß gemuest under rot.

hie mit zergat des wintters not,

her wider kumpt der vögel schal,

galander, tröstel und nachtegal

45

mit iren suessen dönen;

die jungen sicht man sich krönen

mit schappeln und mit rösen,

gemaht uß zittlösen,

mit lilyen durch florieret

50

und gar adellich gezieret.

mencklich der zitt sich froewt,

wenn man sicht geströt

mit blümlin feld und anger;

alles das wirt da swanger

55

das uns frücht und frout birt,

[20r]

dar nach uns volkomen wirt

gen dem summer gantze,

wenn sich streckt der sunnen glantze

und uns nachet unmuoß

60

und die monat jonius und julius:

die zwen bringent soeliche krafft,

was des suessen meygen safft

der sin bluot erzoeget,

die zitt sich dann erst oeget,

65

wenn der ögst gät in

und des klaren sünnen schin

die fruht begint denn masten.

die schúren und die kasten

werdent alle gefúllet vol;

70

was ee stuond wan und hol

und der wintter het erhúlt,

der summer frölich es erfúlt

mit manher hand genúcht.

der zart got soeliche frúcht

75

der welt uß krafft der erden

zuo lieb und tröst lat werden.

dar nach so kompt uns dann her

ein manet, heiset september,

der súbent nach dem glentz,

80

der uns die rosen krentz

und gruenes lob verblichet.

der summer dann hin wichet,

die zitt sich dann verstellet,

[20v]

der herbst sich selb dryt gesellet,

85

er fúlt uns die keller mit win.

wäs mag zum essen besser sin!

kappas, kol und ruben

verbirgt man in die grúben;

was man den wintter haben muoß,

90

das uns tuot des hungers buoß,

das tuot der alles in samen.

das obs von den bomen,

öpffel, biren und och die núß,

die lat der herbst gar wenig dúß.

95

hie mit das lob wirt rissen,

falwen und och grissen

sicht man berg und tieffe tal:

wäs ee gruon was, das wirt dann val

von den suoren kalten winden.

100

die warmen tag verschwinden,

die langen necht die kuolent scharpff;

warmer stuben man denn bedarff,

wenn uns die begriffen,

schne, regen und riffen

105

und des argen wintters pin.

wer denn hät gesamelt in

inder liechten summer zitt,

das er den wintter stille litt,

der hät sich selb versorget wol;

[21r]

menglich es betrachten sol

und gedencken spatt und fruo,

wie er den winter habe ruo,

wen in begrifft des wintters not,

der alles das ersterbet tot

115

das den summer perhaft ist.

nuo helf uns got, der werde Crist,

das wir das jar also vertreiben

und in seinen huldenn pleiben

glentz, summer, herbst, den wintter umb,

120

das es uns an dem leibe from

hie und an der sele dort,

das wir den summer soelichen hort

und sotten frucht ein lesen,

das wir daz jar genesen,

125

wen uns begreifft des wintters haz.

mensch, fuer dich solt setzen daz

und merck wie ich dir han gesútt

und das jare hän uß gelútt,

das solt du reht wol verstön,

130

als ich dich wil wissen lön:

die vier zytt bedueten dir gelich

zweintzig jär mit froeden rich.

indiner jugend und bluot

lebst du krefftenglichen und wol gemuot.

135

das glentz betútet din liechten tag,

die zitt ein yettlicher mensch wol mag

lernen zucht und tugent.

ein man in siner jugent

der sol sich flissen frue und spät.

140

das man kain arge misse tät

her nach von im muog sagen.

wer insinen jungen tagen

herwirbt wirdikeit und er,

der mag sich fürbas ümer mer,

145

wenn er beginnet alten,

mit selikeit behalten.

noch mer verkúnd ich dir fuer war:

dar nach so komen viertzig jar,

das du gewinnst maneskrafft;

150

die zit solt du sin wërhafft,

reht als der edel súmer fruot

fruchtig saemen peren tuot,

der früchten allen vollen git

[21v]

drye manat biß uff herbstes zitt,

155

alßo biß werhafft frue und spät;

die jär die dir got geben hät,

die soltú nútzlich legan an,

das bed fröwen und och man

das best von dir sagen.

160

wiltu got wol behagen

und behalten sinen gunst

fúr silber, gold und edel kunst,

fúr alles das uff erd mag sin,

so hab got lieb in dem hertzen din.

165

nit lauß dich verdriessen

ob dich die armen niessen,

als ich dich wil bescheiden:

arm nackent lüt bekleiden

du solt, die hungerigen spisen,

170

die ellenden in din herberg wisen,

tugentlich empfahen.

froelich ön alles verschmahen

die siechen solt du laben,

schaff och die begraben

175

die arm und ellend sterben,

so macht du huld erwerben

umb got in sinem höchsten tron

gar tugentlich und schön;

gefangen lút man troesten sol,

180

mit soelichen sachen macht du wol

lib, hertz, muot und sinne;

[22r]

wär ruow, göttlich minn

das sint die edeln kasten din,

da du die súmer frúcht tuost in

185

und soelichen samen dar uß gebirst

das du fúr got geruomet wirst.

noch einen rät gib ich dir,

mensch, des soltu folgen mir:

wenn dir nachent sechtzig jär,

190

zucht und hoher tugend fär

und stell nach gottes hulde!

betracht wie du din schúlde

gegen got muegest gebuessen,

die wile du uff dinen fuossen

195

moegest loffen und gän!

all mißtat solt du län,

ee dir abgat ditz krefftig zit;

die jar die dir got git

krafft und macht mit eren,

200

gegen got solt du dich keren

und gen im versachen;

wenn du beginst schwachen,

als die herbst moenet koment,

die zit die dann häst uß genomen,

205

also nimst du wider ab

und nyder hin zuo dinem grab

und ylest ab zuo der gruob;

din ögen werden dir dann truobe.

[22v]

wann dir dann nachet achtzig jär,

210

din bart und och din falwes här

die beyde werdent dir griß und grä,

din roter múnd wirt dir blä,

din liechten wangen werten fal,

din hopt blüt und ytel kal,

215

zelten werden dir dein bain,

die füß stest du an mengen stain,

din ruck wirt dir uß gebogen,

din lib begint dir nogen

und gegen der erden nigen.

220

wenn du beginst hitz sigen

und dich begrifft hie der tod,

o mensch, des ellenthaffte not

solt du vor gedencken än!

ist das dir got der selden gan

225

das er dir lengert zyt und tag,

soelich fruocht vor in trag

das du dort muegest haben nar.

an gottes dienst du dich nit spar

und versorg och die sele din,

230

als man den herbst tuot sameln in

das man den wintter haben sol.

vor hin lät man ruomen wol,

subern und fegen keller und faß.

mensch, das merck und biß nit laß!

235

wiltu dich nit versawmenn,

sybren unde raumenn

solt du dines hertzen schrin,

volkomne ruew gentzlich darin

[23r]

solt du fassen und och giessen.

240

laß och dar uß fliessen

bicht und bueß vor dinem ende!

dar nach bit got das er dir sende

sin zarten fronlichnam und sin bluot,

so wirt din ende uff erden guot.

245

wirst du denn also versehen,

so wirt dir von got gegeben

das du des argen wintters frist

mit narung wol versorget bist;

das ist: nach disem leben

250

wirt dir von got gegeben

wúnn und froed ön end gar.

got helff uns allen sament dar

froelich an der engel zúnfft!

Diß red hat Hans Zuokúnfft

255

gedicht zuo ainem núwen jar.

wäs ich wúnsch, das werd uns war!

so behuet uns got for aller pin,

und och die werde muoter sin:

die wollend unser nemen wär,

260

das uns das alles wider far

und das uns fryd und gnöd werd bekant!

das ist das gúldin jär genant.

Amen.