BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jakob van Hoddis

1887 - 1942

 

Von Mir und vom Ich

 

1908

 

Erstausgabe:

in: Beigabe zu den Monatsberichten der

Freien Wissenschaftlichen Vereinigung

Heft 3 (Februar 1908), S. 8 f.

 

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Von Mir und vom Ich.

 

Motto:

Seltsam, wie hier der Verstand

An mir hämmert, an mir hirnert,

Selbstsadistisch arrogant,

Selbst den Stirner unterstirnert.

 

Cogito ergo sum: Das Denken ist kein Beweis für das Ich, sondern das Ich ein Postulat des Denkens.

Ein Bild und eine Erfahrung: Am fernen Ufer singen die Sirenen. Wohl weiß Odysseus, Lüge ist es, was die Dichter von ihren blutgierigen Vogelkrallen berichten. Hold und lieblich wäre es, bei ihnen zu wohnen. Er sehnt sich hinüber.

Aber Glied um Glied ist er am Maste seines Schiffes angekettet. Nicht von Freunden, die uns ja so oft vom Schönsten entfernt halten – um unseres Besten willen –! Vergessene Wünsche, längst schal gewollter Wille, törichte Knabensehnsucht – daraus ist seine Kette geschmiedet, die unsichtbare unzerreißbare, die bei jedem Aufbäumen tiefer in sein Fleisch einschneidet. Der Fessel des nordischen Feuergottes vergleichbar.

Und am Steuer sitzt der Traum seiner selbst, der lang schon tote.

Du sagst: «Lieber der Sklave eines Menschen, denn der Halbaffe seiner Idee!» Schön. Wie steht es mit dem Halbaffentum der Ichidee?

Ein anderes bin ich, der ich bin (Ur-Ich),

Ein anderes das Ich, das ich denke (Ich-Idee).

Oder: Das Urich = Postulat des Denkens

Die Ichidee = Objekt des Denkens.

Die erste Gleichung: das entschleierte Bild von Sais.

Die zweite Gleichung: der schimmernde Schleier des Grausigsten.

Und da kam der Pedant der Innerlichkeit und schrie mich an: Was tust du den Mund auf, du Unheiliger! Weißt du nicht, daß das Wort den Gedanken nicht formt, sondern umformt! Daß es den glühenden Strom des Schmerzlichsten und Freudigsten zu buntem Glaswerk erstarren läßt?

«Das Wort ist ein eigenwilliger Herr. Warum begiebst du dich unter seine Herrschaft?»

Ich antwortete: «O Prophet! Wahrlich, du bist ein König ohne Kamarilla! Wohl beherrscht mich das Wort. Aber es ist nicht mein Herr. Es ist mein Scherge.»

«Wissen Sie übrigens, wer der Pfeil der Eleaten ist, von dem die Schulmeister so Wunderliches berichten? Der traf und sich doch nicht bewegte, der flog und doch ruhte? Der Pfeil ist das Wort.»

Das Wort als Scherge. Oder: Die Sprache ist die Bureaukratie der Seele.

Ebensowenig wie man in Worten zu denken braucht, braucht man in Worten zu dichten.

Man braucht wahrscheinlich die Idee zum Kunstwerk, wie den Bast zum Kränzewinden. Aber der Bast ist selten das Schöne am Kranz.

Im Kunstgewerbe erfüllt die Zweckmäßigkeit die befruchtende Funktion der Idee.

Für den Dichter ist die Denkkraft auch ein Sinn.

Auch die Freude an Sich selbst – an der Ichidee – ist ein

poetisches Erlebnis.

Wünschen ist Selbstpoetik.

Der Genußwert der Philosophie, jeder indirekte, jeder eingebildete Genuß, jede Macht- und Tatenfreude ist in der Ichpoetik begründet.

So ist die Beziehung zwischen Kunst und Leben wieder hergestellt. Denn Kunstwerk am Kunstwerk bildet sich das Leben an der Dichtung und die Dichtung am Leben. Wie sich Fackel an Fackel entzündet.

Der ästhetische Ichthyosaurus sucht ein festes – also begreifliches Verhältnis zu seiner Ichidee.

Er erzieht sich Eigenschaften an. Die kann er sich merken. Da weiß er, was er an sich hat.

Er wird zum Charakter, zur Persönlichkeit, zum Original.

Wir aber sind uns in jedem Augenblick ein Anderes, stets Unbegreifliches.

Wir fühlen Uns, ohne Uns zu definieren.

Er wird zum Halbaffen seiner Ichdefinition.

Wir werden uns zum Dämon.

Es gibt kein höheres Dasein, als das Unbegreifliche, und Homer ist sein Prophet.

 

Postskriptum des Magiers:

Galgenlied

Das Ur-Ich und die Ich-Idee

Gingen selbander im grünen Klee:

Die Ichidee fiel hin ins Gras,

Das Ur-Ich wurde vor Schreck ganz blaß.

Da sprach das Ur- zur Ichidee:

«Was wandelst du im grünen Klee?»

Da sprach die Ichidee zum Ur-:

«Ich wandle nur auf deiner Spur.» –

Da, Freunde, hub sich große Not:

Ich schlug mich gegenseitig tot.