BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johans, der Jansen Enikel

um 1230/40 - nach 1300

 

Weltchronik

 

Seleukos und Antiochus,

Hesekiah, Jugend des Pilatus

Verse 19659 - 20020

 

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Ich wil iu ouch tuon bekant,

19660

daz in Syria dem lant

was ein künic gewalticlîch.

der selb was ân mâzen rîch,

Teulucus sîn name hiez.

vil mangen er von dem leben stiez,

19665

der in sînem lande saz;

vil lützel geloubt man im daz.

dô tet er in die mær bekant,

swer in botschaft wart gesant

zuo im und sagt im daz mær,

19670

daz sînem herzen was swær,

den hiez er tœten an der stat

unde schuof daz îlen drât.

 

Ze einen zîten lac sîn sun tôt;

dô gewan angst und nôt

19675

sîn muoter, diu in hêt getragen,

diu begund weinen unde klagen.

zuo einer juncfroun sprach si ze stunt:

«ginc, tuo ez dînem herren kunt,

daz sîn sun mit grôzer nôt

19680

ist in mîner schôz tôt.»

diu juncfrou was klâr,

ir wengel rôsenvar,

ir hâr als die sîden lieht,

ich wæn, ez nimmer mêr geschiht.

19685

also jæmerlîch gie si dan

hin für den herren stân.

si sprach: «lieber herr mîn,

wolt ir niht zornic sîn,

ich sagt iu hie mære,

19690

liezt ir iuwer swære.»

er sprach baldiclîch: «nû sprich,

war umb hâst dû beswært mich?»

si sprach: «mîn juncherr ist tôt

in mîner frouwen schôz mit nôt.»

19695

dô ruoft er sînen knehten dar,

der stuont vor im ein michel schar.

er sprach: «gebt ir daz botenbrôt

hie ze stet mit grôzer nôt,

alsô daz daz houbt ir

19700

werd ab geslagen schier.»

daz wart dô schier getân,

des maht man niht understân.

 

Dar nâch stuont ez unlanc,

unz ein grôz menig dranc

19705

in sîn lant bî den jârn,

wan si sîn vînt wârn.

dâ von geschach roup und brant

über alliu sîniu lant.

si wârn im leide geste.

19710

sîn knapp der niht enweste

des zornigen küniges muot,

der saz ûf ein ros guot

und reit bald dâ er sach stân

den vil grimmigen man.

19715

er sprach: «herr in dîn lant

ist komen roup unde brant.

die vînt vâhent wîp und kint

und füerent hin schâf und rint.»

diu red wart dem künig swær.

19720

er sprach: «dû rehter trugnær,

dû solt der red geniezen niht.»

den êrsten knappen den er siht

und dar zuo wol zwelf man

hiez er von der bürg gân,

19725

in füeren gewalticlîch.

er hiez im sicherlîch

daz houbt slân von dem lîb sîn.

er tet im sînen zorn schîn.

 

Dâ daz allez wart getân,

19730

do begunden rîten unde gân

die vînt für die burc her.

nieman sazt sich ze wer:

sîn getorst nieman gesagen,

daz man die vînt sach tragen

19735

leiter ân mâzen lanc;

an die burc man si swanc,

und stigen williclîch dar in,

daz wart des küniges ungewin.

dâ mit die sînen alle

19740

giengen für mit schalle:

si sprâchen: «kûnic alsô rîch,

getar man noch bescheidenlîch

dir ditz mær sagen,

daz man dîn houbt sol tragen

19745

von dir in den burcgraben?

wil dû ez für die wârheit haben?»

dô wart der künic vil unfrô.

zuo den sînen sprach er dô:

«von wiu ist daz mære

19750

entsprungen? dâst mir swære.»

si sprâchen: «herr unverzeit,

dû sihest iezunt die wârheit,

die vînt zuo dir her în gân.»

dô sprach der künic wol getân:

19755

«ôwê mîner swære!

ich hœr nû leidiu mære,»

sprach der künic bermclîch,

«mîn lîp und mîn künicrîch,

daz ist mir allez samt entseit;

19760

ich sich nû leider die wârheit.»

den künic si dô viengen.

mit im si frœlîch giengen

oben ûf die brucke;

man leit in an den rucke

19765

und sluoc im daz houbt ab,

des hêt sîn lîp kleine hab.

 

Nâch dem rîchset alsus

ein künic hiez Antiochus,

der stiftet ze Antioch die stat,

19770

als in sîn will bat,

und rîchset dâ vil schône

und truoc aldâ die krône.

 

 

Hie hebent sich die priester an, die dem volk vor wârn

vor gotes geburt unz daz got geborn wart: Aaron, Eleazar,

Finees, Abisue, Bocci, Ozi, Zacharias, Maraioth, Amarias,

Achitob, Sadoch. Dô David rîchsenet, dô wârn die priester

under im und verrihten daz volc in der zît: Achimaas,

Azarias, Achitob, Sadoch, Johanna, Azachias, Amarias,

Achitob, Mosella, Azarias. Ditz sint die alle.

 

Dar nâch ein künic ze Rôm saz,

der was genant Ezechias.

19775

nâch den priestern rîchset er;

er was ouch niht ze hêr,

des was er got ein lieber man.

einen engel sant er dan

zuo Jesayam dem prophêt,

19780

wan er in selber liep hêt.

er sprach: «lieber engel hêr,

sage Jesayam, daz er

gê zuo Ezechiam

und red mit im ân alle scham,

19785

daz er sich füder, er süll sterben

und an dem lîb verderben,

des müg sîn kein rât;

lâz in riuwen sîn missetât,

daz ist im an der sêl guot,

19790

ob ich gên im werd ungemuot.»

zehant her Ysayas

tet daz got liep was:

der gie zuo dem künig hêr,

wan er vorht got vil sêr:

19795

die botschaft sant er im zehant.

er sprach: «herr über daz lant,

dû solt dich dar nâch kêren,

got wil dîner êren

niht mêr ûf dem ertrîch,

19800

dû muost sterben sicherlîch.»

zehant der künic siech wart,

dô im diu botschaft kunt wart;

im wart ein bett bereit.

als man von im für wâr seit,

19805

er kêrt sich umb zuo der want,

er sprach: «got, süezer heilant,

süln mîn tag alsô zergân

unde muoz mîn leben lân,

sô weiz ich wol, daz dîn gewalt

19810

gêt über daz ertrîch manicvalt.

nû solt dû dich, herr, erbarmen

über mînen lîp vil armen

und gedenk, herr, dar an,

daz mir nieman gehelfen kan,

19815

unde lâz, herr, dînen zorn,

daz mîn leben iht sî verlorn.

dû bist, herr, der vater mîn.

nieman mac mir helfent sîn,

wan dû bist der helfær;

19820

nû ring mir, herr, mîn swær.»

also bat er sunder tougen

mit sînen nazzen ougen,

wan er weinen begund.

alle wîs als er kund

19825

bat er die gotheit sêre,

unz got der vil hêre

erhôrt sîn gebet.

den engel sant er dô ze stet

aber zuo Ysayam.

19830

er sprach: «dem künig âne scham

sage, got hab erhœrt sîn riezen,

sîn wazzer sach er fliezen

von sînen ougen hin ze tal;

nû sag im ân allen schal,

19835

er süll noch fünfzehen jâr leben,

diu hab im got zuo gegeben.»

dâ mit gie Ysayas

zuo dem künig Ezechias.

er sprach: «gehab dich wol, lieber man,

19840

got wil dich lenger leben lân.

er hât dir geben zuo dînen tagen,

daz ich dir wil für wâr sagen,

fünfzehen jâr, daz ist wâr,

diu hât er dir gegeben gar.»

19845

dô der künic erhôrt

des wîssagen wort,

dô was er frô und wart gesunt,

dô im wart diu botschaft kunt.

dar nâch gewan er rîchtuom und guot,

19850

des wart er vil wolgemuot,

und rîchset fünfzehen jâr,

als im der wîssag sagt für wâr.

 

Dar nâch rîchset ein künic sus,

der hiez mit namen künic Atus,

19855

der was ein gewaltic man,

als ich vor mir gehœrt hân.

er hêt ein schœn kindelîn,

daz im niht lieber moht gesîn,

daz hêt er bî der küniginn,

19860

er hêt ez liep in sînem sinn.

eines tages wolt er manicvalt

rîten birsen in den walt,

und jagt dâ hirz und rêch vil,

dâ mit sô hêt er dâ sîn spil.

19865

des wâs er vrô und wol gemuot

und beleip ûf den âbent guot.

dâ wart im diu spîs bereit

vil wunderlîch, als man seit.

dô si dâ gesâzen,

19870

getrunken unde gâzen,

dô sach er ûf an daz gestirn.

er sprach: «ich enpfind an dem hirn

und sich daz von der wârheit wol,

daz ein kint von mir komen sol,

19875

daz wirt gewalticlîch

in dem künicrîch;

im mac kein gewalt vor gestân.»

dô sagt zehant sîn dienstman:

«ich hân gesehen ein schœn meit,

19880

diu sol dir sîn hie bereit,

diu ist vil êrbære.

diser mülnaere

der ist ir vater,

alsô wîzer unde sater.

19885

mit der solt dû dînen willen hân.»

daz wart der magt kunt getân.

die wîset man im ze lôn

in einen stadel schôn.

 

Dô stuont ez unlanger,

19890

eines kindes wart si swanger.

si was geheizen Pilâ,

daz las ich an dem buoch sâ.

dô si daz kint nâch frouwen reht

getruoc, zwâr ez was ein kneht.

19895

dem kind was diu frouwe holt.

si sprach, wie man ez nennen solt.

dô sprach der mülnær,

der guot und der êrbær:

«sît sîn muoter heizet Pilâ,

19900

dâ bî sîn vater iesâ

ist geheizen Atus,

dâ von sol ez Pylatus

heizen hie an diser stat,

wan ez die namen beid hât

19905

nâch dem vater und der muoter sîn.»

dô wart der nam dem kind schîn.

der künic sant dô nach im,

daz dûht die muoter ein gewin.

man zôch in schôn unz an sîn stat,

19910

wan ez der künic ziehen bat,

unz dem kinde wart gezalt,

ez wær sicher zwelf jâr alt.

dô lief des küniges kint zwâr

ûf dem hof offenbâr,

19915

daz er bî der küniginne

hêt, die er solt minnen.

mit dem kind lief alsus

stæt daz kint Pylatus.

 

Eines tages daz geschach,

19920

daz des küniges kint sprach:

«dû solt dich niht gelîchen mir!

zwâr und wærn dîner vier,

die wurden mir niht gelîch

hie in disem künicrîch.»

19925

dô wart Pylato zorn.

er sprach: «ich bin als wol geborn

als dû! ich bin des küniges kint!»

«ich mach dich an den ougen blint,»

sprach daz reht kint zehant,

19930

«nû ist daz vil wol bekant,

daz dû mîn kneht soldest wesen;

ich lâz dich nimmer genesen.»

nû sült ir hœrn, wie ez ergie:

Pylatum er bî dem hâr gevie

19935

und rouft in alsô sêre.

er sprach: «dû solt niht mêre

dich mit mir bewerren hie.»

Pilatus dô ein mezzer gevie

und stach des küniges kint ze tôt,

19940

des kom er sît in grôze nôt.

der künic hiez Pylatum vâhen.

er sprach: «ich wil in hâhen;

er muoz tôt ligen hie ze stet,»

alsô der künic ûz zorn ret.

19945

dâ mit ein alter heiden sprach:

«dû wil dir grôzen ungemach

prüeven von des kindes tôt.

dû klagest sêr, des gêt dich nôt,

dû hâst vil herzensêr,

19950

doch wirt dîner klag mêr,

ich mein, ir wirt zwir als vil,

ist daz dû niht erwinden wil

dîner klag mit grôzen nœten.

wil dû Pylatum tœten,

19955

sô hâst dû beidenthalben verlorn:

dû solt twingen dînen zorn.»

 

Atus gedâht im drât:

ich wæn, ez wær ein missetât,

ob ich tœtt mit angst in nuo;

19960

ich lâz in leben unz morgen fruo.

in der naht er im gedâht:

ich wil in senden bî der naht

in einen wert wol getân,

dâ muoz er wilder inne gân

19965

und muoz dâ lîden grôze nôt

umb mînes lieben kindes tôt.

diu red ist âne lougen:

er sol mir under mîn ougen

wærlîch nimmer mêr komen,

19970

ich hân niht tugent von im vernomen.

dar nâch dô er die naht erkant,

inc einen wert er in sant

und wânt, er wær sîn worden ân.

dô kom ein man zuo im gegân

19975

der was ein wildenære,

dem was sîn klagen swære,

daz Pylatus dâ tet.

gegen im er zühticlîchen ret:

«gehab dich wol, liebz kindelîn,

19980

ich muoz zwâr dîn vater sîn.»

er wîst ez schôn in sînen gemach.

vil wol im dâ von im geschach.

er hiez ez nemen des wildes war

manigen tac unde jâr,

19985

unz sîn vater Atus

starp in sînem rîch alsus.

 

Dar nâch huop sich roup und brant.

mit unfrid stuont daz lant,

wan ir einer niht den andern lie:

19990

mit roub ir ieslîcher umbe gie.

sich huop ein michel werren,

wan si hêten niht herren,

des muost daz lant den liuten leiden.

dô sprach ein alter heiden:

19995

«wir leben zwâr hie niht wol,

daz lant ist bôsheit vol.

des ist daz leben uns enwiht.

hieten wir ein herrn, sô wær sîn niht.»

alsô sprach der grîs man:

20000

«ez enmöht anders niht ergân,

ich riet gern, ob wir funden sus

mînes herren sun Pylatus,

der ist doch mînes herren kint.

die liut die in dem land sint,

20005

die wærn im billîch undertân,

sît wir niht einen herren hân.»

der rât begund in allen

vil reht wol gevallen.

dar nâch santen si zehant

20010

in ein insel, in ein lant,

unz si Pylatum funden.

si fuorten in ze den stunden

und swuoren im dô alle.

ir herr wart er mit schalle.

20015

bî in hêt er guoten gemach,

unz er ein swert durch sich stach.

daz was von sîner veicheit,

daz er den tôt alsô leit

und im selber tet den tôt,

20020

dâ von leit er grôze nôt.