BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jakob van Hoddis

1887 - 1942

 

Nacht

 

1913

 

Erstausgabe:

in: Der Sturm

Jahrgang 4, Nr. 182/183 (Oktober 1913)

 

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Nacht

 

I

 

Und Schmock im Rock

Und Mann in Bart,

Jetzt in der Bar

Zu Paaren gepaart

Und bunter Plunder

Und Strümpfchen verflucht

Seid ihr das Wunder,

Das heut ich gesucht?

 

Wir suchten auf Straßen

Auf und ab. Auf und ab.

Wir standen und saßen

Und liefen im Trab.

Ganz über die Maßen

Erwartungsvoll

Jetzt ist das Lokal verjohlt und voll.

 

II

Es hebt sich ein rosa Gesicht

Von der Wand

Es strahlt ein verwegenes Licht

Von der Wand

Es kracht mir der Schädel

Beim Anblick der Wand

Es träumt mir ein Mädel

Beim Anblick der Wand

 

O Wand, die in meine leblosen Stunden starrt

Wand, Wand, die meine Seele mit Wunder genarrt

Mit Langweile und grünlichem Kalk

Mein Freund. Meiner Wünsche Dreckkatafalk.

 

Soeben erscheint mir der Mond

An der Wand.

Es zeigt mir Herrn Cohn seine Hand

An der Wand.

Es schnattert wie Schatten

Pretiös an der Wand.

 

Verflucht an der Wand!

Und heut an der Wand!

Was stehen denn so viel Leut

An der Wand?

 

III

 

Ja ich träume. Eine Tasse

Steht auf einem Tische rund,

Ach was ist denn diese crasse

Sache, die ich sehend hasse?

Tut sie nicht ein Wunder kund?!

 

Ja ich werde mich begnügen

Daß es solch ein Ding noch gibt

Das sich nicht mit Engelsflügen

Aufwärts hebt und fortbegibt.

 

Schließlich könnten Teller schweben

Stühle streckend alle vier

Beine aufwärts wie Epheben

Gott, mein Gott, ich danke Dir.

 

IV

 

Man fühlt sich dreckig und verlaust

Und träumt verwegen in den Morgenradau

Ein altes Weib hat auch gesungen

Wiegend die Brust. Ein Lockruf der Liebe.

 

Was war er früher so wohlvertraut

Der kranke Schimmel – vom Fenster aus

Heut trübt er mir die Abgedanken.

Ein grauer Wirbel. Man gähnt und träumt.

 

Vom gestrigen Abend, dem Tatenheld

Der Auto tückisch ins Zimmer schrie

Sterne wie Frauen und lumpige Stunden

Hat mir der schlampige Herr versprochen.

 

Nun bin ich dreckig und fast verlaust

Und steige betrübt in den Morgenzug.

Ein Philosoph hat auch geredet

Wiegend die Brust. Ein liebreicher Herr.

 

 

Erstausgabe in „Der Sturm“ 1913