BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Wittgenstein

1889 - 1951

 

Tractatus Logico-Philosophicus

 

1921/22

 

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2

 

Was der Fall ist, die Tatsache,

ist das Bestehen von Sachverhalten.

 

2.01

 

Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen. (Sachen, Dingen.)

2.011

 

Es ist dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sach­verhaltes sein zu können.

2.012

 

In der Logik ist nichts zufällig: Wenn das Ding im Sach­verhalt vorkommen kann, so muss die Möglichkeit des Sachverhaltes im Ding bereits präjudiziert sein.

2.0121

 

Es erschiene gleichsam als Zufall, wenn dem Ding, das allein für sich bestehen könnte, nachträglich eine Sachlage passen würde. Wenn die Dinge in Sachverhalten vorkom­men können, so muss dies schon in ihnen liegen. (Etwas Logisches kann nicht nur-möglich sein. Die Logik handelt von jeder Möglichkeit und alle Möglichkeiten sind ihre Tatsachen.) Wie wir uns räumliche Gegenstände über­haupt nicht ausserhalb des Raumes, zeitliche nicht ausserhalb der Zeit denken können, so können wir uns keinen Gegenstand ausserhalb der Möglichkeit seiner Verbindung mit anderen denken. Wenn ich mir den Gegenstand im Verbande des Sachverhalts denken kann, so kann ich ihn nicht ausserhalb der Möglichkeit dieses Verbandes denken.

2.0122

 

Das Ding ist selbständig, insofern es in allen möglichen Sachlagen vorkommen kann, aber diese Form der Selbständigkeit ist eine Form des Zusammenhangs mit dem Sachverhalt, eine Form der Unselbständigkeit. (Es ist unmöglich, dass Worte in zwei verschiedenen Weisen auftreten, allein und im Satz.)

2.0123

 

Wenn ich den Gegenstand kenne, so kenne ich auch sämt­liche Möglichkeiten seines Vorkommens in Sachverhal­ten. (Jede solche Möglichkeit muss in der Natur des Gegenstandes liegen.) Es kann nicht nachträglich eine neue Möglichkeit gefunden werden.

2.01231

 

Um einen Gegenstand zu kennen, muss ich zwar nicht seine externen – aber ich muss alle seine internen Eigenschaften kennen.

2.0124

 

Sind alle Gegenstände gegeben, so sind damit auch alle möglichen Sachverhalte gegeben.

2.013

 

Jedes Ding ist, gleichsam, in einem Raume möglicher Sachverhalte. Diesen Raum kann ich mir leer denken, nicht aber das Ding ohne den Raum.

2.0131

 

Der räumliche Gegenstand muss im unendlichen Raume liegen. (Der Raumpunkt ist eine Argumentstelle.) Der Fleck im Gesichtsfeld muss zwar nicht rot sein, aber eine Farbe muss er haben: er hat sozusagen den Farbenraum um sich. Der Ton muss eine Höhe haben, der Gegenstand des Tastsinnes eine Härte u. s. w.

2.014

 

Die Gegenstände enthalten die Möglichkeit aller Sach­lagen.

2.0141

 

Die Möglichkeit seines Vorkommens in Sachverhalten, ist die Form des Gegenstandes.

2.02

 

Der Gegenstand ist einfach.

2.0201

 

Jede Aussage über Komplexe lässt sich in eine Aussage über deren Bestandteile und in diejenigen Sätze zerlegen, welche die Komplexe vollständig beschreiben.

2.021

 

Die Gegenstände bilden die Substanz der Welt. Darum können sie nicht zusammengesetzt sein.

2.0211

 

Hätte die Welt keine Substanz, so würde, ob ein Satz Sinn hat, davon abhängen, ob ein anderer Satz wahr ist.

2.0212

 

Es wäre dann unmöglich, ein Bild der Welt (wahr oder falsch) zu entwerfen.

2.022

 

Es ist offenbar, dass auch eine von der wirklichen noch so verschieden gedachte Welt Etwas – eine Form – mit der wirklichen gemein haben muss.

2.023

 

Diese feste Form besteht eben aus den Gegenständen.

2.0231

 

Die Substanz der Welt kann nur eine Form und keine materiellen Eigenschaften bestimmen. Denn diese werden erst durch die Sätze dargestellt – erst durch die Konfiguration der Gegenstände gebildet.

2.0232

 

Beiläufig gesprochen: Die Gegenstände sind farblos.

2.0233

 

Zwei Gegenstände von der gleichen logischen Form sind – abgesehen von ihren externen Eigenschaften – von einander nur dadurch unterschieden, dass sie verschie­den sind.

2.02331

 

Entweder ein Ding hat Eigenschaften, die kein anderes hat, dann kann man es ohneweiteres durch eine Beschreibung aus den anderen herausheben, und darauf hinweisen; oder aber, es gibt mehrere Dinge, die ihre sämtlichen Eigenschaften gemeinsam haben, dann ist es überhaupt unmöglich auf eines von ihnen zu zeigen. Denn, ist das Ding durch nichts hervorgehoben, so kann ich es nicht hervorheben, denn sonst ist es eben hervorgehoben.

2.024

 

Die Substanz ist das, was unabhängig von dem was der Fall ist, besteht.

2.025

 

Sie ist Form und Inhalt.

2.0251

 

Raum, Zeit und Farbe (Färbigkeit) sind Formen der Gegenstände.

2.026

 

Nur wenn es Gegenstände gibt, kann es eine feste Form der Welt geben.

2.027

 

Das Feste, das Bestehende und der Gegenstand sind Eins.

2.0271

 

Der Gegenstand ist das Feste, Bestehende; die Konfigu­ration ist das Wechselnde, Unbeständige.

2.0272

 

Die Konfiguration der Gegenstände bildet den Sachver­halt.

2.03

 

Im Sachverhalt hängen die Gegenstände ineinander, wie die Glieder einer Kette.

2.031

 

Im Sachverhalt verhalten sich die Gegenstände in bestimmter Art und Weise zueinander.

2.032

 

Die Art und Weise, wie die Gegenstände im Sachverhalt zusammenhängen, ist die Struktur des Sachverhaltes.

2.033

 

Die Form ist die Möglichkeit der Struktur.

2.034

 

Die Struktur der Tatsache besteht aus den Strukturen der Sachverhalte.

2.04

 

Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte ist die Welt.

2.05

 

Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte bestimmt auch, welche Sachverhalte nicht bestehen.

2.06

 

Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit.

(Das Bestehen von Sachverhalten nennen wir auch eine positive, das Nichtbestehen eine negative Tatsache.)

2.061

 

Die Sachverhalte sind von einander unabhängig.

2.062

 

Aus dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Sachverhal­tes kann nicht auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines anderen geschlossen werden.

2.063

 

Die gesamte Wirklichkeit ist die Welt.

2.1

 

Wir machen uns Bilder der Tatsachen.

2.11

 

Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vor.

2.12

 

Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.

2.13

 

Den Gegenständen entsprechen im Bilde die Elemente des Bildes.

2.131

 

Die Elemente des Bildes vertreten im Bild die Gegen­stände.

2.14

 

Das Bild besteht darin, dass sich seine Elemente in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten.

2.141

 

Das Bild ist eine Tatsache.

2.15

 

Dass sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise zu einander verhalten stellt vor, dass sich die Sachen so zu einander verhalten. Dieser Zusammenhang der Elemente des Bildes heisse seine Struktur und ihre Möglichkeit seine Form der Abbildung.

2.151

 

Die Form der Abbildung ist die Möglichkeit, dass sich die Dinge so zu einander verhalten, wie die Elemente des Bildes.

2.1511

 

Das Bild ist so mit der Wirklichkeit verknüpft; es reicht bis zu ihr.

2.1512

 

Es ist wie ein Massstab an die Wirklichkeit angelegt.

2.15121

 

Nur die äussersten Punkte der Teilstriche berühren den zu messenden Gegenstand.

2.1513

 

Nach dieser Auffassung gehört also zum Bilde auch noch die abbildende Beziehung, die es zum Bild macht.

2.1514

 

Die abbildende Beziehung besteht aus den Zuordnungen der Elemente des Bildes und der Sachen.

2.1515

 

Diese Zuordnungen sind gleichsam die Fühler der Bild­elemente, mit denen das Bild die Wirklichkeit berührt.

2.16

 

Die Tatsache muss um Bild zu sein, etwas mit dem Abgebildeten gemeinsam haben.

2.161

 

In Bild und Abgebildetem muss etwas identisch sein, damit das eine überhaupt ein Bild des anderen sein kann.

2.17

 

Was das Bild mit der Wirklichkeit gemein haben muss, um sie auf seine Art und Weise – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist seine Form der Abbildung.

2.171

 

Das Bild kann jede Wirklichkeit abbilden, deren Form es hat. Das räumliche Bild alles Räumliche, das farbige alles Farbige, etc.

2.172

 

Seine Form der Abbildung aber, kann das Bild nicht abbilden; es weist sie auf.

2.173

 

Das Bild stellt sein Objekt von ausserhalb dar (sein Standpunkt ist seine Form der Darstellung), darum stellt das Bild sein Objekt richtig oder falsch dar.

2.174

 

Das Bild kann sich aber nicht ausserhalb seiner Form der Darstellung stellen.

2.18

 

Was jedes Bild, welcher Form immer, mit der Wirk­lichkeit gemein haben muss, um sie überhaupt – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist die logische Form, das ist, die Form der Wirklichkeit.

2.181

 

Ist die Form der Abbildung die logische Form, so heisst das Bild das logische Bild.

2.182

 

Jedes Bild ist auch ein logisches. (Dagegen ist z. B. nicht jedes Bild ein räumliches.)

2.19

 

Das logische Bild kann die Welt abbilden.

2.2

 

Das Bild hat mit dem Abgebildeten die logische Form der Abbildung gemein.

2.201

 

Das Bild bildet die Wirklichkeit ab, indem es eine Mög­lichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachver­halten darstellt.

2.202

 

Das Bild stellt eine mögliche Sachlage im logischen Raume dar.

2.203

 

Das Bild enthält die Möglichkeit der Sachlage, die es darstellt.

2.21

 

Das Bild stimmt mit der Wirklichkeit überein oder nicht; es ist richtig oder unrichtig, wahr oder falsch.

2.22

 

Das Bild stellt dar, was es darstellt, unabhängig von sei­ner Wahr- oder Falschheit, durch die Form der Abbil­dung.

2.221

 

Was das Bild darstellt, ist sein Sinn.

2.222

 

In der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung seines Sinnes mit der Wirklichkeit, besteht seine Wahrheit oder Falschheit.

2.223

 

Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.

2.224

 

Aus dem Bild allein ist nicht zu erkennen, ob es wahr oder falsch ist.

2.225

 

Ein a priori wahres Bild gibt es nicht.