BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Karl Simrock

1802 - 1876

 

Das Nibelungenlied

 

Dreiundzwanzigstes Abenteuer

 

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Wie Kriemhild ihr Leid zu rächen gedachte.

 

1437

In so hohen Ehren, | das ist alles wahr,

Wohnten sie beisammen | bis an das siebte Jahr.

Eines Sohns war genesen | derweil die Königin:

Das schien König Etzel | der allergröste Gewinn.

1438

Bis sie es erlangte, | ließ sie nicht ab davon,

Die Taufe must empfangen | König Etzels Sohn

Nach christlichem Brauche: | Ortlieb ward er genannt.

Darob war große Freude | über Etzels ganzem Land.

1439

Der Zucht, deren jemals | zuvor Frau Helke pflag,

Fliß sich Frau Kriemhild | darauf gar manchen Tag.

Es lehrte sie die Sitte | Herrat die fremde Maid;

Die trug noch in der Stille | um Helke schmerzliches Leid.

1440

Vor Heimischen und Fremden | gestanden allesamt

Beßer und milder | hab eines Königs Land

Nie eine Frau beseßen: | das hielten sie für wahr.

Des rühmten sie die Heunen | bis an das dreizehnte Jahr.

1441

Nun wuste sie, daß Niemand | ihr feindlich sei gesinnt, |

Wie oft wohl Königinnen | der Fürsten Recken sind,

Und daß sie täglich mochte | zwölf Könge vor sich sehn.

Sie vergaß auch nicht des Leides, | das ihr daheim war geschehn.

1442

Sie gedacht auch noch der Ehren | in Nibelungenland,

Die ihr geboten worden | und die ihr Hagens Hand

Mit Siegfriedens Tode | hatte gar benommen,

Und ob ihm das nicht jemals | noch zu Leide sollte kommen.

1443

«Es geschäh, wenn ich ihn bringen | möcht in dieses Land.»

Ihr träumte wohl, ihr gienge | bei Etzel an der Hand

Geiselher ihr Bruder; | sie küsst' ihn allezeit

In ihrem sanften Schlafe: | das ward zu schmerzlichem Leid.

1444

Der üble Teufel war es wohl, | der Kriemhilden rieth,

Daß sie in Freundschaft | von König Gunther schied

Und ihn zur Sühne küsste | in Burgundenland.

Aufs Neu begann zu triefen | von heißen Thränen ihr Gewand.

1445

Es lag ihr an dem Herzen | beides, spat und fruh,

Wie man mit Widerstreben | sie doch gebracht dazu,

Daß sie minnen muste | einen heidnischen Mann:

Die Noth hatt ihr Hagen | und Herr Gunther angethan.

1446

Wie sie das rächen möchte, | dachte sie alle Tage:

«Ich bin nun wohl so mächtig, | wem es auch missbehage,

Daß ich meinen Feinden | mag schaffen Herzeleid:

Dazu wär ich dem Hagen | von Tronje gerne bereit.

1447

«Nach den Getreuen jammert | noch oft die Seele mein;

Doch die mir Leides thaten, | möcht ich bei denen sein,

So würde noch gerochen | meines Friedels Tod.

Kaum kann ich es erwarten,» | sprach sie in des Herzens Noth.

1448

Es liebten sie Alle, | die dem König unterthan,

Die Recken Kriemhildens; | das war wohlgethan.

Ihr Kämmerer war Eckewart: | drum ward er gern gesehn:

Kriemhildens Willen | konnte Niemand widerstehn.

1449

Sie gedacht auch alle Tage: | «Ich will den König bitten,»

Er möcht ihr vergönnen | mit gütlichen Sitten,

Daß man ihre Freunde | brächt in der Heunen Land.

Den argen Willen Niemand | an der Königin verstand.

1450

Als eines Nachts Frau Kriemhild | bei dem König lag,

Umfangen mit den Armen | hielt er sie, wie er pflag

Der edeln Frau zu kosen, | sie war ihm wie sein Leib,

Da gedachte ihrer Feinde | dieses herrliche Weib.

1451

Sie sprach zu dem König: | «Viel lieber Herre mein,

Ich wollt euch gerne bitten, | möcht es mit Hulden sein,

Daß ihr mich sehen ließet, | ob ich verdient den Sold,

Daß ihr meinen Freunden | wäret inniglich hold.»

1452

Da sprach der mächtge König, | arglos war sein Muth:

«Des sollt ihr inne werden: | was man den Helden thut

Zu Ehren und zu Gute, | mir geschieht ein Dienst daran,

Da ich von Weibesminne | nie beßre Freunde gewann.»

1453

Noch sprach zu ihm die Königin: | «Ihr wißt so gut wie ich,

Ich habe hohe Freunde: | darum betrübt es mich,

Daß mich die so selten | besuchen hier im Land:

Ich bin allen Leuten | hier nur als freundlos bekannt.»

1454

Da sprach der König Etzel: | «Viel liebe Fraue mein,

Däucht' es sie nicht zu ferne, | so lüd ich überrhein,

Die ihr da gerne sähet, | hieher zu meinem Land.»

Sie freute sich der Rede, | als ihr sein Wille ward bekannt.

1455

Sie sprach: «Wollt ihr mir Treue | leisten, Herre mein, |

So sollt ihr Boten senden | gen Worms überrhein.

So entbiet ich meinen Freunden | meinen Sinn und Muth:

So kommen uns zu Lande | viel Ritter edel und gut.»

1456

Er sprach: «Wenn ihr gebietet, | so laß ich es geschehn.

Ihr könntet eure Freunde | nicht so gerne sehn,

Der edeln Ute Kinder, | als ich sie sähe gern:

Es ist mir ein Kummer, | daß sie so fremd uns sind und fern.»

1457

Er sprach: «Wenn dirs gefiele, | viel liebe Fraue mein, |

Wollt ich als Boten senden | zu den Freunden dein

Meine Fiedelspieler | gen Burgundenland.»

Die guten Spielleute | ließ man bringen gleich zur Hand.

1458

Die Knappen kamen beide, | wo sie den König sahn

Sitzen bei der Königin. | Da sagt' er ihnen an,

Sie sollten Boten werden | nach Burgundenland.

Auch ließ er ihnen schaffen | reiches herrliches Gewand.

1459

Vierundzwanzig Recken | schnitt man da das Kleid.

Ihnen ward auch von dem König | gegeben der Bescheid,

Wie sie Gunthern laden sollten | und Die ihm unterthan.

Frau Kriemhild mit ihnen | geheim zu sprechen begann.

1460

Da sprach der reiche König: | «Nun hört, wie ihr thut:

Ich entbiete meinen Freunden | alles, was lieb und gut,

Daß sie geruhn zu reiten | hieher in mein Land.

Ich habe noch gar selten | so liebe Gäste gekannt.

1461

«Und wenn sie meinen Willen | gesonnen sind zu thun,

Kriemhilds Verwandte, | so mögen sie nicht ruhn

Und mir zu Liebe kommen | zu meinem Hofgelag,

Da meiner Schwäger Freundschaft | mich so sehr erfreuen mag.»

1462

Da sprach der Fiedelspieler, | der stolze Schwemmelein: |

«Wann soll euer Gastgeber | in diesen Landen sein?

Daß wirs euern Freunden | am Rhein mögen sagen.»

Da sprach der König Etzel: | «In der nächsten Sonnenwende Tagen.»

1463

«Wir thun, was ihr gebietet,» | sprach da Werbelein.

Kriemhild ließ die Boten | zu ihrem Kämmerlein

Führen in der Stille | und besprach mit ihnen da,

Wodurch noch manchem Degen | bald wenig Liebes geschah.

1464

Sie sprach zu den Boten: | «Ihr verdient groß Gut,

Wenn ihr besonnen | meinen Willen thut

Und sagt, was ich entbiete | heim in unser Land:

Ich mach euch reich an Gute | und geb euch herrlich Gewand.

1465

«Wen ihr von meinen Freunden | immer möget sehn

Zu Worms an dem Rheine, | dem sollt ihrs nie gestehn,

Daß ihr mich immer sähet | betrübt in meinem Muth;

Und entbietet meine Grüße | diesen Helden kühn und gut.

1466

«Bittet sie zu leisten, | was mein Gemahl entbot,

Und mich dadurch zu scheiden | von all meiner Noth.

Ich scheine hier den Heunen | freundlos zu sein.

Wenn ich ein Ritter hieße | ich käme manchmal an den Rhein.

1467

«Und sagt auch Gernoten, | dem edeln Bruder mein,

Daß ihm auf Erden Niemand | holder möge sein:

Bittet, daß er mir bringe | hierher in dieses Land

Unsre besten Freunde: | so wird uns Ehre bekannt.

1468

«Sagt auch Geiselheren, | ich mahn ihn daran,

Daß ich mit seinem Willen | nie ein Leid gewann:

Drum sähn ihn hier im Lande | gern die Augen mein;

Auch will ich all mein Leben | ihm zu Dienst verpflichtet sein.

1469

«Sagt auch meiner Mutter, | wie mir Ehre hier geschieht;

Und wenn von Tronje Hagen | der Reise sich entzieht,

Wer ihnen zeigen solle | die Straßen durch das Land?

Die Wege zu den Heunen | sind von frühauf ihm bekannt.»

1470

Nun wusten nicht die Boten, | warum das möge sein,

Daß sie diesen Hagen | von Tronje nicht am Rhein

Bleiben laßen sollten. | Bald ward es ihnen leid:

Durch ihn war manchem Degen | mit dem grimmen Tode gedräut.

1471

Botenbrief und Siegel | ward ihnen nun gegeben;

Sie fuhren reich an Gute | und mochten herrlich leben.

Urlaub gab ihnen Etzel | und sein schönes Weib;

Ihnen war auch wohlgezieret | mit guten Kleidern der Leib.